Leitsatz (amtlich)
Eine Neufeststellung nach BVG § 86 Abs 3 kann auch dann in Betracht kommen, wenn bei gleichgebliebenem äußeren Zustandsbild einer ohne ärztliche Untersuchung in den Umanerkennungsbescheid übernommenen Gesundheitsstörung von einem Zeitpunkt an, der nach dem Erlaß des der Umanerkennung vorangegangenen Bescheides liegt, nicht mehr der Wehrdienst wesentliche Bedingung geblieben sondern an seine Stelle eine andere Bedingung getreten ist.
Leitsatz (redaktionell)
Ein auf BVG § 86 Abs 3 gestützter Neufeststellungsbescheid ist nicht nachträglich in einen auf SVA 11 Nr 26 gestützten Berichtigungsbescheid umzudeuten.
Ein Bescheid, der gemäß BVG § 62 Abs 2 S 1 die Grundrente eines Beschädigten mindert oder entzieht, ist rechtswidrig, wenn er vor Ablauf der in dieser Vorschrift bestimmten Zweijahresfrist zugegangen oder zugestellt worden ist.
Normenkette
BVG § 86 Abs. 3 Fassung: 1953-08-07; SVAnO 11 Nr. 26; BVG § 62 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1950-12-20
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen vom 7. Mai 1958 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Von Recht wegen.
Gründe
Der Kläger ist Beschädigter des ersten Weltkrieges. Er erhielt seit 1918 Versorgung, und zwar zuletzt auf Grund des Änderungsbescheides vom 7. Juli 1939 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdB) um 60 v.H. wegen folgender als Dienstbeschädigungsfolgen anerkannter Gesundheitsstörungen:
" 1. Schußfraktur der linken Speiche mit gleichzeitiger Verletzung des Nerven und dadurch bedingter fast vollkommener Schlußunfähigkeit der linken Hand, fast völliger Herabsetzung der rohen Kraft der linken Hand, Abmagerung des ganzen linken Armes und der Hand,
2. Folgen einer Granatsplitterverletzung am linken Fußrücken.
Diese Leidensbezeichnung und der bisherige Grad der MdE wurden ohne ärztliche Untersuchung des Klägers in die nach der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 erteilte "Benachrichtigung" vom 17. Oktober 1947 und - wiederum ohne ärztliche Untersuchung- in dem Umanerkennungsbescheid nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) vom 5. Juni 1952 übernommen.
Auf Grund des Ergebnisses einer im September 1952 durchgeführten ärztlichen Untersuchung des Klägers hat das Versorgungsamt Gelsenkirchen durch Bescheid vom 28. Oktober 1952 die Schädigungsfolgen mit
" 1. Schußfraktur der linken Speiche mit teilweiser Schädigung des Speichennerven und Bewegungseinschränkung der Unterarmdrehbewegung, Narben an der Streck- und Beugeseite des linken Unterarmes,
2. Narbe nach Granatsplitterverletzung am linken Fußgelenk"
neu bezeichnet und die Rente mit Wirkung vom 1. Dezember 1952 entzogen, weil der gesetzliche Mindestgrad der MdE von 25 v.H. nicht mehr erreicht werde. In dem auf "§ 62 Abs. 1 i.V.m. § 86 Abs. 3 BVG" gestützten Bescheid ist ausgeführt, es sei eine wesentliche Änderung der Verhältnisse insofern eingetreten, als die Herabsetzung der groben Kraft, insbesondere der mangelnde Faustschluß, sowie die geklagten Sensibilitätsstörungen auf psychogen bedingten Mechanismen beruhten und daher keine Schädigungsfolgen seien.
Der gegen diesen Bescheid erhobene Einspruch des Klägers und seine Klage (Berufung alten Rechts) sind ohne Erfolg geblieben (Entscheidung des Beschwerdeausschusses vom 20. Januar 1953, Urteil des Sozialgerichts - SG - Münster vom 19. Juli 1955).
Im Berufungsverfahren hat der Beklagte vorgebracht, er stütze den Bescheid vom 28. Oktober 1952 jetzt auch auf Ziff. 26 der Sozialversicherungsanordnung (SVA) Nr. 11.
Das Landessozialgericht (LSG) hat am 7. Mai 1958 auf die Berufung des Klägers das Urteil des SG Münster vom 19. Juli 1955 geändert und den Beklagten unter Aufhebung der Entscheidung des Beschwerdeausschusses vom 20. Januar 1953 sowie unter Abänderung des Bescheides vom 28. Oktober 1952 verurteilt, dem Kläger wegen der im Umanerkennungsbescheid vom 5. Juni 1952 unter Ziff. 1 und der im Entziehungsbescheid vom 28. Oktober 1952 unter Ziff. 2 anerkannten Leiden vom 1. Dezember 1952 an Rente nach einer MdE um 50 v.H. zu zahlen. Das LSG hat den Bescheid vom 28, Oktober 1952 insoweit für rechtswidrig gehalten, als darin die MdE auf weniger als 50 v.H, festgestellt worden ist und die Herabsetzung der groben Kraft, der mangelnde Faustschluß links sowie die Abmagerung des linken Armes und der linken Hand nicht mehr als Folge einer Schädigung anerkannt worden sind. Nach seiner Ansicht ist der angefochtene Bescheid hinsichtlich der Verneinung des ursächlichen Zusammenhangs dieser Leiden mit dem Wehrdienst zu Unrecht auf § 86 Abs. 3 BVG gestützt worden, weil diese Vorschrift ebensowenig wie § 62 Abs. 1 BVG die Rücknahme eines Bescheides ermögliche, soweit in diesem tatsächlich noch vorhandene Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen anerkannt seien. Insoweit könne der Bescheid von 28. Oktober 1952 auch nicht auf Ziff. 26 der SVA Nr. 11 gestützt werden. Zwar sei das Nachschieben von Gründen grundsätzlich zulässig, aber nur insoweit, als dadurch der Verwaltungsakt nach Voraussetzungen, Inhalt und Wirkungen nicht etwas wesentlich anderes werde. Der Inhalt des Bescheides vom 28. Oktober 1952 bestehe in der teilweisen Rücknahme des Umanerkennungsbescheides vom 5. Juni 1952, er lasse die früheren Bescheide unberührt. Deshalb könne nur die Rücknahme des Umanerkennungsbescheides nachträglich noch auf Ziff. 26 der SVA Nr. 11 gestützt werden, während eine auf diese Vorschrift gestützte Erweiterung des Bescheides vom 28. Oktober 1952 dahin, daß auch die Benachrichtigung vom 17. Oktober 1947 zurückgenommen werden sollte, unzulässig sein würde. Solange diese Benachrichtigung aber nicht zurückgenommen worden sei, könnten die Voraussetzungen des Umanerkennungsbescheides wegen der in § 85 BVG hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs ausgesprochenen Bindungswirkung der nach den bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften ergangenen Entscheidungen nicht als zutreffend angesehen werden.
Das LSG hat für die anerkannt bleibenden Leiden eine MdE um 50 v.H. für angemessen erachtet und hierzu ausgeführt, die tatsächlichen Auswirkungen der anerkannten Gesundheitsstörungen hätten sich nach dem Inhalt der beigezogenen Gutachten in den letzten 15 Jahren nicht geändert; auch damals sei, wenn man das 1939 festgestellte Geschwür am Fußrücken außer Betracht lasse, eine MdE um 50 v.H. angenommen worden. Ferner folge aus dem Gutachten des Dr. R... vom 20. April 1955, daß dieser Arzt für eine distale Handlähmung zwar keinesfalls eine höhere MdE als 50 v.H. zuerkennen wolle, diesen Grad der MdE aber jedenfalls bei Anlegung eines etwas großzügigen Maßstabes nicht für unangemessen halte.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen das am 18. Juli 1958 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 16. August 1958, heim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen am 18. August 1958, Revision eingelegt und diese nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 18. Oktober 1958 mit Schriftsatz vom 16. September 1958, beim BSG eingegangen am 17. September 1958, begründet. Er beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Nordrhein-Westfalen zurückzuverweisen,
Der Beklagte rügt eine Verletzung der §§ 103 und 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), der Ziff. 26 der SVA Nr. 11 sowie der §§ 30, 85 und 86 Abs. 3 BVG. Er ist der Ansicht, das LSG habe die Beweiswürdigungsregeln dadurch verletzt, daß es für seine Feststellung, der angefochtene Bescheid enthalte nut eine Rücknahme des Bescheides vom 5. Juni 1952, keine Gründe angegeben habe. Dem Berufungsgericht sei auch bei der Bemessung der MdE ein Verstoß gegen § 128 Abs. 1 SGG unterlaufen, weil es sich ohne wohlerwogene und stichhaltige Gründe über alle im Zusammenhang mit der Rentenentziehung erstatteten Gutachten hinweggesetzt und aus dem Gutachten des Dr. R... unter Verletzung der Denkgesetze den unzutreffenden Schluß gezogen habe, daß der Leidenszustand des Klägers eine MdE um 50 v.H. rechtfertige. Auf die Schätzung der MdE im Jahre 1939 habe das LSG schon deshalb nicht zurückgreifen dürfen, weil sich die Versorgungsmedizin seitdem auch im Hinblick auf die Bewertung von Funktionsausfällen weiterentwickelt habe. Es sei daher notwendig gewesen, zur Klärung der Zweifel ein weiteres ärztliches Gutachten einzuholen.
Der Beklagte ist ferner der Ansicht, das Berufungsgericht habe Ziff. 26 der SVA Nr. 11 unrichtig angewandt. Vom Standpunkt einer Berichtigung her gesehen erstrecke sich eine Rentenentziehung stets auf alle Bescheide, auf Grund deren es eigentlich bei der bisherigen Anerkennung verbleiben müßte; da der Umanerkennungsbescheid durch § 85 BVG gestützt werde, habe der angefochtene Bescheid - als Berichtigungsbescheid - zwangsläufig auch die Benachrichtigung vom 17 . Oktober 1947 erfaßt. § 85 BVG stehe der Berichtigung des Bescheides nach der SVD Nr. 27 nicht im Wege, weil das Gesetz keinen Anhalt dafür biete, daß die verlängerte Bindungswirkung dieser Vorschrift stärker sei als die Bindungswirkung von Bescheiden nach früherem und jetzigem Versorgungsrecht allgemein. Insoweit habe das LSG die Bedeutung des § 85 BVG verkannt. Es habe auch § 86 Abs. 3 BVG verletzt, weil es zu Unrecht angenommen habe, diese Vorschrift verlange den Nachweis einer Änderung der Verhältnisse. Eine Verletzung des § 30 BVG schließlich liege in der von den vorliegenden Gutachten abweichenden Beurteilung des Grades der MdE.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er ist der Meinung, das angefochtene Urteil sei im Ergebnis zutreffend, die vom Beklagten gerügten Verfahrensmängel lägen nicht vor.
Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 Abs. 1 SGG) und daher zulässig; sie ist auch begründet.
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 28. Oktober 1952. Durch diesen Bescheid sind die mit dem Bescheid vom 5. Juni 1952 anerkannten Schädigungsfolgen unter Fortlassung der tatsächlich noch vorhandenen Gesundheitsstörungen "fast vollkommene Schlußunfähigkeit der linken Hand, fast völlige Herabsetzung der rohen Kraft der linken Hand und Abmagerung des ganzen linken Armes und der linken Hand" neu bezeichnet und die. bisher nach einer MdE um 50 v.H. gewährte Rente entzogen worden. Der Bescheid vom 28.Oktober 1952 ist seinem Wesen und seinem Inhalt nach ein Neufeststellungsbescheid, kein Berichtigungsbescheid. Zu seiner. Begründung sind mit § 86 Abs. 5 und § 62 Abs. 1 BVG zwei Vorschriften angeführt worden, die nur als rechtliche Grundlage einer Neufeststellung mit Wirkung für die Zukunft in Betracht kommen. In dem Bescheid wird ausdrücklich ausgeführt, daß die neue Feststellung durch eine inzwischen eingetretene wesentliche Änderung (Besserung) der für die bisherige Feststellung maßgebenden Verhältnisse bedingt sei. Es heißt darin weiter, daß dieser Bescheid an die Stelle des Bescheides vom 5. Juni 1952 tritt. Weder sind die nach den bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften erteilten Bescheide, insbesondere die auf Grund der SVD Nr. 27 ergangene Benachrichtigung vom 17. Oktober 1947, ausdrücklich aufgehoben, noch ist erkennbar zum Ausdruck gebracht worden, daß diese als von Anfang ah teilweise fehlerhaft angesehen würden. Bei dieser Sachlage hat das Berufungsgericht den angefochtenen Bescheid zutreffend dahin ausgelegt, daß nur der Umanerkennungsbescheid vom 5. Juni 1952 als teilweise fehlerhaft mit Wirkung für die Zukunft hat zurückgenommen werden sollen.
Daran ändert nichts, daß sich der Beklagte zur Begründung des Bescheides vom 28, Oktober 1952 nachträglich auch auf Ziff. 26 der SVA Nr. 11 berufen hat. Zwar ist es grundsätzlich statthaft, rechtliche Begründungen für einen angefochtenen Verwaltungsakt noch im Laufe des Rechtsstreits nachzuschieben. Die Zulässigkeit eines derartigen Nachschiebens einer anderen rechtlichen Begründung ist jedoch auf die Fälle beschränkt, in denen der Verwaltungsakt durch die nachgeschobene. Begründung in seinem Wesen, insbesondere in seinem Ausspruch, nicht verändert und die Rechtsverteidigung des Betroffenen nicht beeinträchtigt wird (BSG 3, 209, 216; 7, 8, 12, 14; 11, 236, 239). In Anwendung dieses Grundsatzes hat das BSG bereits mehrfach auch das Nachschieben von Rechtsgrundlagen, die eine Berichtigung ermöglichen, bei Bescheiden für zulässig gehalten, die zu Unrecht auf § 62 Abs. 1 BVG oder entsprechende Vorschriften anderer Gesetze gestützt worden waren (vgl. ua BSG 7, 8; 8, 11; BSG, Urteil vom 4. September 1956 - 10 RV 395/55 - und vom 17. April 1958 - 8 RV 271/56 -). Daraus folgt jedoch nicht, daß die Umdeutung in derartigen Fällen stets zulässig wäre. Es kommt vielmehr immer auf die Verhältnisse des Einzelfalles, insbesondere auf das Wesen und den Inhalt des Bescheides an, der nachträglich eine andere Begründung erhalten hat.
Im vorliegenden Fall ist das Nachschieben der rechtlichen Begründung, daß die "Aberkennung" eines Teiles der Schädigungsfolgen und die Rentenentziehung nunmehr auch auf Ziff. 26 der SVA Nr. 11 gestützt werde, nicht statthaft, weil hierdurch der Bescheid vom 28. Oktober 1952, der, wie bereits dargelegt, seinem Wesen nach ein Neufeststellungsbescheid mit Wirkung nur für die Zukunft ist, nach Voraussetzungen, Inhalt und Wirkungen etwas wesentlich anderes werden würde; denn Ziff. 26 der SVA Nr. 11 setzt voraus, daß der Bewilligungsbescheid von Anfang an fehlerhaft gewesen ist, ein auf diese Vorschrift gestützter Bescheid - seinem Wesen nach ein Berichtigungs-, kein Neufeststellungsbescheid - wirkt grundsätzlich auf den Zeitpunkt zurück, in dem der rechtswidrige Bescheid erlassen worden ist (BSG in SozR VerwVG § 41 Bl. Ca 3 Nr. 9). Der auf § 86 Abs. 3 i.V.m. § 62 Abs. 1 BVG gestützte Bescheid vom 28, Oktober 1952 läßt sich mithin nicht nachträglich in einen auf Ziff. 26 der SVA Nr. 11 gestützten Berichtigungsbescheid umdeuten. Aus diesem Grunde kann dahingestellt bleiben, ob sich der angefochtene Bescheid, wie der Beklagte meint, vom Standpunkt einer Berichtigung her gesehen, auch auf die Benachrichtigung vom 17. Oktober 1947 erstrecken würde.
Für die Rechtsmäßigkeit des Bescheides vom 28. Oktober 1952 kommt es somit nur darauf an, ob mit diesem Bescheid der Umanerkennungsbescheid vom 5. Juni 1952 rechtswirksam teilweise zurückgenommen worden ist. Der Bescheid vom 5. Juni 1952 ist ein den Kläger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, der für die Beteiligten mit der Bekanntgabe an den Kläger bindend geworden ist (§ 77 SGG; § 24 VerwVG). Der Beklagte hat diesen Bescheid nur zurücknehmen dürfen, wenn er durch Gesetz hierzu ermächtigt gewesen ist.
Im Ergebnis zutreffend hat das LSG angenommen, daß der Bescheid vom 28. Oktober 1952 zu Unrecht auf § 62 Abs. 1 BVG gestützt worden ist. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift haben schon deshalb nicht vorgelegen, weil die Rente des Klägers vor Ablauf von zwei Jahren nach Zustellung des Peststellungsbescheides, hier des Umanerkennungsbescheides vom 5. Juni 1952, entzogen worden ist. Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 23. Februar 1960 (BSG 12, 16) mit eingehender Begründung entschieden hat, ist ein Bescheid, der gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 BVG die Grundrente eines Beschädigten mindert oder entzieht, rechtswidrig, wenn er vor Ablauf der in dieser Vorschrift bestimmten Zweijahresfrist zugegangen oder zugestellt worden ist. An dieser Rechtsauffassung hält der Senat fest.
Der angefochtene Bescheid hat jedoch entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts möglicherweise auf § 86 Abs. 3 BVG gestützt werden können. Diese Übergangsvorschrift besagte, daß eine spätere Neufeststellung der Versorgungsbezüge innerhalb von vier Jahren nach dem Inkrafttreten des BVG (1. Oktober 1950) nicht von einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 Abs. 1 BVG abhängig ist, wenn die Rente nach § 86 Abs. 1 BVG ohne ärztliche Nachuntersuchung unter Übernahme des bisher anerkannten Grades der MdE nach dem BVG festgestellt ( umanerkannt ) worden ist; sie bestimmte ferner, daß § 62 Abs. 2 Satz 1 BVG hierbei keine Anwendung findet. Nach dem Sinn des § 86 Abs. 3 BVG, wie er sich aus dem Zusammenhang mit Abs. 1 des § 86 BVG ergibt und auch in den Verhandlungen des (26.) Ausschusses für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen des Deutschen Bundestages über das BVG (Ausschußprotokoll S. 97) zum Ausdruck gekommen ist (vgl. auch BMA in BVBl 1953, 171 Nr. 105), sollte die Verwaltung die Möglichkeit haben, Fehler zu beseitigen, die bei der Umanerkennung dadurch entstanden sind, daß die Verwaltung im Interesse des Beschädigten zunächst ohne erneute ärztliche Untersuchung einen Leidenszustand als Schädigungsfolge unterstellt hat, wie er in dem vor Inkrafttreten des BVG ergangenen Bescheid (Altbescheid) anerkannt war. Das bedeutet, daß durch die Neufeststellung alle Fehler des Umanerkennungsbescheides bei der Beurteilung des Leidenszustandes beseitigt werden können, die auf die unterbliebene ärztliche Untersuchung zurückzuführen sind (vgl. das Urteil des erkennenden Senats vom 4. Februar 1959, SozR BVG § 86 Bl. Ca 3 Nr. 5).
Die bei der Umanerkennung unterbliebene ärztliche Untersuchung führt aber auch dazu, daß in den Fällen, in denen eine Änderung des Leidenszustandes gegenüber dem Altbescheid eingetreten ist, bei der Neufeststellung in der Regel nicht mehr festgestellt werden kann, ob die Änderung vor oder erst nach dem Erlaß des Umanerkennungsbescheides eingetreten ist. Dem trägt § 86 Abs. 3 BVG insofern Rechnung, als er bestimmt, daß die Neufeststellung nicht von einer Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 Abs. 1 BVG abhängig ist, d.h. daß die Änderung nicht in der Zeit zwischen dem Erlaß des Umanerkennungsbescheides und dem des Neufeststellungsbescheides eingetreten zu sein braucht. In dem Neufeststellungsbescheid gemäß § 86 Abs. 3 BVG kann somit jede Änderung des Leidenszustandes berücksichtigt werden, die seit dem Altbescheid eingetreten ist. Dadurch, daß der Gesetzgeber die Anwendbarkeit des § 62 Abs. 2 Satz 1 BVG in solchen Fällen ausdrücklich ausgeschlossen hat, ist die Neufeststellung auch dann möglich, wenn weder seit dem Umanerkennungsbescheid noch seit dem Altbescheid ein Zeitraum von zwei Jahren verflossen ist. Auch insofern weicht § 86 Abs. 3 von § 62 BVG ab. Er regelt zwar auch die Voraussetzungen, unter denen eine Änderung der Verhältnisse zu einer Neufeststellung der Versorgung berechtigt, jedoch begrenzt er seinem Sinn nach die "Änderung der Verhältnisse" auf eine Änderung der Verhältnisse hinsichtlich des Leidenszustandes des Beschädigten, während § 62 BVG darüber hinaus unter einer Änderung der Verhältnisse auch die Änderung der wirtschaftlichen Lage des Beschädigten versteht (BSG aaO).
Die Vorschrift des § 86 Abs. 3 BVG berechtigte den Beklagten mithin, durch den Bescheid vom 28. Oktober 1952 eine Neufeststellung nicht nur der Rente, sondern auch der der Rentengewährung zugrunde liegenden Feststellung, daß und in welchem Umfang eine schädigungsbedingte Gesundheitsstörung vorliegt, vorzunehmen, soweit in diesen Verhältnissen seit dem Erlaß der Benachrichtigung nach der SVD Nr. 27 vom 17. Oktober 1947 (Altbescheid) eine wesentliche Änderung eingetreten ist.
Das LSG hat die Anwendbarkeit des § 86 Abs. 3 BVG mit der Begründung verneint, diese Vorschrift rechtfertige ebensowenig wie § 62 Abs. 1 BVG die Rücknahme eines Bescheides, "soweit in diesem noch vorhandene Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen anerkannt sind". Es ist also offenbar der Meinung, daß eine wesentliche Änderung der Verhältnisse nur dann vorliegt, wenn die anerkannte Gesundheitsstörung nach ihrem äußeren Zustandsbild nicht mehr oder nicht mehr in dem bisherigen Ausmaß vorhanden ist. Dieser Ansicht vermag der Senat nicht zu folgen, weil sie auf einer Verkennung des Begriffs der "für die Feststellung maßgebenden Verhältnisse" beruht; sie übersieht, daß für die Feststellung, daß ein Leidenszustand Folge einer Schädigung ist, nicht nur das äußere Erscheinungsbild einer Gesundheitsstörung maßgebend ist, sondern auch der Leidensgrund. Auch dieser kann sich ändern. Es ist möglich, daß bei gleichgebliebenem äußeren Zustandsbild der in Frage stehenden Gesundheitsstörung nach den ärztlichen Feststellungen von einem bestimmten nach dem Erlaß des Altbescheides liegenden Zeitpunkt an für eine Gesundheitsstörung nicht mehr der Wehrdienst wesentliche Bedingung geblieben, sondern an seine Stelle eine andere Bedingung getreten ist. Ein derartiger Sachverhalt wird von manchen Ärzten als "Verschiebung der Wesensgrundlage eines Leidens" bezeichnet (vgl. BSG 13, 89, 91 mit Nachweisen); hierunter wird der Vorgang verstanden, daß ein Leidensgrund an die stelle des anderen tritt, ohne daß ein symptomloses Intervall dazwischen zu liegen braucht, während das Leidensbild nach außen hin unverändert geblieben erscheint (Pollakowski, KOV 1958, 98 ff mit Beispielen). Trotz gleichbleibenden Erscheinungsbildes ist dann an die Stelle des früheren Leidens ein anderes getreten. In diesen Fällen liegt eine wesentliche Änderung der Verhältnisse "hinsichtlich des Leidenszustandes des Beschädigten" jedenfalls dann vor, wenn nach dem Erlaß des Altbescheides neue - alo nicht etwa schon als "Anlage" vorgegebene - krankhafte körperliche oder seelische Erscheinungen aufgetreten sind, nunmehr mit Wahrscheinlichkeit das äußerlich unveränderte Krankheitsbild hervorrufen (vgl. BSG aaO). Auf den vorliegenden Fall angewandt bedeutet das, daß eine zur Neufeststellung nach § 86 Abs. 3 BVG in dem durch den angefochtenen Bescheid verfügten Umfang berechtigende wesentliche Änderung der Verhältnisse dann vorläge, wenn festgestellt würde, daß von einem nach dem Erlaß des Altbescheides - der Benachrichtigung vom 17. Oktober 1947 - liegenden Zeitpunkt an nicht mehr die Schußfraktur der linken Speiche und die Schädigung des Speichennerven die wesentliche Ursache für die Schlußunfähigkeit und die Herabsetzung der groben Kraft der linken Hand sowie die Abmagerung des linken Armes geblieben, sondern an deren Stelle eine andere wehrdienstunabhängige Bedingung getreten ist. § 85 BVG würde in diesem Falle der "Aberkennung" eines Teiles der im Umanerkennungsbescheid vom 5. Juni 1952 anerkannten Gesundheitsstörungen nicht entgegenstehen; denn er regelt nur das Verhältnis des Umanerkennungsbescheides zum Altbescheid (vgl. BSG in SozR § 86 Bl. Ca 3 Nr. 5), während es sich hier um die Frage handelt, wie weit der Neufeststellungsbescheid vom 28. Oktober 1952 Änderungen gegenüber dem Umanerkennungsbescheid treffen konnte. Im übrigen wird auch durch § 85 BVG nicht ausgeschlossen daß schon im Umanerkennungsbescheid eine Änderung des Leidenszustandes berücksichtigt werden kann.
Das Berufungsgericht hat danach § 86 Abs. 3 BVG verletzt. Es hat zu Unrecht angenommen, daß diese Vorschrift schon aus dem Grunde nicht als Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid vom 28, Oktober 1952 in Betracht kommt, weil die durch den Bescheid vom 5. Juni 1952 anerkannten Gesundheitsstörungen zur Zeit des Erlasses des Neufeststellungsbescheides tatsächlich nach ihrem äußeren Zustandsbild noch vorhanden waren. Da das LSG seiner Rechtsansicht entsprechend keine Feststellungen darüber getroffen hat, ob der Umanerkennungsbescheid nachträglich etwa dadurch unrichtig geworden ist daß die als Schädigungsfolgen "aberkannten" Gesundheitsstörungen nunmehr nicht mehr auf den Wehrdienst, sondern auf eine neu hinzugetretene, wehrdienstunabhängige Bedingung - nach Ansicht des Beklagten die psychogenbedingte Verhaltensweise des Klägers - zurückzuführen sind, konnte der Senat über die Rechtsmäßigkeit des Bescheides vom 28. Oktober 1952 nicht abschließend entscheiden. Die begründete Revision mußte somit dazu führen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das LSG zunächst aufzuklären haben, ob und gegebenenfalls seit wann die Punktionseinschränkungen der linken Hand nicht mehr organisch, sondern, psychogen bedingt sind. Falls es hierbei feststellen sollte, daß von einem nach dem Erlaß der Benachrichtigung vom 17. Oktober 1947 liegenden Zeitpunkt an psychogene Reaktionen die wesentliche Ursache der Funktionsbehinderungen darstellen, wird es weiter prüfen müssen, ob diese Reaktionen etwa noch Folgen der wehrdienstbedingten Schädigung sind (vgl. dazu BSG 10, 209).
Die Kostenentscheidung mußte dem abschließenden Urteil vorbehalten bleiben.
Fundstellen