Leitsatz (amtlich)

Insassen eines von der UNRRA betreuten DP-Lagers in der ehemaligen britischen Besatzungszone standen bei Tätigkeiten, die sie auf Weisung der Lagerleitung im September 1945 für Zwecke der Lagerverwaltung ausführten, unter dem Schutz der deutschen UV.

 

Normenkette

RVO § 537 Nr. 1 Fassung: 1942-03-09

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 21. Oktober 1960 und das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 2. Dezember 1955 werden aufgehoben.

Die Beigeladene wird dem Grunde nach verurteilt, dem Kläger wegen des Unfalls vom 27. September 1945 Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.

Die Beigeladene hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Der im Jahre 1904 in Jugoslawien geborene Kläger war Soldat im jugoslawischen Heer. Im April 1941 löste sich seine Truppeneinheit auf. Bald danach wurde er von der deutschen Besatzungsmacht nach Deutschland geschafft und in ein Lager (Stalag) eingewiesen. Bis zum Kriegsende arbeitete er unter ständiger Bewachung durch deutsche Soldaten, und zwar zuletzt in Schleswig-Holstein. Bei der Besetzung befreiten ihn die alliierten Truppen, und er kam in das von der United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) betreute frühere Lager "Stalag Schleswig", wo ehemalige jugoslawische Kriegsgefangene untergebracht waren. Die Lagerinsassen trugen Uniform, auch der Kläger war mit Schaftstiefeln, Koppelzeug und einer Mütze mit jugoslawischem Hoheitszeichen ausgestattet. Mit Ausnahme der Wachen waren die Insassen des Lagers nicht bewaffnet. Das Lager stand unter dem Befehl eines englischen Offiziers. Wer den Befehlen nicht gehorchte, wurde mit Arrest bestraft. Die Lagerinsassen mußten jeden Morgen und Abend zum Appell antreten und durften das Lager über einen Umkreis von 8 km hinaus nicht ohne Urlaubsschein verlassen. Die Verpflegung erhielten sie aus der Lagerküche. Der Kläger leistete für das Lager Kurierdienste zwischen Schleswig, Flensburg, Eckernförde und Niebüll.

Im September 1945 fuhr der größte Teil der Lagerinsassen nach Jugoslawien zurück. Der Kläger und etwa 160 bis 180 andere sog. königstreue Jugoslawen verblieben im Lager, das kurze Zeit später aufgelöst wurde. Die Insassen kamen in ein Lager nach Flensburg. Die beim Umzug eingesetzten Lastkraftwagen trugen die Aufschrift "UNRRA". Der Kläger blieb auf Befehl eines englischen Uniformierten zurück und übergab am folgenden Tag (27. September 1945) das Inventar sowie die Schlüssel einem englischen Offizier. Danach fuhr er mit einem Leichtmotorrad nach Flensburg. Auf diesem Wege erlitt er bei einem Verkehrsunfall erhebliche Verletzungen, u. a. einen Schädelbruch.

In einem vom Kläger im Jahre 1948 angestrengten Zivilrechtsstreit gegen den Halter und den Fahrer des anderen am Verkehrsunfall beteiligten Fahrzeuges schlossen die Parteien vor dem Oberlandesgericht in Schleswig einen Vergleich dahin, daß der Kläger zum Ausgleich aller Schäden aus dem Unfall einen Betrag von 13.500,- DM erhielt.

Im März 1953 beantragte der Kläger bei der Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung (BAfU), ihn wegen der Unfallfolgen zu entschädigen. Er gab an, er stehe seit seiner Entlassung aus dem Krankenhaus wegen seiner Unfallfolgen laufend in ärztlicher Behandlung; seine Erwerbsfähigkeit werde durch die Folgen des Unfalls um 50 v. H. gemindert.

Die BAfU sandte den Antrag an die Beklagte mit dem Vermerk, es handele sich um einen Verschleppten, der nicht zum Personenkreis der " CMLO " - Combined Mixed Labour Organisation - gehöre, die den Unfallversicherungsschutz der BAfU erhielten.

Durch Bescheid vom 28. Dezember 1954 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da der Kläger ihn verspätet gestellt hätte und die Voraussetzungen des § 1547 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht vorlägen.

Mit dieser Begründung hat auch das Sozialgericht (SG) Schleswig durch Urteil vom 2. Dezember 1955 die Klage abgewiesen.

Das Landessozialgericht (LSG) Schleswig hat durch Urteil vom 28. Juni 1956 die Berufung als unzulässig verworfen.

Auf die Revision des Klägers hat der erkennende Senat durch Urteil vom 30. Juli 1958 (SozR SGG § 145 Nr. 6) das Urteil des LSG Schleswig vom 28. Juni 1956 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen.

Das LSG hat die BAfU beigeladen. Es hat vor der erneuten Entscheidung u. a. eine Auskunft des Hohen Kommissars für Flüchtlinge der Vereinten Nationen eingeholt; der Vertreter des Hohen Kommissars in Deutschland hat unter dem 9. Juli 1959 mitgeteilt, aus den von ihm angeforderten Stellungnahmen glaube er feststellen zu können, daß die in den Lagern wohnenden verschleppten Personen, die in den Lagern eine Beschäftigung ausübten, gemäß den deutschen sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen auch in der Unfallversicherung (UV) unter Versicherungspflicht gestanden hätten; praktisch seien die deutschen Versicherungsträger jedoch nicht in der Lage gewesen, die Anmeldungen und Einzahlungen der Beiträge zu veranlassen.

Das Schleswig-Holsteinische LSG hat durch Urteil vom 21. Oktober 1960 die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Schleswig zurückgewiesen: Der Kläger könne weder von der Beklagten noch von der Beigeladenen eine Entschädigung für die Folgen des Unfalles vom 27. September 1945 erhalten, da er nicht aus freier Entschließung beschäftigt oder wenigstens tätig gewesen sei und deshalb nicht zum unfallversicherten Personenkreis nach § 537 Nr. 1 oder Nr. 10 RVO aF gehört habe. Der Kläger sei bis zur Befreiung wie ein Kriegsgefangener behandelt worden und anschließend in den Machtbereich der Besatzungstruppen gelangt. Von diesem Zeitpunkt an sei er jedenfalls nicht mehr Kriegsgefangener der ehemaligen deutschen Wehrmacht gewesen, so daß die für diesen Personenkreis geschaffene gesetzliche Regelung keine Anwendung finden könne. Der Kläger sei aber auch nicht Bediensteter der UNRRA, d. h. im weitesten Sinne der Besatzungsstreitkräfte der Vereinten Nationen, gewesen. Vielmehr sei er selbst Angehöriger einer dieser Organisationen, und zwar eines nichtdeutschen militärischen bzw. quasi militärischen Verbandes geworden. Als Soldat sei der Kläger exterritorial gewesen und habe deshalb der UV nicht unterlegen. Die UNRRA müsse im übrigen als Teil der früheren Besatzungsbehörden bzw. -streitkräfte angesehen werden, die von den Begriffsbestimmungen des Gesetzes Nr. 2 des Rates der Alliierten Hohen Kommission erfaßt werde. Die Auskunft des Hohen Kommissars für Flüchtlinge vom 9. Juli 1959 stehe dieser Ansicht nicht entgegen, da sie sich lediglich mit der Stellung der von den UNRRA-Lagern beschäftigten Personen befasse, nicht aber mit den Angehörigen der in solchen Lagern aufgestellten militärischen Einheiten. Ebenso hätten die Vorschriften der Sozialversicherungsdirektiven (SVD) Nr. 1 und 26 vom 28. August 1945 und 21. Februar 1947 nur die "beschäftigten" Personen und deshalb den Kläger nicht erfaßt, der an sich offensichtlich zu den "verschleppten Personen" und dem nunmehr durch das Gesetz über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer vom 25. April 1951 (BGBl I 269) erfaßten Personenkreis gehöre. Anders als in der SVD Nr. 16 vom 6. März 1946 für die Angehörigen der ehemaligen deutschen Wehrmacht sei eine entsprechende Direktive für ausländische Angehörige ausländischer Militärverbände nicht ergangen.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen das ihm am 22. Februar 1961 zugestellte Urteil hat der Kläger am 8. März 1961 Revision eingelegt und diese am 23. Mai 1961 - nach Verlängerung der Frist bis zu diesem Tage einschließlich - wie folgt begründet: Er sei vor und erst recht nach seiner Befreiung durch die Besatzungsmacht immer "Zivilist" gewesen. Nach der Besetzung Deutschlands habe er keinem jugoslawischen oder alliierten Militärverband oder militärähnlichen Verband angehört. Er sei vielmehr Insasse eines UNRRA-Lagers gewesen und habe schon im Mai 1945 den UNRRA-Notpaß erhalten. Er habe nicht der militärischen Gewalt, sondern der zur Aufrechterhaltung von Sicherheit, Ruhe und Ordnung gebotenen Lagergewalt unterstanden. Die ihm erteilten "Befehle" müßten als Aufträge gewertet werden. Er habe sich zu den Kurierfahrten freiwillig bereit erklärt und dabei jedenfalls nach § 537 Nr. 10 RVO aF unter Versicherungsschutz gestanden.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen die Beklagte, hilfsweise die Beigeladene zur Entschädigungsleistung wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 27. September 1945 zu verurteilen,

hilfsweise,

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und ist außerdem der Ansicht, daß sie nicht die richtige Beklagte sei, vielmehr die Beigeladene für eine Leistungspflicht in Betracht käme.

Die Beigeladene beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie führt aus: Bei dem im Schriftsatz vom 13. Juni 1960 niedergelegten Verzicht auf die Einrede der abgelaufenen Ausschlußfrist sei sie von der falschen Voraussetzung ausgegangen, daß der Kläger Arbeitnehmer der Besatzungsmacht gewesen sei. Deshalb widerrufe sie diesen Verzicht. Im übrigen sei das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, daß der Kläger nach seiner Befreiung durch die Alliierten einen besonderen Status besessen habe, der ihn außerhalb des Geltungsbereiches des Gesetzes gestellt habe.

II

Die Revision ist zulässig und begründet.

Das LSG meint, die zum Unfall führende Fahrt des Klägers habe nicht dem Versicherungsschutz nach § 542 i. V. m. § 537 Nr. 1 oder Nr. 10 RVO aF unterstanden, weil der Kläger in diesem Zeitpunkt nicht auf Grund eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses beschäftigt gewesen und bei der Kurierfahrt auch nicht wie ein solcher Beschäftigter tätig geworden sei. Der Kläger sei nämlich damals Angehöriger eines nichtdeutschen (quasi) militärischen Verbandes gewesen, er habe als solcher nicht aus freier Entschließung beschäftigt oder wenigstens tätig werden können. Das LSG folgert dies aus den - weitgehend auf Angaben des Klägers beruhenden - Feststellungen über Art und Ausgestaltung der Lagerorganisation, die, was die Zusammenfassung in bewachten Lagern, Befehls- und Unterordnungsverhältnisse, Uniformierung, Strafgewalt, Urlaubsregelung und dgl. anbelange, rein militärischen Charakter besessen habe. Dieser rechtlichen Schlußfolgerung pflichtet der erkennende Senat nicht bei, da sie das Wesen der von der UNRRA in Verbindung mit den Besatzungsmächten zur damaligen Zeit erbrachten Hilfeleistungen für die DPs grundsätzlich verkennt.

Was zunächst den vermeintlich (quasi) militärischen Charakter der von der UNRRA betreuten DP-Lager betrifft, so sind den Feststellungen des LSG keinerlei Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, daß den Insassen des Lagers Schleswig irgendwelche typisch militärischen oder wenigstens militärähnlichen Aufgaben obgelegen haben könnten. Eine Betrachtung der damals allgemein gegebenen Verhältnisse läßt eine solche Annahme auch äußerst fernliegend erscheinen. Die seinerzeit bis zur Gründung der Internation Refugee Organization (IRO) im Jahre 1947 im besetzten westlichen Deutschland tätig gewesene UNRRA hatte ihren - in Zusammenarbeit mit den Besatzungsmächten zu verwirklichenden - Hauptzweck in der Repatriierung der DPs sowie in der Betreuung und Versorgung dieser Personen bis zum Zeitpunkt der Rückführung. Dabei kam es wesentlich darauf an, dem ungeordneten Abströmen der DPs in ihre Heimatländer und ihrem verständlichen Bestreben, sich im Wege der Selbsthilfe gewaltsam Nahrung und Kleidung zu verschaffen, entgegenzuwirken (vgl. v. Schmoller/Maier/Tobler, Handbuch des Besatzungsrechts, § 32 S. 26). Dies sollte mit der Zusammenfassung in Lagern erreicht werden, die in der britischen Besatzungszone - anders als in der amerikanischen oder französischen Zone - die Regelform der DP-Unterbringung und -betreuung darstellte. Nach verfügbaren Angaben (vgl. v. Schmoller/Maier/Tobler aaO S. 32 Fußnote 92) waren im Sommer 1945 von den in den drei westlichen Besatzungszonen verbliebenen rund 2,2 Millionen DPs die übergroße Mehrzahl, nämlich fast 2 Millionen Menschen, in UNRRA-Sammellagern untergebracht, davon ein Großteil Angehörige von Staaten Ost- und Südosteuropas (vgl. zur Aufteilung der DPs in Volksgruppen zur damaligen Zeit die Studie "Das DP-Problem", herausgegeben vom Institut für Besatzungsfragen, Tübingen 1950 S. 15 ff). Schon im Hinblick auf die politische Konstellation verbietet sich die Annahme, eine so große Menge von DPs - zumal soweit sie aus den Staaten des Ostblocks stammten - könne generell wegen ihrer lagermäßigen Zusammenfassung (quasi) militärischen Verbänden unter dem Befehl der Westalliierten angehört haben. Die vom LSG als bedeutsam erachteten äußeren Merkmale, aus denen es die "vollmilitärische" Organisation des Lagers Schleswig gefolgert hat, sind demnach bei Berücksichtigung der damaligen Verhältnisse lediglich als Ausdruck der im Auftrag der UNRRA von der britischen Besatzungsmacht ausgeübten Ordnungsfunktion zu betrachten; durch seine Eingliederung in diese Lagerdisziplin ist der Kläger weder zum Soldaten noch zum Angehörigen eines quasi militärischen Verbandes im weitesten Sinne geworden.

Desgleichen überzeugt auch nicht die Auffassung des LSG, der Kläger sei, da er die Ausführung der ihm erteilten "Befehle" nicht verweigern konnte, bei der Verrichtung seiner Kurierdienste nicht aus freier Entschließung tätig geworden. Wie bereits dargelegt wurde, war es damals für einen DP in der britischen Zone erforderlich, sich in ein UNRRA-Sammellager zu begeben, wenn er die Vergünstigungen der von der UNRRA gewährten Versorgung genießen wollte (vgl. v. Schmoller/Maier/Tobler aaO S. 32; Das DP-Problem, S. 59). Aus dem festgestellten Sachverhalt wird nicht ersichtlich, daß der Kläger auf andere Weise in das Lager Schleswig gelangt ist, insbesondere daß er etwa von der Besatzungsmacht unter Zwang dort eingewiesen worden sein könnte. Wenn somit der Kläger um sich angesichts einer sonst völlig ungeschützten Existenz die UNRRA-Betreuung zu sichern, aus freiem Entschluß sich in das Lager Schleswig begeben hat, so ist die Befolgung der ihm von der Lagerleitung erteilten Anordnungen noch als eine Auswirkung dieses Entschlusses anzusehen; die Freiheit des Klägers bei der Ausführung der ihm seinerzeit aufgetragenen Tätigkeiten wird hierdurch nicht entscheidend berührt.

Der vom LSG für die Verneinung des Versicherungsschutzes als ausschlaggebend angeführte besondere Gesichtspunkt rechtfertigt hiernach das angefochtene Urteil nicht. Auch bei einer rechtlichen Prüfung allgemeineren Umfangs ist der Standpunkt des LSG nicht zu billigen. Zunächst stellt sich hier die Frage, ob etwa nach völkerrechtlichen Grundsätzen der Versicherungsschutz für den Kläger bei seiner auf deutschem Staatsgebiet ausgeübten Tätigkeit entfallen ist. Hierbei ist davon auszugehen, daß der Kläger im Zeitpunkt des Unfalls jedenfalls nicht Deutscher (Art. 116 Abs. 1 GG) gewesen ist, sondern entweder die jugoslawische Staatsangehörigkeit besaß oder vielleicht staatenlos war, und daß das Unternehmen, in dessen Diensten er den Unfall erlitt - nämlich die UNRRA als Organisation der Vereinten Nationen bzw. die britische Besatzungsmacht - mit dem Privileg der völkerrechtlichen Immunität ausgestattet war (vgl. v. Schmoller/Maier/Tobler aaO § 36 S. 11). Beide Umstände berühren nach den in der deutschen Sozialversicherung gehandhabten völkerrechtlichen Grundsätzen den Versicherungsschutz nicht. Das die deutsche Sozialversicherung beherrschende Territorialprinzip (vgl. BSG 7, 257, 263) besagt einerseits, daß der Versicherungszwang grundsätzlich seine Schranken an den Grenzen der inländischen Staatsgewalt findet, es hat indessen andererseits zur Folge, daß innerhalb dieser Grenzen alle auf deutschem Territorium ausgeübten Tätigkeiten grundsätzlich dem öffentlich-rechtlichen Versicherungszwang unterliegen. Das Reichsversicherungsamt (RVA) hat dementsprechend in seiner Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, daß die im deutschen Staatsgebiet beschäftigten deutschen (AN 1931, 294 Nr. 4123) wie auch ausländischen (AN 1930, 422 Nr. 3855) Bediensteten exterritorialer Arbeitgeber der Versicherungspflicht in der deutschen Sozialversicherung ohne Rücksicht darauf unterliegen, ob die zu entrichtenden Beiträge vom Arbeitgeber zwangsweise beigetrieben werden können (vgl. auch AN 1930, 390 Nr. 3841 sowie Merkblatt des Auswärtigen Amtes, mitgeteilt durch Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 28. September 1931, AN 1931, 408). Bedeutsam erscheint hier insbesondere die in der Grundsätzlichen Entscheidung Nr. 4123 (aaO) angeführte Erwägung, das deutsche Sozialversicherungsrecht müsse den Exterritorialen gegenüber um so mehr wirksam sein, als es sich bei diesem Rechtsgebiet nicht um den inländischen Staatsbürger auferlegte Beschränkungen, sondern um eine der allgemeinen Ordnung dienende Daseinsvorsorge handele, ferner der Hinweis auf die - in der UV gleichermaßen gegebene - Unabhängigkeit des Krankenversicherungsverhältnisses von der Durchsetzbarkeit der Arbeitgeberpflichten.

Die Auffassung, daß im Inland bei exterritorialen Dienstgebern beschäftigte Personen der deutschen Unfallversicherung unterliegen, ist auch im neuesten Schrifttum beibehalten worden (vgl. Lauterbach, Unfallversicherung, 2. Aufl., Anm. 7 zu § 537 S. 35; 3. Aufl., Stand September 1964, Anm. 4 d zu § 539 S. 104; s. auch Art. 33 Absätze 2, 3 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961, veröffentlicht durch Bundesgesetz vom 6. August 1964, BGBl II 957, 979).

Diese allgemein anerkannten Grundsätze stehen einerseits unter dem Vorbehalt besonderer zwischenstaatlicher Abkommen, die im hier gegebenen Fall ausscheiden. Zum anderen bleibt zu prüfen, ob im September 1945 besondere Regelungen der Besatzungsmächte über den Rechtsstatus der DPs diesen Grundsätzen entgegengestanden haben. Dies ist nach Meinung des Senats nicht der Fall. Aus dem Gesetz Nr. 2 des Rates der Alliierten Hohen Kommission vom 21. September 1949 (Amtsbl AHK 1949, 4) kann - entgegen der Annahme von Plöger (Deutsche Sozialversicherungsabkommen mit ausländischen Staaten I S. 24) - kein Anhaltspunkt dafür gewonnen werden, wie die Besatzungsmächte die sozialversicherungsrechtliche Stellung der DPs in den vorangegangenen vier Jahren beurteilt wissen wollten. Solche Anhaltspunkte ergeben sich vielmehr - für die hier in Betracht kommende britische Besatzungszone - aus der SVD Nr. 1 vom 28. August 1945, der SVD Nr. 16 vom 6. März 1946 und der SVD Nr. 26 vom 21. Februar 1947 (Arbeitsblatt Britische Zone 1947 S. 10, 18, 73). Aus Ziffer 10 der SVD Nr. 1 ist - trotz der unbestimmten Formulierung- doch auf alle Fälle zu ersehen, daß die "Fremdarbeiter" nicht von der deutschen Sozialversicherung ausgeschlossen sein sollten. Die SVD Nr. 26 gibt in Ziffer 2 eine Begriffsbestimmung der DPs, unter welche der Kläger - nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG - mit Bestimmtheit einzuordnen ist, wobei es offenbleiben kann, ob Buchstabe a oder b dieser Ziffer auf ihn zutrifft. Weiterhin besagt Ziffer 3 dieser SVD, daß verschleppte Personen in der deutschen UV in gleicher Weise, gleichem Ausmaß und unter gleichen Bedingungen versichert werden wie deutsche Staatsangehörige. Nach diesem Wortlaut könnte es fraglich erscheinen, ob der Regelung nur deklaratorische Bedeutung zukommt oder ob durch sie der Versicherungsschutz für DPs - ohne Rückwirkung - erst begründet werden sollte. Abgesehen von der Unzulänglichkeit der damaligen Textredaktion (unter Verwendung unkontrollierbarer Übersetzungen) ist nach Meinung des Senats vor allem zu beachten, daß in Ziffer 4 der SVD Nr. 26 mit besonderem Nachdruck jegliche Diskriminierung der DPs in ihren Beziehungen zur deutschen Sozialversicherung untersagt worden ist. Mit diesem eindeutig bekundeten Willen des damaligen Rechtsetzers wäre es keinesfalls vereinbar, bei der Besatzungsmacht oder bei der UNRRA im September 1945 beschäftigte DPs als unversichert anzusehen im Unterschied etwa zu dem vergleichbaren Personenkreis der sog. Dienstgruppen, deren UV in der SVD Nr. 16 geregelt wurde. Dabei ist es bemerkenswert, daß Ziffer 2 der SVD Nr. 16 über Inkrafttreten bzw. Rückwirkung dieser Regelung ebensowenig aussagt wie Ziffer 3 der SVD Nr. 26, daß jedoch Ziffer 3 der SVD Nr. 16 keinen Zweifel an der Geltung auch für vorher eingetretene Unfälle bestehen läßt. Unter Berücksichtigung all dieser - aus den damaligen Zeitverhältnissen zu erklärenden - Besonderheiten der Rechtsetzung ist der erkennende Senat der Ansicht, daß für den Unfall des Klägers auf Grund der SVD Nr. 26 - zugleich im Einklang mit dem in der deutschen Sozialversicherung anerkannten Territorialprinzip - der Versicherungsschutz gegeben war.

Das Bestehen eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses im Sinne des § 537 Nr. 1 RVO aF kann aus den vom LSG getroffenen Feststellungen nicht mit der erforderlichen Bestimmtheit gefolgert werden. Diese Feststellungen reichen jedoch aus, um den Versicherungsschutz aus § 537 Nr. 10 RVO aF zu rechtfertigen. Die in der Rechtsprechung des Senats im einzelnen aufgeführten Merkmale des Tätigwerdens wie ein Beschäftigter (vgl. BSG 5, 168, SozR RVO § 537 aF Nr. 16) waren - wie nicht näher dargelegt zu werden braucht - bei der vom Kläger am Unfalltag verrichteten Tätigkeit zweifelsfrei vorhanden.

Als leistungspflichtiger Versicherungsträger kommt nicht die Beklagte, sondern die Beigeladene in Betracht. Dies folgt nach Meinung des Senats aus der Sozialversicherungsanordnung (SVA) Nr. 9 vom 9. Juni 1947 (Arbeitsblatt Britische Zone 1947, 233) in Verbindung mit der SVA Nr. 12 vom 5. Juli 1947 (Arbeitsblatt Britische Zone 1947, 239), der Verordnung zur Überführung der Ausführungsbehörde für UV in der britischen Zone vom 14. März 1951 (BGBl I 190) sowie § 56 Abs. 3 Satz 2 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen vom 3. August 1959 (BGBl 1961 II 1218). Die Beigeladene hat nun zwar in ihrer Revisionsentgegnung erklärt, sie erhebe den Einwand der Fristüberschreitung (§ 1546 RVO) und widerrufe den im Berufungsverfahren ausgesprochenen Verzicht auf die Geltendmachung dieses Einwandes. Es bedarf keiner Prüfung, ob ein solcher Widerruf zulässig wäre, ebenso ist der Senat einer Stellungnahme zum Einwand selbst enthoben; denn bereits im Revisionsurteil vom 30. Juli 1958 (aaO) hat der Senat sich mit diesem - seinerzeit von der Beklagten vorgetragenen - Einwand auseinandergesetzt, so daß auf die damaligen Entscheidungsgründe verwiesen werden kann.

Da der festgestellte Sachverhalt die Annahme rechtfertigt, daß der Leistungsanspruch des Klägers wahrscheinlich in einer Mindesthöhe besteht, kann der Senat ein Grundurteil erlassen (§ 130 Satz 1 SGG, vgl. SozR SGG § 130 Nr. 4).

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 49

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