Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufsschutz als Facharbeiter. Berufsunfähigkeit. Waldfacharbeiter

 

Leitsatz (redaktionell)

Für die Gewährung des Berufsschutzes als Facharbeiter reicht es nicht aus, wenn der Versicherte lediglich als Facharbeiter (hier: Waldfacharbeiter) geführt und bezahlt wurde. Erforderlich ist vielmehr die entsprechende Beschäftigung, dh die vollwertige Verrichtung der Facharbeitertätigkeit.

 

Orientierungssatz

Bisheriger Beruf - zumutbare Tätigkeiten.

 

Normenkette

RVO § 1246 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 07.03.1977; Aktenzeichen L 2 J 170/76)

SG Koblenz (Entscheidung vom 22.09.1976; Aktenzeichen S 9 J 384/75)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 7.März 1977 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger die Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit nach § 1246 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zusteht.

Der Kläger war zunächst in der Landwirtschaft und daneben bei der Forstverwaltung, danach im Baugewerbe und seit April 1962 bis zum 31. März 1977 ausschließlich bei der Forstverwaltung tätig. Die Beklagte lehnte den am 28. März 1975 gestellten Rentenantrag mit Bescheid vom 11. Juni 1975 ab. Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 22. September 1976 die Klage abgewiesen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 7. März 1977 die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Kläger, der seit November 1962 als Waldfacharbeiter geführt und bezahlt worden sei, könne noch verschiedene leichte Arbeiten verrichten, zB mit einfachen Handgriffen an Maschinen, vor allem an halbautomatischen, mit einfachem Sortieren und Auslesen, mit der Pflege leichter Geräte, mit Etikettieren, Abfüllen, Verwiegen, Löten, Wickeln, Stanzen von Kleinteilen und sogar einfache Montierarbeiten. Diese Tätigkeiten seien auch einem Facharbeiter zumutbar. Das Bundessozialgericht (BSG) habe die Tätigkeiten eines Verwiegers, Tafelführers, Schalttafel- oder Apparatewärters, eines einfachen Maschinisten und ähnliche Tätigkeiten einem Facharbeiter zugemutet. Daraus gehe hervor, daß die Anforderungen an eine zumutbare Tätigkeit über einen schlichten Menschenverstand (ohne ausgesprochene Fachkenntnis) kaum hinauszugehen brauchten, so daß dem Kläger die ihm gesundheitlich noch möglichen Tätigkeiten zumutbar seien. Er sei daher nicht berufsunfähig.

Der Kläger hat dieses Urteil mit der zugelassenen Revision angefochten. Er rügt eine Verletzung des § 1246 Abs 2 RVO und mangelnde Sachaufklärung. Er ist der Ansicht, das LSG habe die Grenzen der Zumutbarkeit für einen Facharbeiter zu weit und nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des BSG gezogen. Ein Facharbeiter müsse sich nur auf solche ungelernte Tätigkeiten verweisen lassen, die eine hervorgehobene betriebliche Bedeutung haben und an die besondere Anforderungen gestellt werden. Die Qualitätsmerkmale dieser gehobenen ungelernten Tätigkeiten fänden in der Regel ihren Ausdruck in der entsprechend hohen tariflichen Einstufung des maßgebenden Tarifvertrages. Es sei insbesondere nicht zulässig, einen Facharbeiter schlechthin auf das weite Feld der Revisions-, Überwachungs-, Kontrolltätigkeiten und Apparatebedienung zu verweisen, sondern es müsse konkret unter Zuhilfenahme von Tarifverträgen festgestellt werden, welchen tariflichen Rang die in Betracht gezogenen Tätigkeiten einnehmen. Eine solche Prüfung habe das LSG nicht vorgenommen.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil, das Urteil des Sozialgerichts sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. Juni 1975 aufzuheben und diese zu verurteilen, dem Kläger ab 1. April 1975 Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit zu zahlen;

hilfsweise,

den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig und die Revision des Klägers für unbegründet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hat insofern Erfolg, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen wird. Die festgestellten Tatsachen reichen zur abschließenden Entscheidung nicht aus.

Ausgangspunkt für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit iS des § 1246 Abs 2 RVO ist der bisherige Beruf. Das LSG hat zwar festgestellt, der Kläger sei seit November 1962 als Waldfacharbeiter geführt und bezahlt worden. Das reicht aber noch nicht aus, um von der Tätigkeit eines Waldfacharbeiters auszugehen. Es steht nicht fest, ob der Kläger die Waldfacharbeiterprüfung abgelegt und den Facharbeiterbrief erworben hat (vgl hierzu BSG SozR 2200 Nr 11 zu § 1246). Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist zwar auch dann von der Facharbeitertätigkeit auszugehen, wenn der Versicherte, der die ordnungsgemäße Ausbildung nicht durchlaufen und den Facharbeiterbrief nicht erworben hat, die Facharbeitertätigkeit vollwertig verrichtet hat. Das ist anzunehmen, wenn er langjährig wie ein Facharbeiter beschäftigt und entlohnt worden ist (vgl BSG SozR Nr 5 zu § 46 Reichsknappschaftsgesetz). Sollte der Kläger den Facharbeiterbrief nicht erworben haben, so könnte nur dann von der Tätigkeit eines Waldfacharbeiters ausgegangen werden, wenn er diese Tätigkeit vollwertig verrichtet hätte. Das steht jedoch nicht fest. Die Tatsache, daß er als Waldfacharbeiter geführt und bezahlt worden ist, reicht allein nicht aus, denn nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats muß er entsprechend beschäftigt worden sein. Zwar mögen die Feststellungen des LSG die Annahme der Tatsache nahelegen, daß der Kläger die Tätigkeit eines Waldfacharbeiters auch langjährig vollwertig verrichtet hat. Der Senat kann als Revisionsgericht diese Tatsache aber nicht feststellen, auch wenn dieser Schluß aus den Indizien sich noch so sehr aufdrängt.

Aber auch die Feststellungen des LSG zur Zumutbarkeit der dem Kläger gesundheitlich noch möglichen Tätigkeiten sind unvollständig. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats, der sich sowohl der 4. als auch der 1. Senat des BSG angeschlossen haben, sind einem Facharbeiter nur solche Tätigkeiten iS des § 1246 Abs 2 RVO zumutbar, die entweder zu den sonstigen Ausbildungsberufen (angelernte Tätigkeiten) gehören oder aber wegen der ihnen anhaftenden Qualitätsmerkmale aus dem Kreis der ungelernten Tätigkeiten herausragen und ebenso wie sonstige Ausbildungsberufe bewertet werden, was am zuverlässigsten aus der tariflichen Eingruppierung erkennbar ist (vgl BSG SozR 2200 Nrn 4, 11, 16 und 17 zu § 1246 sowie Urteile vom 17. Dezember 1976 - 5 RJ 92/76 - und - 5 RJ 86/76 -, vom 22. September 1977 - 5 RJ 96/76 -, vom 19. Oktober 1977 - 4 RJ 141/76 - und vom 15. März 1978 - 1/5 RJ 128/76 -). Das angefochtene Urteil enthält keinerlei Feststellungen zu den notwendigen Kenntnissen und Fähigkeiten oder sonstigen Qualitätsmerkmalen der dem Kläger zugemuteten Tätigkeiten. Aus dem Berufungsurteil geht auch nicht hervor, ob und wie sehr die Verweisungstätigkeiten sich wegen der ihnen anhaftenden Qualitätsmerkmale aus dem Kreis der übrigen ungelernten Tätigkeiten hervorheben. Insbesondere steht nicht fest, wie sie tariflich bewertet werden. Der bloße Hinweis darauf, daß andere Tätigkeiten in früheren Urteilen des BSG für einen Facharbeiter für zumutbar gehalten worden sind, die nicht höher zu bewerten seien als die dem Kläger noch möglichen Tätigkeiten, reicht nicht aus. Abgesehen davon, daß es sich um Tätigkeiten aus verschiedenen sachlichen Tarifgebieten handelt, ist der Qualitätsvergleich auch nicht überzeugend. Während es sich bei den Tätigkeiten eines Verwiegers, Tafelführers, Schalttafel- oder Apparatewärters und einfachen Maschinisten im Bergbau um verantwortungsvolle Tätigkeiten handelt, die ebenso wie sonstige Ausbildungsberufe (angelernte Tätigkeiten) tariflich bewertet werden, steht nicht fest, ob es sich bei den vom LSG genannten einfachen Tätigkeiten, die der Kläger noch verrichten kann, überhaupt um solche handelt, die aus dem Kreis der übrigen ungelernten Tätigkeiten irgendwie hervorragen. Sollte die erneute Prüfung ergeben, daß für den Kläger noch iS von § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO zumutbare Vollzeittätigkeiten vorhanden sind, so kann auf diese die Rechtsprechung des Großen Senats des BSG zur Frage, ob der Arbeitsmarkt für Teilzeitarbeitskräfte offen oder verschlossen ist, grundsätzlich nicht angewendet werden (vgl SozR 2200 § 1246 Nr 19).

Der erkennende Senat hat auf die danach begründete Revision des Klägers das angefochtene Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur Nachholung der fehlenden Feststellungen an das LSG zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1652122

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