Entscheidungsstichwort (Thema)

gesetzliche Unfallversicherung. vorläufige Rente. Bindungswirkung des Rentenbescheids. Feststellung der Gesundheitsstörung. Feststellung der Dauerrente. tatsächlicher Gesundheitszustand

 

Orientierungssatz

1. Hat der Unfallversicherungsträger im Bescheid über die vorläufige Rente eine bestimmte Gesundheitsstörung als Unfallfolge (oder als BK, § 551 Abs 3 RVO) anerkannt, so ist er hieran bei der Feststellung der Dauerrente gebunden.

2. Die in § 1585 Abs 2 S 2 Halbs 2 RVO normierte Bindungsfreiheit bezieht sich lediglich auf die Feststellungsgrundlagen im Bescheid über die vorläufige Rente, die nur die Rentenberechnung berühren, nicht aber auf die Grundlagen, die - allein oder zugleich - den Anspruch als solchen betreffen. Aus § 1585 Abs 2 S 2 Halbs 1 RVO ist nicht zu folgern, dass die erste Dauerrente ohne jede Bindung an den Bescheid über die vorläufige Rente festgestellt werden könnte, weil sonst § 1585 Abs 2 S 2 Halbs 2 RVO bedeutungslos wäre.

3. Die Feststellung einer Dauerrente nach dem tatsächlich nach bestehenden Zustand hängt nicht von dem Eintritt einer wesentlichen Besserung iS des § 622 Abs 1 RVO ab.

 

Normenkette

RVO § 1585 Abs. 2 S. 2 Hs. 1, § 1585 Abs. 2 S. 2 Hs. 2, § 622 Abs. 1aF; SGG § 77

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 30.04.1974; Aktenzeichen L 3 U 103/74)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 30. April 1974 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Der 1907 geborene Kläger arbeitete bis 1962 in der Stahlputzerei der K in O, danach in der Kantine des Hammerwerks. Durch Bescheid vom 10. Februar 1970 gewährte ihm die Beklagte vom 1. Mai 1969 an als vorläufige Rente eine Teilrente von 30 v. H. der Vollrente und führte aus, der Kläger leide an einer Lärmschwerhörigkeit beiderseits, die durch seine berufliche Beschäftigung verursacht worden sei (Berufskrankheit - BK - nach Nr. 26 zur 7. Berufskrankheiten-Verordnung - BKVO - vom 20. Juni 1968). Als Folge der BK bestehe eine mittelgradige Schwerhörigkeit beiderseits. Dem Bescheid lagen ein Gutachten des HNO-Arztes Dr. S vom 5. November 1969 und eine zustimmende Stellungnahme des Staatlichen Gewerbearztes zugrunde. (Ergebnisse der Untersuchung u. a.: Flüstersprache rechts Ø, links 0,1 m; Umgangssprache rechts 3 bis 4 m, links 4 m).

Durch Bescheid vom 9. Februar 1971 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Dauerrente ab und entzog zugleich mit Ablauf des Monats März 1971 die vorläufige Rente mit der Begründung, es bestehe noch eine geringgradige Schwerhörigkeit beiderseits, die Erwerbsfähigkeit des Klägers sei hierdurch nicht mehr in meßbarem Grade gemindert. In dem diesem Bescheid zugrundeliegenden Gutachten vom 7. Januar 1971 führte Dr. S aus, gegenüber der Untersuchung vom 5. November 1969 sei eine Besserung festzustellen; Umgangssprache habe der Kläger jetzt aus 6 m Entfernung verstanden; es liege daher beiderseits nur noch eine geringgradige Schwerhörigkeit vor. Der Staatliche Gewerbearzt äußerte in seiner Stellungnahme vom 21. Januar 1971 Bedenken, aufgrund der einmaligen Nachkontrolle die Rente ganz zu entziehen; er verwies u. a. auf die weiterhin bestehende extreme Einschränkung des Hörvermögens für Flüstersprache (rechts wie links = Ø) und auf das Fehlen eines Tonschwellen-Audiogramms; er schlug die Herabsetzung der Rente auf 20 v. H. sowie eine Nachuntersuchung nach einem Jahr vor.

Der Kläger hat Klage erhoben.

Das Sozialgericht (SG) hat nach Einholung fachärztlicher Gutachten der HNO-Ärzte Dr. Q (19. Februar 1973) und Dr. D (3. August 1973) sowie weiteren Beweiserhebungen durch Urteil vom 18. Oktober 1973 dem Antrag des Klägers entsprechend den Bescheid der Beklagten vom 9. Februar 1971 aufgehoben, festgestellt, daß eine mittelgradige Schwerhörigkeit beiderseits weiterhin Folge der BK ist und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v. H. vom 1. März 1971 an zu zahlen. Es hat ausgeführt, der Kläger leide bei einem auf 1 bis 4 m beschränkten Hörvermögen für Umgangssprache nach wie vor an einer mittelgradigen Schwerhörigkeit. Da nur von Dr. S im Januar 1971 - anders als vorher und nachher - bessere Werte ermittelt worden seien, könnten diese Feststellungen nicht zutreffen. Die Ansicht von Dr. D, die MdE von 30 v. H. beruhe zum Teil auf anlage- und altersbedingten Faktoren, sei nicht begründet. Die mittelgradige Schwerhörigkeit sei unabhängig von der damit übereinstimmenden Einschätzung im Bescheid über die vorläufige Rente auf 30 v. H. für die Dauerrente zu bemessen.

Im Berufungsrechtszug hat der Kläger auf seine Rechte aus dem Urteil des SG insoweit verzichtet, als die Beklagte zur (nochmaligen) Zahlung der Rente für den Monat März 1971 verurteilt worden ist.

Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 30. April 1974 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Klage sei auch hinsichtlich des Feststellungsantrags nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, da der Kläger ein berechtigtes Interesse daran habe, daß die einschränkende Feststellung zum Umfang der Lärmschwerhörigkeit richtiggestellt werde. Die graduellen Abstufungen von der geringgradigen Schwerhörigkeit bis zur Taubheit drückten bestimmte Einschränkungen der Hörweite für Umgangssprache aus; dabei handele es sich um eigenständige differenzierbare Krankheitsbilder wie etwa der Verlust eines Beines unterhalb oder oberhalb des Knies. Die Klage sei auch begründet. An das Anerkenntnis einer "mittelgradigen Schwerhörigkeit beiderseits" als Folge der BK im Bescheid über die vorläufige Rente sei die Beklagte gemäß § 77 SGG gebunden, und zwar grundsätzlich ohne zeitliche Beschränkung (BSG 5, 96). Für die Feststellung der Dauerrente werde diese Bindung durch § 1585 Abs. 2 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht aufgehoben. Nach dieser Vorschrift seien von der bindenden Wirkung des Bescheides über die vorläufige Rente lediglich diejenigen Feststellungsgrundlagen ausgeschlossen, die nur die Rentenberechnung berührten, nicht aber auch diejenigen, die - wie hier die anerkannte Gesundheitsstörung "mittelgradige Schwerhörigkeit beiderseits" - zugleich den Anspruch als solchen beträfen. Die Beklagte hätte deshalb nur unter den Voraussetzungen des § 622 Abs. 1 RVO bei der Feststellung der Dauerrente eine neue Feststellung zum Ausmaß der Lärmschwerhörigkeit treffen dürfen. Es sei jedoch nicht bewiesen, daß sich die Lärmschwerhörigkeit des Klägers seit der Erteilung des Bescheides vom 10. Februar 1970 objektiv wesentlich gebessert habe. Zwar habe Dr. S im Januar 1971 wesentlich bessere Werte als im November 1969 ermittelt. Bei späteren Untersuchungen nach der Feststellung der Dauerrente habe der Kläger dagegen wieder etwa dasselbe schlechtere Hörvermögen wie 1969 oder ein noch schlechteres angegeben. Es möge sein, daß der Kläger sein Hörvermögen nach der Rentenentziehung nicht zutreffend angegeben habe und die 1971 von Dr. S ermittelten Werte am ehesten der Wirklichkeit entsprächen. Selbst wenn man jedoch diese besseren Werte als zutreffend zugrunde lege, sei damit eine objektive Besserung der als mittelgradige Schwerhörigkeit beiderseits anerkannten BK nicht bewiesen. Die im November 1969 festgehaltenen schlechteren Ergebnisse der Hörprüfung könnten vom Kläger vielmehr ebenso vorgetäuscht worden sein wie die später u. a. von Dr. Q und Dr. D gewonnenen Ergebnisse. Da eine Besserung des Hörvermögens nicht nachweisbar sei, bleibe die Beklagte an ihr Anerkenntnis auch bei der Feststellung der Dauerrente gebunden. Es brauche nicht entschieden zu werden, ob das Hörvermögen des Klägers schwankend und witterungsabhängig sei und ob dies auf anlage- oder altersbedingte Störungen schließen lasse, da die Beklagte eine mittelgradige Schwerhörigkeit beiderseits ohne Einschränkungen als BK anerkannt habe. Hinsichtlich der Bewertung der durch diese Gesundheitsstörung bedingten MdE sei die Beklagte nach § 1585 Abs. 2 Satz 2 RVO an die Bemessung im Bescheid über die vorläufige Rente zwar nicht gebunden. Auch bei freier Einschätzung einer beiderseitigen mittelgradigen Schwerhörigkeit sei jedoch nach den einschlägigen Rententabellen eine MdE von 30 v. H. anzunehmen, wie auch Dr. S, Dr. Q und Dr. D angenommen hätten. Für die Dauerrente sei deshalb die MdE mit 30 v. H. zu bemessen.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Sie trägt vor:

Im Bescheid über die vorläufige Rente habe sie zwar eine "Lärmschwerhörigkeit beiderseits" anerkannt; daran sei sie bei der Feststellung der Dauerrente gebunden. Den Grad der MdE aufgrund der Lärmschwerhörigkeit habe sie dagegen ohne Nachweis einer wesentlichen Änderung (§ 622 RVO) frei bestimmen dürfen. Zu Unrecht gehe das LSG davon aus, daß die angenommene Auswirkung der anerkannten Krankheitsfolgen auf die Erwerbsfähigkeit in jedem Falle auch bei der Feststellung der Dauerrente binde. Die Mittelgradigkeit der Schwerhörigkeit sei nach § 1585 Abs. 2 Satz 2 RVO nicht bindend festgestellt worden. Da es sich hier um die erste (negative) Feststellung der Dauerrente handele, hänge die Festsetzung einer geringeren (bzw. die Annahme einer nicht mehr bestehenden) MdE nicht wie im Falle der Neufeststellung einer Dauerrente nach § 622 RVO davon ab, daß gegenüber dem ursprünglich vorhanden gewesenen Zustand eine wesentliche Besserung in der Hörfähigkeit des Klägers eingetreten sei. Es komme auch nicht darauf an, daß - wie das LSG annehme - nach den Gutachtertabellen eine beiderseitige mittelgradige Schwerhörigkeit grundsätzlich eine MdE um 30 v. H. bedinge. Schon eher wäre es verfahrensmäßig zu vertreten, daß sich das LSG auf die Gutachten von Dr. Q und Dr. D stütze, in denen die MdE für den vorliegenden Fall auf 30 v. H. geschätzt werde. Bei verfahrensmäßig irrtumsfreier Wertung hätten aber die Ausführungen von Dr. S den Vorzug verdient. Dieser Gutachter habe angesichts der von ihm festgestellten besseren Hörwerte einleuchtend das Vorliegen einer nur noch geringgradigen Schwerhörigkeit damit begründet, daß der Kläger nach seinen Angaben inzwischen keiner berufsbedingten Lärmbelastung mehr ausgesetzt gewesen sei und daß die Besserung einer Lärmschwerhörigkeit nach Aussetzen der Lärmbelastung durchaus möglich sei. Einleuchtend sei ebenfalls die von Dr. Schiffmann dargelegte Ansicht, daß eine inzwischen etwa wieder eingetretene mittelgradige Schwerhörigkeit nach Wegfall der Lärmbelastung nur anlagebedingt sein könne. Auf der Grundlage der von Dr. Schiffmann erstatteten Gutachten könne das Bundessozialgericht (BSG) den Grad der MdE infolge der anerkannten Lärmschwerhörigkeit von sich aus beurteilen und festlegen, und zwar auf weniger als 20 v. H.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

unter Aufhebung der Urteile des SG Osnabrück vom 18. Oktober 1973 und des Urteils des LSG Niedersachsen vom 30. April 1974 die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

die Sache an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Mit Einverständnis der Beteiligten hat der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs. 2 des SGG).

Die Revision der Beklagten hat insofern Erfolg, als die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist. Die tatsächlichen Feststellungen des LSG reichen zur Entscheidung des Rechtsstreits nicht aus.

Durch den angefochtenen Bescheid vom 9. Februar 1971 hat es die Beklagte abgelehnt, dem Kläger anstelle der bisher gewährten vorläufigen Rente von 30 v. H. der Vollrente wegen der Berufskrankheit vom 30. April 1969 eine Dauerrente zu gewähren. Dieser Bescheid, durch den zugleich die vorläufige Rente mit Ablauf des Monats März 1971 entzogen und vom 1. April 1971 an eine Rentenzahlung versagt wird, enthält die erste (negative) Feststellung der Dauerrente. Die vorläufige Rente war nicht schon durch Zeitablauf kraft Gesetzes Dauerrente geworden, da seit dem Eintritt des Versicherungsfalles (30. April 1969) weniger als zwei Jahre vergangen waren (§ 622 Abs. 2 Satz 1, 551 Abs. 3 RVO).

Die erste Feststellung der Dauerrente setzt eine Änderung der Verhältnisse nicht voraus, auch ist für sie die vorher getroffene Feststellung der Grundlagen für die Rentenberechnung nicht bindend (§ 1585 Abs. 2 Satz 2 RVO). Es kommt danach bei der Feststellung der ersten Dauerrente grundsätzlich darauf an, welcher Zustand (Gesundheitsstörung als Folge des Unfalls bzw. der BK) objektiv vorliegt und wie hoch, unabhängig von der vorausgegangenen Festsetzung im Bescheid über die vorläufige Rente, die dadurch bedingte MdE zu bemessen ist. Hat allerdings der Versicherungsträger im Bescheid über die vorläufige Rente eine bestimmte Gesundheitsstörung als Unfallfolge (oder als BK, § 551 Abs. 3 RVO) anerkannt, so ist er hieran bei der Feststellung der Dauerrente gebunden. Dies hat der erkennende Senat in der Entscheidung vom 29. März 1957 (BSG 5, 96) im Anschluß an die Rechtsprechung des RVA aus der erstinstanzlichen Wirkung und einer der materiellen Rechtskraft von Urteilen entsprechenden Bindungswirkung der Rentenbescheide hergeleitet und im Urteil vom 30. Oktober 1962 (BSG 18, 84) für die nach dem Inkrafttreten des SGG ergangenen Rentenbescheide aus § 77 SGG gefolgert. Die in § 1585 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 normierte Bindungsfreiheit bezieht sich lediglich auf die Feststellungsgrundlagen im Bescheid über die vorläufige Rente, die nur die Rentenberechnung berühren, nicht aber auf die Grundlagen, die - allein oder zugleich - den Anspruch als solchen betreffen (BSG aaO). Aus Halbsatz 1 aaO ("diese Feststellung setzt eine Änderung der Verhältnisse nicht voraus") ist nicht zu folgern, daß die erste Dauerrente ohne jede Bindung an den Bescheid über die vorläufige Rente festgestellt werden könnte, weil sonst Halbsatz 2 aaO bedeutungslos wäre (BSG aaO).

Ob und in welchem Umfang im Bescheid über die Gewährung einer vorläufigen Rente bestimmte Gesundheitsstörungen als Grundlage des Rentenanspruchs anerkannt worden sind, ist durch Auslegung des Bescheides zu ermitteln. Das Revisionsgericht ist befugt zu prüfen, ob die Willenserklärung des Versicherungsträgers durch das Berufungsgericht richtig gewürdigt worden ist, da es sich insoweit nicht um die Feststellung von Tatsachen, sondern um die rechtliche Würdigung des Inhalts und der Tragweite einer Willenserklärung handelt (vgl. BSG 18, 84, 86 mit Nachweisen). Es bedarf ferner der Prüfung, wie weit die aus einem Anerkenntnis folgende Bindungswirkung des Bescheides reicht (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 8. Aufl. S. 584 a).

Die Beklagte hat im Bescheid vom 10. Februar 1970 über die Gewährung einer Teilrente von 30 v. H. der Vollrente als vorläufige Rente u. a. ausgeführt, der Kläger leide an einer Lärmschwerhörigkeit beiderseits, die durch berufliche Beschäftigung in dem Unternehmen K verursacht worden sei (BK nach Nr. 26 der Anlage zur 7. BKVO). Hierin liegt das Anerkenntnis einer durch die berufliche Beschäftigung des Klägers entstandenen beiderseitigen Schwerhörigkeit, einer Lärmschwerhörigkeit im Sinne der BKVO. An dieses Anerkenntnis ist die Beklagte - grundsätzlich ohne zeitliche Begrenzung - gebunden. Die Bindung wirkt sich dahin aus, daß die Beklagte auch bei der späteren Feststellung der Dauerrente nicht mehr in Zweifel ziehen kann, daß zwischen der anerkannten beiderseitigen Schwerhörigkeit des Klägers und dessen beruflicher Beschäftigung ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Die Beklagte könnte folglich bei unverändertem Hörschaden die Gewährung einer Dauerrente nicht deshalb versagen, weil nach ihrer Ansicht bei der Gewährung der vorläufigen Rente irrtümlich oder zu Unrecht eine Lärmschwerhörigkeit angenommen worden sei, in Wirklichkeit aber eine von der beruflichen Tätigkeit des Klägers unabhängige Hörschädigung vorliege. Andererseits ist die Beklagte durch das insoweit erklärte Anerkenntnis nicht grundsätzlich gehindert gewesen, die Auswirkung der beiderseitigen Lärmschwerhörigkeit auf die Erwerbsfähigkeit des Klägers anders als im Bescheid über die Gewährung der vorläufigen Rente, u. U. auch mit weniger als 20 v. H. zu bewerten. Die Beklagte ist von dem nach ihrer Ansicht im Zeitpunkt der ersten Feststellung der Dauerrente tatsächlich bestehenden Zustand ausgegangen. Sie hat angenommen, es bestehe nur noch eine geringgradige Schwerhörigkeit beiderseits, hierdurch sei die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht mehr in meßbarem Grade (wenigstens 10 v. H.) gemindert. Daß die noch bestehende beiderseitige Schwerhörigkeit Folge der BK "vom 30. April 1969" (Lärmschwerhörigkeit) ist, wird im Bescheid - wie auch in dem in Bezug genommenen ärztlichen Gutachten - nicht in Zweifel gezogen, dementsprechend auch vermerkt, daß durch die Versagung der Dauerrente der Anspruch auf Heilbehandlung unberührt bleibe.

Das SG hat festgestellt, seit der Feststellung der Dauerrente bestehe bei dem Kläger beiderseits eine Hörschädigung, die gemessen an der Einschränkung der Hörfähigkeit für Umgangssprache - als mittelgradige Schwerhörigkeit zu bezeichnen und als BK mit einer MdE von 30 v. H. (bei freier Einschätzung) durch eine Dauerrente zu entschädigen sei. Das LSG hält die Entscheidung des SG nur im Ergebnis für zutreffend. Es ist der Auffassung, durch Anerkenntnis einer mittelgradigen Schwerhörigkeit bei der vorläufigen Rente sei die Beklagte bei der Feststellung der Dauerrente derart gebunden, daß nur im Falle einer wesentlichen Änderung (Besserung) nach § 622 Abs. 1 RVO eine andere BK-Folge zugrunde gelegt werden dürfe und es auf den objektiv bestehenden Zustand nicht ankomme. Eine wesentliche Besserung hat es nicht als bewiesen erachtet.

Der Auffassung des LSG ist nicht beizupflichten. Mit der Bezeichnung der beiderseitigen Schwerhörigkeit als "mittelgradig" im Bescheid über die vorläufige Rente ist lediglich der Grad, also das Ausmaß des Hörschadens angegeben, gemessen an der Einschränkung der Hörfähigkeit für Umgangssprache. Diese Bezeichnung ist vergleichbar etwa mit der Angabe, daß als Folge des Arbeitsunfalls die Dreh-, Beuge-, Streckfähigkeit einer Hand um 2/3 eingeschränkt sei. So wie in einem solchen Fall die im Zeitpunkt der Dauerrentenfeststellung noch vorliegende Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Hand zu ermitteln und nach dem dann noch bestehenden Zustand die Dauerrente zu bemessen ist, kommt es auch hier allein darauf an, in welchem Ausmaß objektiv die Hörfähigkeit des Klägers als Folge der anerkannten BK (Lärmschwerhörigkeit) seit der Feststellung der ersten Dauerrente eingeschränkt ist. Die Feststellung der Dauerrente nach dem tatsächlich nach bestehenden Zustand hängt nicht von dem Eintritt einer wesentlichen Besserung im Sinne des § 622 Abs. 1 RVO ab.

Die hiernach erforderlichen tatsächlichen Feststellungen hat das LSG nicht getroffen. Es hat sich auf die Prüfung beschränkt, ob eine wesentliche Besserung eingetreten ist. In welchem Ausmaß die Hörfähigkeit des Klägers seit der ersten Feststellung der Dauerrente eingeschränkt ist, hat es dagegen offengelassen. Das Revisionsgericht kann daher in der Sache nicht entscheiden. Der Rechtsstreit ist deshalb an das LSG zurückzuverweisen, damit das Berufungsgericht die notwendigen tatsächlichen Feststellungen nachholen kann.

Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2340755

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