Leitsatz (amtlich)
Ein eigener Anspruch auf Krankenpflege (Krankenhauspflege) schließt einen entsprechenden Familienhilfeanspruch (RVO § 205) auch dann aus, wenn die Leistung aus der Familienhilfe als Mehrleistung zu gewähren wäre (Ergänzung zu BSG 1965-02-10 3 RK 61/60 = BSGE 22, 252).
Normenkette
RVO § 184 Fassung: 1911-07-19, § 205 Fassung: 1930-07-26
Tenor
Auf die Revision der beklagten Krankenkasse wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 12. Mai 1964 aufgehoben.
Die Berufung des klagenden Sozialhilfeträgers gegen das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 29. März 1960 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Der klagende Sozialhilfeträger (Stadt O), der 1958 die Kosten einer Krankenhausbehandlung des Rentners P (P.) übernommen hat, nachdem dieser von der beklagten Krankenkasse ausgesteuert worden war, fordert nach § 1531 ff der Reichsversicherungsordnung (RVO) Ersatz seiner Aufwendungen abzüglich eines Abgeltungsbetrages, den die Beklagte nach Abschnitt III des Erlasses des Reichsarbeitsministers über Verbesserungen in der gesetzlichen Krankenversicherung - Verbesserungserlaß - vom 2. November 1943 (AN 1943 II S. 485) gezahlt hat.
Die Beklagte gewährte Anfang 1958 dem P., der damals bei ihr als Rentenantragsteller pflichtversichert war, Krankenhauspflege bis zur Aussteuerung am 28. März 1958. Die Kosten der anschließenden Krankenhausbehandlung bis zum 7. Juni 1958 (mit Ausnahme des 25. und 26. Mai) in Höhe von 777,50 DM wurden zunächst vom klagenden Sozialhilfeträger übernommen. Nach dessen Ansicht muß jedoch die Beklagte auch diese Kosten voll tragen, weil die - ebenfalls bei der Beklagten pflichtversichert gewesene - Ehefrau des P. für diese Zeit einen Anspruch auf Familienkrankenpflege für ihren Ehemann gehabt habe.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 29. März 1960). Das Landessozialgericht (LSG) hat ihr dagegen auf die Berufung des Klägers mit Urteil vom 12. Mai 1964 stattgegeben: Die Beklagte hätte für die streitige Zeit Familienkrankenhauspflege für P. gewähren müssen, da P. selbst - nach seiner Aussteuerung mit Krankenhauspflege bei der Beklagten - keinen anderweitigen gesetzlichen Anspruch darauf gehabt habe.
Die beklagte Krankenkasse hat gegen dieses Urteil die - vom LSG zugelassene - Revision eingelegt und hat sie vor allem auf ein inzwischen ergangenes Urteil des Senats gestützt, wonach ein Krankenhilfeanspruch aus eigener Versicherung einen Familienhilfeanspruch für denselben Versicherungsfall ausschließt (BSG 22, 252). Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Niedersachsen vom 12. Mai 1964 aufzuheben und die Berufung des klagenden Sozialhilfeträgers gegen das Urteil des SG Osnabrück vom 29. März 1960 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er meint, die von der Beklagten genannte Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) sei auf Versicherungsfälle, die vor dem 1. August 1961 in der ehemaligen britischen Zone eingetreten seien, wegen unterschiedlicher Rechtslage nicht anzuwenden. Bis dahin sei dort nämlich Familienkrankenhauspflege nur eine auf besonderer Satzungsbestimmung beruhende Mehrleistung gewesen, deren Gewährung nicht ausdrücklich davon abhängig gemacht worden sei, daß kein anderweitiger gesetzlicher Anspruch auf Krankenpflege bestehe.
Beide Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
II
Die Revision der beklagten Krankenkasse ist begründet. Dem klagenden Sozialhilfeträger steht die von ihm geltend gemachte und vom Berufungsgericht zuerkannte Ersatzforderung nicht zu.
Wie der Senat inzwischen unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung, die im wesentlichen mit der Ansicht des LSG übereinstimmte (BSG 17, 186), entschieden hat, besteht kein Anspruch auf Familienkrankenpflege für einen Angehörigen, der im Zeitpunkt der Erkrankung einen Anspruch auf Krankenpflege aus eigener Versicherung hat (BSG 22, 252). Diese Entscheidung betrifft allerdings einen Fall aus der ehemaligen amerikanischen Besatzungszone, in der schon im Jahre 1956 Familienkrankenhauspflege als Regelleistung der Krankenversicherung unter den gleichen Voraussetzungen und im gleichen Umfange wie Krankenhauspflege für die Versicherten selbst zu gewähren war (Art. 10 der Ersten Verordnung zur Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts in der Sozialversicherung vom 17. März 1945 - Erste VereinfVO -, RGBl I, 41). In der ehemaligen britischen Zone wurde demgegenüber Familienkrankenhauspflege bis zum 1. August 1961 - dem Tage, an dem dort Art. 10 der Ersten VereinfVO hinsichtlich der Gewährung von Familienkrankenhauspflege wieder in Kraft trat (Art. 3 Abs. 1 des Gesetzes vom 12. Juli 1961, BGBl I, 913) -, als eine durch die Satzung der einzelnen Krankenkasse bestimmte Mehrleistung gewährt (§ 205 Abs. 3 Satz 4 RVO i.V.m. Abschnitt II Nr. 1 c des Verbesserungserlasses und Ziff. 3 e der Sozialversicherungsdirektive Nr. 4 vom 14. Oktober 1945, Arbeitsblatt für die britische Zone 1947, 13).
Dieser Unterschied der Rechtslage hat jedoch im vorliegenden Zusammenhang, insbesondere für die Frage, ob die Gewährung von Familienkrankenhauspflege durch einen anderweitigen gesetzlichen Anspruch auf Krankenhauspflege ausgeschlossen wird, keine Bedeutung. Familienkrankenhauspflege ist und war stets nur eine besondere Erscheinungsform der Familienkrankenpflege für den Fall, daß ambulante ärztliche Behandlung nicht ausreicht. Demgemäß regelte schon der Verbesserungserlaß vom 2. November 1943 die Gewährung von Familienkrankenhauspflege im Unterabschnitt "Familienkrankenpflege" und damit als einen Teil derselben. Die Voraussetzungen, die für die Gewährung von Familienkrankenpflege gelten, insbesondere die Bedingung, daß der Versicherte "nicht anderweit einen gesetzlichen Anspruch auf Krankenpflege" hat (§ 205 Abs. 1 RVO), gelten deshalb ohne weiteres auch für die Gewährung von Familienkrankenhauspflege, mag diese als Regel- oder als Mehrleistung gewährt werden. Auch bei Gewährung als Mehrleistung gehört die Subsidiarität zum Wesen der Familienkrankenpflege (BSG 25, 142, 144).
Im vorliegenden Fall hätte somit die Ehefrau des P. für die streitige Zeit nur dann Familienkrankenpflege (in Gestalt von Krankenhauspflege) für ihren Ehemann beanspruchen können, wenn dieser im Zeitpunkt seiner Erkrankung nicht anderweit einen gesetzlichen Anspruch auf Krankenpflege gehabt hätte. Diese Bedingung war jedoch nicht erfüllt. P. hatte vielmehr in dem genannten Zeitpunkt einen eigenen Anspruch auf Krankenpflege; andernfalls hätte die Beklagte nicht die Kosten seiner stationären Behandlung bis zum 28. März 1958 übernommen. Dieser anderweitige Anspruch des P. aus eigener Versicherung (Rentnerkrankenversicherung) schloß einen entsprechenden Familienhilfeanspruch auch für die Zeit nach seiner Aussteuerung aus. Die Gründe, die im einzelnen für diese Auffassung sprechen, hat der Senat in BSG 22, 252 näher dargelegt; er hält daran auch nach nochmaliger Prüfung fest.
Da die beklagte Krankenkasse mithin über den 28. März 1958 hinaus weder dem P. aus dessen eigener Versicherung noch der Ehefrau des P. für ihren Ehemann Krankenhauspflege zu gewähren brauchte, kann der klagenden Sozialhilfeträger keinen Ersatz der von ihm insoweit übernommenen Behandlungskosten beanspruchen. Auf die Revision der Beklagten hat der Senat deshalb das angefochtene Urteil aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG, das die Klage abgewiesen hatte, zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 4 Satz 4 SGG.
Fundstellen