Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit der Übergangsregelung des Art 4 § 2 S 2 Buchst a AFKG

 

Orientierungssatz

Die Übergangsregelung des AFKG - Neufeststellung des Übergangsgeldes mit Wirkung ab 1.1.1982, auf die bei erstmaliger Festsetzung des Übergangsgeldes bereits hingewiesen worden war verletzt weder den Gleichheitsgrundsatz noch läßt sich unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes iVm der Eigentumsgarantie ein Verfassungsverstoß begründen.

 

Normenkette

RVO § 1241a Abs 2 S 1 Fassung: 1981-12-22, § 1241b Abs 1 Nr 2 Fassung: 1981-12-22; AFKG Art 4 § 2 S 2 Buchst a Fassung: 1981-12-22; GG Art 14 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 3 Abs 1 Fassung: 1949-05-23

 

Verfahrensgang

SG Hamburg (Entscheidung vom 24.08.1982; Aktenzeichen S 14 J 679/82)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe des dem Kläger ab 1. Januar 1982 zu gewährenden Übergangsgeldes.

Der am 15. Juni 1943 geborene Kläger hat von 1959 bis 1962 den Beruf des Blechschlossers erlernt und diesen Beruf bis 1970 ausgeübt. Anschließend war er bis zum 27. Januar 1976 als Lüftungsmonteur versicherungspflichtig beschäftigt. Seit dem 9. Februar 1976 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt; vom 7. August 1979 bis 31. Dezember 1980 bezog er eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit. Mit Bescheid vom 29. Juni 1981 bewilligte die Beklagte dem Kläger zunächst eine Vorschulung im Berufsförderungswerk H für voraussichtlich etwa fünf Monate. Zu diesem Zeitpunkt bestritt der Kläger seinen Lebensunterhalt nach eigener Erklärung vom Einkommen seiner Ehefrau.

Die Ausbildung trat der Kläger am 2. November 1981 an. Durch Bescheid vom 12. November 1981 gewährte die Beklagte dem Kläger Übergangsgeld für die Dauer der berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation in Höhe von täglich DM 69,31. In einer Anlage zu diesem Bescheid heißt es:

"Das Übergangsgeld steht Ihnen in der genannten Höhe für die Dauer der Rehabilitationsmaßnahme zu, längstens bis zum 31.12.1981. Für die Zeit ab 1.1.1982 wird die Höhe des Übergangsgeldes von Amts wegen neu festgestellt werden. Diese Regelung erfolgt im Hinblick auf das voraussichtlich ab 1.1.1982 in Kraft tretende Konsolidierungsgesetz. Hiernach richtet sich die Höhe des Übergangsgeldes für die Zeit bis zum 31.12.1981 nach den bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Vorschriften, für die Zeit ab 1.1.1982 erfolgt die Herabsetzung des Übergangsgeldes im Rahmen der von diesem Zeitpunkt an geltenden neuen Vorschriften."

Durch Schreiben vom 8. Dezember 1981 widersprach der Kläger diesem Bescheid insoweit, als sich die Beklagte eine Neufeststellung des Übergangsgeldes vorbehalten hatte. Dieses Schreiben wurde von der Beklagten nicht als Widerspruch behandelt, weil es sich bei der Anlage zum Bescheid vom 12. November 1981 nur um einen Hinweis auf eine gesetzliche Neuregelung gehandelt habe, durch die der Kläger nicht beschwert worden sei. Dies teilte die Beklagte dem Kläger unter dem 30. Dezember 1981 in einem Zusatz zu dem Bescheid über die Neufeststellung des Übergangsgeldes nach den Bestimmungen des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes (AFKG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I, 1497 ff) ab Januar 1982 mit. Mit diesem Bescheid, dem der Kläger ebenfalls widersprach, setzte die Beklagte das Übergangsgeld zunächst auf täglich DM 34,63 fest. Durch weitere Bescheide vom 16. Februar und 10. Mai 1982 nahm die Beklagte eine Neufeststellung des Übergangsgeldes auf zunächst DM 35,01 und schließlich DM 43,77 vor. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24. Mai 1982).

Das Sozialgericht (SG) Hamburg hat die gegen die Neufeststellung (Herabsetzung) des Übergangsgeldes gerichtete Klage durch Urteil vom 24. August 1982 abgewiesen und ausgeführt: Die Beklagte habe aufgrund ihrer Ankündigung im Bescheid vom 12. November 1981 die Kürzung des Übergangsgeldes vornehmen dürfen. Da das AFKG erst am 22. Dezember 1981 im Bundestag beschlossen und am 29. Dezember 1981 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden sei, habe eine genaue Angabe über die Kürzung noch nicht erwartet werden können. Der "Vorbehalt" entspreche dem Erfordernis des Art 4 § 2 AFKG, weil der dort angesprochene "Hinweis auf die Änderungen in diesem Gesetz" konkret genug gegeben worden sei. Aufgrund des ersten Bewilligungsbescheides habe der Kläger mit einer Leistungskürzung rechnen müssen, so daß der Gesetzgeber keinen entwertenden Eingriff vorgenommen habe, der den Kläger hätte in seinen Dispositionen beeinträchtigen können.

Mit der durch Beschluß der Kammervorsitzenden des SG vom 22. November 1982 zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung der §§ 1240, 1241a der Reichsversicherungsordnung (RVO), der §§ 77, 85 und 86 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sowie des Art 4 § 2 AFKG. Er ist der Ansicht, die noch ausstehende Entscheidung über seinen Widerspruch vom 10. Dezember 1981 gegen den Bescheid vom 12. November 1981 sei vorgreiflich für das Revisionsverfahren, da dieses bei einer positiven Entscheidung der Widerspruchsstelle gegenstandslos werde. Die ursprüngliche Leistungsbeschränkung bis zum 31. Dezember 1981 stelle eine Befristung dar, die selbständig nachprüfbar sei. Im übrigen könne der "Vorbehalt" nicht als "Hinweis" iS des Art 4 § 2 AFKG angesehen werden, weil die Höhe des zu erwartenden Übergangsgeldes nicht bekanntgegeben worden sei; nur die Bekanntgabe der konkreten Gesetzesänderung hätte es ihm ermöglicht, sich auf die zu erwartende neue wirtschaftliche Situation einzustellen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 24. August 1982 sowie die Bescheide der Beklagten vom 30. Dezember 1981, 16. Februar 1982 und 10. Mai 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Mai 1982 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm über den 31. Dezember 1981 hinaus das Übergangsgeld in Höhe von DM 69,31 täglich für die Dauer der Rehabilitationsmaßnahme zu gewähren und von diesem Betrag die Anpassungen vorzunehmen, hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Hamburg zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt aus: Mit Bescheid vom 12. November 1981 sei dem Kläger Übergangsgeld für die Dauer der berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation gewährt worden. Der Bescheidzusatz über die Begrenzung der Leistung habe als Nebenbestimmung zum Verwaltungsakt iS des Art 1 § 32 Abs 1 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) aufgenommen werden müssen, weil die Beklagte in Art 4 § 2 des Entwurfs zum AFKG eine Leistungseinschränkung habe voraussehen können. Diese Nebenbestimmung sei als "Hinweis" iS des Art 4 § 2 AFKG auch konkret genug gewesen. Durch den Bescheid vom 12. November 1981 sei der Kläger rechtlich noch nicht beschwert gewesen, so daß sein Schriftsatz vom 8. Dezember 1981 nicht habe als Widerspruch angesehen werden können.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist zulässig. Die Zulassung der Revision durch das SG hat grundsätzlich durch einen Beschluß unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter zu erfolgen (BSG Urteil vom 30. April 1976 - 8 RU 78/75 = BSGE 42, 1; Beschluß des Großen Senats vom 18. November 1980 - GS 3/79 = BSGE 51, 23 = SozR 1500 § 42 Nr 7). Die Bindung des Bundessozialgerichts (BSG) an die Revisionszulassung tritt jedoch auch dann ein, wenn der Beschluß - wie im vorliegenden Fall - rechtsfehlerhaft nur durch den Vorsitzenden des SG erlassen wurde (BSG aaO).

Die Revision ist jedoch unbegründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die Gewährung eines höheren Übergangsgeldes ab 1. Januar 1982. Gegenstand des Rechtsstreites ist der Widerspruchsbescheid vom 24. Mai 1982. Mit ihm wurde gleichzeitig über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 12. November 1981 entschieden (§ 86 SGG). Die Bescheide der Beklagten vom 30. Dezember 1981, 16. Februar 1982 und 10. Mai 1982, die dieser Widerspruchsbescheid ausdrücklich erwähnt, haben den angefochtenen Bescheid vom 12. November 1981 hinsichtlich seines angefochtenen Teils (Neufeststellung des Übergangsgeldes ab 1. Januar 1982) inhaltlich ersetzt; die Beklagte konnte im Widerspruchsverfahren über die streitige Festsetzung des Übergangsgeldes ab 1. Januar 1982 einheitlich entscheiden.

Die für den Kläger ab 1. Januar 1982 maßgebende Berechnung des Übergangsgeldes folgt aus § 1241a Abs 2 Satz 1 RVO idF des Art 4 § 1 Nr 22 AFKG, § 1241b Abs 1 Nr 2 RVO idF des Art 4 § 1 Nr 23 AFKG iVm der Übergangsvorschrift des Art 4 § 2 Satz 2 Buchst a AFKG. Hiernach war das Übergangsgeld aus 65 vH des auf ein Jahr bezogenen tariflichen oder, wenn es an einer tariflichen Regelung fehlt, des ortsüblichen Arbeitsentgelts zu berechnen, wenn der letzte Tag des Bemessungszeitraumes bei Beginn der Maßnahme länger als drei Jahre zurückliegt. Von diesem Betrag standen dem Kläger 75 vH als Übergangsgeld zu. Nach der Übergangsvorschrift des Art 4 § 2 Satz 2 Buchst a AFKG hatte die Beklagte das Übergangsgeld ab 1. Januar 1982 neu zu berechnen, weil der Kläger zwar vor dem 1. Januar 1982, aber nach dem 2. September 1981 in die Maßnahme eingetreten war und die Beklagte die Neufeststellung im Bescheid vom 12. November 1981 durch einen Hinweis angekündigt hatte.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Ankündigung der Herabsetzung des Übergangsgeldes eine nach § 32 Abs 1 oder 2 SGB X zulässige Nebenbestimmung ist; denn der von der Beklagten in den Bescheid vom 12. November 1981 aufgenommene Zusatz entspricht dem Erfordernis des Hinweises nach Art 4 § 2 AFKG. Die "Änderungen in diesem Gesetz" hat die Beklagte genügend konkretisiert, indem sie die Herabsetzung des Übergangsgeldes ankündigte. Sie hat dabei "das voraussichtlich ab 1. Januar 1982 in Kraft tretende Konsolidierungsgesetz" angesprochen und dadurch der Bezeichnung des noch nicht verkündeten Gesetzes Genüge getan. Die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers erforderten keine weitergehenden Informationen, die er für irgendwelche finanziellen Dispositionen brauchte. Jedenfalls hat der Kläger nichts vorgetragen, woraus sich entnehmen ließe, daß er im Vertrauen auf die Höhe des Übergangsgeldes seine Lebensführung in irgendeiner Weise eingerichtet habe.

Die Vorschriften des AFKG zum Übergangsgeld sind verfassungskonform. Daß der Gesetzgeber grundsätzlich befugt ist, die Höhe des Übergangsgeldes unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten festzusetzen, unterliegt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. In seinem Beschluß vom 9. Februar 1983 - 1 BvL 8/80, 16/81, 1 BvR 257/80, 890/80, 1357/81 - (SozR 2200 § 1236 Nr 39) hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) klargestellt, daß § 1236 RVO (= § 13 Angestelltenversicherungsgesetz -AVG-) im Gegensatz zu den Versichertenrenten und Rentenanwartschaften lediglich eine vom Ermessen des Versicherungsträgers abhängige Leistung vorsehe; daraus erwachse dem Versicherten keine Rechtsposition, die als Eigentum anzusehen sei und die nach Art 14 des Grundgesetzes (GG) geschützt sein könne. Daran ändere auch eine Ermessensbindung durch Verwaltungsrichtlinien nichts. Wird aber das Recht auf Teilnahme an Rehabilitationsmaßnahmen nicht eigentumsähnlich geschützt, unterliegt auch der Anspruch auf Gewährung von Übergangsgeld infolge seiner streng akzessorischen Bindung an die Rehabilitationsmaßnahme nicht dem Schutz des Art 14 Abs 1 GG.

Die Übergangsregelung des AFKG ist auch nicht verfassungswidrig. Art 4 § 2 Satz 2 Buchst a iVm Art 4 § 1 Nrn 22 und 23 AFKG wirkt auf begonnene, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft ein und entfaltet insoweit eine unechte Rückwirkung (vgl BVerfGE 14, 288 ff, 297). Diese wäre jedoch nur dann verfassungswidrig, wenn das Vertrauen des Betroffenen in den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung das gesetzgeberische Anliegen an einer Änderung im Interesse der Allgemeinheit überstiege (BVerfGE 36, 73 ff, 82). Dies ist hier nicht der Fall.

Einmal hatte die Beklagte für die Zeit ab 1. Januar 1983 das Übergangsgeld zunächst noch nicht festgesetzt und deshalb insoweit auch keinen Vertrauenstatbestand geschaffen. Zum anderen hat die Beklagte den Kläger ausdrücklich auf die Möglichkeit eines geringeren Übergangsgeldes hingewiesen. Dieser Hinweis war geeignet, einen Vertrauensschutz auszuschließen. Schließlich hat der Kläger ersichtlich nicht im Vertrauen auf den Fortbestand des Übergangsgeldes irgendwelche Dispositionen getroffen. Es bedarf deshalb im vorliegenden Fall auch keiner Entscheidung darüber, ob dem Kläger dann ein Vertrauensschutz zustehen könnte, wenn er im Vertrauen auf den Fortbestand der früheren gesetzlichen Regelung irgendwelche vermögensrechtliche Dispositionen getroffen hätte.

Demgegenüber liegen hier die Gründe für die eingreifenden gesetzlichen Maßnahmen in dem Erfordernis der Einsparung erheblicher Geldmittel (vgl Begründung zum Gesetzesentwurf, BR-Drucks 369/81 vom 4. September 1981, Allgemeiner Teil, C 1 und 2). In dem Bestreben nach Einsparungen durfte der Gesetzgeber in der Übergangsregelung nach Versicherten differenzieren, die keinen Vertrauensschutz auf den Bestand der alten Rechtslage infolge des Hinweises auf das bevorstehende AFKG haben konnten, und solchen, die einen Vertrauensschutz haben konnten, weil ihnen die bevorstehende Gesetzesänderung nicht mitgeteilt worden war.

Nach alldem war die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1662041

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