Leitsatz (redaktionell)

Beitragszeiten aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung als Funker der Wehrmacht in Wien in der Zeit von 1939 bis 1945 und nachfolgende Ersatzzeiten sind Versicherungszeiten, die im "Gebiete der Republik Österreich zurückgelegt" wurden, auch wenn für diese Zeit die Beiträge an die frühere RfA in Berlin abgeführt worden sind.

 

Normenkette

RVO § 1248 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; SVAbk AUT Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b

 

Tenor

Auf die Revision der Beigeladenen wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 13. Dezember 1962 aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 1. Dezember 1961 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beklagte gewährt dem Kläger seit Dezember 1959, dem Monat, in dem er das 65. Lebensjahr vollendete, das Altersruhegeld als Gesamtleistung aus den Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten. Der Kläger begehrt die Erhöhung dieser Rente. Beiträge, die für ihn von Juli 1939 bis April 1945 zur Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (RfA) entrichtet worden sind und eine anschließende - bis Juli 1945 dauernde - Kriegsgefangenschaft hat die Beklagte bei der Rentenberechnung außer acht gelassen. Diese Beitrags- und Ersatzzeiten fallen ihres Erachtens nach Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b des Ersten Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Sozialversicherung vom 21. April 1951 (BGBl II 1952 S. 317) in der Fassung vom 11. Juli 1953 (BGBl II 1954 S. 773) in die österreichische Versicherungslast.

Der Kläger war im Juli 1939 als Zivilangestellter der deutschen Luftwaffe nach Wien versetzt worden. Dort stand er während des ganzen Krieges im Dienst einer Luftnachrichtenabteilung im Bereich des Luftgaues Wien. Sein Gehalt wurde ihm, nachdem er im Oktober 1940 zum Wehrdienst einberufen worden war, von Dienststellen der Wehrmacht in Österreich weitergezahlt. - Auf Grund dieses Sachverhalts leistet die österreichische Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter dem Kläger von seinem 65. Geburtstag an eine Altersrente. Diese Leistung liegt unter dem Mehrbetrag, den der Kläger aus den hiesigen Rentenversicherungen zu beanspruchen hätte, wenn diese ihre Verpflichtung auf die genannten Versicherungszeiten erstrecken müßten. Abgestellt auf den gemeinsamen Rentenbeginn im Jahre 1959 läge das Altersruhegeld aus den hiesigen Versicherungen im Monat um fast 150,- DM über dem 1959 zuerkannten Betrage. Die Rente, die der Kläger aus der österreichischen Sozialversicherung bezieht, brachte ihm zur gleichen Zeit - in Deutsche Mark umgerechnet - monatlich rund DM 35,- ein.

Die Klage ist im ersten Rechtszuge ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts - SG - Hamburg vom 1. Dezember 1961). Das Landessozialgericht (LSG) hat hingegen mit Urteil vom 13. Dezember 1962 die von ihm zum Rechtsstreit beigeladene Landesversicherungsanstalt (LVA) Hamburg verurteilt, dem Kläger einen Bescheid über die Gewährung des Altersruhegeldes zu erteilen und die streitigen Versicherungszeiten gutzubringen. Das Berufungsgericht hat sich von der Erwägung leiten lassen, daß eine Beschäftigung der Art, wie sie der Kläger als Reichsangestellter und Funker der deutschen Luftwaffe in Wien ausgeübt habe, überhaupt nicht unter das zwischenstaatliche Sozialversicherungsabkommen falle. Es entspreche vielmehr der Natur eines solchen Dienstes, daß er auch auf dem Gebiet des anderen Staates immer noch der Hoheitsgewalt des entsendenden Staates und damit dessen sozialversicherungsrechtlicher Ordnung unterliege. Ergreife aber ein zwischenstaatliches Sozialversicherungsabkommen niemals einen Tatbestand, wie ihn der Kläger erfüllt habe, dann könnten auch die vom Kläger in Österreich verbrachten Versicherungszeiten nicht rückwirkend der österreichischen Sozialversicherung zugeordnet werden. Die österreichische Pensionsversicherungsanstalt bewirke mithin ihre Leistung an den Kläger zu Unrecht. Soweit und solange dies geschehe, habe allerdings der zuständige deutsche Versicherungsträger ein Leistungsverweigerungsrecht; aus der im Wege der Analogie anzuwendenden Vorschrift des § 31 des Fremdrentengesetzes (FRG) sei zu folgern, daß in dem Umfange, in dem der österreichische Versicherungsträger leiste, die Verpflichtung des deutschen Versicherungsträgers ruhe. - Schließlich geht das LSG auf die Frage der Zuständigkeit und der Legitimation des zur Feststellung und Leistung der Rente verantwortlichen Versicherungsträgers ein. Von der von ihm für zutreffend gehaltenen Rechtsgrundlage aus ist die Beigeladene der materiell beteiligte Versicherungsträger, da die Sonderzuständigkeit der beklagten LVA Oberbayern, die nach dem deutsch-österreichischen Sozialversicherungsabkommen an sich begründet wäre, in der Sache des Klägers entfalle. Folglich sei die Beigeladene zu verurteilen. Allerdings habe der Kläger in Höhe der von der Beklagten erbrachten Leistung keine Forderung mehr.

Das LSG hat die Revision zugelassen. Die Beigeladene hat das Rechtsmittel eingelegt. Ihres Erachtens verstößt das angefochtene Urteil gegen Artikel 24 des Ersten deutsch-österreichischen Sozialversicherungsabkommens. Die Versicherungszeiten des Klägers in Österreich sind nach ihrem Dafürhalten von dem Versicherungsträger dieses Staates zu Recht honoriert worden. Das sei um so mehr gerechtfertigt, als der Kläger Wehrmachtsdienststellen unterstellt gewesen sei, die ihren Sitz unmittelbar in Wien gehabt hätten. Der Kläger sei nicht etwa nur im Zusammenhang mit einzelnen vorübergehenden und unselbständigen Ausstrahlungen eines im Altreich gelegenen Betriebes eingesetzt gewesen. - Vorsorglich weist die Beigeladene darauf hin, daß das LSG sie auch unter Zugrundelegung seiner Rechtsauffassung zu einer Rentenzahlung nicht hätte verurteilen dürfen. Die Beigeladene meint, eine solche Klage sei unzulässig, weil dafür kein Bedürfnis bestanden habe, nachdem die Beklagte sich bereits durch einen Bewilligungsbescheid für zuständig und leistungsverpflichtet erklärt hatte.

Die Beigeladene beantragt, das zweitinstanzliche Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Revision der Beigeladenen ist zulässig und begründet.

Die Entscheidung, ob ein Versicherungsträger in der Bundesrepublik für das Leistungsbegehren des Klägers einzustehen hat, richtet sich nach den Artikeln 23 Nr. 2 und 24 Abs. 1 Nr. 2 des Ersten deutsch-österreichischen Sozialversicherungsabkommens. Der Kläger kann die Erhöhung der aus den deutschen Rentenversicherungen bezogenen Rente nicht verlangen, wenn in bezug auf die in Betracht kommenden Versicherungszeiten die Schuld den österreichischen Rentenversicherungen übertragen worden ist. Das trifft zu. Denn der geltend gemachte Anspruch beruht auf Versicherungszeiten, die der Kläger nach Einführung der deutschen Rentenversicherungen in Österreich (1. Januar 1939), nämlich seit Juli 1939, im Gebiet der Republik Österreich zurückgelegt hat.

Für das Merkmal der "im Gebiet der Republik Österreich zurückgelegten Versicherungszeiten" (Artikel 24 Abs. 1 Nr. 2 des Abkommens) ist es nicht erheblich, daß die Beiträge an die RfA und damit an einen Versicherungsträger mit dem Sitz in Berlin entrichtet worden sind. Schon der Wortlaut, daß Zeiten "in" einem bestimmten Gebiet zurückgelegt sein müssen, legt die Annahme nahe, daß es auf den Beschäftigungs- oder Aufenthaltsort und nicht auf den Sitz des Versicherungsträgers ankommt, an den die Beiträge gezahlt worden sind. Auf den Sitz des Versicherungsträgers wäre nur abzustellen, wenn das zwischenstaatliche Abkommen dies etwa ebenso deutlich anordnete, wie es nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes (FremdRG) vorgeschrieben war (vgl. BSG 4, 84, 88). Das ist jedoch nicht geschehen. Ohne einen solchen Hinweis hat man sich nach dem Ort zu richten, an dem der Versicherte den die Versicherung begründenden Tatbestand verwirklicht hat. Mit dieser Auslegung stimmt § 1323 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) überein, der "Beitragszeiten" dann als im Geltungsbereich dieses Gesetzes "zurückgelegt" bezeichnet, wenn der Versicherte in diesem Territorium beschäftigt war oder - bei freiwilliger Versicherung - dort gewohnt hat. Die Legalinterpretation des § 1323 Abs. 1 RVO kann über ihren ausdrücklich bezeichneten Anwendungsbereich hinaus allgemeinere Geltung beanspruchen (vgl. BSG 17, 200, 201). Davon muß im Zusammenhang mit Artikel 24 Abs. 1 Nr. 2 des Abkommens schon deshalb ausgegangen werden, weil sonst die mit dieser Vertragsklausel verfolgte Absicht auf dem Gebiet der Angestelltenversicherung nicht erreicht werden könnte. Diese Vertragsbestimmung gehört zu der Regelung über die Auftrennung der deutschen und der österreichischen Versicherungslast. Sie will der Praxis ein Kriterium an die Hand geben, mittels dessen die bestehenden Versicherungsverhältnisse den Rentenversicherungen entweder des einen oder des anderen Staates zuzuordnen sind. Hierfür konnte der Sitz des Versicherungsträgers kein Anknüpfungspunkt sein; denn die RfA war vom 1. Januar 1939 an für die Angestelltenversicherung in den Gebieten beider Staaten zuständig (§ 32 der Verordnung über die Einführung der Sozialversicherung im Land Österreich vom 22. Dezember 1938 - RGBl I S. 1912 -). Deshalb mußte sich der Beschäftigungs- oder Wohnort des Versicherten als maßgebendes Unterscheidungsmoment anbieten.

Das ist auch die Auffassung des Berufungsgerichts. Gleichwohl leitet es seine Entscheidung nicht unmittelbar aus Artikel 24 Abs. 1 Nr. 2 des Abkommens her. Es fügt dieser Regelung einen weiteren Gedankengang hinzu: Das Abkommen arbeite mit einer Fiktion. In ihm würden die Verhältnisse so geregelt, als sei der "Anschluß" Österreichs an das Deutsche Reich im Jahre 1938 niemals geschehen. Deshalb sei nicht nur rückwirkend die Existenz zweier selbständiger Staaten mit eigenen Rentenversicherungen zu unterstellen. Vielmehr müsse man weiter bedenken, daß dort, wo die Rechtsordnung der Sozialversicherung von dem Territorialitätsprinzip beherrscht werde, regelmäßig typische Ausnahmetatbestände anerkannt würden. Eine solche Ausnahme ergebe sich ganz allgemein bei Entsendung von Bediensteten amtlicher Stellen in das Gebiet eines anderen Staates (so Artikel 5 Abs. 1 Nr. 7 des Abkommens). Solche Bedienstete, zu denen namentlich im Falle der Besetzung fremden Staatsgebiets durch einen anderen Staat auch das Personal der im Auslande stationierten Streitkräfte zu zählen sei, unterlägen üblicherweise den Vorschriften des entsendenden Staates. Der Tatbestand der "entsandten Person" sei bei rückschauender fiktionsbezogener Betrachtung anzuwenden; denn der Kläger hätte mit Sicherheit als Reichsangestellter und Funker der deutschen Luftwaffe - bei einer Beschäftigung in einem unabhängigen Österreich - weiterhin "unter der Hoheitsgewalt des Reiches" gearbeitet.

Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten, daß Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b des Abkommens von dem Territorialitätsgedanken geprägt ist. Damit ist aber nicht notwendig die Vorstellung verbunden, daß die genannte Vertragsnorm unter denselben Bedingungen einengend zu interpretieren sei, unter denen - sonst vielleicht typischerweise - die Sozialversicherungsordnung des einen Staates auf das Gebiet eines anderen übergreift. Die Unterstellung, daß der österreichische Staat nach 1938 fortbestanden habe, ist ein Mittel, mit dem für die Lastenverteilung zwischen den Rentenversicherungen der beiden Staaten ein leicht überschaubarer und brauchbarer Maßstab gefunden wurde. Dafür, daß als Folge dieser Unterstellung die Vereinigung Österreichs mit dem Reich nachträglich überhaupt ignoriert oder in eine "Besetzung" umgedeutet werden sollte, besteht kein Anhalt. Solche Absichten wären aber die unerläßliche Vorbedingung für eine Überlegung, wie sie das Berufungsgericht im Zusammenhang mit dem Gesichtspunkt der "entsandten Person" anstellt; selbst dann noch wäre es zweifelhaft, ob man die in Rede stehende Vertragsklausel in dem vom Berufungsgericht angenommenen Sinne verstehen dürfte. Der Vertragstext bietet dafür - zumindest unmittelbar - keinen Anhalt (vgl. BSG SozR Nr. 2 zum Abkommen mit Österreich Art. 39), wohingegen die korrespondierenden Regelungen für die Unfallversicherung in Art. 23 Nr. 1 und Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 des Abkommens den Fall behandeln, daß sich ein Arbeitsunfall "im Zusammenhang mit einer Beschäftigung im Gebiet" der Republik Österreich oder der Bundesrepublik Deutschland "außerhalb dieses Gebietes ereignet haben" (dazu: BSG 10, 272 ff, 277). Abschließend braucht aber hier die von dem Berufungsgericht aufgeworfene Frage zur Auslegung des Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b des Abkommens nicht beantwortet zu werden. Denn die Stellen und Einheiten der Wehrmacht, von denen der Kläger zwischen 1939 und 1945 auf österreichischem Gebiet beschäftigt wurde und von denen er sein Gehalt bezog, lagen ausschließlich in Österreich.

Diese Wehrmachtsteile lassen sich aus der Rückschau nicht in solche deutscher oder österreichischer Nationalität unterscheiden. Deshalb ist es auch nicht gerechtfertigt, die Umstände, unter denen der Kläger in jenen Jahren auf österreichischem Territorium lebte und arbeitete, als Ausfluß deutscher Staatstätigkeit in fremdem Lande zu betrachten. Es ist vielmehr allein angebracht, den Fall des Klägers unmittelbar der genannten Klausel des deutsch-österreichischen Sozialversicherungsabkommens unterzuordnen.

Schließlich ergibt sich die Haftung eines deutschen Rentenversicherungsträgers für die streitige Forderung auch nicht aus dem Gesichtspunkt einer Ausfallgarantie. § 31 FRG - die von dem Berufungsgericht sinngemäß herangezogene Vorschrift - ist nicht, auch nicht analog, anwendbar. Der Grundgedanke des Fremdrentenrechts, aus dem heraus auch diese Vorschrift zu verstehen ist, nämlich die Eingliederung der Vertriebenen, hat im Streitfalle außer Betracht zu bleiben. Da über die "fremden" Versicherungszeiten, mit denen der Kläger seinen Anspruch begründet, eine Regelung in einer zwischenstaatlichen Vereinbarung getroffen worden ist, kann das Fremdrentenrecht nicht Platz greifen. Das folgt aus § 2 FRG (BSG 18, 113; Urteil vom 7. Juli 1964 - 1 RA 230/61 -).

Hiernach hat die Beklagte zu Recht ihre Feststellungskompetenz angenommen und die in Österreich verbrachten Beitragszeiten bei der Berechnung des Altersruhegeldes nicht berücksichtigt. Für die den Beitragszeiten in Österreich folgenden Ersatzzeiten gilt dasselbe, weil Ersatzzeiten - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen (§ 1251 Abs. 2 RVO) - an dem rechtlichen Schicksal der vorangehenden Versicherung teilhaben.

Die Verurteilung der Beigeladenen zur Rentengewährung ist nach allem nicht aufrechtzuerhalten. Das Urteil der Vorinstanz ist aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380467

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