Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Beschluss vom 22.01.1996) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluß des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 22. Januar 1996 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt Konkursausfallgeld auch für eine Urlaubsabgeltung. Ein klagabweisendes Urteil des Sozialgerichts (SG) Lüneburg vom 18. Oktober 1995 wurde ihr am 31. Oktober 1995 zugestellt. Die Berufungsschrift trägt das Datum vom (Mittwoch) 29. November 1995 und den Eingangsstempel des SG vom (Freitag) 1. Dezember 1995 (der Briefumschlag befindet sich nicht bei den Akten). Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er versicherte an Eides Statt, die Berufungsschrift noch am Tag der Fertigstellung in U. … zur Versendung gebracht zu haben; der Brief sei noch vor 18.00 Uhr in einen Postbriefkasten geworfen worden, der zu diesem Zeitpunkt noch geleert worden sei. Es sei regelmäßige Erfahrung und auch von der Post so zugesagt, daß ein bis dahin eingelieferter Brief am nächsten Tag in L. … zugehe.
Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Beschluß vom 22. Januar 1996 nach § 158 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) die Berufung als unzulässig verworfen: Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin habe nicht darauf vertrauen dürfen, daß ein Schriftsatz, selbst wenn dieser vor 18.00 Uhr in den Briefkasten geworfen werde, am nächsten Tag in einem anderen, wenn auch nahegelegenen Ort zugehe. Die Post AG übernehme keinerlei Gewähr dafür, daß eine Beförderung innerhalb eines Tages erfolge. Deshalb hätte es nahegelegen und zu den Sorgfaltspflichten eines gewissenhaften Prozeßführenden gehört, die Berufungsschrift per Telefax zu übermitteln.
Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin. Sie rügt als Verfahrensfehler, daß das LSG keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt habe.
Sie beantragt sinngemäß,
den Beschluß des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 22. Januar 1996 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin gegen den Beschluß des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 22. Januar 1996 zurückzuweisen.
Auf Anfrage des Senats hat die Deutsche Post AG, Niederlassung C., … unter dem 10. April 1996 mitgeteilt, daß ein in U. … vor der letzten Leerung (18.15 Uhr) eingeworfener Brief im Rahmen der gewöhnlichen Postbeförderung am nächsten Tag in L. … ausgeliefert werden müßte.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
II
Auf die Revision der Klägerin ist der angefochtene Beschluß des LSG aufzuheben und die Sache an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Dem LSG ist ein Verfahrensfehler dadurch unterlaufen, daß es die Berufung als unzulässig verworfen hat. Denn der Klägerin stand wegen der versäumten Berufungsfrist (§ 151 Abs 1 und 2, § 64 Abs 2 Satz 2 SGG) ein Wiedereinsetzungsgrund (§ 67 Abs 1 SGG) zur Seite. Sie war ohne Verschulden verhindert, die Berufungsfrist einzuhalten.
Der Senat schließt sich der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Wiedereinsetzung an. Hiernach kann sich der Bürger in Fristsachen auf die üblichen Postlaufzeiten verlassen. Dies gilt auch dann, wenn andere Beförderungsalternativen (Eilbote, Telegramm, Telefax) zur Verfügung stehen (s zusammenfassend die Kammerbeschlüsse des BVerfG vom 29. Dezember 1994 – 2 BvR 106/93, NJW 1995, 1210 sowie vom 28. März 1994 – 2 BvR 814/93, NJW 1994, 1854; jeweils mwN). Eine der denkbaren Ausnahmen bei besonderen Umständen (Poststreik, neue Bundesländer in der ersten Zeit nach der Wiedervereinigung) greift im vorliegenden Fall nicht ein. Vielmehr hätte – wie die Deutsche Post AG in ihrer Auskunft dem Senat bestätigt hat – nach der üblichen Postlaufzeit die Berufungsschrift der Klägerin noch fristgerecht beim SG eingehen müssen.
Das LSG wird nunmehr in der Sache zu entscheiden haben. Der Senat weist insoweit auf seine Urteile vom 27. September 1994, SozR 3-4100 § 141b Nrn 11 und 12 sowie vom 22. November 1994, SozR aa0 Nr 13 hin.
Das LSG hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden.
Fundstellen