Leitsatz (redaktionell)

Der Eintritt des Versicherungsfalls iS der Nr 46 der Anlage zur 6. BKVO wird durch später festgestellte Leiden, die zur Invalidisierung des Versicherten geführt haben, nicht berührt.

 

Normenkette

BKVO 6 Anl 1 Nr. 46 Fassung: 1961-04-28; BKVO 3 Anl 1 Nr. 46 Fassung: 1961-04-28

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 28. Januar 1966 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Der 1906 geborene Kläger war von 1920 bis November 1961 in seinem Beruf als Maurer beschäftigt, zuletzt seit 1957 bei der Baufirma T. Mitte Oktober 1961 erkrankte er an einem Ekzem der Hände und Unterarme, weswegen er von dem prakt. Arzt Dr. E und dem Hautarzt Dr. K behandelt und am 2. November 1961 arbeitsunfähig geschrieben wurde; während dieser Arbeitsunfähigkeit erkrankte der Kläger Ende November 1961 an Grippe. Auf seinen Anfang 1962 bei der Landesversicherungsanstalt (LVA) gestellten Antrag gewährte ihm diese die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) gemäß § 1247 der Reichsversicherungsordnung (RVO) vom 1. November 1961 an. Hierfür war maßgebend das Gutachten des Vertrauensarztes Dr. G vom 7. Juni 1962, der als Befund feststellte:

1. Gehörleiden (kriegsbedingt),

2. Lungenleiden,

3. Herzfehler,

4. "Fast abgeklungenes Kontaktekzem der Hände (an den Händen sind minimale Reste eines Kontaktekzems gerade noch erkennbar. Das Ekzem war Anfang Nov. in voller Blüte. Es ist inzwischen mit Wegfall der schädigenden Noxen - vermutlich Zement - durch längere Arbeitsruhe ziemlich abgeheilt)".

Zur Frage der EU führte Dr. G aus, man müsse berücksichtigen, daß der Kläger "durch seine respirat . Insuffizienz ..., durch seine Überempfindlichkeit der Haut und schließlich durch die anerkannten Kriegsleiden erheblich beeinträchtigt ist, so daß ihm auch die Ausübung einer anderen leichten Erwerbstätigkeit oftmals nicht regelmäßig möglich ist". Auf die Frage, seit wann die berufliche Leistungsfähigkeit im gegenwärtigen Ausmaß eingeschränkt sei, erklärte der Vertrauensarzt: "2.11.1961 - akuter Krankheitsbeginn und Versagen bzw. Arbeitsunfähigkeit". Die Formularfrage, ob die Einschränkung der Leistungsfähigkeit ganz oder teilweise Folge einer Berufskrankheit (BK) sei, wurde von Dr. G verneint. Die Beklagte erhielt die Unternehmeranzeige über eine BK, einen Krankheitsbericht des prakt. Arztes Dr. E, Unterlagen der Krankenkasse und der LVA sowie die Stellungnahme des Staatlichen Gewerbearztes vom 10. September 1963, nach dessen Ansicht die Voraussetzungen zur Anerkennung einer entschädigungspflichtigen BK nach Nr. 46 der Anlage zur Sechsten Berufskrankheiten-Verordnung (6. BKVO) nicht erfüllt waren, da es sich um eine auf entsprechende Therapie abgeklungene Ersterkrankung handele, deretwegen die Aufgabe des Berufs oder jeder Erwerbsarbeit nicht erforderlich gewesen sei. Die Beklagte lehnte hierauf durch Bescheid vom 23. Dezember 1963 den Entschädigungsanspruch des Klägers ab.

Durch Urteil vom 1. Juni 1964 hat das Sozialgericht (SG) Speyer die hiergegen erhobene Klage abgewiesen: Ob die Hauterkrankung des Klägers berufsbedingt sei, könne dahingestellt bleiben; denn es fehle an der Voraussetzung, daß diese Erkrankung zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit gezwungen habe.

Im Verfahren über die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz Auskünfte der den Kläger behandelnden Ärzte eingeholt.

Sodann haben Prof. Dr. K, Privatdozent Dr. B und Dr. N von der Universitäts-Hautklinik M in ihrem auf stationärer Untersuchung des Klägers beruhenden Gutachten vom 4. Dezember 1965 ausgeführt: Auf Grund der Hauttestungen sei beim Kläger ein vulgäres Ekzem mit hochgradiger Sensibilisierung der Haut gegenüber Berufsstoffen (Zement, Chromate) nachgewiesen. Bereits im August 1962 habe Dr. K eine solche Überempfindlichkeit durch Testungen festgestellt. Mit höchster Wahrscheinlichkeit sei anzunehmen, daß es sich auch bei der Ekzemerkrankung vom Oktober/November 1961 um ein berufsbedingtes Zementekzem gehandelt habe, welches nach vorübergehender Abheilung später erheblich verschlimmert wieder aufgetreten sei. Bei der hochgradigen Überempfindlichkeit hätte der Kläger, wenn er nicht 1962 wegen anderer Leiden invalidisiert worden wäre, nach Arbeitsaufnahme als Maurer sofort mit einem erneuten Ekzem reagiert, die Hauterkrankung hätte ihn also auch ohne die weiteren Leiden zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung als Maurer gezwungen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wegen der berufsbedingten wiederholt rückfälligen Hauterkrankung betrage 100 v.H. im Maurerberuf und 30 v.H. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Das LSG hat am 28. Januar 1966 die Beklagte verurteilt, die Hauterkrankung des Klägers als BK nach Nr. 46 der 6. BKVO mit Beginn der Berufserkrankung am 2. November 1961 durch Gewährung einer Rente nach einer MdE von 30 v.H. mit dem Wegfall des Krankengeldes, spätestens mit dem 2. Mai 1962 zu entschädigen: Auf Grund der Krankheitsschilderungen des Dr. E, der Hauttestungen durch Dr. K und des Gutachtens der Universitäts-Hautklinik M stehe zweifelsfrei fest, daß die Hauterkrankung des Klägers berufsbedingt sei. Es handele sich um eine wiederholt rückfällige Erkrankung; die am 2. November 1961 zur Arbeitsunfähigkeit führenden Symptome seien zwar im Dezember 1961 zunächst wieder abgeklungen, später aber wieder aufgetreten; besonders bedeutsam sei für die Frage der Rückfälligkeit, daß sich auch bei der Untersuchung des Klägers in der M Hautklinik deutliche Hautkrankheitszeichen gezeigt hätten. Im Hinblick auf diesen Befund seien die Hautveränderungen auch als schwer zu bezeichnen, weil die Hauterkrankung trotz fachärztlicher Behandlung über längere Zeit hinweg nicht ausgeheilt sei (BSG 10, 286).

Diese Hauterkrankung habe den Kläger auch zum Wechsel des Berufs - allein hierauf sei im vorliegenden Fall abzustellen gezwungen. Die Aufgabe des Maurerberufs mit Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 2. November 1961 sei auch wegen der Hautveränderungen erfolgt, wenngleich diese nicht allein, sondern zusammen mit den weiteren von Dr. G angeführten Krankheitserscheinungen zur Anerkennung der EU geführt hätten. Für die Anwendung der Nr. 46 der Anlage zur 6. BKVO spiele es keine Rolle, welche Gesundheitsstörung bei Zuerkennung der EU im Vordergrund stand. Die schwere und wiederholt rückfällige Hauterkrankung des Klägers erfülle den Versicherungsfall der Nr. 46 - einen gegenüber §§ 1246, 1247 RVO selbständigen Leistungsfall -, da die Hauterkrankung als solche für sich allein geeignet gewesen sei, den Kläger zur Aufgabe seines Berufs zu nötigen. Dem stehe die Äußerung des Dr. G, die Leistungsfähigkeit des Klägers sei nicht durch eine BK beeinträchtigt, nicht entgegen, zumal da diese beiläufige Äußerung durch das Gutachten der Mainzer Hautklinik widerlegt sei. - Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen das am 10. März 1966 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 17. März 1966 Revision eingelegt und sie am 22. April 1966 folgendermaßen begründet: Die Hauterkrankung des Klägers hätte nicht mehr nachträglich als BK anerkannt werden dürfen, nachdem längst vor der Aufgabe der beruflichen Beschäftigung schon EU aus nicht BK-bedingten Gründen eingetreten gewesen sei. Das LSG habe sich nicht hinreichend mit den widersprüchlichen Angaben des Dr. K auseinandergesetzt, es hätte ihn persönlich hören müssen. Ferner habe das LSG nicht genügend berücksichtigt, daß nach dem Gutachten des Vertrauensarztes Dr. G der Zwang zur Aufgabe des Maurerberufs allein und ausschlaggebend bereits auf die BK-fremden Leiden zurückzuführen sei; somit fehle der ursächliche Zusammenhang zwischen der Hauterkrankung des Klägers und seiner Berufsaufgabe, die am 1. November 1961 allein durch die nicht BK-bedingten Leiden veranlaßt worden sei. Das erst lange nach der Berufsaufgabe deutlicher in Erscheinung getretene Hautleiden hätte für sich allein den Kläger niemals zur Berufsaufgabe gezwungen. Das LSG habe ferner nicht festgestellt, wann die für die wiederholte Rückfälligkeit erforderlichen Rezidive eingetreten sein sollten. Schließlich habe es nicht geprüft, ob wegen der von Dr. E bezeugten hautschädigenden Tätigkeiten des Klägers in der Zeit nach dem 1. November 1961 etwa ein anderer Unfallversicherungsträger zuständig sein könne und evtl. beizuladen gewesen wäre.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Klägers zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt

Zurückweisung der Revision.

Er pflichtet dem angefochtenen Urteil bei.

II

Die Revision ist statthaft und zulässig. Sie hatte jedoch keinen Erfolg.

Die Begründetheit des Klaganspruchs hängt nach Nr. 46 der Anlage zur 6. BKVO davon ab, daß das seit Mitte Oktober 1961 beim Kläger aufgetretene Ekzem eine durch berufliche Einwirkungen verursachte schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankung darstellt, die den Kläger zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit gezwungen hat. Das LSG hat angenommen, daß diese Voraussetzungen sämtlich erfüllt sind.

Hinsichtlich der beruflichen Verursachung macht die Revision hiergegen geltend, das LSG habe seine Sachaufklärungspflicht (§ 103 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) nicht hinreichend erfüllt, da es sich mit den widersprüchlichen Angaben des Hautarztes Dr. Kafka nicht genügend auseinandergesetzt und eine persönliche Anhörung dieses Arztes unterlassen habe. Das LSG hat indessen in den Gründen der angefochtenen Entscheidung eingehend dargelegt, weshalb es die Äußerung des Dr. K in der BK-Anzeige vom 27. August 1964 als widerlegt angesehen hat; diese Darlegungen, die sich auf die Auskünfte des praktischen Arztes Dr. E, das Gutachten der Universitäts-Hautklinik M und die Karteiaufzeichnungen des Dr. K stützen, werden durch die Sachaufklärungsrüge nicht in Frage gestellt, da das LSG hiermit ausreichend begründet hat, daß es sich in Anbetracht der sonstigen Beweisergebnisse zu einer Anhörung des Dr. K nicht gedrängt zu fühlen brauchte.

Ob hinsichtlich der wiederholten Rückfälligkeit der Hauterkrankung die von dem praktischen Arzt Dr. K bescheinigten Hautveränderungen im Jahre 1958 zu berücksichtigen sind, erscheint allerdings fraglich, ist aber für die Entscheidung unerheblich. Denn jedenfalls nach dem 2. November 1961 traten wiederholte Ekzemrückfälle ein, und der Umstand, daß zu dieser Zeit der Kläger die Erwerbsarbeit bereits aufgegeben hatte, bedeutete für das LSG kein Hindernis, auch diese späteren Rückfälle bei der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen in Betracht zu ziehen (vgl. RVA, EuM 49, 281). Frei von Rechtsirrtum ist schließlich auch die vom LSG vertretene Auffassung, das Hautleiden des Klägers sei als schwer anzusehen, weil es trotz fachärztlicher Behandlung über längere Zeit hinweg nicht zur Ausheilung gekommen sei.

Das LSG hat schließlich auch die letzte noch zu prüfende Anspruchsvoraussetzung bejaht, daß der Kläger durch die berufliche Hauterkrankung zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit gezwungen worden ist. Hiergegen macht die Revision geltend, schon vor der durch die BK erzwungene Aufgabe der beruflichen Beschäftigung sei der Kläger infolge anderer Gesundheitsstörungen erwerbsunfähig im Sinne der Rentenversicherung geworden. Das trifft nicht zu; denn die Arbeitsunfähigkeit am 2. November 1961, von der an der Kläger seine Erwerbstätigkeit nicht wieder aufgenommen hat, war zunächst allein auf die Hauterkrankung zurückzuführen, während die sonstigen Leiden, deretwegen später die EU bejaht wurde, erst Ende November beim Einsetzen einer Grippe bemerkt und diagnostiziert wurden. Das akute Auftreten des Ekzems am 2. November 1961 hat denn auch Dr. G in seinem vertrauensärztlichen Gutachten als den Stichtag für den Beginn der EU hervorgehoben. Dem Umstand, daß die LVA die gemäß § 1247 RVO zu gewährende Rente im Hinblick auf § 1290 Abs. 1 Satz 1 RVO schon vom 1. November 1961 an gewährt hat, kommt nach Meinung des erkennenden Senats keine ausschlaggebende Bedeutung zu.

Hat somit hinsichtlich der zeitlichen Reihenfolge des Auftretens die BK einen - wenngleich geringen - Vorsprung vor den anderen Leiden, die bei der EU des Klägers ins Gewicht fielen, so bleibt zu prüfen, ob etwa das Vorliegen dieser sonstigen Leiden dem Versicherungsfall der BK Nr. 46 deshalb entgegenstand, weil der Kläger nicht ausschließlich durch seine berufliche Hauterkrankung zur Aufgabe des Berufs gezwungen wurde. Dies hat das LSG zutreffend verneint. Nach allgemeinen Grundsätzen muß es als genügend erachtet werden, daß die berufliche Hauterkrankung eine wesentliche Teilursache für die Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit gebildet hat (vgl. BSG 22, 200). Daß dies beim Kläger der Fall war, ergibt sich aus dem vertrauensärztlichen Gutachten des Dr. G, der das Berufsekzem unter den Gesundheitsstörungen, welche die EU des Klägers begründeten, gleichrangig aufgeführt hat; demgegenüber ist die verneinende Beantwortung der Formularfrage Nr. III 7 a wohl nur als ein Versehen des Gutachters aufzufassen.

Das LSG hat freilich nicht festgestellt, an welchem Tage der Kläger seinen Entschluß, den Maurerberuf aufzugeben, durch entsprechende Schritte gegenüber seinem letzten Arbeitgeber verwirklicht hat. Dieser Zeitpunkt ist an sich entscheidend für den Eintritt des Versicherungsfalls bei der BK Nr. 46, jedoch steht einer genauen zeitlichen Fixierung oftmals der Umstand entgegen, daß sich Verhandlungen zwischen dem Erkrankten und dem Arbeitgeber über das Ausscheiden aus der hautgefährdenden Tätigkeit über längere Zeit hinziehen können. Wie deshalb der erkennende Senat in seinem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 31. Mai 1967 (2 RU 114/66) entschieden hat, ist in dem Fall, in dem die Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit in einem Zeitraum erfolgte, während dessen der Erkrankte arbeitsunfähig war, der Eintritt des Versicherungsfalls auf den ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit anzusetzen, weil damit ein klar bestimmbarer Zeitpunkt gewonnen wird. Der Kläger wurde am 2. November 1961 arbeitsunfähig und blieb es ununterbrochen bis zu seinem Anfang 1962 gestellten Antrag auf Gewährung der Rente wegen EU, worin sein Entschluß, von nun an jede Erwerbsarbeit einzustellen, zweifelsfrei zum Ausdruck gelangte. Deshalb ist der Versicherungsfall der BK Nr. 46 bei ihm am 2. November 1961 eingetreten. Das LSG hat demgemäß die Beklagte mit Recht unter Zugrundelegung dieses Zeitpunkts zur Entschädigungsleistung verurteilt.

Die Revision ist hiernach unbegründet und muß zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2365104

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