Entscheidungsstichwort (Thema)

Einwilligungserklärung zur Sprungrevision. Anfechtungsrecht des Versicherungsträgers gegen Beitragsbescheid der Krankenkasse

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Beigeladener ist Rechtsmittelgegner iS des SGG § 161, und es bedarf daher seiner Einwilligung zur Sprungrevision, wenn er sich in der ersten Instanz mit seinem Antrag gegen den Antrag des späteren Revisionsklägers gewandt hat.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Für die Einwilligungserklärung zur Sprungrevision ist es ohne Bedeutung, ob der Beigeladene nach § 75 SGG beigeladen worden ist oder hätte beigeladen werden müssen.

2. Der Revisionskläger muß schon innerhalb der Revisionsfrist die Einwilligungserklärung seiner Rechtsmittelgegner vorlegen.

3. Die fehlende Einwilligungserklärung der am Verfahren beteiligten Versicherungsträger (LVA, BfA, BA) wird nicht durch die Einwilligungserklärung der Krankenkasse ersetzt.

4. Die durch einen Bescheid der Krankenkasse über die Beitragspflicht in ihren Rechten betroffenen Versicherungsträger sind berechtigt, den Verwaltungsakt der Krankenkasse über ihre Beiträge im Klagewege anzufechten. Die Versicherungsträger haben somit hinsichtlich der ihnen zustehenden Beiträge selbständige Rechte gegenüber der Krankenkasse.

 

Normenkette

SGG § 161 Fassung: 1953-09-03, § 54 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Die Sprungrevision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 17. Dezember 1962 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der Rechtsstreit betraf vor dem Landessozialgericht (LSG) die Frage, ob für Urlaubsabgeltungen, die Arbeitnehmern wegen nicht gewährter Freizeit nach Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis gezahlt werden, Beiträge zur Sozialversicherung zu entrichten sind. Im Revisionsverfahren war zu entscheiden, ob die Sprungrevision des Klägers zulässig ist.

Das klagende Amt für Verteidigungslasten, das die Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften entlohnt, entrichtet seit März 1961 für Urlaubsabgeltungen, die an ausscheidende Arbeitnehmer nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gezahlt werden, keine Sozialversicherungsbeiträge an die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) Wiesbaden. Es war der Ansicht, nach dem Erlaß des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 24. Juni 1959 (Bundesarbeitsblatt - BABl - S. 466 in Verb. mit dem Erlaß vom 21. August 1952) blieben Urlaubsabgeltungen, die nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gezahlt werden, beitragsfrei. Die AOK stellte mit Bescheid vom 28. März 1961 die Beitragspflicht für derartige Urlaubsabgeltungen in der Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung fest; es käme lediglich darauf an, ob sie lohnsteuerpflichtig seien. Der Widerspruch des Amtes für Verteidigungslasten blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 15. August 1961).

Mit der Klage beantragte das Amt für Verteidigungslasten, die Bescheide vom 28. März und 15. August 1961 aufzuheben und festzustellen, daß eine Beitragspflicht zur Sozialversicherung (SozVers) für die nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gewährten Urlaubsabgeltungen nicht bestehe. Die AOK, die Landesversicherungsanstalt (LVA) Hessen und die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (BfArb) beantragten Klagabweisung. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) stellte keinen Antrag. Das Sozialgericht (SG) Wiesbaden wies mit Urteil vom 17. Dezember 1962 die Klage ab und ließ die Berufung zu.

Das Amt für Verteidigungslasten hat rechtzeitig Sprungrevision eingelegt und beantragt, das angefochtene Urteil und die Bescheide der AOK aufzuheben und festzustellen, daß Beiträge zur SozVers für die nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gewährten Urlaubsabgeltungen nicht zu entrichten seien. Es hat eine schriftliche Erklärung der AOK über die Einwilligung zur Sprungrevision beigefügt. Entsprechende Erklärungen der beigeladenen BfA, LVA Hessen und BfArb wurden nicht vorgelegt. Der Kläger hält Einwilligungserklärungen der Beigeladenen nicht für notwendig, denn die Beigeladenen seien nicht Rechtsmittelgegner des Revisionsklägers i. S. des § 161 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), sondern Streithelfer der Parteien.

Die beklagte AOK hat beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die beigeladene BfA hat keinen Antrag gestellt. Sie meint, sie sei nicht Rechtsmittelgegner des Revisionsklägers, weil sie keine Anträge gestellt habe; ihre Einwilligung zur Sprungrevision sei daher nicht notwendig gewesen; ein Beigeladener sei Rechtsmittelgegner, wenn das angefochtene Urteil zu seinen Gunsten ergangen sei; Einwilligungserklärungen der LVA und der BfArb seien wegen der Rechtskraftwirkung nach § 141 SGG erforderlich gewesen; keiner der Beigeladenen habe stellvertretend für den anderen gehandelt.

Die LVA hat beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie ist der Auffassung, die Frage des "Rechtsmittelgegners" sei für die Beigeladenen verschieden zu beurteilen, weil sie eine variable Stellung hätten. Ob ein Beigeladener Rechtsmittelgegner oder Rechtsmittelbeteiligter sei, stelle sich gegebenenfalls erst während des Verfahrens heraus.

Die BfArb hat keine Anträge gestellt. Sie ist der Ansicht, ein Beigeladener werde durch seinen Antrag in der ersten Instanz Antragsgegner und damit Rechtsmittelgegner; seine Einwilligung zur Sprungrevision sei daher erforderlich; die Vertretung säumiger Streitgenossen durch die nicht säumigen nach § 62 der Zivilprozeßordnung (ZPO) gelte hier nicht; wenn ein Beigeladener Revision einlege, so gelte dies nur für die Beiträge zu seinem Versicherungszweig. Die Sprungrevision sei wenigstens insoweit zulässig, als ein Beteiligter eingewilligt habe. Dies gelte hier für das Verhältnis des Amtes für Verteidigungslasten gegenüber der AOK.

Die Sprungrevision ist nicht zulässig, weil keine Einwilligungserklärungen der beigeladenen LVA Hessen und BfArb vorgelegt worden sind.

Nach § 161 SGG kann Sprungrevision nur eingelegt werden, wenn der Rechtsmittelgegner einwilligt. Der Senat hatte somit zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen ein Beigeladener Rechtsmittelgegner im Sinne des § 161 SGG ist. Dies ist dann der Fall, wenn der Beigeladene sich in der ersten Instanz mit seinen Anträgen gegen die erstinstanzlichen Anträge des späteren Revisionsklägers gewandt hat.

Für das Erfordernis der Einwilligung kommt es nicht darauf an, ob der Beigeladene notwendig beigeladen ist. Die Unterscheidung zwischen notwendiger und einfacher Beiladung ist zunächst für die Entscheidung der erst- und zweitinstanzlichen Gerichte darüber von Bedeutung, ob sie einen Dritten beiladen müssen (§ 75 Abs. 2 SGG) oder beiladen können (§ 75 Abs. 1 SGG). Je nach-dem, ob es sich um eine notwendige oder eine "einfache" Beiladung handelt, bestimmt sich im Laufe des Verfahrens, welche Anträge ein Beigeladener stellen darf (§ 75 Abs. 4 SGG). Im übrigen besteht kein Unterschied zwischen notwendiger und einfacher Beiladung. Die Rechtskraft eines Urteils erstreckt sich nach § 141 Abs. 1 SGG, soweit über den Streitgegenstand entschieden ist, auf jeden Beigeladenen (BSG 6, 160, 161; 10, 176, 178). Jeder Beigeladene kann selbständig ein Rechtsmittel einlegen, wenn er beschwert, d. h. durch die Entscheidung in seinen Rechten betroffen oder mitbetroffen ist (BSG 3, 142; 6, 160, 161; 8, 291; 9, 250, 251). Aus diesen Gründen ist es für die Einwilligungserklärung zur Sprungrevision ohne Bedeutung, ob der Beigeladene nach Abs. 1 oder Abs. 2 des § 75 SGG beigeladen worden ist oder hätte beigeladen werden müssen.

Daß jeder Beigeladene, der sich in der ersten Instanz mit eigenen Anträgen gegen den Antrag des späteren Revisionsklägers gewandt hat, nach § 161 SGG in die Sprungrevision einwilligen muß, ergibt sich aus dem Zweck der Einwilligung. Mit der Sprungrevision wird im Interesse der Beschleunigung des Verfahrens und der schnelleren Klärung einer Rechtsfrage eine weitere Sachaufklärung in der zweiten Instanz ausgeschlossen. Der Revisionskläger bringt durch Einlegen der Sprungrevision zum Ausdruck, daß er damit einverstanden ist. Der Revisionsbeklagte gibt durch seine Einwilligung zu erkennen, daß auch er den Sachverhalt für hinreichend geklärt hält. Ein Beigeladener, der nicht Revisionskläger oder Revisionsbeklagter ist, sich aber in der ersten Instanz mit seinem Antrag gegen den späteren Revisionskläger gewandt hat, hat damit sein eigenes Interesse an dem Ausgang des Rechtsstreits eindeutig zum Ausdruck gebracht. Er könnte vielleicht im Berufungsverfahren weitere Tatsachen vorbringen, um zu verhindern, daß er im Revisionsverfahren unterliegt. Diese Möglichkeit wird dem Beigeladenen durch eine Sprungrevision genommen. Seine berechtigten Interessen würden daher verletzt, und es entspräche nicht seiner selbständigen Stellung im Rechtsstreit, wenn die Sprungrevision ohne seine Einwilligung zulässig wäre, obgleich er in erster Instanz gegen den jetzigen Revisionskläger in Form von Anträgen ausdrücklich Stellung genommen hat.

Die Eigenschaft eines Beigeladenen als Gegner des Revisionsklägers kann nicht nach seinen Anträgen im Revisionsverfahren bestimmt werden, da im Hinblick auf die Rechtssicherheit die Zulässigkeit eines Rechtsmittels schon zur Zeit seiner Einlegung feststehen muß und nicht von dem späteren Verhalten eines Prozeßbevollmächtigten abhängen kann. Bei Einlegung der Sprungrevision steht aber noch nicht fest, ob und welche Anträge ein Beigeladener in der Revisionsinstanz stellen wird, zumal diese Anträge nicht mit seiner Rechtsauffassung und seinem Verhalten in der ersten Instanz übereinzustimmen brauchen. Der Revisionskläger muß schon innerhalb der Revisionsfrist die Einwilligungserklärung seiner Rechtsmittelgegner vorlegen. Er vermag daher die Stellung der übrigen Beteiligten nur aus deren Anträgen in der ersten Instanz zu ersehen. Somit kann es für die Frage, ob ein Beigeladener in die Sprungrevision einwilligen muß, nur auf dessen Antrag in der ersten Instanz, und zwar auf seinen letzten Antrag ankommen.

Hiernach waren Rechtsmittelgegner des Amtes für Verteidigungslasten im Sinne des § 161 SGG die AOK als Beklagte sowie die LVA Hessen und die BfArb, weil diese Beigeladenen vor dem SG beantragt hatte, die Klage abzuweisen. Sie mußten daher in die Sprungrevision des Revisionsklägers einwilligen. Die BfA brauchte dagegen nicht einzuwilligen, weil sie in erster Instanz keinen Antrag gestellt hat. Da die erforderlichen Einwilligungserklärungen der LVA und der BfArb nicht vorliegen, ist die Revision nicht zulässig.

Der Senat vermochte der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) in der Entscheidungssammlung Band 16, 273, wonach bei Einlegung der Sprungrevision zum BVerwG die Zustimmung des Beigeladenen auch dann nicht zu fordern ist, wenn er in der Vorinstanz dem Revisionskläger entgegengetreten ist, für das sozialgerichtliche Verfahren nicht zu folgen. Das BVerwG meint, bei den vielerlei Interessenlagen der Beigeladenen sei eine einheitliche Abgrenzung der Fälle, in denen die Zustimmung eines Beigeladenen zur Sprungrevision zu fordern sei, nicht möglich; da der Beigeladene nicht Streitgenosse einer Partei, sondern ein Dritter mit eigenen Interessen sei, könne erst im Wege der materiellen Prüfung geklärt werden, ob er im Revisionsverfahren als Rechtsmittelgegner des Revisionsklägers auftreten werde. Der Senat ist demgegenüber aus den oben angeführten Gründen der Ansicht, daß sich jedenfalls im sozialgerichtlichen Verfahren bei der Prüfung, ob ein Beigeladener "Rechtsmittelgegner" des Revisionsklägers ist, die Stellung eines Beigeladenen zum Revisionskläger allein nach seinen Anträgen in der ersten Instanz im Verhältnis zu den damaligen Anträgen des jetzigen Revisionsklägers bestimmt. Im übrigen konnte das BVerwG die Fragen, die sich aus der Möglichkeit ergeben, daß ein Beigeladener selbst verurteilt wird (§ 75 Abs. 5 SGG), nicht in seine Erwägungen einbeziehen, weil die Verwaltungsgerichtsordnung keine dem § 75 Abs. 5 SGG entsprechende Vorschrift enthält.

Die fehlenden Einwilligungserklärungen werden auch nicht durch die Einwilligungserklärung der AOK ersetzt. Die beklagte AOK handelt nicht stellvertretend für die Beigeladenen. Zwar ist die AOK als Einzugsstelle berechtigt, auch die Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung im eigenen Namen geltend zu machen, und das dergestalt begründete Treuhandverhältnis läßt die Krankenkasse nach außen - gegenüber den Beitragsschuldnern - als Inhaber der Forderung erscheinen; gegenüber den Trägern der Rentenversicherungen und der Arbeitslosenversicherung - im Innenverhältnis - bleibt die Beitragsforderung der AOK aber ein fremdes Recht (vgl. BSG 15, 118, 122, 123). Die durch einen Bescheid der Krankenkasse über die Beitragspflicht in ihren Rechten betroffenen Versicherungsträger sind daher - wie das BSG in dem angeführten Urteil entschieden hat - berechtigt, den Verwaltungsakt der Krankenkasse über ihre Beiträge im Klagewege anzufechten. Die Versicherungsträger haben somit hinsichtlich der ihnen zustehenden Beiträge selbständige Rechte gegenüber der AOK. Die Prozeßbefugnis der AOK gegenüber dem Beschäftigten oder Arbeitgeber ist daher gegenüber den anderen Versicherungsträgern nicht wirksam, wenn diese beigeladen sind und selbständig die Interessen ihrer Versicherungszweige vertreten. Dieser prozeßrechtlich selbständigen Stellung der beigeladenen Versicherungsträger würde es widersprechen, wenn sich die Einwilligungserklärung der AOK auf die beigeladene LVA Hessen und die BfArb erstrecken würde.

Die Sprungrevision war durch die Einwilligungserklärung der AOK auch nicht insoweit zulässig, als es sich um die Versicherungspflicht in ihrem eigenen Versicherungszweig, d. h. der gesetzlichen Krankenversicherung, handelt. Der Revisionskläger hat seinen Revisionsantrag nicht auf die Beitragspflicht allein zur Krankenversicherung beschränkt und etwa anerkannt, daß zu den Rentenversicherungen und zur Arbeitslosenversicherung Beiträge für die Urlaubsabgeltungen zu entrichten seien.

Der Senat hat schließlich geprüft, ob er von einer Entscheidung eines anderen Senats des Gerichts abweicht. Der 12. Senat hat zwar in dem Beschluß vom 8. Juli 1965 - 12/4 RJ 130/60 - (BSG 23, 169) die Einwilligungserklärung eines notwendigen Beigeladenen für erforderlich gehalten. Da es sich im vorliegenden Fall auch um notwendig Beigeladene handelt (BSG 15, 118), hätte aber auch der 12. Senat hier das Erfordernis der Einwilligungserklärungen bejaht, so daß es der Anrufung des Großen Senats nicht bedurfte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2380382

BSGE, 138

NJW 1966, 1095

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