Entscheidungsstichwort (Thema)

Magenleiden. Sachaufklärungspflicht. Grenze richterlicher freier Beweiswürdigung

 

Orientierungssatz

1. Im Recht der Kriegsopferversorgung ist nicht nur auf die besonderen Umstände, sondern auch auf die besondere Einzelpersönlichkeit abzustellen. Es kommt nicht darauf an, ob sich die versorgungsrechtlich erheblichen Ereignisse im Rahmen "durchschnittlicher, gewöhnlicher" Anforderungen gehalten haben. Wenn der Kapitän außergewöhnliche Anforderungen an die Besatzung des Schiffes, dem der Kläger angehörte, verneinte, so schließt dies noch nicht aus, daß das Magengeschwürsleiden des Klägers durch den Seedienst hervorgerufen oder verschlimmert wurde. Auch die "gewöhnlichen" Anforderungen während des Kriegseinsatzes auf See können eine starke auf den Gesundheitszustand nachteilig wirkende Belastung mit sich gebracht haben (vgl BSG 1959-11-11 11/9 RV 290/57 = BSGE 11, 50).

2. § 128 SGG gewährt dem Tatsachengericht nicht uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit, sondern nur die Befugnis, innerhalb der Grenzen frei zu entscheiden, die ihm durch die Pflicht gezogen sind, alle Umstände sachgemäß abzuwägen (vgl BSG 1956-11-13 10 RV 370/54 = BSGE 4, 112).

 

Normenkette

SGG §§ 103, 128; BVG § 1

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 04.05.1960)

SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 23.09.1959)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 4. Mai 1960 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Kläger beantragte 1946 Versorgung wegen chronischen Magenleidens und recidivierender Magengeschwüre mit Blutungen. Er führte seine Magenerkrankung auf seine Seefahrtszeit bei der Marine vom September 1938 bis Februar 1941 zurück. 1939 seien bei ihm erstmalig Magenbeschwerden aufgetreten. Während des Krieges habe er des öfteren im Einsatz, meistens in der Nordsee, gestanden; der anstrengende Dienst auf See sei Ursache seines Magenleidens. Dr. G/H, der den Kläger auf Veranlassung des Versorgungsamtes (VersorgA) untersuchte und begutachtete, stellte narbig-ulceröse Prozesse am Bulbus und eine Gastritis fest. Er vertrat die Ansicht, das Magen- und Zwölffingerdarmgeschwürsleiden sei zwar ein konstitutionell bedingtes Leiden, doch dürfe man bei seiner Entstehung und Entwicklung die äußeren Faktoren nicht unterschätzen. Zu heiße und zu kalte Speisen, unregelmäßige Nahrungsaufnahme, nicht zuletzt Nikotin- und Alkoholabusus und seelische Erschütterungen, wie sie die Kriegsjahre mit sich gebracht hätten, würden ätiologisch bei der Entstehung des Magen- und Zwölffingerdarmgeschwürsleidens eine nicht unbedeutende Rolle spielen. Es müsse daher angenommen werden, daß das Geschwürsleiden des Klägers durch den Dienst zur See "in Gang gesetzt" worden, der Dienst also das auslösende Moment gewesen sei. Dr. G/H bejahte eine Wehrdienstbeschädigung (WDB) im Sinne der Auslösung und Verschlimmerung. Die Landesversicherungsanstalt (LVA) als Versorgungsbehörde bewilligte mit Bescheid vom 24. August 1948 dem Kläger wegen Magengeschwürsleidens, entstanden infolge militärischen Dienstes, eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v. H. Durch Umanerkennungsbescheid vom 3. April 1952 gewährte das VersorgA Soest die Rente unter Übernahme der anerkannten Schädigungsfolge nach dem gleichen Grad der MdE ohne vorherige Nachuntersuchung auch nach den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Nachdem bei der versorgungsärztlichen Untersuchung des Klägers am 17. Juni 1953 Geschwüre am Magen und Zwölffingerdarm nicht mehr nachweisbar waren, setzte das VersorgA Frankfurt/Main mit Bescheid vom 1. Oktober 1953 die Rente ab 1. Dezember 1953 nach einer MdE um 30 v. H. fest. Mit Wirkung vom 1. März 1954 wurde durch Bescheid vom 17. September 1954 die Rente wiederum nach einer HdE um 50 v. H. gewährt, weil die bei der Nachuntersuchung am 23. Juli 1954 erhobenen Befunde erneut eine schwerste Gastritis bei erheblichem Narbenbulbus ergeben hatten.

Im Oktober/November 1956 erhielt das VersorgA vom Krankenbuchlager Berlin-Schöneberg das Krankenblatt des Marinelazaretts Leer über die Behandlung des Klägers im Februar 1941 und von der Deutschen Dienststelle in Berlin-Wittenau eine Auskunft über Eintragungen aus den Personalunterlagen des Klägers bei der Kriegsmarine. Im Krankenblatt ist bei der Vorgeschichte angeben: "Bisheriger Verlauf der gegenwärtigen Krankheit: Seit 1 1 / 2 Jahren Magenbeschwerden; Druckgefühl in der Magengegend, saures Aufstoßen und Sodbrennen, etwa 1 1 / 2 Stunden nach dem Essen. In letzter Zeit Verschlimmerung. Angebliche Ursache: Unbekannt." Die Zusammenfassung enthält den Vermerk: " WDB : Nein. Nicht behauptet." Die Deutsche Dienststelle teilte mit, daß in den Personalunterlagen u. a. eingetragen ist: "Lt. Stammrolle: W. D. B. wegen Magenerkrankung nicht anerkannt. Abf. B. Nr. 17346" und weiterhin: "Auf Grund der Stellungnahme des Schiffsarztes, sowie der Einsatzverhältnisse, die außergewöhnliche Anforderungen an die Besatzung nicht haben, lehne ich die Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung ab. An Bord, den 25. November 1942 Z, Korv . Kapt." Nach erneuter Nachuntersuchung am 29. Januar 1958 erteilte das VersorgA auf Grund des § 41 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG) mit Zustimmung des Landesversorgungsamts (LVersorgA) einen Berichtigungsbescheid vom 25. August 1958, durch den die früheren Rentenbescheide aufgehoben und die Rentenzahlungen mit Ablauf des Monats September 1958 eingestellt wurden. Die Anerkennung des Magengeschwürsleidens sei zweifelsfrei unrichtig, weil aus den zuletzt beigezogenen Unterlagen eindeutig hervorgehe, daß der Dienst bei der Marine nicht geeignet war, das Magenleiden zu verschlimmern. Der Widerspruch wurde vom LVersorgA durch Bescheid vom 24. September 1958 zurückgewiesen.

Das Sozialgericht (SG) Frankfurt/M. verurteilte den Beklagten mit Urteil vom 23. September 1959, Versorgungsrente nach einer MdE um 50 v. H. wegen Magengeschwürsleidens im Sinne der Verschlimmerung über den 30. September 1958 hinaus zu gewähren. Es hielt den Berichtigungsbescheid für rechtswidrig, soweit er die Schädigungsfolge schlechthin aberkannte. 1946 sei keineswegs zweifelsfrei gewesen, was der Beklagte aus den Lazarettunterlagen im Jahr 1956 entnommen habe. Da Dr. G/H auf Grund der Angaben des Klägers dem Marinedienst einen mit der Versehrtenstufe II bewerteten Verschlimmerungsanteil zuerkannt habe, müsse das Geschwürsleiden im Sinne der Verschlimmerung anerkannt bleiben.

Auf die Berufung des Beklagten hob das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 4. Mai 1960 das sozialgerichtliche Urteil auf und wies die Klage ab. Aus dem Urteil des SG gehe nicht mit hinreichender Deutlichkeit hervor, welche Gründe für die Verurteilung maßgebend waren. Das SG hätte dafür, daß eine Verschlimmerung anzuerkennen sei, ganz besondere Tatsachen anführen müssen. Es sei nicht einzusehen, warum die unrichtigen Angaben des Klägers über seinen Dienst, die außer Zweifel bei Dr. G einen Irrtum erregten, nur für die Entstehung, nicht aber auch für die Verschlimmerung des Leidens gelten sollten. Wenn jetzt erwiesen sei, daß besondere Belastungen des Seedienstes überhaupt nicht vorlagen, dann könne auch keine verschlimmernde Einwirkung dieses Dienstes angenommen werden. Daß dies seit Auffinden der Krankenblätter außer Zweifel stehe, sei nicht nur von Dr. H und von Dr. D festgestellt worden, sondern gehe insbesondere aus dem Krankenbuchlagerauszug hervor, nach dem der damalige Korvettenkapitän Z einen Zusammenhang abgelehnt habe. Es müsse angenommen werden, daß diese Ablehnung dem Kläger auch irgendwann zur Kenntnis gekommen sei. Indessen spiele letztere Annahme für die Rechtslage erst dann eine Rolle, wenn die hier nicht anhängige Rückforderungsfrage im Streit sei. Das LSG ließ die Revision nicht zu.

Mit der Revision beantragte der Kläger, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Frankfurt/Main vom 23. September 1959 zurückzuweisen; hilfsweise, das angefochtene Urteil nebst den ihm zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Die Revision hält § 128 Sozialgerichtsgesetz (SGG) für verletzt, weil das LSG das Vorliegen einer Verschlimmerung des Magenleidens verneint habe, obwohl sich hierzu weder im Akteninhalt eine ausreichende Stütze finde noch das LSG eine eigene Beweisaufnahme darüber durchgeführt habe. Die Annahme des LSG gründe sich vielmehr darauf, daß die unrichtigen Angaben des Klägers über seinen Dienst auf See ohne Zweifel bei Dr. G/H einen Irrtum erregt hätten. Das LSG habe aber nicht angegeben, worin die Unrichtigkeit bestanden haben soll. Im Gutachten von Dr. G/H heiße es lediglich, der Kläger habe nach seinen Angaben während des Krieges des öfteren im Einsatz, meist in der Nordsee, gestanden. Diese Erklärung des Klägers stelle eine offensichtlich zutreffende Behauptung dar. Wenn im Gutachten weiterhin ausgeführt werde, der Kläger sei erstmals während seiner Militärdienstzeit 1939 erkrankt und führe dies auf seinen anstrengenden Dienst auf See zurück, so sei auch dies nicht unrichtig, weil der Kläger den Seedienst durchaus als anstrengend habe empfinden können. Zu Unrecht stelle das LSG auch fest, es sei erwiesen, daß besondere Belastungen des Seedienstes überhaupt nicht vorgelegen hätten. Auch hier werde nicht angegeben, inwiefern das Nichtvorliegen besonderer Belastungen des Seedienstes erwiesen sei. Der Vermerk des Korvettenkapitäns Z, die Einsatzverhältnisse hätten keine außergewöhnlichen Anforderungen an die Besatzung gestellt, sei zwar von dessen Standpunkt aus begreiflich; der Kläger habe jedoch immer das Gegenteil behauptet. Es liege auf der Hand, daß die Einsatzverhältnisse an Bord eines Kriegsschiffes im Kriege stets eine besondere Belastung mit sich brächten. Zumindest müsse dies für den damals erst 21 Jahre alten und körperlich nicht entwickelten Kläger gelten. Wenn der Kläger seinerzeit keine WDB behauptet habe, so liege dies daran, daß er 1940/41 ein junger, begeisterungsfähiger Mensch gewesen sei, dem es nicht lag, für irgendein Leiden eine WDB zu behaupten. Nachdem der Gutachter 1946 hinsichtlich der für das Magenleiden ausschlaggebenden Umweltfaktoren zu einem anderen Ergebnis als der Korvettenkapitän Z gekommen sei, hätte das LSG diese voneinander abweichenden Beurteilungen gegeneinander abwägen bzw sich zu weiterer Sachaufklärung über die tatsächlichen Einsatzverhältnisse gedrängt fühlen müssen. Das LSG hätte in diesem Zusammenhang, etwa durch entsprechende Befragung des Klägers, frühere Bordkameraden ermitteln können und müssen. Es hätte dann feststellen können, daß der Korvettenkapitän Z damals überhaupt nicht an Bord des Schiffes gewesen sei, auf dem der Kläger seinen besonders schweren, zumindest für ihn gesundheitlich nachteiligen Einsatz versehen habe.

Der Beklagte beantragte, die Revision des Klägers als unzulässig zu verwerfen.

Er ist der Auffassung, daß die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen nicht durchgreifen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Der Senat hat von der Möglichkeit, in dieser Weise zu verfahren (§ 124 Abs. 2 SGG), Gebrauch gemacht.

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Sie ist auch statthaft, weil das Verfahren des Berufungsgerichts wesentliche Mängel aufweist, die der Kläger gerügt hat (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG).

Das LSG hat sowohl seine Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) verletzt als auch die Grenzen des Rechts der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 SGG) überschritten.

Nach § 103 SGG hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, ohne an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten gebunden zu sein. Es hat hierbei seine Ermittlungen auf alle von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus erheblichen Umstände zu erstrecken (BSG in SozR SGG § 103 Da 2 Nr. 7; BSG 9, 277). Diesen Grundsatz hat das LSG nicht genügend beachtet. Es hätte sich gedrängt fühlen müssen, den Sachverhalt dahingehend weiter aufzuklären, unter welchen Verhältnissen der Kläger seinen Dienst auf See leistete. Nach seiner materiell-rechtlichen Auffassung war es für die Entscheidung erheblich, alle Tatsachen zu ermitteln, die geeignet waren, nachzuweisen oder Anhaltspunkte dafür zu geben, ob das Magengeschwürsleiden des Klägers auf Einwirkungen zurückzuführen ist, denen der Kläger während seines Seedienstes ausgesetzt war. Das LSG ist - zutreffend - davon ausgegangen, der angefochtene Berichtigungsbescheid sei nur dann rechtmäßig, wenn die tatsächliche und rechtliche Unrichtigkeit der durch den Berichtigungsbescheid aufgehobenen Rentenbescheide im Zeitpunkt ihres Erlasses außer Zweifel stehe (§ 41 VerwVG). Auf Grund der dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden und von der Revision nicht angegriffenen Feststellung, daß der Kläger 1941 eine WDB nicht behauptete und der Korvettenkapitän Z die Anerkennung einer WDB ablehnte, weil die Einsatzverhältnisse keine außergewöhnlichen Anforderungen an die Besatzung stellten, erübrigte sich eine weitere Sachaufklärung keineswegs. Wenn Korvettenkapitän Z. außergewöhnliche Anforderungen an die Besatzung des Schiffes, dem der Kläger angehörte, verneinte, so schließt dies noch nicht aus, daß das Magengeschwürsleiden des Klägers durch den Seedienst hervorgerufen oder verschlimmert wurde. Auch die "gewöhnlichen" Anforderungen während des Kriegseinsatzes auf See können eine starke auf den Gesundheitszustand nachteilig wirkende Belastung mit sich gebracht haben. Im Recht der Kriegsopferversorgung (KOV) ist nicht nur auf die besonderen Umstände , sondern auch auf die besondere Einzelpersönlichkeit abzustellen. Es kommt nicht darauf an, ob sich die versorgungsrechtlich erheblichen Ereignisse im Rahmen "durchschnittlicher, gewöhnlicher" Anforderungen gehalten haben (BSG 11, 50). Andererseits hat das LSG selbst nicht die Auffassung vertreten, daß die damalige Feststellung des Korvettenkapitäns Z versorgungsrechtlich bindend sei und einer erneuten Überprüfung der Zusammenhangsfrage entgegenstehe. Da der Kläger behauptet hat, sein Dienst auf See sei anstrengend gewesen und sein Magenleiden sei erstmals während seiner Seedienstzeit 1939 aufgetreten, hätte sich das LSG nicht mit den Angaben des Korvettenkapitäns Z zufrieden geben dürfen, sondern aufklären müssen, unter welchen näheren Umständen der Kläger seinen Dienst auf See leistete. Zu dieser Sachaufklärung hätte es sich um so mehr gedrängt fühlen müssen, als Dr. G/H allgemeinen Umweltfaktoren der Kriegsjahre (zu heiße und zu kalte Speisen, unregelmäßige Nahrungsaufnahme, Nikotin- und Alkoholabusus, seelische Erschütterungen) eine nicht unbedeutende Rolle für die Entstehung eines Magen-Zwölffingerdarmgeschwürsleidens beigemessen und angenommen hat, daß der Dienst zur See das Leiden in Gang setzte. Zwar besagen das Krankenblatt des Marinelazaretts Leer und die in der Auskunft der Deutschen Dienststelle enthaltenen Angaben aus den Personalunterlagen der Kriegsmarine, der Kläger habe weder 1941 noch später während des Krieges eine WDB wegen seiner Magenerkrankung geltend gemacht. Auch aus diesem Grunde hat das LSG aber nicht von weiterer Sachaufklärung absehen dürfen. Der Kläger hat in seiner Klageschrift vorgetragen, er habe damals geglaubt, eine WDB könne nur von einer Verwundung herrühren. Daß diese Angabe unglaubwürdig sei, hat das LSG nicht festgestellt. Es hat lediglich beiläufig und ohne jegliche Begründung erwähnt, es müsse angenommen werden, dem Kläger sei die Ablehnung der WDB für das Magenleiden durch den Korvettenkapitän Z "irgendwann" zur Kenntnis gekommen. Bei dieser Sachlage wäre das bisherige Ermittlungsergebnis nur dann ausreichend, wenn dem LSG weitere Beweismittel zur Sachaufklärung nicht zur Verfügung gestanden hätten. Das kann jedoch schon deshalb nicht angenommen werden, weil das LSG keinen Versuch zu weiterer Sachaufklärung unternommen und auch dem Kläger keine Gelegenheit gegeben hat, weitere Beweismittel, zB ehemalige Bordkameraden zu benennen. Hierzu hätte um so mehr Veranlassung bestanden, als das SG zu einer Leidensanerkennung im Sinne der Verschlimmerung gelangt war. Demnach bleibt festzustellen, daß das LSG seiner Verpflichtung, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 103 SGG), nicht in ausreichendem Maße nachgekommen ist. Diesen Verfahrensmangel hat der Kläger ordnungsgemäß gerügt (§ 164 Abs. 2 Satz 2 SGG). Zwar hat er § 103 SGG als verletzte Rechtsnorm nicht besonders genannt. Aus seinem Vorbringen ist jedoch mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, daß er die Verletzung dieser Vorschrift rügen will, weshalb es nicht erforderlich war, diese ausdrücklich zu bezeichnen (BSG 1, 227).

Mit Recht rügt die Revision aber auch Verstöße gegen § 128 SGG. Nach dieser Vorschrift hat das Gericht seine Entscheidung nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu treffen und im Urteil die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. § 128 SGG gewährt dem Tatsachengericht nicht uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit, sondern nur die Befugnis, innerhalb der Grenzen frei zu entscheiden, die ihm durch die Pflicht gezogen sind, alle Umstände sachgemäß abzuwägen (BSG 1, 197; 4, 114). Diesen Grundsatz hat das LSG nicht hinreichend beachtet. Es hat ausgeführt, auch eine Verschlimmerung des Magengeschwürsleidens sei nicht als Schädigungsfolge anzuerkennen, weil die unrichtigen Angaben des Klägers über seinen Dienst auf See ohne Zweifel beim Gutachter Dr G/H einen Irrtum erregten. Es hat jedoch - wie die Revision zutreffend hervorhebt - nicht angegeben, worin die angeblichen Unrichtigkeiten bestanden haben sollen. Das hätte das LSG aber tun müssen; denn wenn das Urteil eines Tatsachengerichts auch nicht alle Umstände zu behandeln braucht, die Gegenstand des Verfahrens geworden sind, so ist es doch nicht von der Pflicht zu sachgemäßer Prüfung derjenigen Umstände entbunden, die Zweifel an der getroffenen Entscheidung aufkommen lassen können (vgl. Peters/Sautter/Wolff, Komm. zur Sozialgerichtsbarkeit, § 128 Anm. 3). Im vorliegenden Fall sind solche Zweifel nicht ausgeschlossen. Der Kläger hat angegeben, er hätte während des Krieges des öfteren im Einsatz, meistens in der Nordsee, gestanden, und er führe seine während der Marinedienstzeit aufgetretene Magenerkrankung auf den anstrengenden Dienst auf See zurück. Diese Angaben werden durch den Akteninhalt nicht widerlegt. Er enthält keinen Anhalt dafür, daß der Kläger nicht im Kriegseinsatz in der Nordsee war. Es läßt sich aus ihm auch nicht entnehmen, daß der Dienst des Klägers ohne Anstrengungen war. Zwar hat der Korvettenkapitän Z "außergewöhnliche" Anforderungen an die Schiffsbesatzung verneint. Solche "außergewöhnliche" Einwirkungen hat der Kläger aber auch nicht behauptet, wobei noch völlig ungeklärt ist, was Korvettenkapitän Z unter "außergewöhnlichen Anforderungen" verstanden hat. Da auch gewöhnliche Anforderungen des Seedienstes als anstrengend empfunden werden können und das LSG keine Feststellungen getroffen hat, welchen Dienst der Kläger zu verrichten hatte, kann aus den Angaben des Korvettenkapitäns Z nicht gefolgert werden, der Kläger habe eine unrichtige Erklärung abgegeben. Von unrichtigen Angaben des Klägers kann auch nicht deshalb ausgegangen werden, weil sich der Kläger nicht auf die in seinen Personalunterlagen und im Krankenblatt enthaltenen Eintragungen bezogen, sondern seinen eigenen Eindruck mitgeteilt hat. Unrichtige Angaben lägen insoweit nur vor, wenn der Kläger von diesen Eintragungen Kenntnis gehabt und ihren Inhalt unrichtig wiedergegeben hätte. Zwar hat das LSG ausgeführt, es müsse angenommen werden, dem Kläger sei die Ablehnung der Anerkennung einer WDB für sein Magenleiden durch den Korvettenkapitän Z irgendwann zur Kenntnis gekommen. Es hat aber auch hierbei wiederum nicht angegeben, welche Gründe seine Annahme rechtfertigen. Abgesehen hiervon wäre aber damit auch kein unrichtiges Vorbringen des Klägers dargetan. Denn wenn der Kläger damals tatsächlich die Verneinung einer WDB erfahren haben sollte, konnte er sich dies damit erklären, daß er in Unkenntnis des Versorgungsrechts keinen entsprechenden Antrag gestellt hatte. Deshalb sind seinerzeit möglicherweise auch die wesentlichen Anhaltspunkte, die für eine WDB im Sinne der Verschlimmerung Voraussetzung gewesen wären, vom Kläger nicht vorgetragen und nicht gewürdigt worden. Die von der Revision nach § 128 SGG erhobene Rüge greift nach alledem gleichfalls durch.

Die Revision ist auch begründet. Das Urteil des LSG beruht auf der Verletzung der §§ 103, 128 SGG; denn es ist möglich, daß die angefochtene Entscheidung anders ausgefallen wäre, wenn dem LSG diese Gesetzesverletzungen nicht unterlaufen wären. Das Urteil des LSG unterliegt daher der Aufhebung. Da der Senat die notwendigen weiteren Feststellungen nicht treffen kann, war der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG). Das LSG wird die von der Revision vermißten bzw. beanstandeten Feststellungen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats nachzuholen haben.

Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2391720

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