Leitsatz (amtlich)
Bei der Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes nach RVO § 571 Abs 1 S 2 können zur Ausfüllung von Zeiten, in denen der Verletzte kein Arbeitseinkommen bezogen hat, nur Tätigkeiten berücksichtigt werden, welche zu der dem Unfall unmittelbar vorangehenden Tätigkeit noch in einer durch das Erwerbsleben des Verletzten bestimmten Beziehung stehen. Entfällt die Anwendbarkeit des RVO § 571 Abs 1 S 2, weil die frühere Tätigkeit des Verletzten nicht berücksichtigt werden kann, so ist der Jahresarbeitsverdienst nach RVO § 571 Abs 1 S 3 zu berechnen.
Normenkette
RVO § 571 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1963-04-30, S. 3 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 14. März 1967 wird aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Die im Jahre 1911 geborene Klägerin war von 1927 bis 1929 als Hausgehilfin, anschließend bis 1936 als Arbeiterin und, nachdem sie Stenografie und Maschinenschreiben gelernt hatte, von 1936 bis 1945 als Stenotypistin beruflich tätig. Seitdem übte sie bis zum 19. Mai 1964 keine Erwerbstätigkeit mehr aus. Im Jahre 1948 heiratete sie. Am 19. Mai 1964 nahm sie eine Halbtagsarbeit als Packerin in einer Margarinefabrik an ihrem Wohnort auf. Vom 7. Juli 1964 an sollte sie ganztägig arbeiten. Sie begann an diesem Tage ihre Arbeit um 7 Uhr und verunglückte gegen 15 Uhr. Für die Unfallfolgen, die zur Absetzung der linken Hand führten, gewährte ihr die Beklagte durch Bescheid vom 12. März 1965 Verletztengeld und vom 1. Februar 1965 an bis auf weiteres eine vorläufige Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 60 v. H. Diesen Leistungen wurde ein Jahresarbeitsverdienst (JAV) von 3810,- DM zugrunde gelegt. Dieser Betrag entsprach dem Dreihundertfachen des für die Klägerin maßgebenden Ortslohnes.
Diesen Bescheid hat die Klägerin beim Sozialgericht (SG) Itzehoe angefochten; ihr Klagbegehren richtet sich gegen die Höhe des JAV. Die Klägerin ist der Ansicht, daß der Berechnung des JAV das Arbeitseinkommen zugrunde zu legen sei, welches sie in ihrem früheren Beruf als Büroangestellte bezogen habe; dies ergäbe einen JAV von 6736,45 DM; mindestens müsse der volle Lohn berücksichtigt werden, den sie bei ihrer ganztägigen Beschäftigung bezogen habe.
Während des Klageverfahrens hat die Beklagte durch Bescheid vom 2. Mai 1966 die Dauerrente festgestellt und dabei wiederum den JAV von 3810,- DM zugrunde gelegt.
Das SG hat durch Urteil vom 14. November 1966 die Klage abgewiesen.
Mit der Berufung hiergegen hat die Klägerin die Klage auf die Anfechtung des Dauerrentenbescheides beschränkt und beantragt, ihr über die Berechnung der Unfallrente vom 1. Juni 1966 an einen neuen Bescheid zu erteilen und der Berechnung der Rente den JAV einer Kontoristin zugrunde zu legen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 14. März 1967 das erstinstanzliche Urteil sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. Mai 1966 geändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin über die Berechnung ihrer Unfallrente vom 1. Juni 1966 an einen neuen Bescheid zu erteilen und dabei den JAV von 5828,08 DM zugrunde zu legen; im übrigen hat das LSG die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Zur Begründung des Urteils hat es u. a. ausgeführt: Die nur noch gegen den gemäß § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) angefochtenen Dauerrentenbescheid gerichtete und daher zulässige Berufung sei zum Teil begründet. Da die Klägerin im Jahre vor dem Unfall nicht ununterbrochen beruflich tätig gewesen sei, finde für die Berechnung des JAV § 571 Abs. 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) Anwendung. Danach sei für Zeiten, in denen der Verletzte im Jahre vor dem Unfall kein Arbeitseinkommen bezogen habe, der Berechnung des JAV das Arbeitseinkommen zugrunde zu legen, das durch eine Tätigkeit erzielt werde, welche der letzten Tätigkeit des Verletzten vor diesen Zeiten entspreche. Wie lange hierbei die frühere Arbeit zurückliege, sei unerheblich. Eine Einschränkung auf kurzfristige Unterbrechungen der Arbeit, wie durch Krankheit, Arbeitslosigkeit und dergleichen Gründe, mache das Gesetz nicht; das ergebe sich auch aus der Regelung des Satzes 3 von § 571 Abs. 1 RVO, die zu befolgen sei, wenn der Verletzte früher nicht gegen Entgelt gearbeitet habe; nur in einem solchen Fall und nicht auch dann, wenn die frühere Tätigkeit längere Zeit zurückliege, solle die Höhe des JAV nach der zur Zeit des Unfalls ausgeübten Tätigkeit bemessen werden. Da Satz 3 hier sonach keine Anwendung finde, müsse nach Satz 2 die Einkommenslücke vom 7. Juli 1963 bis zum 19. Mai 1964 durch den Verdienst aus einer Arbeit ausgefüllt werden, welche der früheren Arbeit der Verletzten vor dem Unfall entspreche. Das ergebe einen JAV von 5828,08 DM, welcher der Berechnung der Dauerrente zugrunde zu legen sei. Soweit die Klägerin einen höheren JAV verlange, sei ihr Begehren nicht begründet.
Das Urteil ist der Beklagten am 24. April 1967 zugestellt worden. Sie hat gegen das Urteil am 22. Mai 1967 Revision eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Revisionsbegründungsfrist am 26. Juni 1967 begründet. Sie ist der Meinung, § 571 Abs. 1 Satz 2 RVO beziehe sich nur auf Fälle, in denen der Lebensstandard des Versicherten infolge vorübergehenden Ausfalls von Arbeitseinkommen absinke; ein solcher Fall liege hier nicht vor, da die Klägerin seit dem Jahre 1945 nicht mehr im Erwerbsleben gestanden und im Mai 1964 eine andersartige Tätigkeit aufgenommen habe.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Itzehoe vom 14. November 1966 zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie gibt vor allem zu bedenken, daß, wenn in die Vorschrift des § 571 Abs. 1 Satz 2 RVO hinsichtlich der Dauer der Berufslosigkeit eine Frist hineininterpretiert werde, reiner Willkür freier Lauf gegeben wäre.
II
Die Revision ist zulässig. Sie hatte auch insofern Erfolg, als das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen war.
Die Klägerin hatte nach den von ihr nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) nicht während des ganzen Jahres vor dem Arbeitsunfall, der ihr am 7. Juli 1964 zustieß, Arbeitseinkommen bezogen. Für die umstrittene Berechnung des JAV kommt daher § 571 Abs. 1 Satz 1 RVO nicht in Betracht; denn diese Vorschrift setzt voraus, daß der Verletzte während des ganzen Jahres vor dem Unfall Arbeitseinkommen erzielt hat. Da die Klägerin aber nach den ebenfalls unangegriffenen Feststellungen des Berufungsurteils bis zum Jahre 1945 bereits im Erwerbsleben gestanden hatte, hat das LSG zu Recht geprüft, ob der JAV nach Satz 2 des § 571 Abs. 1 RVO zu ermitteln ist. Nach dieser Vorschrift wird für Zeiten, in denen der Verletzte im Jahre vor dem Arbeitsunfall kein Arbeitseinkommen bezog, das Arbeitseinkommen zugrunde gelegt, das durch eine Tätigkeit erzielt wird, welche der letzten Tätigkeit des Verletzten vor diesen Zeiten entspricht. Diese Regelung gilt also für den Fall, daß ein Verletzter, der nicht innerhalb des ganzen Jahres vor dem Arbeitsunfall beschäftigt gewesen ist, vor der Zeit, in der er kein Arbeitseinkommen hatte, bereits erwerbstätig war. Das LSG hat demzufolge die frühere Tätigkeit bei der Berechnung des JAV berücksichtigt, obwohl die Klägerin seit Kriegsende bis zum 19. Mai 1964 nicht mehr erwerbstätig gewesen war. Es vertritt unter Berufung auf den Wortlaut des Gesetzes die Auffassung, daß bei der Ausfüllung der Zeiten, in denen der Verletzte im Jahre vor dem Unfall kein Arbeitseinkommen bezogen hat, auch eine weit in der Vergangenheit liegende Tätigkeit nicht außer Betracht bleiben dürfe.
Diese Auffassung billigt der erkennende Senat nicht. Ihr steht zwar der Wortlaut des § 571 Abs. 1 Satz 2 RVO nicht entgegen. Er allein vermag jedoch nicht, als die erschöpfende Grundlage für die Auslegung der Vorschrift zu gelten. Durch ihn ist weder sprachlich noch begrifflich klar zum Ausdruck gebracht, ob die Berücksichtigung einer früheren Erwerbstätigkeit des Verletzten ohne jede zeitliche Einschränkung dem Willen des Gesetzgebers entspricht (vgl. Brackmann, Handbuch der SozVers, 1. bis 6. Aufl., Stand 31.10.1968, Bd. I S. 190 p II/III mit Nachweisungen, insbes. BSG 8, 198, 201; 17, 105, 107 ff; 23, 275, 276 und SozR Nr. 3 zu § 1244 a RVO). Daß vielmehr nach der Wortfassung der Vorschrift hinsichtlich des objektivierten Willens des Gesetzgebers begründete Zweifel offengeblieben sind, lassen gerade die Fälle der vorliegenden Art deutlich erkennen. Daher ist es für die Auslegung des § 571 Abs. 1 Satz 2 RVO erforderlich, unter Beachtung der in Rechtslehre und Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Auslegungsgesichtspunkte den Sinngehalt des § 571 Abs. 1 Satz 2 RVO zu ermitteln (vgl. Brackmann, aaO, S. 190 p I und die zahlreichen Nachweisungen vor allem aus der Rechtsprechung des BVerfG, insbes. Bd. 11, 126, 130). Hierbei ist in erster Linie nach dem Zweck der Vorschrift zu fragen. Soweit hierüber die amtliche Begründung zu § 571 Abs. 1 RVO Aufschluß gibt (BT-Drucks. IV/120 S. 57 re.Sp.), soll durch die Regelung erreicht werden, daß der durch den Ausfall von Arbeitseinkommen im Jahre vor dem Unfall bedingte niedrige Lebensstandard, der in der Regel nicht lange anhalte, nicht zum Maßstab für die gesamte Laufzeit der Rente gemacht werde. Hieraus erhellt, daß es dem Willen des Gesetzgebers entspricht, durch die Berücksichtigung früherer Erwerbstätigkeiten auf jeden Fall vorübergehende Zeiten der Einkommenslosigkeit des Verletzten auszugleichen. Der Natur der Sache nach kommt hierfür normalerweise ein Verdienstausfall vornehmlich durch Krankheit und Arbeitslosigkeit, in der Regel also nur durch eine verhältnismäßig kurze Unterbrechung ein und derselben Erwerbsarbeit, in Betracht. An diesen als die Normalfälle des § 571 Abs. 1 Satz 2 RVO zu bezeichnenden Sachverhalten hat sich nach der Auffassung des erkennenden Senats die Frage zu orientieren, ob es mit dem Zweck der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang, in den sie hineingestellt ist, vereinbart werden kann, daß für die Ausfüllung der Zeit ohne Arbeitseinkommen auch weit zurückliegende Tätigkeiten zu berücksichtigen sind. Konkrete Beurteilungsmaßstäbe zu dieser Frage sind, soweit zu übersehen, bisher weder im Schrifttum noch in der Rechtsprechung erörtert worden. Auch in dem Aufsatz von Dörner und Jegust "Das Verletztengeld nach dem UVNG", veröffentlicht in BG 1963, 153 hier 161, ist lediglich angeführt, daß in die Zeit, für die ein Arbeitseinkommen nicht vorhanden ist, auch eine Tätigkeit hineinprojiziert werden könne, "die in weiter Vergangenheit" liegt. Eine Begründung hierzu fehlt. Dem in diesem Zitat vertretenen Standpunkt steht das sonstige Schrifttum insofern entgegen, als nach ihm einhellig § 571 Abs. 1 Satz 2 RVO in Anlehnung an die angeführte amtliche Begründung offensichtlich auf die Fälle beschränkt sein soll, in denen der Verletzte "zeitweise" oder "für gewisse Zeit", und zwar infolge Krankheit, Arbeitslosigkeit oder sonstiger Gründe, z. B. unbezahlten Urlaubs, nicht erwerbstätig war (vgl. Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. und 5. Buch der RVO, dritte Auflage, Bd. I S. 421 Anm. 4 a zu § 571; Haase/Koch, Erläuterungen zum UVNG, S. 89 Anm. 4 zu § 571; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 2. Aufl., Teil 2 S. 163). Der erkennende Senat hält auf Grund dieser Gesichtspunkte die Auffassung für begründet, daß unter Satz 2 des § 571 Abs. 1 RVO nur Zeiten fallen, die mit der zur Unfallzeit ausgeübten Tätigkeit des Verletzten noch in einem durch sein Arbeitsleben bestimmten Zusammenhang stehen. Zweck und Sinnzusammenhang dieser Vorschrift entspricht es auch am ehesten, einen unter sie als die Ergänzungsregelung zu Satz 1 fallenden Sachverhalt jedenfalls nicht für vorliegend zu erachten, wenn zwischen der zur Unfallzeit ausgeübten Beschäftigung und der früheren Tätigkeit keine im Erwerbsleben des Verletzten begründete Beziehung mehr besteht. Im allgemeinen wird dies der Fall sein, wenn die zwischen den in Betracht kommenden Tätigkeiten liegende Zeit ohne Arbeitseinkommen so weit in die Vergangenheit zurückreicht, daß schon deswegen die Schlußfolgerung gerechtfertigt ist, der Verletzte habe sich durch das Aufgeben seiner früheren Tätigkeit von seinem Erwerbsleben abgewandt. Die Beziehung zwischen dieser Tätigkeit und der bis zum Arbeitsunfall ausgeübten Beschäftigung wird demnach ohne weiteres als gelöst zu betrachten sein, wenn sich der fragliche Zeitraum über Jahre oder gar Jahrzehnte erstreckt. Ist dieser Zeitraum zwar noch erheblich, jedoch für sich allein nicht ausreichend, die Annahme zu begründen, der Verletzte habe sich von seinem Erwerbsleben abgewandt, wird zusätzlich darauf abzustellen sein, in welcher Weise der Verletzte die Zeit ohne Arbeitseinkommen verbracht hat. Eine besondere Bedeutung wird in diesem Zusammenhang den Fällen zukommen, in denen der Verletzte seine Erwerbstätigkeit ohne äußeren Zwang aufgegeben und sich für ständig einem Dasein ohne eigenes Arbeitseinkommen zugewandt hatte, nach einiger Zeit - bis zu einigen Jahren etwa - infolge Wegfalls seiner Existenzgrundlage jedoch wieder erwerbstätig wurde. Unter diesen Umständen wäre nach den vorstehend dargelegten rechtlichen Gesichtspunkten grundsätzlich kein Anwendungsfall des § 571 Abs. 1 Satz 2 RVO gegeben. Ließe der Verletzte jedoch erkennen, daß er während einer solchen Zeit ohne Arbeitseinkommen, etwa durch Teilnahme an Fortbildungskursen, bestrebt geblieben war, sich die Möglichkeit des jederzeitigen Wiedereintritts in das Erwerbsleben offenzuhalten, würde in der Regel die Beziehung zwischen seiner neuerlichen und seiner früheren Tätigkeit nicht als gelöst zu betrachten sein. Von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles wird es daher abhängen, welche Bedeutung die Dauer der fraglichen Zwischenzeit und die Art, wie der Verletzte diese Zeit verbracht hat, für die Wertung haben.
Vom Ergebnis, zu dem die Berücksichtigung der früheren Erwerbstätigkeit bei der Berechnung des JAV nach § 571 Abs. 1 Satz 2 führt, bleibt die Frage, ob diese Vorschrift im jeweils konkreten Falle anwendbar ist, freilich unbeeinflußt. Der ihr zugrunde liegende Schutzgedanke hat, wie sich aus der amtlichen Begründung aaO ergibt, allein die Vermeidung von Nachteilen im Auge, die aus der Anwendung von Satz 1 des § 571 Abs. 1 RVO für den Verletzten entstehen müßten, wenn keine Ergänzungsregelung zu Satz 1 vorhanden wäre. Es kann daher eine zur Ausfüllung der Zeit ohne Arbeitseinkommen herangezogene geringbezahlte Tätigkeit bewirken, daß der JAV im Verhältnis zu einer hochbezahlten Arbeitsleistung im Zeitpunkt des Unfalls entsprechend niedrig ausfällt. Das Korrelat hierzu bietet der umgekehrte Fall. Erhebliche Unbilligkeiten, die sich durch das Verdienstgefälle in der einen wie der anderen Richtung ergeben könnten, brauchten nicht in Kauf genommen zu werden, da dann im Rahmen des § 577 RVO geholfen werden könnte.
Auf Grund der vorstehend dargelegten, vom Berufungsurteil abweichenden Auslegung des § 571 Abs. 1 Satz 2 RVO kann also für die Ausfüllung der Zeit, in welcher die Klägerin innerhalb des Jahres vor dem Arbeitsunfall ohne Arbeitseinkommen war, ihre bis zum Jahre 1945 ausgeübte Tätigkeit nicht berücksichtigt werden. Nach den bindenden Feststellungen des LSG hatte die Klägerin, die vom Kriegsende 1945 an nicht mehr berufstätig war, sich seit ihrer Verheiratung im Jahre 1948 nur ihren familiären Aufgaben gewidmet. Dies rechtfertigt die Schlußfolgerung, daß sie für diese ganze Zeit ihr Erwerbsleben hinter sich gelassen hatte. Umstände, welche geeignet sein könnten, die gegenteilige Auffassung zu begründen, sind nicht ersichtlich und insbesondere auch nicht dem eigenen Vorbringen der Klägerin zu entnehmen. Das Arbeitseinkommen, welches die Klägerin seit Mai 1964 bis zum Eintritt des Arbeitsunfalls erzielt hat, kann also entgegen der Auffassung des LSG nicht im Rahmen des § 571 Abs. 1 Satz 2 RVO ergänzt werden.
In logischer Folge hierzu ist der JAV der Klägerin auf der Grundlage des § 571 Abs. 1 Satz 3 RVO zu berechnen. Dies ergibt sich nach der Auffassung des erkennenden Senats zwingend aus der Systematik des Gesetzes. Durch Satz 3 wird Satz 1 über Satz 2 weiter ergänzt, und zwar für den Fall, daß der JAV auch nicht nach Satz 2 berechnet werden kann. Hierfür spricht schon der sprachliche Zusammenhang zwischen Satz 3 und Satz 2. Natürlich ist der Anwendungsfall des Satz 3 ohne weiteres gegeben, wenn der Verletzte mit der bis zum Unfall ausgeübten Tätigkeit überhaupt erstmalig in das Berufsleben eingetreten ist, z. B. wenn ein Jugendlicher seine erste Erwerbsstelle antritt oder ein bisher Nichterwerbstätiger wegen allgemeinen Arbeitskräftemangels in den Arbeitsprozeß mit eingespannt oder wegen Wegfalls körperlicher Behinderung erstmalig arbeitsfähig wird. Da Satz 3 aber seinem Sinnzusammenhang nach die Fälle auffangen soll, die weder unter Satz 1 noch unter Satz 2 fallen, muß er auch die gesetzliche Grundlage für die Berechnung des JAV eines Verletzten bieten, der früher zwar erwerbstätig war, aber aus den oben dargelegten Gründen nicht unter die Regelung des Satz 2 fällt. Der JAV ist also immer, wenn Satz 2 nicht anwendbar ist, nach Satz 3 zu berechnen, d. h., die Zeit, für welche der Verletzte kein Arbeitseinkommen bezogen hat, muß mit einem Arbeitsverdienst ausgefüllt werden, für den die zur Zeit des Arbeitsunfalls ausgeübte Tätigkeit maßgebend ist.
Die Entscheidung über die Berechnung des JAV hängt hiernach von tatsächlichen Feststellungen ab, welche das LSG bei seiner Rechtsauffassung nicht in Betracht zu ziehen brauchte, deren Erheblichkeit sich jedoch aus den vorstehend dargelegten rechtlichen Gesichtspunkten ergibt. Dem LSG obliegt es nunmehr, diese Feststellungen zu treffen.
Da das Bundessozialgericht in der Sache nicht selbst entscheiden konnte, mußte der Rechtsstreit unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen