Leitsatz (amtlich)

1. Bei einer Hauterkrankung (6. BKVO, Anl 46) tritt der Versicherungsfall (RVO § 551 Abs 3 S 2, 3. BKVO § 3 Abs 2) frühestens in dem Zeitpunkt ein, in dem die wegen der schweren oder wiederholt rückfälligen Erkrankung notwendige Aufgabe der beruflichen Beschäftigung (oder jeder Erwerbsarbeit) verwirklicht worden ist (vergleiche RVA EuM 43, 100; BSG 1965-09-29 5 RKn 86/61 = BSGE 24, 41 Leitsatz Nr 4).

2. Zur Bestimmung des Zeitpunkts der Aufgabe der beruflichen Beschäftigung (jeder Erwerbsarbeit).

 

Normenkette

BKVO 3 § 3 Abs. 2 Fassung: 1936-12-16; RVO § 551 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1963-04-30, § 1505 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1936-06-15; BKVO 6 Anl 1 Nr. 46 Fassung: 1961-04-28; BKVO 3 Anl 1 Nr. 46 Fassung: 1961-04-28

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 21. Januar 1966 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob bei der berufsbedingten Hauterkrankung, deretwegen der Hilfsschlosser E S (S.) von der Beklagten eine Rente für eine Berufskrankheit (BK) nach Nr. 46 der Anlage zur Sechsten Berufskrankheiten-Verordnung (6. BKVO) erhält, als Unfallzeitpunk der 24. Januar 1962 oder der 24. Mai 1962 gilt. Hiervon hängt es ab, ob der von der Klägerin gegen die Beklagte gemäß §§ 1504, 1505, 1509 der Reichsversicherungsordnung (in der bis zum 30. Juni 1963 geltenden Fassung- RVO aF) erhobene Ersatzanspruch sich auf 3.182,76 DM oder nur 1.475,28 DM beläuft.

S. hatte sich nach jahrzehntelanger Beschäftigung als Maschinist bei einer Teppichweberei in G durch den Umgang mit technischen Ölen ein Hautleiden zugezogen; dieses wurde im Juli 1961 von der Verwaltung der Sozialversicherung in Gera als BK anerkannt, Rente wurde jedoch hierfür nicht gewährt, weil S. nach Wechsel des Arbeitsplatzes keine Lohnminderung hatte. Im Juli 1961 in die Bundesrepublik gelangt, fand S. im August 1961 Beschäftigung als Hilfsschlosser in einer Nahrungsmittelfabrik. Bei dieser Tätigkeit war er wiederum der Einwirkung von Maschinenöl ausgesetzt. Wegen des erneut auftretenden Berufsekzems war er vom 24. Januar 1962 bis zum 20. Mai 1962 arbeitsunfähig. An den Tagen vom 21. bis zum 23. Mai 1962 arbeitete er wieder, war jedoch - wegen Besetzung seiner Stelle als Hilfsschlosser - mit Verladearbeiten im Lager beschäftigt. Vom 24. Mai 1962 bis zum 25. März 1963 war S sodann wiederum infolge der Hauterkrankung arbeitsunfähig. Seine Firma kündigte das Arbeitsverhältnis zum 17. Juli 1962, vom 1. September 1962 an erhielt er Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gemäß § 1247 RVO.

Nach langwierigen Auseinandersetzungen mit der Berufsgenossenschaft (BG) Nahrungsmittel und Gaststätten erkannte schließlich die beklagte BG ihre Zuständigkeit unter dem Gesichtspunkt des Fremdrentenrechts an und gewährte mit Bescheid vom 23. Dezember 1964 dem S. wegen der durch die beruflichen Beschäftigungen in Thüringen und in der Bundesrepublik verursachten Hauterkrankung Rente für die Zeit vom 16. Januar 1963 an; als Zeitpunkt des Versicherungsfalles wurde der 17. Juli 1962 bestimmt. Der Klägerin, die dem S. Krankengeld für die Zeiträume vom 24. Januar 1962 bis zum 20. Mai 1962 und vom 24.Mai 1962 bis zum 25. März 1963 gezahlt hatte, leistete die Beklagte Ersatz in Höhe des Krankengeldes für die Zeit vom 1. September 1962 an (46. Tag nach dem 17. Juli 1962, 616,08 DM).

Die Klägerin machte mit ihrer Leistungsklage geltend, als Zeitpunkt des Versicherungsfalles sei der 24. Januar 1962 anzusehen; dementsprechend begehrte sie Ersatz des Krankengeldes für die Zeit vom 11. März 1962 an. Die Klage hatte Erfolg; das Sozialgericht Koblenz hat in seinem Urteil vom 22. April 1965 ausgeführt, bei einer beruflichen Hauterkrankung trete der Versicherungsfall im Hinblick auf die Tatbestandsmerkmale der Nr. 46 erst ein, wenn die schwere oder wiederholt rückfällige Erkrankung zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung gezwungen haben. Dies sei bei S. am 24. Januar 1962 geschehen; denn er habe seitdem - durch das Hautleiden gezwungen - nie mehr in seinem Beruf gearbeitet. Die bereits drei Tage später beendete Arbeitsaufnahme am 21. Mai 1962 sei der typische Fall eines mißglückten Arbeitsversuchs. Mit der Aufgabe der beruflichen Beschäftigung habe die Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 17. Juli 1962 nichts zu tun.

Im Verfahren über die Berufung, mit der die Beklagte Klagabweisung beantragt hat, ist S. als Zeuge vernommen worden; er hat ausgesagt, bei Wiederaufnahme der Arbeit am 21. Mai 1962 habe er noch nicht vorgehabt, seinen Beruf als Schlosser aufzugeben, die Verladetätigkeit im Lager habe er nur notgedrungen angenommen. Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat durch Urteil vom 21. Januar 1966 die vorinstanzliche Entscheidung dahin geändert, daß die Beklagte der Klägerin den Betrag von 859,20 DM zu zahlen hat; im übrigen ist die Berufung der Beklagten zurückgewiesen worden: Zum Eintritt des Versicherungsfalles gehöre bei Nr. 46 der Anlage zur 6. BKVO außer dem Vorliegen einer berufsbedingten schweren oder wiederholt rückfälligen Hauterkrankung auch noch die Aufgabe des hautschädigenden Berufs. Diese Voraussetzung habe S. am 24. Mai 1962 verwirklicht; denn damals habe sich bei ihm die Überzeugung durchgesetzt, daß er seinen hautgefährdenden Schlosserberuf endgültig aufgeben müsse. Am 24. Januar 1962 habe eine endgültige Aufgabe der beruflichen Beschäftigung noch nicht vorgelegen; zwar habe S. auch schon an den Tagen vom 21. bis zum 23. Mai 1962 nicht mehr als Schlosser gearbeitet, jedoch habe er die ihm damals zugewiesene fremdberufliche Arbeit nur notgedrungen verrichtet und sich damit noch nicht von seiner beruflichen Tätigkeit als Schlosser gelöst. Die von der Beklagten als maßgebend erachtete Kündigung des Arbeitsverhältnisses am 17. Juli 1962 sei versicherungsrechtlich irrelevant. Die Entschädigungspflicht der Beklagten beginne also mit dem 9. Juli 1962, dem 46. Tage nach Eintritt des Versicherungsfalles am 24. Mai 1962. Demgemäß habe die Beklagte der Klägerin Krankengeld in Höhe von 1.475,28 DM abzüglich der bereits erstatteten 616,08 DM zu ersetzen.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen das am 5. April 1966 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 20. April 1966 Revision eingelegt mit dem Antrag,

unter Aufhebung des Berufungsurteils die Beklagte zur Anerkennung des Ersatzanspruchs in Höhe von 2.566,68 DM zu verurteilen

Zugleich hat die Klägerin ihre Revision wie folgt begründet: Die vom 21. bis 23. Mai 1962 von S. verrichtete berufsfremde Tätigkeit sei als mißglückter Arbeitsversuch aufzufassen. Der Zeitpunkt des Versicherungsfalles dürfe nicht nach der Überzeugung des Erkrankten beurteilt werden, sondern sei nach den tatsächlichen Gegebenheiten festzustellen; auf den - bei schweren Erkrankungen meist erst am Ende der Arbeitsunfähigkeit zutage tretenden - Entschluß des Erkrankten zur Berufsaufgabe könne es nicht ankommen, weil dann der Ersatzanspruch der Krankenkasse für den größten Teil ihrer Aufwendungen entfalle. Nach dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit am 24. Januar 1962 habe S. seinen Beruf nicht mehr ausgeübt, deshalb sei dieses Datum für den Versicherungsfall maßgebend.

Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision. Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II

Die Revision ist statthaft und zulässig. Sie hat jedoch keinen Erfolg.

Die Klägerin begehrt den anteiligen Ersatz ihrer Aufwendungen für Krankengeld, das sie an S. in den Zeiträumen vom 24. Januar bis zum 20. Mai 1962 und vom 24. Mai 1962 bis zum 25. März 1963 gezahlt hat. Gemäß § 1505 Abs. 1 Satz 2 RVO aF fallen diese Aufwendungen vom 46. Tage nach dem Unfall an der Beklagten zur Last. Streitig ist die Bestimmung dieses Tages; die Beklagte hat ihn auf den 1. September 1962, das LSG auf den 9. Juli 1962 verlegt, nach Auffassung der Klägerin soll dagegen schon der 11. März 1962 maßgebend sein. Die Entscheidung hängt davon ab, welches Datum bei der beruflichen Hauterkrankung des S. als "Zeitpunkt des Arbeitsunfalls" gilt (§ 3 Abs. 2 Satz 1 der 3. BKVO, vgl. jetzt § 551 Abs. 3 Satz 2 RVO in der seit dem 1. Juli 1963 geltenden Fassung - RVO nF -). Dieser Zeitpunkt bestimmt sich allgemein nach dem Beginn der Krankheit im Sinne der Krankenversicherung oder dem Beginn der Minderung der Erwerbsfähigkeit, wobei zugunsten des Versicherten je nach Lage des Falles der frühere oder auch der spätere dieser beiden alternativ vorgesehenen Unfallzeitpunkte berücksichtigt werden kann (vgl. SozR RVO § 551 Nr. 2; s. auch SozR RVO aF § 561 Nr. 1, wo noch andere rechtliche Gesichtspunkte maßgebend waren).

Für bestimmte BKen, zu denen insbesondere auch die Hauterkrankungen gehören, hat jedoch schon die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts (RVA) eine von dem oben dargelegten allgemeinen Grundsatz abweichende Auffassung vertreten. Handelt es sich nämlich um Krankheiten, bei denen die Entschädigungspflicht auf Grund der BKVO noch an besondere Voraussetzungen geknüpft ist, so kann der Versicherungsfall nicht eher gegeben sein, als bis sämtlichen in der BKVO aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. RVA EuM 43, 100 Nr. 26, 102 Nr. 27; AN 1942, 204 Nr. 5471 = EuM 49, 231; s. auch EuM 49, 281) Dieser Auffassung, die auch gegenwärtig in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt ist (vgl. BSG 24, 41, 43; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 6. Aufl., S. 490 m mit weiteren Nachweisen), pflichtet der erkennende Senat bei. In dem hier zu entscheidenden Fall ist somit nicht der nach den allgemeinen Merkmalen (§ 3 Abs. 2 Satz 1 der 3. BKVO) bestimmbare Unfallzeitpunkt maßgebend, vielmehr ist der Versicherungsfall frühestens in dem Zeitpunkt eingetreten, in dem die wegen der Hauterkrankung notwendige Aufgabe der beruflichen Beschäftigung - oder jeder Erwerbsarbeit - verwirklicht worden ist. Auch die Beteiligten und die Vorinstanzen gehen zutreffend davon aus, daß der Versicherungsfall erst mit dem Tage eingetreten sein kann, an dem S. die durch seine Hauterkrankung erzwungene Aufgabe seiner beruflichen Beschäftigung vollzogen hat.

Hierbei kommt es grundsätzlich nur auf den tatsächlichen Ablauf der Ereignisse, nicht dagegen auf deren arbeitsrechtliche Auswirkungen an. Der von der Beklagten für den Versicherungsfall gewählte Zeitpunkt der Kündigung des Arbeitsverhältnisses am 17. Juli 1962 ist - wie das LSG mit Recht angenommen hat - versicherungsrechtlich ohne Bedeutung, da dieser Vorgang nicht zwangsläufig mit der Aufgabe der beruflichen Beschäftigung verknüpft ist. Ein Hauterkrankter kann seine bisherige berufliche Beschäftigung bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis aufgeben, wenn ihm sein Arbeitgeber eine andere Beschäftigung im gleichen Unternehmen zuweist; umgekehrt kann der Erkrankte aber auch nach Lösung des Arbeitsverhältnisses versuchen, bei einem anderen Arbeitgeber seine hautgefährdende berufliche Beschäftigung noch fortzusetzen. Weitere Darlegungen hierzu erübrigen sich, zumal da auch die Beklagte im Revisionsverfahren keine neuen Gesichtspunkte zur Rechtfertigung des in ihrem Rentenbescheid angegebenen Datums vorgetragen hat.

In seinem zu Nr. 19 der Anlage zur 5. BKVO ergangenen Urteil vom 30. Oktober 1959 (BSG 10, 286) hat der erkennende Senat entschieden, der Entschädigungsanspruch wegen dieser BK setze voraus, daß der Erkrankte den hautschädigenden Beruf tatsächlich aufgegeben hat. An diesem Erfordernis muß, wie das LSG mit Recht angenommen hat, auch unter der Geltung der Nr. 46 der Anlage zur 6. BKVO festgehalten werden. S. hat nun aber, wie das LSG bedenkenfrei ausgeführt hat, bis zum 20. Mai 1962 seine bisherige berufliche Beschäftigung noch nicht aufgegeben; denn er hat am 21. Mai 1962 nochmals die Arbeit in seinem Betrieb aufgenommen, freilich gezwungenermaßen nicht an seinem alten Arbeitsplatz als Hilfsschlosser und Maschinenwärter, sondern im Lager; er wollte aber damals seinen Schlosserberuf noch nicht aufgeben und betrachtete die Hilfsarbeitertätigkeit nur als Notlösung. Diese Tätigkeit dauerte allerdings nur drei Tage; ob sie unter den gegebenen Umständen als "mißglückter Arbeitsversuch" (vgl. BSG 15, 89; SozR RVO § 165 Nr. 44 und 53) anzusehen wäre, erscheint fraglich, kann jedoch dahingestellt bleiben; denn bei der Auslegung der Nr. 46 der Anlage zur 6 BKVO ist diesem krankenversicherungsrechtlichen Begriff nach Ansicht des erkennenden Senats jedenfalls keine ausschlaggebende Bedeutung beizumessen.

Das für den Versicherungsfall der BK entscheidende Merkmal der Aufgabe der beruflichen Beschäftigung ist vielmehr erst während des am 24. Mai 1962 beginnenden Ekzemrückfalls verwirklicht worden. In diesem Zeitraum mußte S. einsehen, daß ihm eine Weiterarbeit an den Maschinen nicht mehr möglich sein würde, und sein Arbeitgeber stellte ihm deshalb eine anderweitige Verwendung in Aussicht. Die Festlegung des "Unfallzeitpunkts" im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 der 3.BKVO erfordert die Angabe eines bestimmten Tages. Einer genauen zeitlichen Fixierung steht jedoch oftmals - so auch im vorliegenden Fall - der Umstand entgegen, daß sich Verhandlungen zwischen dem Erkrankten und dem Arbeitgeber über das Ausscheiden aus der hautgefährdenden Tätigkeit über längere Zeit hinziehen können. Deshalb ist der erkennende Senat mit dem LSG der Auffassung, daß in einem Fall, in dem die Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit in einem Zeitraum erfolgt, währenddessen der Erkrankte arbeitsunfähig ist, der Eintritt des Versicherungsfalls auf den ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit anzusetzen ist, weil damit ein klar bestimmbarer Zeitpunkt gewonnen wird.

Das LSG hat hiernach mit Recht den 24. Mai 1962 als den Unfallzeitpunkt angesehen, woraus sich der Beginn des Ersatzanspruchs der Klägerin mit Wirkung vom 9. Juli 1962 an ergibt.

Die Revision der Klägerin ist somit unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2365164

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