Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherungsschutz bei Pannenhilfe
Leitsatz (redaktionell)
Wer bei dem Versucht, einen liegengebliebenen Personenkraftwagen durch Anschieben in Gang zu bringen und, nachdem dieser Versuch mißlingt, mithilft, um den Personenkraftwagen auf dem Bürgersteig abzustellen, wird bei dieser Pannenhilfe wie ein Versicherter iS des RVO § 539 Abs 1 tätig und unterliegt nach RVO § 539 Abs 2 dem Unfallversicherungsschutz; bei Privatfahrzeugen ist der Fahrzeughalter Unternehmer (RVO § 658 Abs 2 Nr 2).
Normenkette
RVO § 539 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1963-04-30, Abs. 2 Fassung: 1963-04-30, § 658 Abs. 2 Nr. 2 Fassung: 1963-04-30, § 539 Abs. 1 Nr. 9 Buchst. a Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 13. August 1975 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Am 4. Dezember 1970 sprang gegen 1.30 Uhr der Motor eines Pkw nicht an. Der Fahrer schob seinen Wagen aus der Reihe der parkenden Pkw heraus, um ihn durch Anschieben in Gang zu setzen. Dabei kam ihm die Beigeladene zu 1) zu Hilfe und forderte den Beigeladenen zu 2) auf, sich daran zu beteiligen. Nach wenigen Metern gab der Beigeladene zu 2) seine Mithilfe zunächst auf, da er erkannte, daß das Ingangsetzen des Motors nicht gelingen würde. Nachdem er auf den Bürgersteig zurückgetreten war, sah er, daß auch der Fahrer und die Beigeladene zu 1) nicht mehr den Pkw anzuschieben versuchten, sondern sich bemühten, den Pkw auf den Bürgersteig zu schieben. Der Beigeladene zu 2) ging erneut zu dem Pkw und schob diesen mit. Ein betrunkener Fahrer fuhr mit seinem Pkw auf den Wagen auf und verletzte die Beigeladenen schwer.
Die Klägerin leistete den Beigeladenen vorläufige Fürsorge. Die Beklagte lehnte es ab, die Entschädigungspflicht zu übernehmen.
Die Klägerin hat Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 19. November 1974 festgestellt, daß die Beklagte der für die Entschädigung aus Anlaß des Unfalls der Beigeladenen am 4. Dezember 1970 zuständige Unfallversicherungsträger ist, da die Beigeladenen bei einem Unglücksfall in einem Zeitpunkt geholfen hätten, in dem noch eine gemeine Gefahr bestanden habe.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 13. August 1975 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt: Die Voraussetzungen des § 539 Abs. 1 Nr. 9 Buchst. a der Reichsversicherungsordnung (RVO) lägen nicht vor. Im Zeitpunkt des Unfalls habe sich der Wagen im Leuchtkegel einer Straßenlampe befunden. Eine zusätzliche Beleuchtung sei durch die Ecklokale vorhanden gewesen. Die Unfallstelle sei leicht einsehbar gewesen. Der Pkw habe weder eine erhebliche Gefahr für Menschen oder Sachen noch einen Zustand gebildet, bei denen der Eintritt eines Schadens wahrscheinlich gewesen sei. Dagegen seien die Voraussetzungen des § 539 Abs. 2 RVO gegeben, so daß die Klägerin der zuständige Versicherungsträger für die Entschädigung der Beigeladenen aus Anlaß des Unfalls vom 4. Dezember 1970 sei.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt und u. a. wie folgt begründet: Nur verschwindend wenige Unternehmer privater Fahrzeughaltungen beschäftigten Bedienstete. § 539 Abs. 2 RVO sei aber nur bei solchen Hilfeleistungen anwendbar, die für die ständig im Betrieb Beschäftigten typisch seien (BSG 29, 151). Pannenhilfen für private Kraftfahrzeughaltungen seien dem allgemeinen Erwerbsleben nicht zugänglich. Der Pkw sei darüber hinaus ein Bestandteil des Haushaltes des Kraftfahrzeughalters. Zudem habe das Fahrzeug ein schweres Verkehrshindernis gebildet, da es vor allem durch die möglichen Stauungen den fließenden Verkehr behindert hätte. Die weitere Hilfe der Beigeladenen habe nicht mehr der Pannenhilfe gedient.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts vom 19. November 1974 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist nicht begründet.
Der Versicherungsschutz der Beigeladenen ist, wie das LSG zutreffend entschieden hat, aufgrund des § 539 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 RVO gegeben. Die Beigeladenen waren dadurch, daß sie den Pkw angeschoben und später versucht haben, den Wagen auf den Gehsteig zu schieben, wie nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO Versicherte - nämlich wie in der privaten Kraftfahrzeughaltung aufgrund eines Arbeitsverhältnisses Beschäftigte - tätig.
Aufgrund der von der Revision nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen ist die Tätigkeit der Beigeladenen, bei der sie am 4. Dezember 1970 verunglückt sind, als ein einheitlicher Vorgang anzusehen, der unternommen wurde, um die Panne an dem Pkw zu beheben. Beide Beigeladenen versuchten zunächst, den Wagen durch Anschieben in Gang zu setzen. Als dies nicht gelang, wollten sie den Pkw auf den Bürgersteig schieben. Für die Beigeladenen lag darin eine Fortsetzung der - vom Beigeladenen zu 2) lediglich wiederaufgenommenen - erfolglosen Pannenhilfe. Eine von der Pannenhilfe zu trennende, im Unfallzeitpunkt selbständige Hilfeleistung bei einem Unglücksfall oder zur Beseitigung einer gemeinen Gefahr scheidet, wie das LSG aufgrund der nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen ebenfalls mit Recht entschieden hat, außerdem deshalb aus, weil das Fahrzeug in einer ausreichend beleuchteten, innerhalb des Stadtgebietes gelegenen und leicht einsehbaren Einbahnstraße angeschoben werden sollte und demnach nicht auf einer unübersichtlichen Stelle nachts ohne Beleuchtung liegengeblieben war. Der Eintritt eines weiteren Schadens für Personen oder Sachwerte war somit nicht unmittelbar zu befürchten (s. BSG 35, 140, 141). Zu dem Unfall kam es nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG vielmehr wegen der Trunkenheit des anderen Pkw-Fahrers. Die von der Revision erneut aufgezeigte Möglichkeit eines Unfalls in einer unbeleuchteten Nebenstraße durch einen Verkehrsstau kann unter Berücksichtigung der Feststellungen des LSG über den Unfallort und die Zeit des Unfalls ebenfalls nicht als unmittelbar drohende Gefahr angesehen werden. Im Hinblick auf den einheitlichen Vorgang der gesamten Pannenhilfe ist das LSG im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, daß eine andere rechtliche Beurteilung auch nicht deshalb gerechtfertigt ist, weil der Beigeladene zu 2) im Strafverfahren gegen den Fahrer des anderen Pkw angegeben hat, das Fahrzeug habe von der Fahrbahn entfernt werden müssen, weil sonst kein anderes Fahrzeug durch die Friedrichstraße habe fahren können. Auch insoweit diente die Hilfe des Beigeladenen zu 2) der Beseitigung des durch die erfolglose Pannenhilfe eingetretenen Zustandes.
Die Klägerin wendet sich in erster Linie gegen die Rechtsprechung des Senats zum Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 RVO bei einer Hilfeleistung, die unternommen wird, um eine Autopanne zu beheben, und gegen ihre Zuständigkeit zur Entschädigung dieser Versicherten. Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 25. Januar 1973 (BSG 35, 140 ff) zu den von der Klägerin auch im vorliegenden Revisionsverfahren vorgebrachten Erwägungen Stellung genommen, insbesondere zu der Frage der versicherten Tätigkeit der Pannenhelfer wie Versicherte im Sinne des § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO (s. BSG aaO S. 142) und dazu, daß hier die Klägerin und nicht der für Versicherte in Haushaltungen zuständige Versicherungsträger leistungspflichtig ist (s. BSG aaO S. 143). In weiteren Entscheidungen gegenüber der Klägerin hat der Senat unter erneuter Würdigung des Vorbringens der Klägerin an seiner Rechtsauffassung festgehalten (vgl. u. a. BSG Urteil vom 29. Mai 1973 - 2 RU 92/70 - und vom 12. Oktober 1973 - 2/8/2 RU 173/72 -). Gegenüber den im wesentlichen wiederholten Argumenten im vorliegenden Revisionsverfahren verweist der Senat nunmehr auf seine Begründungen in den angeführten, der Klägerin bekannten Entscheidungen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes und berücksichtigt, daß zwischen der Klägerin und der Beklagten eine Kostenerstattung nicht in Betracht kommt und die Beigeladenen auch im Revisionsverfahren keine Anträge gestellt haben.
Fundstellen