Entscheidungsstichwort (Thema)
Lösung vom bisherigen Beruf
Orientierungssatz
1. Hat ein Versicherter in seinem Versicherungsleben mehrere Berufe ausgeübt, so hat er sich von einem vorangegangenen dann gelöst, wenn er nicht mehr den Willen hatte, den bisherigen Beruf auszuüben. Das kann auch dann der Fall sein, wenn der Versicherte unfreiwillig den bisherigen Beruf verlassen hat, aber sich unter dem Druck der Verhältnisse mit einem neuen, nunmehr ausgeübten Beruf endgültig abgefunden hat (vgl BSG vom 1978-04-25 5 RKn 9/77 = BSGE 46, 121).
2. Verläßt jemand einen Beruf, um sich einem höher qualifizierten und besser bezahlten zuzuwenden, so kann ohne weiteres unterstellt werden, daß dieser Berufswechsel von ihm endgültig gewollt ist. Das Lösen aus einer bisherigen Tätigkeit ist daher jedenfalls dann anzunehmen, wenn die letzte Tätigkeit im Vergleich zu der früheren Tätigkeit die höchst entlohnte ist und sie in nennenswertem Umfang während einer angemessenen Zeit ausgeübt worden ist (vgl BSG vom 1977-03-30 5 RJ 98/76 = SozR Nr 16 zu § 1246 RVO). Steigt ein Versicherter dagegen beruflich ab, so kann eher angenommen werden, daß er sich bemüht, wieder in den höher qualifizierten, besser bezahlten und höher angesehenen Beruf zurückzukehren.
Normenkette
RKG § 46 Abs 2 S 2 Fassung: 1957-05-21; RVO § 1246 Abs 2 S 2 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten Berufsunfähigkeitsrente.
Der 1922 geborene Kläger arbeitete nach der Schulentlassung 1936 als ungelernter Arbeiter in der Landwirtschaft, als Buchdruckerlehrling und als selbständiger Neubauer. Seit 1950 war er im Bergbau beschäftigt. Er war nacheinander als Schlepper, Gedingeschlepper, Lehrhauer und ab August 1953 als Hauer tätig. Von Februar 1964 bis Ende Mai 1971 übte er die Tätigkeit eines Schießmeisters aus. Anschließend arbeitete er bis November 1971 wieder als Hauer. Anfang 1972 wechselte er zu einer Unternehmerfirma, von der er bis zur letzten Schicht am 24. März 1975 als Hauer sowie vertretungsweise und nach Bedarf als Schießmeister eingesetzt und entlohnt wurde.
Im Mai 1976 beantragte er Erwerbsunfähigkeitsrente. Die Beklagte lehnte ab (Bescheid vom 8. September 1976; Widerspruchsbescheid vom 29. März 1977). Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, nach einem am 24. Mai 1977 eingetretenen Versicherungsfall die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren (Urteil vom 11. Juli 1980). Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 4. Mai 1982 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger sei zuletzt Hauer gewesen. Zwar habe er auch noch als Schießmeister gearbeitet. Doch habe der Anteil der Arbeiten als Schießmeister nicht mehr den Arbeiten als Hauer entsprochen. Gehe man davon aus, daß jährlich 240 Schichten angefallen seien, so komme man für den Kläger bei seiner letzten Tätigkeit auf etwa 780 Schichten. Selbst wenn man 250 Tage abziehe, an denen der Kläger krank gewesen sei, so stehe doch fest, daß er mit 140 Einsätzen als Schießmeister diese Tätigkeiten nicht mehr im wesentlichen Umfange verrichtet habe. Von seinem bisherigen Beruf als Schießmeister habe sich der Kläger gelöst. Denn es sei nicht ersichtlich, daß er ihn aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben habe. Als Hauer sei der Kläger wie alle anderen Facharbeiter auf Tätigkeiten verweisbar, die zu der Gruppe der "sonstigen Ausbildungsberufe" (Anlernberufe) gehörten, oder wegen der ihnen anhaftenden Qualitätsmerkmale wie diese zu bewerten seien. Als eine solche Tätigkeit komme die des Verwiegers 1 in Frage. Sie könne der Kläger ausüben. Denn er sei in der Lage, vollschichtig und regelmäßig körperlich leichte Tätigkeiten im Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen, ohne Zwangshaltungen, in geschlossenen Räumen auszuüben.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 46 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) und 1246 Reichsversicherungsordnung (RVO). Er habe sich keineswegs von dem Beruf des Schießmeisters gelöst. Er habe auch als solcher bis zuletzt gearbeitet und sei wie jeder andere Schießmeister nach Bedarf eingesetzt und höher als ein Hauer entlohnt worden.
Er beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 11. Juli 1980 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen. Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung begründet. Die vom LSG festgestellten Tatsachen reichen zu einer abschließenden Entscheidung nicht aus.
Bei der Entscheidung über die Berufsunfähigkeit ist nach § 46 Abs 2 RKG zunächst zu prüfen, welchen bisherigen Beruf der Kläger ausgeübt hat. Welchen Beruf der Kläger bisher, also vor Aufgabe seiner zuletzt bis März 1975 ausgeübten Tätigkeit hatte, geht indes aus den Feststellungen des LSG nicht eindeutig hervor.
Der Kläger arbeitete, wie das LSG festgestellt hat, als Hauer, wurde jedoch auch "vertretungsweise und nach Bedarf" als Schießmeister eingesetzt und entlohnt. Diese Feststellung ist mehrdeutig. Ihr ist nicht zu entnehmen, als was der Kläger beschäftigt war. Der Kläger kann als Hauer beschäftigt gewesen, nach Bedarf als Schießmeister eingesetzt und in dem Maße des Bedarfs entlohnt worden sein. Gemeint kann aber auch sein, daß er vorwiegend als Hauer beschäftigt, nach Bedarf als Schießmeister eingesetzt war und wegen des bedarfsweisen Einsatzes als Schießmeister durchgehend als Schießmeister entlohnt wurde. Wurde er ständig als Schießmeister entlohnt, so war er auch als Schießmeister beschäftigt. Daß die Firma, die ihn als Schießmeister angestellt hatte, ihn nicht ständig als solchen einsetzte, spielt dann keine Rolle.
Auf diese Fragen tatsächlicher Art kommt es bei der Prüfung der dem Kläger noch iS des § 46 Abs 2 Satz 2 RKG zumutbaren Verweisungstätigkeiten an. Der Hauer ist Facharbeiter und als solcher auch auf angelernte Tätigkeiten verweisbar. Der Schießmeister dagegen gehört zur Gruppe der besonders hoch qualifizierten Facharbeiter mit der rechtlichen Folge, daß er nur auf Facharbeiterberufe verweisbar ist (vgl das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des erkennenden Senats vom 31. Januar 1984 - 5a RKn 7/82 -). Ob der Kläger noch Facharbeiterberufe ausüben kann, müßte das LSG also gegebenenfalls noch feststellen.
War der Kläger nach seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit nicht Schießmeister, sondern Hauer, so ist zu prüfen, ob er sich durch diese letzte Tätigkeit vom Beruf des Schießmeisters gelöst hat. Nur dann hat er diesen höheren Beruf verloren und ist Hauer geworden. Auch hinsichtlich dieser Frage reichen die Feststellungen des LSG nicht aus. Der Kläger hat eine regelrechte Bergbaulaufbahn hinter sich. Vom Schlepper, Gedingeschlepper, über den Lehrhauer wurde er Hauer und schließlich Schießmeister. Diesen höchsten der von ihm erreichten Berufe übte er sieben Jahre lang aus. Es kann daher nicht zweifelhaft sein, daß er diese Berufsstufe erreicht hatte. Hat ein Versicherter in seinem Versicherungsleben mehrere Berufe ausgeübt, so hat er sich von einem vorangegangenen dann gelöst, wenn er nicht mehr den Willen hatte, den bisherigen Beruf auszuüben. Das kann auch dann der Fall sein, wenn der Versicherte unfreiwillig den bisherigen Beruf verlassen hat, aber sich unter dem Druck der Verhältnisse mit einem neuen, nunmehr ausgeübten Beruf endgültig abgefunden hat (vgl BSGE 46, 121 = SozR 2600 § 45 Nr 22 mwN). Verläßt jemand einen Beruf, um sich einem höher qualifizierten und besser bezahlten zuzuwenden, so kann ohne weiteres unterstellt werden, daß dieser Berufswechsel von ihm endgültig gewollt ist. Das Lösen aus einer bisherigen Tätigkeit ist daher jedenfalls dann anzunehmen, wenn die letzte Tätigkeit im Vergleich zu der früheren Tätigkeit die höchst entlohnte ist und sie in nennenswertem Umfang während einer angemessenen Zeit ausgeübt worden ist (BSG SozR Nr 16 zu § 1246 RVO). Steigt ein Versicherter dagegen beruflich ab, so kann eher angenommen werden, daß er sich bemüht, wieder in den höher qualifizierten, besser bezahlten und höher angesehenen Beruf zurückzukehren. Das LSG hat in tatsächlicher Hinsicht nicht festgestellt, daß der Kläger sich mit einer Tätigkeit abgefunden hatte, die unter der des Schießmeisters liegt. Es hat insbesondere nicht festgestellt, unter welchen Umständen er die Arbeitsstelle verlassen hat, in der er ausschließlich als Schießmeister eingesetzt wurde. Der Kläger kann zB gegen seinen Willen, etwa aus Arbeitsmangel, seine Stelle als Schießmeister verloren haben. Er kann auf der Suche gewesen sein, wenigstens teilweise wieder Schießmeister sein zu dürfen, und er kann in der letzten Stelle bestrebt gewesen sein, wieder voll als Schießmeister angestellt zu werden. Lediglich seine abnehmende Arbeitskraft kann der Grund gewesen sein, daß ihm dieser Schritt nicht mehr gelungen ist. Der Fall kann auch anders gelegen haben. Jedoch fehlt es dazu an Feststellungen. Das Wiederaufsteigen des Klägers von einer bloßen Hauertätigkeit in eine Stelle, in der der Kläger jedenfalls auch als Schießmeister arbeitete, kann aber für seinen Willen sprechen, seinen Beruf als Schießmeister auf keinen Fall aufzugeben. Dieser Frage wird das LSG in tatsächlicher Hinsicht nachgehen müssen.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen