Leitsatz (amtlich)
Hat eine Witwe eine zu hohe Rente bezogen und ist der Fehler nicht mehr berichtigungsfähig, so ist der Berechnung der Abfindung der überhöhte Rentenbetrag zugrunde zulegen.
Normenkette
RVO § 1302 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 14. November 1963 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
Der Rechtsstreit wird um die Höhe einer Witwenrentenabfindung geführt.
Der im Jahre 1917 geborene erste Ehemann der Klägerin hatte von August 1942 bis Ende des Jahres 1945 Invalidenrente bezogen; danach war er - ohne Rentenbezug - wieder versicherungspflichtig beschäftigt. Nachdem er im August 1953 gestorben war, gewährte die beklagte Landesversicherungsanstalt der Klägerin vom 1. September 1953 an Witwenrente. Bei der nach dem Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz (ArVNG) im Jahre 1957 durchzuführenden Rentenumstellung wurde übersehen, daß der Versicherte von 1946 bis zu seinem Tode keine Invalidenrente mehr bezogen hatte; demgemäß wurde in dem Rentenzahlungsauftrag der Beklagten an die Deutsche Bundespost das Jahr des Rentenbeginns mit 1942 - anstatt des Todesjahres 1953 - vermerkt. So wurde nach der Anlage 4 zu Art. 2 § 33 ArVNG unter Zugrundelegung eines Steigerungsbetrages von 21,09 DM, vervielfältigt mit dem Faktor 16,6 (Geburtsjahr 1917, Rentenbeginn 1942), ein Betrag von 350,10 DM errechnet, der in Anwendung des Art. 2 § 34 Abs. 1 ArVNG auf 270 DM begrenzt wurde. Bei Verwendung des richtigen Faktors 6,5 (Geburtsjahr 1917, Todesjahr 1953) hätte sich ein Zahlbetrag von monatlich nur 137,20 DM ergeben. Über die Umstellung ging der Klägerin von der Deutschen Bundespost eine Mitteilung nach Art. 2 § 31 Abs. 1 Satz 2 ArVNG zu.
Die Beklagte bemerkte den Fehler erst, nachdem die Klägerin im Februar 1960 wieder geheiratet und um die Witwenrentenabfindung nachgesucht hatte. Ein Jahr vorher hatte sich die Klägerin nach der Höhe einer eventuellen Heiratsabfindung erkundigt, weil sie ein Baudarlehen aufnehmen wollte. Daraufhin hatte die Beklagte ihr mitgeteilt, daß sie im Falle einer Wiederverehelichung eine Abfindung von 270 x 60 = 16200 DM erhalten werde.
Durch Bescheid vom 17. März 1960 stellte die Beklagte die Zahlung der Witwenrente mit Ablauf des Monats Februar 1960 ein, setzte die Abfindung unter Berichtigung des Umstellungsfehlers auf 9258 DM fest (137,20 DM, erhöht nach dem 1. und 2. Rentenanpassungsgesetz - RAG - auf 154,30 DM x 60) und verzichtete auf die Rückzahlung der überzahlten Beträge.
Die auf Gewährung einer Witwenrentenabfindung von 18000 DM gerichtete Klage ist vom Sozialgericht Landshut durch Urteil vom 3. Juli 1961 abgewiesen worden.
Mit der Berufung hat die Klägerin den Klageantrag auf Zahlung von 16200 DM beschränkt. Diesem Antrag hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 14. November 1963 stattgegeben. Es hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Unter der "bisher bezogenen Rente" im Sinne des § 1302 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei der auf Grund eines bindend gewordenen Bescheides oder - beim Fehlen eines solchen - der auf Grund der gesetzlichen Vorschriften zuletzt zu zahlende Rentenbetrag gemeint (BSG SozR RVO § 1302 Nr. 3). Im vorliegenden Streitfalle sei der fünffache Jahresbetrag aus einer Rente von 270 DM zu berechnen, weil dieser Zahlbetrag im März 1960 bindend und nicht mehr berichtigungsfähig gewesen sei. Im Interesse der Rechtssicherheit sei eine den Rentner benachteiligende Berichtigung einer fehlerhaften Rentenumstellung nach dem 31. Dezember 1959 grundsätzlich nicht mehr zulässig, vor allem dann nicht, wenn - wie hier - der Versicherungsträger allein für den Fehler verantwortlich sei und wiederholte Gelegenheiten zur Berichtigung ungenutzt habe verstreichen lassen. Dieser Rechtsgrundsatz sei der Regelung über Berichtigungen nach den Rentenanpassungsgesetzen zu entnehmen. Es könne unentschieden bleiben, ob die Umstellungsmitteilung ein Verwaltungsakt sei und ob der in Rede stehende Fehler - was kaum angenommen werden könne - eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 138 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) darstelle.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat Revision eingelegt und diese mit folgenden Ausführungen begründet: Ein im Witwenrentenverfahren ergangener Bescheid könne in einem anderen Leistungsverfahren - hier im Verfahren über die Feststellung der Abfindung - nicht bindend sein, zumal sich die Bindungswirkung nicht auf die Gründe für die Berechnung einer Rente erstrecke. - Selbst wenn man aber mit dem LSG unterstelle, daß die Bindungswirkung des Witwenrentenbescheides bei der Berechnung der Abfindung zu berücksichtigen sei, so zwinge dies nicht dazu, die Abfindung aus der überhöhten Witwenrente zu berechnen. Schon nach den auch auf dem Gebiet der Sozialversicherung anwendbaren anerkannten Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts (BSG SozR SGG § 77 Nrn. 26 und 28) sei die Rentenfestsetzung mit Recht berichtigt worden, weil es nicht zu verantworten gewesen sei, die aus öffentlichen Mitteln gezahlte, drei Jahre lang weit übersetzte Rente in dieser Höhe in der Abfindung weiterzugewähren. Zudem seien nach feststehender Rechtsprechung auch in bindend gewordenen Verwaltungsakten unterlaufene offenbare Unrichtigkeiten jederzeit berichtigungsfähig (BSG SozR SGG § 77 Nr. 28); um eine solche Unrichtigkeit handele es sich im vorliegenden Falle. Die Fristvorschriften der Rentenanpassungsgesetze ständen der Berichtigung von offensichtlich fehlerhaften Rentenanpassungen nicht im Wege.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie schließt sich im wesentlichen den Entscheidungsgründen des LSG an und meint außerdem, die Rentenberechnung sei auch nicht nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts berichtigungsfähig, weil das öffentliche Interesse nach Lage der Sache eine Abänderung nicht erheische.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt. Der Senat hat von der Befugnis, in dieser Weise zu verfahren, Gebrauch gemacht.
Die Revision ist unbegründet.
Nach § 1302 RVO wird einer Witwe oder einem Witwer, die wieder heiraten, eine Abfindung gewährt. Sie beträgt das Fünffache des Jahresbetrages der bisher bezogenen Rente. Mit dieser Wortfassung wird bei der Berechnung der Abfindung an die Rente des Heiratsmonats angeknüpft; das aber nicht in der Weise, daß der zufällig - zu Recht oder zu Unrecht - zuletzt gezahlte Rentenbetrag die Höhe der Abfindung zu bestimmen hätte, es kommt vielmehr, wie bereits der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) durch Urteil vom 21. Februar 1963 (SozR RVO § 1302 Nr. 3) entschieden hat, darauf an, welchen Rentenbetrag die oder der Berechtigte auf Grund eines bindend gewordenen Bescheides oder - beim Fehlen eines solchen - nach den gesetzlichen Vorschriften zu beanspruchen hatte. Ist die zuletzt bezogene Rente zwischen den Beteiligten - der Witwe oder dem Witwer und dem Versicherungsträger - bindend festgestellt, so steht der Maßgeblichkeit dieses Betrages für die Berechnung der Abfindung nicht entgegen, daß sowohl Renten als auch Rentenabfindungen jeweils selbständige Regelleistungen der Rentenversicherung sind (§ 1235 RVO) und die Abfindung in einem gesonderten Verwaltungsverfahren festgestellt wird.
Hiernach hätte die Klägerin auf die ihr vom LSG zugesprochene Abfindung von 16200 DM, der ein Rentenbetrag von monatlich 270 DM zugrunde liegt, nur dann keinen Anspruch, wenn der bei der Umstellung im Jahre 1957 unterlaufene Fehler im März 1960 noch berichtigungsfähig gewesen wäre und dementsprechend die Rente auf einen Betrag unter 270 DM hätte herabgesetzt werden dürfen. Bei der gegebenen Sachlage bestand jedoch hierzu, wie das LSG im Ergebnis zutreffend entschieden hat, keine rechtliche Handhabe.
Es kann unentschieden bleiben, ob der Fehler in der Umstellung der Witwenrente der Klägerin auf einer sachlich unrichtigen Anwendung der Umstellungsvorschriften beruht oder ob bei der Ermittlung des Umstellungsfaktors ein Fehler unterlaufen ist, der sich als eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 138 SGG darstellt. Beide Arten von Fehlern sind, wie der 12. Senat des BSG am 30. März 1965 (BSG SozR Nr. 4 zu Art. 2 § 31 ArVNG) entschieden und der erkennende Senat durch Urteil vom 28. Oktober 1965 - 4 RJ 387/63 - bestätigt hat, nach dem 31. Dezember 1959 jedenfalls nicht mehr in der Weise korrigierbar, daß die Rente herabgesetzt werden könnte. Das ArVNG enthält allerdings keine besonderen Vorschriften über die Behandlung von Fehlern, die bei der Rentenumstellung vorgekommen sind. Das zwingt jedoch nicht zu der Annahme, daß man sich bei der Rechtsanwendung auf die allgemeinen, für die Berichtigung von fehlerhaften Verwaltungsakten der Leistungsverwaltung in Betracht kommenden Vorschriften über die Rücknahme von Verwaltungsakten oder die Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten zu beschränken hätte. Der Gesetzgeber der Rentenumstellung hat nicht in vollem Umfange erkannt, vor welche Probleme die Versicherungsträger sich bei der Massenumstellung der Renten im maschinellen Schnellverfahren ohne ausreichende Kontrollmöglichkeiten gestellt sahen und mit welcher Fülle und Vielfalt von Fehlern zu rechnen war. So ist es erklärbar, daß besondere Vorschriften für die Berichtigung von Umstellungsfehlern nicht ergangen sind. Erst bei der Regelung der Rentenanpassungen hat sich der Gesetzgeber in Ausnutzung der bei der Rentenumstellung gemachten Erfahrungen veranlaßt gesehen, für die Berichtigung von Fehlern besondere Vorschriften zu erlassen, und zwar dahingehend, daß fehlerhafte Anpassungen berichtigungsfähig sind, eine Berichtigung zum Nachteil des Rentenempfängers aber nur bis zum 31. Dezember des Anpassungsjahres zulässig ist (§ 7 des 1. RAG und die gleichlautenden Vorschriften der späteren RAGe). Hieraus hat der 12. Senat in dem angeführten Urteil mit Recht den Schluß gezogen, daß das ArVNG insofern, als es keine spezielle Berichtigungsregelung enthält, eine Lücke aufweist, die von der Rechtsprechung nicht - wie die Beklagte meint und wie sie zu Unrecht aus den von ihr angeführten Entscheidungen des BSG in SozR SGG Nrn. 26 und 28 zu § 77 SGG herleiten zu können glaubt - durch Anwendung von Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts, sondern durch entsprechende Anwendung der den RAGen zu entnehmenden Berichtigungsbegrenzung als einer Vorschrift speziell der Rentenversicherung (vgl. auch BSG SozR § 1246 Nr. 40) zu schließen ist. Als Endtermin für die eine Herabsetzung der Rente rechtfertigende Berichtigung eines Umstellungsfehlers sieht der erkennende Senat in Übereinstimmung mit dem 12. Senat des BSG und auch mit dem Berufungsgericht grundsätzlich den 31. Dezember 1959 an.
Hiernach durfte die Beklagte im März 1960 die Witwenrente der Klägerin nicht mehr unter 270 DM monatlich herabsetzen. Nach diesem und nicht nach einem niedrigeren Rentenbetrag mußte sie die Witwenrentenabfindung berechnen.
Die Revision der Beklagten ist somit unbegründet und muß zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung ergeht in Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen