Leitsatz (redaktionell)
Eine räumlich und zeitlich nur geringfügige Unterbrechung des Weges zur Arbeitsstätte hebt den Versicherungsschutz nicht auf.
Normenkette
RVO § 543 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 15. Juni 1959 wird mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der Kläger wurde am 30. Dezember 1945 auf Gleis 2 des Hauptbahnhofs B von einem Güterzug erfaßt und verlor durch den Unfall den rechten Fuß. Mit seinen Entschädigungsansprüchen drang er nicht durch; das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen wies seine Berufung zurück (Entscheidung vom 26.9.1956). Auf die nicht zugelassene Revision des Klägers hat das Bundessozialgericht (BSG) die Sache an das LSG Niedersachsen zurückverwiesen; hinsichtlich der Einzelheiten des Sachverhalts und des Verfahrensablaufs bis dahin wird auf das Urteil vom 29. Januar 1959 (2 RU 267/56) Bezug genommen.
In der erneuten Verhandlung hat das LSG Niedersachsen am 15. Juni 1959 in Bremen Beweis erhoben über die Betriebstätigkeit des Klägers, den Unfallhergang sowie die örtlichen Verhältnisse des Hauptbahnhofs B., des Bahnbetriebswerks und der Betriebsküche des ehemaligen Reichsbahn-Sozialwerks. Beweismittel waren eine Augenscheinseinnahme unter Anhörung des Klägers und Vernehmungen mehrerer Zeugen.
Durch Urteil vom 15. Juni 1959 hat das LSG abermals die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Oberversicherungsamts (OVA) Hannover zurückgewiesen: Das LSG sei an die Entscheidung des BSG vom 29. Januar 1959 über die örtliche Zuständigkeit des LSG Niedersachsen gemäß § 170 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gebunden.
In der Sache selbst könne dahingestellt bleiben, ob die Tätigkeit des Klägers zur Zeit des Unfalls nach § 542 oder 543 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu beurteilen sei; denn die Fragen einer Unterbrechung bzw. Lösung von der betrieblichen Tätigkeit seien nach beiden Vorschriften gleich zu beurteilen.
Für den Fall jedoch, daß es nach der Ansicht des BSG auf eine solche Unterscheidung ankomme, seien die vom Kläger während der Arbeitspause zurückgelegten Wege zur Werksküche und zurück als Wege im Sinne des § 543 Abs. 1 Satz 1 RVO anzusehen. Betriebswege im Sinne des § 542 RVO kämen hierbei deshalb nicht in Betracht, weil die Einnahme der Mittagsmahlzeit keine Betriebstätigkeit darstelle und der Kläger auf diesen Wegen den räumlichen Bereich seines Betriebs verlassen habe. Das Bahnbetriebswerk B. (Arbeitsstätte des Klägers) sei eine eigenständige Betriebsanlage der Bundesbahn, deren Bereich nicht das Gelände des Hauptbahnhofs und der Werksküche umfasse. Im räumlichen Verhältnis zum Bahnbetriebswerk sei also die Werksküche einer beliebigen Gaststätte gleichzusetzen.
Den Versicherungsschutz nach § 543 RVO habe der Kläger zwar nicht schon deshalb eingebüßt, weil er nicht den vorgeschriebenen Weg benutzt habe; § 542 Abs. 2 gelte auch für Fälle des § 543 RVO. Ausschlaggebend sei jedoch in erster Linie, daß der Kläger zur Zeit des Unfalls nicht den an sich versicherten Weg, sondern einen ausschließlich aus persönlichen Gründen eingeschlagenen Weg zurückgelegt habe.
Der Kläger habe bei seiner Anhörung durch das LSG "glaubhaft erklärt, er habe regelmäßig als Hin- und Rückweg zwischen seinem Arbeitsplatz im Bahnbetriebswerk und der Werksküche die kürzeste Verbindung zwischen diesen Stellen über die Gleise des Hauptbahnhofs B. genommen." Sein - wenn möglicherweise auch verbotswidrig - gewählter üblicher Weg sei daher dieser Weg gewesen. Am Unfalltag habe er nach seiner glaubhaften Darlegung nicht aus betrieblichen Gründen oder etwa, um zu seiner Arbeitsstätte zurückzukehren, den Bahnsteig 1 im Hauptbahnhof B. aufgesucht, sondern um sich zu erholen, sich Zigaretten zu beschaffen und seinen Freund Z zu treffen. Alle drei Gründe seien als betriebsfremd anzusehen, auch der Erholungszweck. Insoweit müsse der Versicherungsschutz jedenfalls für ein solches Tun während der Arbeitspause verneint werden, das nicht mehr von der Betriebssphäre beherrscht werde oder für das keine besonderen betrieblichen Voraussetzungen bestünden. Keines dieser für den Betriebszusammenhang wesentlichen Erfordernisse sei gegeben. Aus betrieblichen Gründen habe der Kläger keinen Anlaß gehabt, den Bahnsteig 1 zu seiner Erholung aufzusuchen, selbst wenn, wie er behauptet habe, im Bahnbetriebswerk kein geeigneter Aufenthaltsraum zur Verfügung gestanden habe. Denn auf dem Bahnsteig sei er nicht besser gegen Witterungseinflüsse geschützt gewesen als auf seiner Arbeitsstätte, auch sei den Aussagen der Zeugen T. und K. zu entnehmen, daß es bei den im Bahnbetriebswerk Beschäftigten durchaus üblich gewesen sei, die Arbeitspause im Bereich des Bahnbetriebswerks zu verbringen. Da somit der Kläger bereits mit dem Verlassen des üblichen Rückweges vom Mittagessen einer allein seiner persönlichen Sphäre zuzurechnenden Tätigkeit nachgegangen sei, habe er überhaupt keine nach §§ 542 oder 543 RVO versicherte Tätigkeit verrichtet und nach seiner eigenen Einlassung und seinem gesamten Verhalten auch nicht mehr verrichten wollen; denn seine zum Teil bereits in die Tat umgesetzte Absicht sei gewesen, unmittelbar über die östlich der Bahnhofshalle gelegenen Gleise, also nicht mehr unter Benutzung des vorgeschriebenen oder seines üblichen Weges, zu seiner Arbeitsstätte zurückzugehen. Schon deshalb sei der Klaganspruch unbegründet.
Wenn aber vorsorglich unterstellt werde, daß der Kläger den Weg durch das Empfangsgebäude des Hauptbahnhofs gewählt habe, um auf seine Arbeitsstätte zurückzugelangen, so habe in diesem hilfsweise geprüften Fall der Kläger den versicherten Rückweg unterbrochen, und zwar in räumlicher wie in zeitlicher Hinsicht.
Räumlich gesehen sei ein versicherter Weg dann nicht unterbrochen, wenn er entweder die kürzeste Verbindung zwischen Ausgangs- und Zielpunkt oder doch derjenige Weg sei, der üblicherweise und nach allgemeiner Verkehrsanschauung in Betracht komme. Einen solchen Weg habe der Kläger nicht zurückgelegt. Den üblichen Weg durch die Empfangshalle und den Haupttunnel des Hauptbahnhofs habe er spätestens mit dem Betreten der Treppe zum Bahnsteig 1 unterbrochen. Diese Unterbrechung wäre erst beendet gewesen, wenn der Kläger entweder den Ausgangspunkt des Umwegs - also den Tunnel an der Treppe zum Bahnsteig 1 - oder einen anderen Teil der geschützten Wegstrecke, etwa die westliche Hälfte des Bahnsteigs 4 erreicht haben würde. Der Unfall habe sich aber am Ostende des Bahnsteigs 1 ereignet, also auf einem nicht versicherten Teil des Umwegs.
Vorsorglich gehe das LSG weiterhin hilfsweise von der Annahme aus, daß auch der Weg über den Bahnsteig 1 noch unter Versicherungsschutz gestanden habe. Aber auch diesen Weg habe der Kläger unterbrochen, da er zur Zeit des Unfalls nicht den versicherten Weg zurückgelegt, sondern Zigarettenreste gesammelt habe. Dies habe der Kläger zwar bestritten. Seine Behauptungen seien aber durch die Aussage des Zeugen N und das Ergebnis der Augenscheinseinnahme widerlegt worden. N, der bei seiner Aussage einen sicheren und glaubhaften Eindruck gemacht habe, könne zwar keine konkreten Tatsachen mehr über den Unfallhergang und die anschließende Befragung des Klägers angeben. Er habe jedoch seinen Bericht vom 26. September 1946 als zutreffend bezeichnet. Im Hinblick auf den mithin glaubwürdigen handschriftlichen Zusatz in diesem Bericht sei als bewiesen anzusehen, daß der Kläger den Zeugen N und M ausdrücklich zugegeben habe, er habe an der Unfallstelle im Unfallzeitpunkt Zigarettenreste gesucht. Aus der einschränkenden Bekundung des Zeugen M vor dem OVA am 19. April 1951 sei nur zu folgern, daß M bei dieser Vernehmung den Hergang der Befragung des Klägers nicht mehr richtig in Erinnerung gehabt habe. Zum gleichen Ergebnis habe die Augenscheinseinnahme geführt. Im Hinblick auf die vorhandene Treppe sei das Überschreiten des Gleises 2 einfach gewesen und habe nicht mehr als zwei bis vier Schritte oder höchstens 1,5 Sekunden erfordert. Selbst bei überhöhter Geschwindigkeit hätte der Zug den Kläger beim Überschreiten des Gleises nicht überraschen können. Nach dem Beweis des ersten Anscheins müsse also der Kläger nicht das Gleis 2 überschritten, sondern sich dort aus anderen Gründen aufgehalten haben. Andere Gründe aber als das Sammeln von Zigarettenresten kämen hierbei nicht in Betracht. Somit müsse die erste Darstellung des Klägers gegenüber den Zeugen N und M allein der Wahrheit entsprechen. Das LSG gehe hierbei nicht von einem allgemeinen Erfahrungssatz, sondern davon aus, daß die ersten Angaben des Klägers richtig seien, weil seine spätere Darstellung nach den gesamten Umständen offensichtlich unrichtig sei.
Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.
Gegen das am 10. September 1959 zugestellte Urteil hat der Kläger am 8. Oktober 1959 Revision eingelegt und sie am 5. November 1959 wie folgt begründet: Das LSG Niedersachsen sei örtlich unzuständig. Zwar sei es durch die Entscheidung des BSG vom 29. Januar 1959 an einer Prüfung seiner Zuständigkeit gehindert gewesen (§ 170 Abs. 4 SGG). Das LSG habe jedoch mit Recht auf seine - mit dem 1. Senat des BSG (BSG 2, 65) übereinstimmende - Rechtsprechung hingewiesen, wonach sich in Altfällen dieser Art die Zuständigkeit des Berufungsgerichts nach § 57 SGG richte. Da nun zu dieser Zuständigkeitsfrage die Auffassung zweier BSG-Senate von der eines anderen Senats abweiche, sei nach § 42 SGG die Anrufung des Großen Senats erforderlich. Ferner sei der 2. Senat insoweit nicht an seine Entscheidung vom 29. Januar 1959 gebunden, sondern könne diese Frage erneut prüfen. Der Große BSG-Senat würde voraussichtlich das LSG Bremen als zuständig ansehen.
Weiterhin rügt die Revision, das LSG habe seiner Entscheidung eine Aussage des Klägers zugrunde gelegt, welche dieser gar nicht gemacht habe. Der Kläger habe bei seiner Anhörung nicht bekundet, daß er regelmäßig als Hin- und Rückweg zwischen Arbeitsplatz und Werksküche die kürzeste Verbindung über die Gleise genommen habe; vielmehr habe er erklärt, daß er den Rückweg häufiger durch die Sperre auf Bahnsteig 1 und von dort über die Gleise genommen habe. Damit seien die Erwägungen des LSG über den "üblichen" Weg des Klägers in der Mittagspause auf einen überhaupt nicht festgestellten Sachverhalt gestützt.
Auf unzutreffenden Unterstellungen beruhe ferner die Annahme des LSG, aus den Aussagen der Zeugen T und K gehe hervor, daß es üblich gewesen sei, die Mittagspause im Bahnbetriebswerk zu verbringen. Bezüglich der Eigenständigkeit des Bahnbetriebswerks gegenüber den übrigen Anlagen des Hauptbahnhofs habe das LSG eine Prozeßbehauptung der Beklagten ungeprüft übernommen.
Schließlich macht die Revision in sehr eingehenden Darlegungen geltend, das LSG habe die Grenzen seines Beweiswürdigungsrechts überschritten, indem es die späteren Angaben des Klägers über sein Verhalten im Unfallzeitpunkt als widerlegt durch die Zeugenaussage N. und die Augenscheinseinnahme angesehen habe. Hierzu führt die Revision im wesentlichen aus, die Darstellung des Klägers sei seit seinem eigenhändigen Bericht vom 4. September 1946 stets gleich und widerspruchsfrei geblieben. Dem Zeugen N hätte das LSG nicht mehr Glauben schenken dürfen als dem Zeugen M, mit dessen erheblich abweichender Aussage vor dem OVA sich das LSG nicht hinreichend auseinandersetze. Das LSG habe ferner nicht berücksichtigt, daß die Unfallakte der Beklagten sehr nachlässig geführt worden sei und den Eindruck einer vorgefaßten Meinung der Beklagten bzw. ihrer Bediensteten, insbesondere des N erwecke. Das LSG hätte sich gedrängt fühlen müssen, den Zeugen N bei seiner Vernehmung auf die Widersprüche in den dienstlichen Berichten hinzuweisen und ihn über das Zustandekommen dieser Widersprüche auszufragen. Da N zu solchen Erklärungen mangels konkreter Erinnerung außerstande sei, sei die Darstellung des Klägers durch ihn nicht widerlegt worden. Auch der richterliche Augenschein habe zu einer solchen Widerlegung nicht ausgereicht. Hierbei sei das LSG wieder um von einem falschen Sachverhalt ausgegangen. Der Kläger habe nicht behauptet, den herannahenden Zug in Höhe des Gleises 6 oder 7 gesehen zu haben; seiner Darstellung sei vielmehr zu entnehmen, daß im Moment des Hinabsteigens der Zug noch etwa 60 bis 70 m entfernt gewesen sei. Die Darlegungen des LSG über die dem Kläger verbleibende Zeit zum Überschreiten des Gleises seien hypothetischen. Zum Unfallgeschehen hätte es ausgereicht, wenn der Kläger das Gleis nicht sehr schnell überschritten, vielleicht höchstens eine Sekunde verweilt habe. Im übrigen hätte die Schreckreaktion berücksichtigt werden müssen. Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen die Beklagte zur Gewährung einer Unfallentschädigung zu verurteilen,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung zuständigkeitshalber an das LSG Bremen zu verweisen.
Die Beklagte beantragt Verwerfung der Revision. Sie hält das Verfahren des LSG für fehlerfrei.
II
Die form- und fristgerecht eingelegte Revision ist auf Grund des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft, da sie mit Recht wesentliche Mängel des erneuten Berufungsverfahrens gerügt hat.
Mit der Rüge der örtlichen Unzuständigkeit des LSG Niedersachsen hat die Revision allerdings keinen Erfolg. Zu dieser Frage hat das LSG zutreffend angenommen, daß es nach § 170 Abs. 4 SGG an die Entscheidung des erkennenden Senats vom 29. Januar 1959 gebunden ist, in welcher dem schon damals gestellten Antrag des Klägers auf Verweisung der Sache an das LSG Bremen nicht stattgegeben wurde. Diese Bindung erstreckt sich auf die rechtliche Beurteilung von Verfahrensfragen durch das Revisionsgericht (RGZ 136, 206; RG HRR 1933 Nr. 1539). Sie gilt auch für das Revisionsgericht selbst bei seiner Entscheidung über die auf Grund erneuter Revision wieder bei ihm anhängig gewordenen Sache, falls nicht inzwischen der Große Senat die maßgebende Rechtsfrage abweichend entschieden hat (BSG 17, 50, 56). Der Große Senat des BSG ist seither zu der Frage der örtlichen Zuständigkeit des LSG bei Übergangsfällen nach § 215 Abs. 8 SGG nicht angerufen worden. Der erkennende Senat sieht keinen Anlaß, die Frage dem Großen Senat vorzulegen, zumal da er bereits bei seiner Entscheidung vom 29. Januar 1959 die vom 1. Senat (BSG 2, 65) vertretene Auslegung des § 215 Abs. 2 SGG berücksichtigt hatte.
Begründet sind indessen mehrere Revisionsangriffe gegen die im angefochtenen Urteil dargelegte Würdigung des Geschehens am Unfalltage.
Das LSG ist davon ausgegangen, daß die Wege des Klägers während der Mittagspause zur Werksküche und wieder zurück nicht als Betriebswege anzusehen, sondern unter § 543 RVO aF einzuordnen seien. Die Feststellungen des LSG über die "Eigenständigkeit" des Bahnbetriebswerks, aus denen die Anwendbarkeit des § 543 RVO aF hergeleitet wird, sind von der Revision zwar in Zweifel gezogen, aber nicht mit wirksamen Verfahrensrügen (§ 164 Abs. 2 Satz 2 SGG) entkräftet worden; der Senat ist daher hieran gebunden (§ 163 SGG). Das LSG hat weiter angenommen, der Kläger habe seinen auf den Wegen nach und von der Werksküche grundsätzlich bestehenden Versicherungsschutz nicht schon dann verloren, wenn er hierfür nicht den (bahnamtlich) vorgeschriebenen Weg benutzte. Dem ist beizupflichten; die Vorschrift, daß verbotswidriges Handeln die Annahme eines Arbeitsunfalls nicht ausschließt (§ 542 Abs. 2 RVO aF), gilt auch bei den sogenannten Wegeunfällen im Sinne des § 543 RVO aF (vgl. SozR RVO § 543 aF Bl. Aa 6 Nr. 10).
Daran anknüpfend hat es das LSG sodann im Abschnitt 3 der Entscheidungsgründe folgerichtig darauf abgestellt, welches der vom Kläger - wenn auch möglicherweise verbotswidrig - gewählte übliche Weg von der Werksküche zurück zu seinem Arbeitsplatz im Bahnbetriebswerk gewesen sei. Hierbei hat das LSG jedoch, wie die Revision mit Recht bemängelt, die von ihm als glaubhaft bezeichneten Erklärungen, die der Kläger während der Augenscheinseinnahme und bei der persönlichen Anhörung abgegeben hat, nicht richtig wiedergegeben. Nach den Niederschriften über die Beweisaufnahme hat der Kläger keineswegs bekundet, daß er regelmäßig als Hin- und Rückweg die kürzeste Verbindung zwischen Bahnbetriebswerk und Werksküche über die Gleise des Hauptbahnhofs - das LSG meint hiermit offenbar den westlichen Gleisübergang - genommen habe. Der Kläger hat vielmehr ausdrücklich erklärt, er habe als Rückweg vom Mittagessen häufiger den Bahnsteig 1 und von dort den (östlichen) Gleisübergang gewählt und nur gelegentlich den als Hinweg benutzten (westlichen) Gleisübergang (zu vgl. LSG-Akte Bl. 144, 151). Mit diesem Verstoß gegen den zweifelsfrei erkennbaren Inhalt der vom Kläger gemachten Angaben, die das LSG selbst als glaubhaft angesehen hat, ist den Ausführungen in Abschnitt 3 der Entscheidungsgründe der Boden entzogen; denn sie beruhen auf einer Überschreitung der Grenzen des Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung (BSG 2, 236). Die Schlußfolgerung des LSG, der Kläger sei bereits "mit dem Verlassen des üblichen Weges zum und vom Mittagessen" ... einer allein seiner persönlichen Sphäre zuzurechnenden Tätigkeit nachgegangen, läßt sich also nicht halten. Mit Recht macht die Revision ferner gegen diesen Teil der Urteilsgründe geltend, daß das LSG aus den Aussagen der Zeugen T und K nicht folgern durfte, es sei bei den Bediensteten des Bahnbetriebswerks üblich gewesen, die Arbeitspausen im Bereich des Betriebswerks zu verbringen; Bekundungen von solcher Tragweite sind in der Tat den Niederschriften über die Vernehmung dieser Zeugen (LSG-Akte Bl. 145, 147) nicht zu entnehmen.
Auch der als Hilfsbegründung bezeichnete Abschnitt 4 der Entscheidungsgründe wird durch die Revisionsangriffe zu Fall gebracht. Das LSG hat hier ausgeführt, in räumlicher Beziehung werde ein versicherter Weg nicht unterbrochen, wenn er die kürzeste Verbindung zwischen Ausgangs- und Zielpunkt oder doch der Weg sei, der "üblicherweise und nach allgemeiner Verkehrsanschauung in Betracht kommt". Der in diesem Sinne übliche Weg von der Empfangshalle des Hauptbahnhofs hätte nur durch den Haupttunnel und über die Westseite des Bahnsteigs 4 führen können. Ihn habe der Kläger mit dem Betreten der Treppe zum Bahnsteig 1 unterbrochen. - Diese Darlegungen sind insofern schwer verständlich, als nicht klar zu erkennen ist, welche Maßstäbe das LSG hier für die Beurteilung der "Üblichkeit" und "allgemeinen Verkehrsanschauung" herangezogen hat. Die bahnamtlichen Vorschriften über den von den Bahnbediensteten einzuhaltenden Weg können hiermit jedenfalls nicht gemeint sein, sonst würde sich das LSG in Widerspruch setzen zu seinen einleitenden - nach Ansicht des erkennenden Senats zutreffenden - Darlegungen über die Anwendbarkeit des § 542 Abs. 2 RVO aF. Sollte es den Begriff "üblich" im Sinne der subjektiven Gepflogenheiten des Klägers verstanden haben, so würde der Urteilsbegründung wiederum die Aussage des Klägers entgegenstehen; damit ergäbe sich der gleiche Verfahrensverstoß, der schon oben aufgezeigt worden ist. Schließlich könnte das LSG auch an "Üblichkeit" und "allgemeine Verkehrsanschauung" in dem Sinne gedacht haben, daß als Maßstab hierfür das von den Arbeitskollegen des Klägers in der Regel geübte Verhalten gelten solle. Insoweit enthalten aber die Gründe des angefochtenen Urteils keine hinreichenden tatsächlichen Feststellungen. Denn das LSG hat nichts darüber ausgeführt, welchen Weg die im Bahnbetriebswerk Beschäftigten, die mittags in der Werksküche verpflegt wurden, bei der Rückkehr von der Mittagspause im allgemeinen benutzt haben. Der Abschnitt 4 der Entscheidungsgründe läßt sich mithin gleichfalls mit den darin enthaltenen Erwägungen nicht halten.
Im folgenden Abschnitt 5 hat sich schließlich das LSG hilfsweise wiederum mit der - für das Urteil vom 26. September 1956 ausschlaggebenden - Frage auseinandergesetzt, ob der Kläger, wenn er beim Aufsuchen des Bahnsteigs 1 noch unter Versicherungsschutz gestanden haben sollte, im Augenblick des Unfalls den versicherten Weg fortsetzte oder aber sich gerade dem Aufsammeln von Zigarettenresten zuwandte. Das LSG hat insoweit unter Abwägung der vom Kläger gegebenen Darstellung gegen die Aussage des Zeugen N und das Ergebnis der Augenscheinseinnahme angenommen, die Darstellung des Klägers sei widerlegt. Die Revisionsangriffe gegen diesen Teil des angefochtenen Urteils enthalten zwar manche Gesichtspunkte, welche die Beweiswürdigung des LSG als nicht völlig überzeugend erscheinen lassen. Dies allein genügt jedoch noch nicht, um eine Überschreitung der Grenzen des Beweiswürdigungsrechts darzulegen (BSG 2, 236). Ungeachtet der von der Revision hervorgehobenen Bedenken - insbesondere hinsichtlich der Würdigung der Aussage des verstorbenen Zeugen M, der Führung der Unfallakten, der Kontinuität in den eigenen Angaben des Klägers - hält es der Senat nicht für denkgesetzlich verfehlt, daß das LSG sich ausschlaggebend auf die Vernehmung des Zeugen N gestützt hat. Dies bedeutet jedoch noch nicht, daß auch die vom LSG gezogene Schlußfolgerung zu billigen wäre. Das LSG hat sich nicht hinreichend mit der Frage auseinandergesetzt, ob denn dem Kläger - auch wenn seine eigene Unfallschilderung durch die Angaben des Zeugen N. widerlegt sein sollte - überhaupt eine rechtlich ins Gewicht fallende zeitliche Unterbrechung des versicherten Weges nachgewiesen werden kann.
Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. SozR RVO § 543 aF Bl. Aa 21 Nr. 28) kommt es für die Frage, ob eine private Besorgung den Versicherungsschutz nach § 543 RVO aF beeinträchtigt, darauf an, ob die Besorgung hinsichtlich ihrer zeitlichen Dauer und der Art ihrer Erledigung eine rechtlich ins Gewicht fallende Unterbrechung des Weges zur Arbeitsstätte bedeutet oder aber nur als geringfügig anzusehen ist. Als geringfügig kommen solche Besorgungen in Betracht, die kurzfristig - nach dem Sprachgebrauch: "Im Vorbeigehen" - erledigt und deshalb üblicherweise örtlich und zeitlich noch als Teil des Weges in seiner Gesamtheit angesehen werden, wie z. B. der Zigarettenkauf an einem auf der Straße befindlichen Automaten. Die bisher getroffenen Feststellungen des LSG bieten keine genügenden Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger im Augenblick als er von dem Güterzug erfaßt wurde, mehr als nur eine geringfügige Unterbrechung seines Rückweges vom Mittagessen einzuschieben im Begriff war. Dabei macht es wohl keinen erheblichen Unterschied, ob nun der Zug in dem Moment, als der Kläger die Stufen zu Gleis 2 hinunterstieg, 100 m oder - wie die Revision meint, nur noch 60 bis 70 m entfernt gewesen ist. In jedem Fall handelte es sich offenbar um einen Zeitraum von nur einigen Sekunden, innerhalb dessen der - möglicherweise auf dem Gleis 2 kurz verweilende - Kläger vom Zug erreicht werden konnte. Das LSG hat dem Kläger für das unverzügliche Überschreiten des Gleises 2 die Zeit von 1,5 Sekunden zugebilligt. Dies mag stimmen, freilich hat die Revision mit Recht auf die notwendige Hinzurechnung einer Zeitspanne der Schreckreaktion hingewiesen. Wenn nun aber der ganze Vorgang - Hinuntersteigen vom Bahnsteig 1, Betreten des Gleises 2, Unfallereignis - sich auf wenige Sekunden zusammendrängt, so kann bei dieser Sachlage von einer ins Gewicht fallenden Unterbrechung des Weges nicht die Rede sein. Mag sich der Kläger, als er sich auf dem Gleis befand, nach irgendetwas umgesehen oder auch gebückt und hierbei vielleicht 5 bis 10 Sekunden verharrt haben, so wäre hierin nur eine geringfügige private Betätigung zu erblicken, welche den Versicherungsschutz noch nicht unterbrochen hat. Mehr hat aber auch das LSG - jedenfalls aus den von ihm bisher getroffenen Feststellungen - dem Kläger nicht nachgewiesen; insbesondere hat es aus dem festgestellten Sachverhalt nicht etwa entnommen, daß der Kläger im Augenblick des Unfalls dabei war, sich einer umfassenden, vielleicht mehrere Minuten dauernden Suche nach Zigarettenresten auf oder neben dem Gleis 2 zu widmen.
Das angefochtene Urteil kann somit auch nicht allein mit der zuletzt erörterten Hilfsbegründung bestehen bleiben. Eine Entscheidung in der Sache selbst ist dem Senat nicht möglich, da es an den erforderlichen Feststellungen - insbesondere zur Frage des "üblichen" Weges - fehlt. Die Sache mußte daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG). Diesem obliegt auch die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens.
Fundstellen