Leitsatz (amtlich)
1. Die Zustimmung des Betreuten zur Durchführung von Rehabilitationsmaßnahmen (RVO § 1237 Abs 6) ist eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung.
2. Der Anspruch auf Heilbehandlung wegen Tuberkulose nach RVO § 1244a Abs 3 entfällt gemäß Abs 7 S 3, wenn der Berechtigte auf öffentliche Kosten wegen Geisteskrankheit in Anstaltspflege untergebracht ist. Trägt der Untergebracht selbst die Kosten, so bleibt der Rentenversicherungsträger zur Gewährung der Heilbehandlung verpflichtet, soweit die Maßnahmen "wegen Tuberkulose" (RVO § 1244a Abs 1) durchzuführen sind.
Normenkette
RVO § 1237 Abs. 6 Fassung: 1957-02-23, § 1244a Abs. 3 Fassung: 1959-07-23, Abs. 7 S. 3 Fassung: 1959-07-23, Abs. 1 Fassung: 1959-07-23; BSHG § 130 Abs. 1; TbcG § 23
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 8. Juni 1964 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Es war zu entscheiden, ob die beklagte Landesversicherungsanstalt der Klägerin während ihrer Unterbringung wegen Geisteskrankheit in der geschlossenen psychiatrischen Tbc-Abteilung des Landeskrankenhauses H Heilbehandlung wegen Tbc für die Zeit vom 1. Oktober 1959 zu gewähren hat (§ 1244 a der Reichsversicherungsordnung - RVO -).
Die 1896 geborene Klägerin litt an offener Lungen-Tbc. Sie ist wegen Schizophrenie entmündigt. Zunächst war sie im Kreis-Tbc-Pflegeheim K. Ende 1952 wurde sie wegen der zusätzlich aufgetretenen Geisteskrankheit in die geschlossene psychiatrische Tbc-Station des Landeskrankenhauses verlegt.
Die Klägerin bezieht verschiedene Renten, und zwar von der Beklagten Versichertenrente aus der Arbeiterrentenversicherung (ArV), von der Bundesbahn-Versicherungsanstalt Witwenrente und Zusatzrente und nach dem Lastenausgleichsgesetz Entschädigungsrente und Unterhaltshilfe.
Die Beklagte hatte bis zum 31. August 1955 die gesamten Behandlungskosten im Landeskrankenhaus auf Grund der Tbc-Hilfe-Verordnung vom 8. September 1942 und der Richtlinien über das Tbc-Versorgungswerk der Rentenversicherung vom 10. Juni 1943 übernommen. Vom 1. September 1955 an trug sie nur noch den Unterschiedsbetrag zwischen dem Anstaltspflegesatz für Geisteskranke und dem Pflegesatz für Tbc-Kranke (Tbc-Mehrkosten). Sie stellte die Zahlung der Tbc-Mehrkosten nach Erlaß des Gesetzes über die Tuberkulosehilfe vom 23. Juli 1959 (THG) zum 30. September 1959 ein. Die Klägerin bezahlte hierauf selbst die Unterbringung in der geschlossenen Tbc-Abteilung des Landeskrankenhauses.
Der Beigeladene lehnte gegenüber dem Landeskrankenhaus die Tragung der Unterbringungskosten mit der Begründung ab, daß durch § 23 THG dem Landesfürsorgeverband als Träger der Geisteskrankenfürsorge nur die Durchführung der Tbc-Heilbehandlung für die in seiner Fürsorge stehenden hilfsbedürftigen Geisteskranken auferlegt sei; die Klägerin sei aber als Selbstzahlerin nicht hilfsbedürftig.
Die Klägerin beantragte bei der Beklagten, ihr Heilbehandlung wegen der Tbc zu gewähren (April 1961). Die Beklagte lehnte dies mit der Begründung ab, die Klägerin befinde sich in einer geschlossenen Krankenanstalt; sie sei tatsächlich "auf öffentliche Kosten in Anstaltspflege untergebracht" und der verpflichtete Kostenträger nehme das Einkommen der Klägerin zur teilweisen oder vollen Deckung der Unterbringungskosten in Anspruch (Bescheid vom 28. Juli 1961). Die Klägerin meint, sie sei nicht "auf öffentliche Kosten" im Sinne des § 23 THG in Anstaltspflege untergebracht; denn sie sei nicht hilfsbedürftig im fürsorgerechtlichen Sinne. Infolge ihrer Renteneinkünfte habe sie sämtliche durch ihren Aufenthalt im Landeskrankenhaus entstehenden Kosten selbst tragen können.
Das Sozialgericht (SG) Lübeck hat den Bescheid vom 28. Juli 1961 aufgehoben und die Beklagte für verpflichtet erklärt, der Klägerin mit einem neuen Bescheid vom 1. Oktober 1959 an Heilbehandlung gemäß § 1244 a RVO zu gewähren.
Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 8. Juni 1964). Es hat im wesentlichen - sinngemäß - ausgeführt, der Rechtsanspruch der Klägerin auf Heilbehandlung wegen Tbc nach § 1244 a Abs. 1 und 3 RVO sei nicht durch Abs. 7 Satz 3 aaO ausgeschlossen. Die Klägerin sei zwar in der geschlossenen psychiatrischen Abteilung des Landeskrankenhauses untergebracht. Doch genüge dies nicht, um eine Kostenbefreiung der Beklagten herbeizuführen; denn die Klägerin sei nicht auf öffentliche Kosten untergebracht (§ 23 THG, § 130 Abs. 1 des Bundessozialhilfegesetzes - BSHG -), sondern habe die Anstaltsunterbringung im vollen Umfang selbst bezahlt. Die Landesfürsorgeverbände seien bis zum Inkrafttreten des BSHG nur verpflichtet gewesen, für den notwendigen Lebensbedarf hilfsbedürftiger, anstaltspflegebedürftiger Geisteskranker zu sorgen, die den notwendigen Lebensbedarf nicht aus eigenen Mitteln beschaffen könnten (§ 1 der 4. VO zur Vereinfachung des Fürsorgerechts vom 9. November 1944 - RGBl I 323; Ziffer 7 Abs. 1 Satz 1 der Fürsorgerechtsvereinbarung vom 18. September 1947/3. Mai 1949; § 5 der Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge vom 1. August 1931/20. August 1953/4. Juli 1957). Einkommen und Vermögen der Klägerin hätten jedoch ausgereicht, ihren Lebensbedarf im Landeskrankenhaus zu decken. Die Klägerin habe deshalb keinen Anspruch gegen das beigeladene Landessozialamt nach Fürsorgerecht. Sie gelte zu Recht als Selbstzahler.
Die Beklagte hat Revision eingelegt und beantragt, das Urteil des LSG und das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Urteil des LSG dahin abzuändern, daß als Heilbehandlung im Sinne des § 1244 a Abs. 3 RVO für die Dauer der Unterbringung der Klägerin in der psychiatrischen Tbc-Abteilung des Landeskrankenhauses H vom 1. Oktober 1959 bis 31. März 1965 nur die aussonderungsfähigen, auf die Behandlung der Tbc gerichteten medizinischen Maßnahmen zu gewähren sind bzw. für die gewährten Maßnahmen die Kosten zu tragen sind.
Die Beklagte rügt eine Verletzung des § 1244 a Abs. 7 Satz 3 RVO. Sie ist - sinngemäß - der Auffassung, die Klägerin könne Heilbehandlungsmaßnahmen nach §§ 1236 ff RVO nicht empfangen, denn sie könne als Geschäftsunfähige Heilbehandlungsmaßnahmen nicht wirksam zustimmen (§ 1237 Abs. 6 RVO). Die Unterbringung eines Geisteskranken in einer Anstalt entziehe dem Versicherungsträger die seinem pflichtgemäßen Ermessen anvertraute Entscheidung über Art und Maß der Leistungen (§ 1244 a Abs. 5 RVO). Der Versicherungsträger könne seiner Verantwortung gegenüber dem Betreuten nicht genügen, wenn dieser in einer Anstalt verwahrt sei und er - der Versicherungsträger - keinen Einfluß auf die Behandlung habe. Mit der Verweisung in § 1244 a Abs. 7 RVO auf § 23 THG (§ 130 BSHG) werde der Begriff der Anstaltspflege lediglich in bezug auf die zur Unterbringung führenden regelwidrigen geistigen Zustände interpretiert. Das Merkmal "auf öffentliche Kosten" in § 23 THG, § 130 BSHG gehöre nicht zum Begriff der Anstaltspflege im Sinne des § 1244 a Abs. 7 RVO. Wenn aber von den Urteilen der Vorinstanzen ausgegangen werde, müsse der Urteilsspruch dahin ausgelegt werden, daß sie - die Beklagte - die gesamten Kosten zu tragen habe. Dazu sei sie nicht verpflichtet; denn Heilbehandlung nach § 1244 a RVO könnten nur die auf die Tbc-Behandlung gerichteten spezifischen Maßnahmen sein.
Das beigeladene Landessozialamt beantragt, die Revision zurückzuweisen. Es meint, der Vormund der Klägerin habe der Heilbehandlung rechtswirksam zugestimmt. Die Deutung des § 1244 a Abs. 7 Satz 3 RVO in Verbindung mit § 23 THG durch die Revision widerspreche dem Wortlaut des Gesetzes. Selbstzahler seien nicht im Sinne des § 23 THG untergebracht. Die Beklagte müsse die gesamten Kosten tragen, die durch den Aufenthalt im Landeskrankenhaus entstanden seien. Es mache keinen Unterschied, daß die Heilbehandlung wegen der später aufgetretenen Geisteskrankheit in der psychiatrischen Tbc-Abteilung fortgesetzt worden sei.
Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten.
II
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Der Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Heilbehandlung wegen Tbc ist nicht entfallen. Die Klägerin war nicht im Sinne des § 1244 a Abs. 7 Satz 3 RVO in Anstaltspflege untergebracht, weil die Unterbringung nicht auf öffentliche Kosten erfolgt ist.
Der Anspruch der Klägerin ist nach § 1244 a RVO für die Zeit vom 1. Oktober 1959 bis 31. Mai 1962 i.V.m. § 23 THG und für die Zeit vom 1. Juni 1962 an i.V.m. § 130 BSHG (§§ 139 Abs.1, 153 Abs. 1 und 2 Nr. 5 BSHG) zu beurteilen.
Unbestritten erfüllt die Klägerin nach den Feststellungen des LSG an sich die Voraussetzungen des § 1244 a Abs. 1 und 3 RVO für einen Anspruch gegen die Beklagte auf Maßnahmen nach §§ 1236 ff RVO, weil sie Rente von der Beklagten erhält und an aktiver behandlungsbedürftiger Tbc erkrankt war.
Die Durchführung von Heilbehandlung als einer Maßnahme im Sinne der §§ 1236, 1237 Abs. 1 und 2 RVO bedarf gemäß § 1237 Abs. 6 RVO der Zustimmung des Betreuten. Dies ergibt sich aus dem Hinweis in § 1244 a Abs. 1 RVO auf §§ 1236 bis 1244 RVO.
Die Zustimmung ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, also ein Rechtsgeschäft. Sie kann als Rechtsgeschäft nicht von einem Geschäftsunfähigen (einem Entmündigten) abgegeben werden (§§ 104, 105 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -), sondern an dessen Stelle nur vom gesetzlichen Vertreter des Geschäftsunfähigen wirksam erteilt werden. Sie kann auch durch schlüssige Handlungen des gesetzlichen Vertreters erfolgen, wie dies hier nach den Tatsachenfeststellungen des LSG zumindest der Fall ist. Die Deutung der Zustimmung nach § 1237 Abs. 6 RVO als rechtsgeschäftliche Willenserklärung steht in Einklang mit anderen Vorschriften der RVO, die die Zustimmung zu verschiedenen Maßnahmen vorschreiben, wie § 184 Abs. 1, § 185 Abs.1 und § 559 Abs. 1 RVO. § 184 Abs. 2 RVO läßt in Ergänzung von Abs. 1 ausdrücklich die Zustimmung eines Minderjährigen über 16 Jahren genügen. Diese Ausnahmevorschrift wäre überflüssig, wenn die Zustimmung etwa nur als "Einwilligung", die das Einverständnis mit einem an sich widerrechtlichen Eingriff in geschützte Rechtsgüter beinhaltet, anzusehen wäre und für die es genügt, wenn der Einwilligende die geistige und sittliche Reife besitzt, um die Bedeutung und Tragweite der Gestattung des Eingriffs zu ermessen (vgl. BGHZ 29, 33; BGH in Lindenmaier-Möhring § 839 BGB (Fc) Nr. 15; Schmidt-Futterer in DÖV 1967, 334; Kroll in FamRZ 1967, 547; Heinze in "Die AV" 1965, 225; Jantz-Zweng, Rentenversicherung, Kommentar, 2. Aufl., Anm. VI zu § 1237 RVO; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S. 664 t, u des 28. Nachtrages; Gesamtkommentar zur RVO, Anm. 5 zu § 184, Anm. 3 zu § 185 RVO; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Anm. 5 c zu § 184, Anm. 5 zu § 185 RVO; vgl. auch § 1311 Abs. 2 RVO aF). Die "Zustimmung" zu Rehabilitationsmaßnahmen umfaßt mehr als die "Einwilligung" in einen an sich widerrechtlichen Eingriff; denn sie enthält auch eine Anerkennung des Zwecks der Rehabilitationsmaßnahmen - Verhinderung oder Beseitigung von Berufsunfähigkeit usw. -.
Von dem Erfordernis der Zustimmung als rechtsgeschäftlicher Willenserklärung nach § 1237 Abs. 6 RVO ist die Frage zu trennen, welche einzelnen Heilbehandlungsmaßnahmen nach § 1244 a Abs. 3 RVO bei einem geisteskranken Anspruchsberechtigten im Hinblick auf seine eingeschränkte Einsichts- und Mitwirkungsfähigkeit durchführbar, zweckmäßig und erfolgversprechend sind. Dies hat der Rentenversicherungsträger nach seinem pflichtgemäßen Ermessen, das er bei der Entscheidung über Art und Maß der Leistungen nach § 1244 a Abs. 5 RVO anzuwenden hat, zu bestimmen.
Nach § 1244 a Abs. 7 Satz 3 RVO entfällt der Anspruch auf Heilbehandlung nach Abs. 3 "bei Unterbringung in Anstaltspflege im Sinne des § 23 THG" (§ 130 BSHG). § 23 THG bestimmt: Ist ein Kranker wegen Geisteskrankheit, Geistesschwäche, Epilepsie, Suchtkrankheit oder auf Grund des § 42 b oder des § 42 c Strafgesetzbuch auf öffentliche Kosten in Anstaltspflege untergebracht, so gewährt der für diese Unterbringung zuständige Kostenträger während der Unterbringung auch die Heilbehandlung nach § 2 THG. § 130 BSHG bestimmt: Ist ein Tbc-Kranker wegen Geisteskrankheit, Geistesschwäche, Epilepsie oder Suchtkrankheit auf öffentliche Kosten in Anstaltspflege untergebracht, so ist ihm während der Unterbringung auch Heilbehandlung von dem für diese Unterbringung zuständigen Kostenträger zu gewähren.
Die Voraussetzung des § 1244 a Abs. 7 Satz 3 RVO der Unterbringung in Anstaltspflege wegen Geisteskrankheit ist nach den Feststellungen des LSG gegeben. Zwar konnte die Klägerin 1952 noch nicht nach dem in Schleswig-Holstein gemäß Art. 104 des Grundgesetzes erlassenen Gesetz über die Unterbringung von psychisch Kranken und Süchtigen vom 26. August 1958 (GVBl S. 271, Unterbringungsgesetz - UnterbrG) untergebracht werden. Jedoch wird für die hier in Frage kommende Zeit seit 1. Oktober 1959 die Unterbringung der Klägerin in der geschlossenen Abteilung letzten Endes vom UnterbrG getragen, gleichgültig, ob die Unterbringung nachträglich durch gerichtliche Entscheidung angeordnet worden ist oder ob eine solche Entscheidung etwa wegen allseitigen Einverständnisses der Beteiligten mit der Unterbringung und vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung nicht eingeholt worden ist (§§ 1, 2, 15, 27 UnterbrG; § 1800 Abs. 2 BGB idF vom 11. August 1961 - BGBl I 1221; BVerfG 10, 302 ff; Schmidt-Futterer in DÖV 1967, 334; Kroll in FamRZ 1967, 547).
Die weitere Voraussetzung nach § 1244 a Abs. 7 Satz 3 RVO "im Sinne des § 23 THG" umfaßt auch das Tatbestandsmerkmal des § 23 THG "auf öffentliche Kosten" (entsprechendes gilt für § 130 BSHG). Dies ergibt nicht nur, wie keiner näheren Darlegung bedarf, der klare Wortlaut des § 1244 a Abs. 7 Satz 3 RVO in Verbindung mit § 23 THG, es geht auch aus dem Sinn und Zweck der Vorschriften und dem Vergleich mit der Regelung im THG und BSHG hervor.
In § 1 Abs. 1 THG ist ein grundsätzlicher Anspruch auf Tbc-Hilfe niedergelegt. Er besteht jedoch nicht, soweit die erforderliche Hilfe anderweitig gesetzlich sichergestellt ist oder nach den wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen im Einzelfall (§ 11 THG) nicht erforderlich ist (§ 1 Abs. 1 Satz 2 THG). Der Anspruch nach dem THG ist also nur subsidiär und hängt von einer bestimmten "Bedürftigkeit" ab.
Nach § 23 THG wird bei den auf öffentliche Kosten wegen Geisteskrankheit usw. Untergebrachten der für diese Unterbringung zuständige Kostenträger auch zum Kostenträger für die Tbc-Heilbehandlung nach § 2 THG bestimmt. Dieser Kostenträger wird also verpflichtet, die Tbc-Heilbehandlung im gleichen Umfang wie der insoweit befreite Tbc-Hilfeträger nach dem THG zu gewähren. Durch diese im THG positiv ausgesprochene zusätzliche Verpflichtung des öffentlichen Kostenträgers für die Anstaltsunterbringung wegen Geisteskrankheit wird der Anspruch des Kranken nach dem THG, den er ohne die Geisteskrankheit hätte, nicht eingeschränkt.
Entsprechend bestimmt auch § 130 BSHG positiv, daß ein anderer Kostenträger anstelle des Sozialhilfeträgers nach dem BSHG die Tbc-Heilbehandlung zusätzlich zu gewähren hat.
Die Regelung nach § 1244 a Abs. 7 Satz 3 RVO ist jedoch anders als nach § 23 THG, § 130 BSHG. Während im THG und im BSHG ausdrücklich statt des Tbc-Hilfeträgers der andere für die Geisteskrankenunterbringung zuständige Kostenträger auch für die Tbc-Heilbehandlung verpflichtet wird, ist § 1244 a Abs. 7 Satz 3 RVO nur dahin gefaßt, daß der Anspruch des Rentners auf Heilbehandlung nach Abs. 3, also gegen den Rentenversicherungsträger, entfällt. Da § 1244 a Abs. 1 und 3 RVO dem Rentner einen Rechtsanspruch auf Tbc-Heilbehandlung unabhängig von dessen Bedürftigkeit gibt, würde es eine Schlechterstellung des Rentners bedeuten, wenn nach § 1244 a Abs. 7 Satz 3 RVO dieser Anspruch entfiele, ohne daß ein gleichwertiger Anspruch gegen einen anderen Kostenträger bestünde. Der tbc-kranke Rentner, der zudem noch geisteskrank und deshalb in Anstaltspflege untergebracht ist, würde sich schlechter stehen als der Rentner, der nur tbc-krank ist. Diese Rechtsfolge ist nach Sinn und Zweck des § 1244 a RVO nicht gewollt. Schon deshalb muß das Merkmal "auf öffentliche Kosten" auch bei § 1244 a Abs. 7 Satz 3 RVO gegeben sein.
Der Grund, weshalb in § 23 THG der öffentliche Kostenträger für die Anstaltspflege des Geisteskranken für zuständig anstelle des Tbc-Hilfeträgers nach § 7 THG (§ 100 BSHG) bestimmt wird, ist im Entwurf des § 23 THG (§ 24 des Entwurfs) dargelegt (Dtsch. Bundestag, 3. Wahlperiode, Stenographische Berichte S. 3539 D bis 3541 D, Umdruck 236): Es soll vermieden werden, daß zwei öffentliche Kostenträger gleichzeitig für die Betreuung eines Kranken tätig werden; deshalb soll in den Fällen des § 23 THG der für die Unterbringung zuständige Kostenträger die während der Unterbringung entstehenden Kosten der Heilbehandlung im Sinne des § 2 THG tragen unter Ausschaltung des Rückgriffs auf einen anderen nach sonstigen Vorschriften in Betracht kommenden Kostenträger (BT-Drucks. III/349). Danach soll das Eingreifen mehrerer öffentlicher Kostenträger verhindert, aber nicht der Anspruch des Kranken beeinträchtigt werden. Wenn nicht mehrere öffentliche Kostenträger für einen Kranken zuständig sind, wenn also der Kranke die Kosten der Anstaltspflege wegen Geisteskrankheit selbst zu tragen hat, besteht nach der Begründung zu § 23 THG somit kein Grund, den Kostenträger für die Tbc-Heilbehandlung der Vereinfachung halber zu befreien.
Das Verhältnis des Rentenversicherungsträgers zu einem öffentlichen Kostenträger für die Anstaltsunterbringung des geisteskranken Tbc-Kranken ist in der gleichen Weise geregelt wie das Verhältnis des Tbc-Hilfeträgers (§ 7 THG, § 100 BSHG) zu dem Kostenträger für die Anstaltsunterbringung des Geisteskranken. Nur dies kann der Hinweis auf § 23 THG in § 1244 a Abs. 7 Satz 3 RVO bedeuten. Daher muß nach Sinn und Zweck der zu vergleichenden Vorschrift des THG (BSHG) und der RVO die Bezugnahme in § 1244 a Abs. 7 Satz 3 RVO auf § 23 THG auch die dort enthaltene Voraussetzung für die Befreiung des Tbc-Hilfeträgers (nach § 7 THG, § 100 BSHG) umfassen, nämlich das Vorhandensein eines öffentlichen Kostenträgers für die Unterbringung wegen Geisteskrankheit; d.h. der Tbc-Kranke muß wegen der Geisteskrankheit "auf öffentliche Kosten" untergebracht sein.
Da die Klägerin die Kosten der Anstaltspflege selbst gezahlt hat, ist sie nicht auf öffentliche Kosten untergebracht. Auch nach dem UnterbrG hätte hier kein öffentlicher Kostenträger für die Klägerin eintreten müssen. Nach § 25 Abs. 1 UnterbrG trägt der Betroffene die Kosten der Unterbringung. Nur wenn ein Untergebrachter nicht imstande ist, selbst die Kosten der Unterbringung zu tragen, also "hilfsbedürftig" im Sinne der Fürsorge- bzw. Sozialhilfevorschriften ist, tritt der Sozialhilfeträger ein. Die Grundsätze der Hilfsbedürftigkeit und der Subsidiarität der Fürsorge (§§ 1, 5 der Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge) gelten auch für anstaltspflegebedürftige Geisteskranke. § 21 b der Verordnung über Fürsorgepflicht betraf nur Fälle, in denen der untergebrachte Geisteskranke den Kostenbedarf nicht aus eigenen Mitteln beschaffen kann. Auch § 1 der Vierten Verordnung zur Vereinfachung des Fürsorgerechts vom 9. November 1944 betraf nur "hilfsbedürftige" Geisteskranke, ebenso Ziff. 7 der Fürsorgerechtsvereinbarung idF vom 3. Mai 1949. Nach dem BSHG besteht für untergebrachte Geisteskranke keine von den allgemeinen Vorschriften abweichende Regelung der Kostentragungspflicht (siehe Abschn. 3 "Hilfe in besonderen Lebenslagen" des BSHG).
Da die Klägerin somit nicht "auf öffentliche Kosten" wegen Geisteskrankheit untergebracht war, ist ihr Anspruch gegen die Beklagte auf Heilbehandlung wegen Tbc nicht nach § 1244 a Abs. 7 Satz 3 RVO entfallen.
Zwar entstehen bei Anstaltspflege wegen Geisteskrankheit und gleichzeitiger behandlungsbedürftiger Tbc auch dann gewisse Schwierigkeiten, wenn der Kranke nicht auf öffentliche Kosten untergebracht ist, indem nämlich bei der Anstaltspflege wegen Geisteskrankheit gleichzeitig auch die Behandlung der Tbc bestimmt werden muß. Diese Schwierigkeiten können aber nicht den Wegfall des Anspruches des Rentners gegen den Rentenversicherungsträger auf Heilbehandlung wegen Tbc begründen, ohne daß der Rentner dafür einen Anspruch gegen einen anderen Kostenträger hat. Der Anspruch des Rentners gegen den Rentenversicherungsträger auf Heilbehandlung "wegen Tbc" bleibt vielmehr bestehen. Er wird aber anderseits nicht erweitert. Die Worte in § 1244 a Abs. 1 RVO "Anspruch auf die Maßnahmen ... wegen dieser Erkrankung" (aktive behandlungsbedürftige Tbc) bedeuten, daß der Rentenversicherungsträger nur diejenigen Heilbehandlungsmaßnahmen zu tragen hat, die wegen der Tbc gewährt werden. Die Verpflichtung des Rentenversicherungsträgers kann nach § 1244 a RVO nicht dadurch ausgedehnt werden, daß der tbc-kranke Rentner auch geisteskrank ist und auch deswegen in Anstaltspflege untergebracht ist.
Das Urteil des 4. Senats des Bundessozialgerichts vom 31. Januar 1967 - 4 RJ 475/65 (SozR Nr. 4 zu § 1244 a RVO, dazu Graf in Zeitschrift für Sozialhilfe 1967, 312) steht dieser Entscheidung nicht entgegen. Der Ablehnung des Erstattungsanspruchs des Sozialhilfeträgers gegen den Rentenversicherungsträger liegt dort die Auffassung zugrunde, daß die zwangsweise Absonderung des undisziplinierten tbc-kranken Rentners auf Anordnung des Amtsgerichts nach § 37 des Bundesseuchengesetzes (BSeuchenG) eine sicherheitspolizeiliche Maßnahme ist und der Rentner der Durchführung einer Heilbehandlung im Sinne des § 1237 RVO nicht zugestimmt hat. Nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Buchst. d des BSeuchenG werden die Kosten der zwangsweisen Absonderung (§ 37 BSeuchenG) aus öffentlichen Mitteln bestritten, soweit nicht auf Grund anderweitiger gesetzlicher Vorschriften ... Dritte zur Kostentragung verpflichtet sind (vgl. auch die Begründung zum Entwurf des § 62 BSeuchenG - § 61 des Entwurfs, desgl. zu § 48 des Entwurfs mit dem Hinweis auf das THG, BT-Drucks. III/1888). Das BSeuchenG greift im vorliegenden Falle nicht ein; denn die Klägerin war nicht wegen der Tbc zwangsweise auf Grund des BSeuchenG abgesondert.
Das LSG hat mit der Bestätigung des Urteils des SG nicht entschieden, daß die Beklagte sämtliche Kosten der Behandlung und Unterbringung im Landeskrankenhaus einschließlich der die Behandlung der Geisteskrankheit betreffenden Kosten zu tragen habe. Es hat, wie sich aus den Entscheidungsgründen ergibt, die Beklagte nur für verpflichtet erachtet, der Klägerin über den 30. September 1959 hinaus "Heilbehandlung wegen der Tbc-Erkrankung zu gewähren". Insofern entspricht das Urteil § 1244 a RVO. Über die Aufteilung der Kosten in solche, die durch die Tbc und solche, die durch die Geisteskrankheit entstanden sind, ist noch kein Verwaltungsakt ergangen. Sie war deshalb auch nicht Gegenstand des angefochtenen Urteils, und der Senat hatte in dieser Hinsicht nicht zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
Haufe-Index 2374907 |
BSGE, 280 |