Leitsatz (amtlich)
Hat die BfA in Verkennung ihrer Unzuständigkeit einem Wanderversicherten einen Rentenbescheid erteilt und später den Vorgang an die zuständige LVA abgegeben, so hat diese die Rente zu zahlen. Die Übernahme der Leistungspflicht allein berechtigt die LVA nicht, eine fehlerhafte Feststellung der Rente zuungunsten des Berechtigten zu ändern.
Normenkette
RVO § 1311 Fassung: 1957-07-27; SGG § 77 Fassung: 1958-08-23
Tenor
Das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 20. Juli 1965 wird aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten und die Anschlußberufung der Klägerin werden zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die Kosten auch des 2. und 3. Rechtszuges zu erstatten.
Gründe
Die Beteiligten streiten darüber, von welchem Versicherungsträger (Bundesversicherungsanstalt für Angestellte -BfA- oder Landesversicherungsanstalt -LVA-) und in welcher Höhe die Witwenrente der Klägerin zu zahlen ist.
Der am 30. Oktober 1959 verstorbene Ehemann der Klägerin bezog von April 1951 bis zu seinem Tode Altersruhegeld aus der Angestelltenversicherung (AV), zuletzt von der beigeladenen BfA. Diese gewährte der Klägerin Witwenrente vom 1. November 1959 an (Bescheid vom 22. Dezember 1959). Ihr war bekannt, daß der Ehemann der Klägerin zuletzt noch, und zwar von 1949 bis 1951 Beiträge zur Invalidenversicherung entrichtet hatte. Im Oktober 1962 gab sie den Vorgang zuständigkeitshalber an die Beklagte - die LVA Oberfranken und Mittelfranken - ab. Diese stellte mit Wirkung vom 1. März 1963 an die von der Beigeladenen angewiesene Witwenrente ein und setzte durch Bescheid vom 31. Januar 1963 vom 1. November 1959 an die Witwenrente neu fest, aber in einer geringeren Höhe als es seitens der Beigeladenen - dieser war ein Fehler unterlaufen - geschehen war. Dagegen wandte sich die Klägerin.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin Witwenrente in der Höhe zu gewähren, wie sie von der Beigeladenen zuletzt bewirkt worden war. Diese Rechtsfolge ergebe sich aus der Bindungswirkung des § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Auf die Berufung der Beklagten und die unselbständige Anschlußberufung der Klägerin hin hat das Landessozialgericht (LSG) die Beigeladene verurteilt, der Klägerin die mit Bescheid vom 22. Dezember 1959 festgestellte Witwenrente über den Februar 1963 hinaus zu zahlen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, die Beigeladene sei zwar im Hinblick auf die Regelung der Zuständigkeit in § 1311 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nF zur Erteilung des Rentenbescheides nicht zuständig gewesen, wegen der Bindungswirkung ihres Bescheides jedoch zur Weiterzahlung der Rente verpflichtet. Der Bescheid sei weder nichtig, weil es an einer absoluten Unzuständigkeit fehle, noch seien Gründe für eine Rücknahme oder eine Berichtigung vorhanden. Die Beigeladene habe auch keinen Versuch gemacht, ihren Bescheid aufzuheben. - Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beigeladene hat Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung des § 1311 RVO. Die Verpflichtung zur Rentenzahlung sei auf die Beklagte übergegangen. Es gebe kein die Beteiligten bindendes Anerkenntnis der Zuständigkeit, es sei denn, daß es zur Beseitigung begründeter Zweifel ausdrücklich abgegeben worden sei. Allenfalls könne zweifelhaft sein, ob der tatsächlich zuständige Versicherungsträger, also die Beklagte, an die - versehentlich zu günstig festgesetzte - Rentenhöhe gebunden sei. Dies sei jedoch zu bejahen im Hinblick auf die Stellung aller Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zueinander und unter Berücksichtigung des Zweckes eines einmal erteilten Bescheides.
Die Beigeladene beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin und die Beklagte beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Zur Begründung beziehen sie sich im wesentlichen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.
Die Revision ist zulässig und begründet. Das SG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß die Beklagte zur Zahlung der Rente an die Klägerin, und zwar in der von der Beigeladenen festgesetzten Höhe verpflichtet ist.
Zuständig für die Feststellung und Zahlung der Leistung in der Wanderversicherung - der Ehemann der Klägerin war Wanderversicherter - ist nach § 1311 RVO der Träger des Versicherungszweiges, an den der letzte Beitrag entrichtet worden ist. Das ist in dem vorliegenden Falle die Beklagte.
Die Beklagte meint nun, ihre sich aus § 1311 RVO ergebende Verpflichtung sei dadurch entfallen, daß die Beigeladene - wenn auch zu Unrecht - ihre Zuständigkeit einmal angenommen und einen Rentenbescheid erlassen habe. Dabei übersieht sie jedoch, daß die Zuständigkeitsregelung des § 1311 RVO zwingend ist; sie kann grundsätzlich nicht durch Verwaltungshandeln eines Versicherungsträgers außer Kraft gesetzt werden. Sie bezieht sich nicht nur auf die Feststellung der Leistung, sondern ausdrücklich auch auf die laufende Zahlung der Rente. Die Beigeladene hat daher zu Recht den Vorgang an die Beklagte zur weiteren Zahlung der Rente abgegeben. Diese hat - wie der Erlaß des Rentenbescheides vom 31. Januar 1963 zeigt - ihre Zuständigkeit auch bejaht und zu erkennen gegeben, daß sie ihre Verpflichtung zur Zahlung der Rente erfüllen wollte. Mit diesem Bescheid steht ihr jetziges Vorbringen nicht in Einklang. Bei der Übernahme der Rente war die Beklagte allerdings der Klägerin gegenüber nicht mehr frei. Sie durfte die Höhe der Rente, so wie sie von der Beigeladenen festgestellt worden war, nicht zuungunsten der Klägerin verändern. Diese hatte nämlich durch den Bescheid der Beigeladenen bereits einen Rentenanspruch in der darin genannten Höhe erworben. Anders wäre es, wenn dieser Bescheid wegen der zu Unrecht angenommenen sachlichen Zuständigkeit nichtig wäre. Das ist er jedoch nicht. Nichtigkeit läge bei absoluter sachlicher Unzuständigkeit der Beigeladenen vor (BSG 9, 171, 178). Eine solche ist aber nicht gegeben, wenn im Rahmen der Wanderversicherung zunächst der Träger eines anderen Versicherungszweiges handelt. Die Beigeladene war nicht auf einem Gebiet tätig geworden, das offensichtlich außerhalb ihrer Kompetenz lag. Der Auffassung von Friederichs ("Die Sozialversicherung" 1964, 330), eine Verletzung der Kompetenznormen des § 1311 RVO habe die Richtigkeit des Verwaltungsakts zur Folge, kann nicht beigetreten werden. Im übrigen sind, wie auch das LSG zutreffend ausgeführt hat, Gründe, welche den Versicherungsträger zur Änderung der Rentenhöhe berechtigen könnten, nicht ersichtlich. Den Rentenanspruch der Klägerin hat die Beklagte vollen Umfangs zu erfüllen.
Die Beklagte kann auch nicht mit Erfolg vortragen, daß sie nur zur Zahlung der Rente in der richtigen - ihrer Auffassung nach also in der geringeren - Höhe verpflichtet sei und die Klägerin sich wegen des Restbetrages an die Beigeladene halten müsse. Bei dem Rentenanspruch der Klägerin handelt es sich um einen einheitlichen Anspruch, dessen Aufteilung weder rechtlich zulässig ist noch der Klägerin zugemutet werden kann. Ein - möglicherweise vorliegendes - fehlerhaftes Verhalten eines Versicherungsträgers kann nicht dazu führen, dem Rentenberechtigten Nachteile zuzufügen. Nachteilig wäre es aber, statt einer einheitlichen Rente in bestimmter Höhe eine niedrigere Rente und den Unterschiedsbetrag als Schadenersatz zu erhalten, eine Lösung, die übrigens in der Praxis auch kaum durchführbar wäre. Die im Falle der richtigen Rentenfestsetzung durch einen unzuständigen Versicherungsträger sich aus § 1311 RVO ergebende Rechtsfolge, daß nämlich der zuständige Versicherungsträger die Zahlung zu übernehmen hat, tritt auch bei fehlerhafter Berechnung ein.
Die Beklagte kann diesem Ergebnis nicht entgegenhalten, daß die Rente der Klägerin ohne ihr Verschulden zu hoch berechnet worden sei und ihr durch die Zahlung der Rente in der bisherigen Höhe ein Schaden entstehe. Hierauf kann es in Zusammenhang mit § 1311 RVO nicht entscheidend ankommen. Dem Gesetzgeber ging es mit der Einführung dieser Vorschrift darum, auf dem Gebiete der Wanderversicherung eine möglichst einfache Zuständigkeitsregelung zu treffen, um Zuständigkeitsstreitigkeiten nach Möglichkeit zu vermeiden. So ist es zu erklären, daß er ohne Rücksicht auf die finanziellen Gegebenheiten die Zuständigkeit desjenigen Versicherungsträgers begründet hat, an den der letzte Beitrag entrichtet worden ist. Diese Regelung wird häufig dazu führen, daß ein Versicherungsträger die Rente zahlen muß, obwohl dem betreffenden Versicherungszweig im Einzelfalle nur unbedeutende Beitragszahlungen zugeflossen sind. Der Gesetzgeber hat diese Möglichkeit in Kauf genommen. Er hat damit zum Ausdruck gebracht, daß auf dem Gebiete der Wanderversicherung im Rahmen des § 1311 RVO weitgehend von einer Funktionseinheit der Versicherungsträger auszugehen ist (vgl. dazu BSG 11, 69, 72). Hiernach erscheint es gerechtfertigt, daß der zuständige Versicherungsträger auch für eine fehlerhafte Rentenberechnung eines anderen Versicherungsträgers dem Berechtigten gegenüber einzustehen hat. Ob es in solchen Fällen zwischen den beteiligten Versicherungsträgern zu einem Ausgleich kommen muß, bedarf im vorliegenden Fall keiner Erörterung; darüber hat der Senat nicht zu befinden.
Das zu einem anderen Ergebnis gelangte Urteil des LSG muß aufgehoben werden. Das BSG hat somit über die Anträge der Beteiligten in der Berufungsinstanz neu zu entscheiden. Dort hat zwar die Klägerin im Rahmen ihrer Anschlußberufung nur noch die Verurteilung der Beigeladenen beantragt, jedoch zu keinem Zeitpunkt ihre gegen die Beklagte gerichtete Klage zurückgenommen; sie hat also für den Fall, daß eine Verurteilung der Beigeladenen nicht in Betracht kommt, an ihrem Antrag auf Verurteilung der Beklagten festgehalten. Dieser Antrag hat Erfolg. Die Berufung der Beklagten und die Anschlußberufung der Klägerin müssen zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen