Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldzuschlag. Anrechnung auf Sozialhilfe. Nachzahlungsbetrag. Erstattung an Sozialhilfeträger
Orientierungssatz
1. Der Kindergeldzuschlag unterliegt nicht einer besonderen Zweckbestimmung sondern ist Teil des bedarfsdeckenden Einkommens iS des § 76 Abs 1 BSHG und ist infolgedessen bei der Bedarfsberechnung der Hilfe zum Lebensunterhalt zu berücksichtigen (vgl BSG vom 3.4.1990 - 10 RKg 29/89 = SozR 3 - 5870 § 11a Nr 1).
2. Zur Anwendbarkeit der §§ 103 und 104 SGB 10 für den Fall der Bewilligung von Leistungen nach § 11a BKGG.
Normenkette
BKGG § 11a Abs 7; BKGG § 11a Abs 8; BSHG § 76 Abs 1, § 77; SGB 10 §§ 103-104
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 03.11.1989; Aktenzeichen L 6 Kg 2/89) |
SG Speyer (Entscheidung vom 06.01.1989; Aktenzeichen S 9 Kg 9/88) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, den Klägern die ihrer Rechtsvorgängerin nach § 11a Abs 7 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) für die Jahre 1986 und 1987 bewilligten Zuschläge zum Kindergeld auszuzahlen.
Die ursprüngliche Klägerin - R P , gestorben am 9. Juni 1989 - hatte vier Kinder. Sie bezog von der beigeladenen Stadt Sozialhilfeleistungen. Im Oktober 1987 beantragte R P den vollen Kindergeldzuschlag für 1986. Die Beklagte lehnte dies zunächst ab, hob ihre Entscheidung jedoch mit Bescheid vom 6. Januar 1988 auf und gab dem Antrag statt. Die Leistung wurde aber nicht an die Antragstellerin ausgezahlt, sondern gleichzeitig entschieden, daß der Nachzahlungsbetrag an die Beigeladene zu zahlen sei. Der hiergegen gerichtete Widerspruch blieb erfolglos.
Das Sozialgericht (SG) hat den Bescheid vom 6. Januar 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 1988 geändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin für 1986 den Kindergeldzuschlag in Höhe von 540,- DM auszuzahlen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die - vom SG zugelassene - Berufung der Beklagten zurückgewiesen und - ohne dies allerdings im Urteilstenor ausdrücklich zu kennzeichnen - auch über den während des sozialgerichtlichen Verfahrens ergangenen Bescheid vom 12. Februar 1988 entschieden, durch den die Beklagte der ursprünglichen Klägerin den Kindergeldzuschlag für das Jahr 1987 bewilligt, aber ebenfalls die Erstattung des Nachzahlungsbetrags an die Beigeladene verfügt hatte. In den Entscheidungsgründen des LSG wird ua ausgeführt: Die Bescheide vom 6. und 28. Januar 1988 sowie der Bescheid vom 12. Februar 1988 seien nicht rechtmäßig. Die Kläger hätten als Nachfolger der inzwischen verstorbenen R P einen Anspruch auf Auszahlung des Kindergeldzuschlages. Dieser Anspruch gelte nicht gemäß § 107 Abs 1 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) als erfüllt. Denn dem beigeladenen Sozialhilfeträger stehe kein Erstattungsanspruch zu. Bei dem Kindergeldzuschlag handele es sich nicht um anrechenbares Einkommen iS von § 76 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG). Es sei eine spezielle Leistung mit einer speziellen Zweckbestimmung. Durch sie solle einkommensschwachen Bevölkerungsschichten ein Ausgleich dafür gegeben werden, daß sie die im Rahmen des Familienlastenausgleichs vorgesehenen steuerrechtlichen Kinderfreibeträge nicht in Anspruch nehmen könnten. Demgemäß verfolge der Gesetzgeber mit der Gewährung des Kindergeldzuschlages einen anderen Zweck als mit der Gewährung der Hilfe zum Lebensunterhalt. Eine andere Auslegung des § 11a BKGG iVm § 77 BSHG hätte zur Folge, daß ausgerechnet besonders bedürftige Personen nicht in den Genuß des Kindergeldzuschlages kämen. Zwar sei zweifelhaft, ob der Zweck des § 11a BKGG in der Norm "ausdrücklich" (§ 77 Abs 1 BSHG) genannt sei. Es sei aber zwischen der Zweckbestimmung des Kindergeldes und des Kindergeldzuschlages zu unterscheiden. Die Zweckbestimmung des § 11a BKGG sei zumindest in den Gesetzesmaterialien eindeutig dokumentiert.
Mit den - vom LSG zugelassenen - Revisionen machen die Beklagte und die Beigeladene geltend, weder aus dem Gesetz noch aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich, daß der Kindergeldzuschlag einer besonderen Zweckbestimmung unterliege. Die Leistung sei deshalb als Einkommen iS von § 76 BSHG anzusehen und müsse für die Zeit, für die der Kindergeldzuschlag rückwirkend gewährt werde, auf die Leistungen der Sozialhilfe angerechnet werden. Deshalb habe für die Beigeladene ein Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X bestanden.
Die Revisionsklägerinnen beantragen,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 3. November 1989 und das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 6. Januar 1989 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger und Revisionsbeklagten beantragen,
die Revisionen zurückzuweisen.
Sie halten die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Die zulässigen Revisionen sind begründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Auszahlung des Kindergeldzuschlages. Denn der Anspruch auf diese Leistung gilt nach § 107 SGB X als erfüllt, weil die Beigeladene von der Beklagten nach § 103 SGB X die Erstattung der Sozialhilfeleistungen, die an R P gewährt worden waren, in Höhe des Kindergeldzuschlages verlangen konnte.
Sowohl die Vorschrift des § 103 SGB X als auch die des § 104 SGB X regeln Fälle, in denen dem Leistungsberechtigten - hier: der früheren Klägerin - Sozialleistungen iS des Sozialgesetzbuches gegen mehrere Leistungsträger zustehen. Ziel beider Vorschriften ist es, Doppelleistungen an den Berechtigten zu verhindern. Solche Doppelleistungen wären im Falle der früheren Klägerin die Zahlung des Kindergeldzuschlages und die Hilfe zum Lebensunterhalt, weil - entgegen der Auffassung des LSG - der Kindergeldzuschlag nicht einer besonderen Zweckbestimmung unterliegt, sondern Teil des bedarfsdeckenden Einkommens iS des § 76 Abs 1 BSHG ist (vgl dazu die eingehende Begründung im Urteil des erkennenden Senats vom 3. April 1990 - 10 RKg 29/89 mwN - zur Veröffentlichung bestimmt; ebenso VG Kassel, Urteil vom 22. November 1987 - V 4 E 1893/86 -, ZfSH/SGB 1988, 211) und infolgedessen bei der Bedarfsberechnung der Hilfe zum Lebensunterhalt zu berücksichtigen ist.
Bei der Regelung des Konkurrenzverhältnisses zwischen den gegen mehrere Leistungsträger bestehenden, im Verhältnis zum Leistungsberechtigten nur einmal zu erfüllenden Leistungsansprüchen erfaßt § 103 SGB X nur die Fälle, in denen der zuerst leistende Sozialleistungsträger aufgrund eines im Zeitpunkt seiner Leistung nur gegen ihn bestehenden, später jedoch wegfallenden Rechtsgrundes leistet, weil an seiner Stelle ein anderer Leistungsträger leistungspflichtig geworden ist. Es handelt sich dabei also um einen Fall der condictio ob causam finitam, der für das bürgerliche Recht in § 812 Abs 1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) entsprechend geregelt ist. Demgegenüber findet die Vorschrift des § 104 SGB X nur auf die Fälle Anwendung, in denen zwar Leistungsansprüche gegen mehrere leistungspflichtige Träger bestehen, von denen der Berechtigte jedoch nur die Erfüllung eines dieser Ansprüche durchzusetzen vermag. Der Gesetzgeber erreicht dies, indem er ein Rangverhältnis für die verschiedenen Ansprüche begründet hat.
Im Falle der Kläger ist das Konkurrenzverhältnis nicht nach § 104 SGB X, sondern nach § 103 SGB X zu beurteilen, weil R P im Zeitpunkt der Gewährung der Sozialhilfeleistungen noch keinen Anspruch auf Zahlung des Kindergeldzuschlages nach § 11a Abs 7 BKGG hatte. Sowohl aus den unterschiedlichen Regelungen des § 11 BKGG einerseits und des § 11a Abs 1 BKGG andererseits über die Berechnung des für das Regelkindergeld und den Kindergeldzuschlag maßgeblichen Einkommens (vgl insbesondere § 11 Abs 3 BKGG und § 11a Abs 1 BKGG), als auch aus der unterschiedlichen Regelung der Anspruchsvoraussetzungen für die laufende Zahlung des Kindergeldes in § 9 Abs 1 BKGG und des Kindergeldzuschlages in § 11a Absätze 7 und 8 BKGG, vor allem aber aus der Zielsetzung und der Systematik des § 11a BKGG, folgt, daß es sich bei dem Kindergeldzuschlag um einen rechtlich selbständigen Teil des Kindergeldes handelt (vgl dazu erkennender Senat, Urteil vom 18. Juli 1989 - 10 RKg 27/88 - SozR 5870 § 11a Nr 1).
Der Anspruch auf diesen rechtlich selbständigen Teil des Kindergeldes - den Kindergeldzuschlag - entstand im vorliegenden Fall für das Jahr 1986 erst mit der Bewilligung gemäß § 11a Abs 7 BKGG durch Bescheid vom 6. Januar 1988 und für das Jahr 1987 mit der Bewilligung durch Bescheid vom 12. Februar 1988. Damit entfiel aber nachträglich der Anspruch auf die von der Beigeladenen für 1986 und 1987 der verstorbenen R P gewährten Sozialhilfeleistungen, so daß die Voraussetzungen des § 103 Abs 1 SGB X gegeben waren: Die Beklagte hatte der Beigeladenen die erbrachten Sozialleistungen zu erstatten. Dem steht auch nicht § 103 Abs 1 letzter Halbsatz SGB X entgegen; denn im Zeitpunkt der Kenntnisnahme von den Sozialleistungen war der Kindergeldzuschlag nicht an die frühere Klägerin ausgezahlt.
Ist aber ein Erstattungsanspruch der Beigeladenen gegen die Beklagte entstanden, so gilt gemäß § 107 Abs 1 SGB X der Anspruch des Berechtigten als erfüllt, soweit der Erstattungsanspruch besteht. Dieser betrifft den Kindergeldzuschlag für die Jahre 1986 und 1987. Denn die Sozialhilfeleistungen waren in Höhe des Kindergeldzuschlages für den genannten Zeitraum gewährt worden. Damit sind aber auch die für die Beigeladene geltenden Rechtsvorschriften erfüllt (§ 103 Abs 2 SGB X).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen