Leitsatz (amtlich)
Ob jemand gemäß HwVG § 1 Abs 1 S 1 nach diesem Gesetz in der Rentenversicherung der Arbeiter versichert ist - solange er Beiträge für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit für weniger als 216 Kalendermonate entrichtet hat -, bestimmt sich allein danach, ob er in der Handwerksrolle eingetragen ist.
Normenkette
HwVG § 1 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1960-09-08
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 1. Dezember 1965 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin nach dem Handwerkerversicherungsgesetz (HwVG) für die Monate Januar bis April 1962 versicherungs- und beitragspflichtig war.
Die Klägerin, die selbst kein Handwerk erlernt hat, führt nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auf Grund einer Ausnahmebewilligung nach § 3 Abs. 2 der 3. Verordnung über den vorläufigen Aufbau des deutschen Handwerks (3. Handwerksverordnung) vom 18. Januar 1935 (RGBl I 15) die Schuhmacherei ihres 1948 als Witwer verstorbenen Vaters fort. Die Ausnahmebewilligung ist ihr unter der Bedingung erteilt worden, daß sie ständig einen Schuhmachermeister als Betriebsleiter beschäftigt. Seit dem 1. Juli 1948 ist sie in die Handwerksrolle eingetragen. Sie hat für 48 Monate Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung entrichtet. Die Beklagte hält die Klägerin nach § 1 HwVG für versicherungspflichtig und beitragspflichtig (Bescheid vom 30. April 1962). Widerspruch und Klage der Klägerin blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 1963; Urteil des Sozialgerichts - SG - vom 17. März 1964). Das SG teilte die Auffassung der Beklagten, schon die Eintragung in die Handwerksrolle begründe die Versicherungspflicht. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG, den Bescheid und den Widerspruchsbescheid aufgehoben und festgestellt, daß die Klägerin nicht versicherungspflichtig nach dem Handwerkerversicherungsgesetz vom 8. September 1960 ist (Urteil vom 1. Dezember 1965). Das LSG hat die Revision zugelassen. Es hat entschieden, trotz Eintragung in die Handwerksrolle sei der Erbe eines Handwerkers, der dessen Betrieb nicht persönlich, sondern nur durch einen Betriebsleiter fortführen darf, kein Handwerker im Sinne des HwVG und deshalb nicht versicherungspflichtig; das gelte auch dann, wenn er nicht die Voraussetzungen für die Versicherungsfreiheit nach § 2 HwVG erfülle.
Mit der Revision rügt die Beklagte Verletzung der §§ 1 Abs. 1 Satz 1 und 2 HwVG. Sie tritt der Auffassung des LSG entgegen, der Handwerkerbegriff des § 1 Abs. 1 HwVG sei in einen gewerbe- und einen versicherungsrechtlichen Begriff aufzuspalten, und widerspricht dem Ergebnis, die Klägerin nicht zu Beiträgen zur Handwerkerversicherung heranzuziehen.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 1. Dezember 1965 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 17. März 1964 zurückzuweisen.
Die Klägerin ist nicht vertreten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden erklärt.
II.
Die Revision der Beklagten ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.
Der Anspruch der Beklagten gegen die Klägerin auf Versicherungsbeiträge von insgesamt 280,- DM zur Handwerkerversicherung für die Monate Januar bis April 1962 hängt davon ab, ob die Klägerin in der Handwerkerversicherung versicherungspflichtig und nicht versicherungsfrei ist. Wer in der Handwerkerversicherung versicherungspflichtig ist, regelt grundsätzlich § 1 Abs. 1 HwVG. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 HwVG "werden Handwerker, die in die Handwerksrolle eingetragen sind, in der Rentenversicherung der Arbeiter versichert, solange sie Beiträge für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit für weniger als zweihundertsechzehn Kalendermonate entrichtet haben". Die Fassung des Gesetzes könnte die Auslegung nahelegen, daß die Versicherungspflicht in der Handwerkerversicherung zwei Voraussetzungen habe, nämlich einmal die, daß die in Betracht kommende Person "Handwerker" ist, weil das Gesetz insoweit nicht allgemein von "Personen", sondern von "Handwerkern" spricht, und zum zweiten die Eintragung in die Handwerksrolle. Bei einer solchen Auslegung wären Personen, denen die Befähigung zum Handwerker fehlt - bei der Klägerin wäre dies der Fall - nicht "Handwerker" im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 HwVG und daher bereits aus diesem Grunde nicht versicherungspflichtig.
Eine derartige Auslegung würde indessen an den grundsätzlich anderen Vorstellungen folgenden Regelungen des § 2 HwVG vorübergehen. In § 2 HwVG, einer Ausnahmevorschrift gegenüber der grundsätzlichen Vorschrift des § 1, ist nämlich ua die Versicherungsfreiheit gerade solcher Personen geregelt, die nicht notwendig über den Befähigungsnachweis als Handwerker verfügen. Es sind dies die einen Handwerksbetrieb führenden Nachlaßverwalter, Nachlaßpfleger, Nachlaßkonkursverwalter oder Testamentsvollstrecker (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 HwVG), der als Erbe oder in ungeteilter Erbengemeinschaft in die Handwerksrolle Eingetragene, der nicht in dem nachgelassenen Handwerksbetrieb tätig ist (Nr. 3 aaO) und schließlich Witwen und Witwer für die Zeit nach dem Tode ihres Ehegatten, wenn sie dessen Handwerksbetrieb fortsetzen, es sei denn, daß sie im Zeitpunkt des Todes ihres Ehegatten nach § 1 HwVG versichert waren (Nr. 4 aaO). Diese Regelungen der Versicherungsfreiheit solcher Personen, die selbst nicht Handwerker sind, wären, worauf die Revision mit Recht hinweist, überflüssig, wenn die genannten Personen wegen der fehlenden Handwerkereigenschaft nicht unter § 1 Abs. 1 HwVG fielen und bereits deshalb nicht versicherungspflichtig wären. Die Versicherungsfreiheit setzt als Ausnahme von der Versicherungspflicht ihrem Wesen nach die Versicherungspflicht voraus (vgl. Wannagat, Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts, I. Band, 1965, S. 343). Daher sind auch solche Personen, die nicht Handwerker, aber in die Handwerksrolle eingetragen sind, an sich, nämlich im Sinne des § 1 Abs. 1 HwVG, versicherungspflichtig. Entscheidend dafür, ob jemand nach § 1 Abs. 1 HwVG versicherungspflichtig ist, ist demnach, daß er in die Handwerksrolle eingetragen ist (Elsholz/Theile, Die gesetzliche Rentenversicherung, S. 12 Nr. 8 Anm. 12 zu § 1 HwVG). Für diese Auslegung der Vorschrift sprechen auch praktische Erwägungen. Die Versicherungsträger sollen bei ihrer Entscheidung, ob jemand in der Handwerkerversicherung versicherungspflichtig ist, nicht auf unter Umständen schwierige, zeitraubende und kostspielige Ermittlungen über die Handwerkereigenschaft der betreffenden Person verwiesen sein, sondern sie dürfen sich auf die wesentlich einfachere und schneller mögliche Feststellung beschränken, ob die in Betracht kommende Person in die Handwerksrolle eingetragen ist. Der Versicherungsträger hat dabei auch nicht zu prüfen, aufgrund welcher gesetzlichen Vorschrift die jeweilige Eintragung vorgenommen worden ist und ob sie zu Recht besteht.
Auf den Fall der Klägerin übertragen bedeutet dies: Die Klägerin ist an sich versicherungspflichtig nach § 1 Abs. 1 HwVG, weil sie - aufgrund des § 3 Abs. 2 der 3. Verordnung über den vorläufigen Aufbau des deutschen Handwerks vom 18. Januar 1935 (RGBl I 15) - in die Handwerksrolle eingetragen ist.
Die Klägerin, die in der Handwerkerversicherung nicht beitragspflichtig sein möchte, kann sich auch nicht mit Erfolg unmittelbar auf Vorschriften über die Versicherungsfreiheit berufen. Abgesehen davon, daß keine der die Versicherungsfreiheit regelnden Vorschriften der §§ 1228 und 1229 der Reichsversicherungsordnung, die auch in der Handwerkerversicherung anzuwenden sind (§ 2 Abs. 1 HwVG), in Betracht kommt, ergibt sich auch aus den die Versicherungsfreiheit in der Handwerkerversicherung betreffenden besonderen Regelungen des § 2 Abs. 1 HwVG nichts dafür, daß die Klägerin versicherungsfrei ist: Sie ist nicht als Inhaber eines handwerklichen Nebenbetriebes in die Handwerksrolle eingetragen (Nr. 1 aaO); sie führt nicht als Nachlaßverwalter, Nachlaßpfleger, Nachlaßkonkursverwalter oder Testamentsvollstrecker einen Handwerksbetrieb (Nr. 2 aaO); sie ist nicht als Erbe oder in ungeteilter Erbengemeinschaft in die Handwerksrolle eingetragen (Nr. 3); sie ist nicht Witwe, so daß bereits diese Voraussetzung für die Versicherungsfreiheit nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 HwVG entfällt, wonach versicherungsfrei Witwen und Witwer für die Zeit nach dem Tode ihres Ehegatten sind, wenn sie dessen Handwerksbetrieb fortführen, es sei denn, daß sie im Zeitpunkt des Todes ihres Ehegatten nach § 1 HwVG versichert waren; schließlich ist die Klägerin nicht als Arbeitnehmer versicherungspflichtig (Nr. 5 aaO). Die auf den Fall der Klägerin am ehesten anwendbar erscheinende Vorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 3 HwVG kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil die Klägerin nicht als Erbe, sondern kraft einer Ausnahmebewilligung gemäß § 3 Abs. 2 der 3. Verordnung über den vorläufigen Aufbau des deutschen Handwerks vom 18. Januar 1935 (RGBl 1935 I 15) in die Handwerksrolle eingetragen worden ist. Für denjenigen, der aufgrund der genannten Bestimmung in die Handwerksrolle eingetragen ist, sieht das HwVG auch nicht an sonstiger Stelle Versicherungsfreiheit vor. Die Übergangsvorschrift des § 7 HwVG, bei der am ehesten eine solche Regelung zu vermuten gewesen wäre, schweigt dazu.
Wenn hiernach eine unmittelbare Anwendung der Vorschrift des § 2 Abs. 1 HwVG über die Versicherungsfreiheit auf die Klägerin ausscheidet, so ist doch die entsprechende Anwendung der Vorschrift auf die Klägerin aus dem der Vorschrift zugrunde liegenden Grundgedanken heraus geboten. Zu diesem Ergebnis ist mit Recht schon das LSG gelangt. Es hat dies im wesentlichen damit begründet, die einzelnen Vorschriften des § 2 HwVG seien nur Anwendungsfälle eines allgemeineren Grundsatzes, nämlich des Grundsatzes, daß jene in die Handwerksrolle eingetragenen Personen versicherungsfrei sein sollten, die ihren Betrieb nicht persönlich, sondern nur durch einen Betriebsleiter führen dürften. Gegen diese Begründung bestehen allerdings Bedenken. Es trifft nämlich nicht zu, daß alle in § 2 Abs. 1 HwVG aufgeführten Personen die Betriebe nur durch einen Betriebsleiter führen durften bzw. dürfen. Nach der Handwerksordnung in ihrer in der hier streitigen Zeit (Januar bis April 1962) geltenden Fassung vom 17. September 1953 (BGBl I 1411) konnten vielmehr nach dem Tode eines selbständigen Handwerkers der Ehegatte, minderjährige Erben, Nachlaßverwalter, Nachlaßpfleger und Testamentsvollstrecker bis zum Ablauf eines Jahres seit dem Tode des selbständigen Handwerkers den Betrieb persönlich, ohne einen Meister oder eine einem solchen nach § 7 Abs. 2 gleichgestellte Person als Betriebsleiter, führen (§ 4 der Handwerksordnung idF vom 17. September 1953), und in § 4 der Handwerksordnung idF vom 28. Dezember 1965 (BGBl 1966 I 2) ist diese Befugnis im ganzen sogar noch erweitert worden. Das Ergebnis, zu dem das LSG gelangt ist, rechtfertigt sich jedoch aus den folgenden Erwägungen: Die in § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 HwVG aufgeführten Personen gehören durchweg nicht zu dem Personenkreis, dessen Unterstellung unter den Schutz der Rentenversicherung der Arbeiter der eigentliche Zweck des HwVG ist, nämlich zu den nicht schon als Arbeitnehmer versicherungspflichtigen (§ 2 Abs. 1 Nr. 5 HwVG) selbständigen Handwerkern, sondern sie sind durch besondere Umstände in eine Beziehung zu einem Handwerksbetrieb getreten, die nur eine lockere ist, locker entweder insofern, als sie lediglich vorübergehend besteht, oder insofern, als sie nur nebenbei - dies ist der Fall des handwerklichen Nebenbetriebes (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 HwVG) - oder insofern, als sie nur durch Vermittlung eines Handwerkers als Betriebsleiters besteht. Nach § 4 der Handwerksordnung sowohl in der Fassung vom 17. September 1953 als auch in der Fassung vom 28. Dezember 1965 können nämlich Nachlaßverwalter, Nachlaßpfleger, Nachlaßkonkursverwalter, Testamentsvollstrecker, Erben - diese, soweit sie nicht wegen Überschreitung bestimmter Altersgrenzen überhaupt ausscheiden -, Witwen und Witwer nach dem Tode eines selbständigen Handwerkers den Betrieb nur vorübergehend allein fortführen, nach einer Frist von in der Regel einem Jahr aber nur noch vermittels eines Handwerkers als des eigentlichen Betriebsleiters. Dadurch wiederum, daß nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 HwVG der als Erbe in die Handwerksrolle Eingetragene dann, wenn er in dem nachgelassenen Handwerksbetrieb tätig ist, nicht versicherungsfrei ist, hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, daß nach seinen Vorstellungen die Tätigkeit des Erben in dem Betriebe eine so enge Verbindung zu diesem schafft, daß die Beziehung des Erben zu dem Betrieb anders als, wie dargelegt, bei dem nicht im Betriebe tätigen Erben nicht mehr als locker angesehen werden kann.
Ist es hiernach der Grundgedanke des § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 HwVG, daß versicherungsfrei sein soll, wer zu dem Handwerksbetrieb nur eine in dem dargelegten Sinne lockere Beziehung hat, so muß in Anwendung dieses Grundgedankens auch die Klägerin als in der streitigen Zeit versicherungsfrei angesehen werden, wenn in dieser Zeit auch bei ihr nur eine in diesem Sinne lockere Beziehung zu dem von ihr fortgeführten Betriebe bestanden hat. Dies ist dann zu bejahen, wenn sie in der streitigen Zeit nicht in dem Betriebe tätig gewesen ist. Denn da sie die in Rede stehende Schuhmacherei nur vermittels eines Schuhmachermeisters als des eigentlichen Betriebsleiters fortführen durfte, stand sie insofern zu dem Betriebe nur in lockerer Beziehung; da sie aber als in die Handwerksrolle eingetragene Tochter ihres als Witwer verstorbenen Vaters dessen Betrieb fortführte, gleicht ihr Fall am ehesten dem des in die Handwerksrolle eingetragenen Erben (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 HwVG), und deshalb kann bei ihr wie bei dem Erben nach der Vorstellung des Gesetzgebers dann nicht von einer nur lockeren Beziehung zum Betrieb gesprochen werden, wenn diese Beziehung durch ihre Mitarbeit im Betriebe wiederum enger gestaltet war. Hierauf also kommt es maßgeblich an, ob die Klägerin in der streitigen Zeit in dem Betriebe tätig war. War sie es nicht, so war sie versicherungs- und beitragsfrei; war sie es, so kann die Vorschrift des § 2 Abs. 1 HwVG über die Versicherungsfreiheit auch nicht entsprechend auf sie angewendet werden. Da in dieser Beziehung das Berufungsgericht keine tatsächlichen Feststellungen getroffen hat, das Revisionsgericht solche aber nicht treffen kann, muß das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG). Es wird die fehlenden Feststellungen noch zu treffen haben.
Die Entscheidung über die Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahren bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen