Orientierungssatz
Sind die Vorschriften des Zwanzigsten Rentenanpassungsgesetzes vom 27.6.1977 und des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes vom gleichen Tage insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar, als sie für die nach § 2 Abs 1 Nr 11 des Angestelltenversicherungsgesetzes der Angestelltenversicherung auf Antrag beigetretenen Pflichtversicherten nicht das Recht vorsehen, die Pflichtversicherung wieder rückgängig zu machen oder zu beenden?
Normenkette
RAG 20 Fassung: 1977-06-27; KVKG Fassung: 1977-06-27; AVG § 2 Abs 1 Nr 11 Fassung: 1972-10-16; RVO § 1227 Abs 1 S 1 Nr 9 Fassung: 1971-10-16; GG Art 2 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 20 Abs 3 Fassung: 1949-05-23; GG Art 28 Abs 1 Fassung: 1949-05-23
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin ihren Beitritt zur Angestelltenversicherung wieder rückgängig machen kann. Sie ist 1922 geboren und seit 1952 als Ärztin selbständig tätig. Nachdem das Rentenreformgesetz (RRG) vom 16. Oktober 1972 auch für Selbständige allgemein einen Beitritt zur Angestelltenversicherung als Pflichtversicherte zugelassen hatte (§ 2 Abs 1 Nr 11 Angestelltenversicherungsgesetz -AVG-), stellte die - bisher nicht versichert gewesene - Klägerin im Dezember 1972 einen entsprechenden Antrag. Zugleich beantragte sie, ihr die Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen nach einer - ebenfalls durch das RRG in das Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) eingefügten - Vorschrift in Art 2 § 49a Abs 1 zu gestatten, und zwar für die Zeit von 1956 bis November 1972 in einem Gesamtbetrag von zunächst 41.988,-- DM, den sie später auf 29.820,-- DM verminderte.
Die Beklagte entsprach den Anträgen der Klägerin mit zwei Bescheiden vom 12. Juli 1973 und einem Änderungsbescheid vom 18. Mai 1976. Die Klägerin entrichtete daraufhin Pflichtbeiträge für die Jahre 1973 bis 1975 in Höhe von 4.968,--, 5.400,-- und 6.048,-- DM; freiwillige Beiträge hat sie bisher nur für die Zeit bis 1967 in Höhe von 23.340,-- DM nachentrichtet.
Ende 1975 bat die Klägerin die Beklagte, sie "wieder aus der Versicherungspflicht zu entlassen"; finanzielle Belastungen im Zusammenhang mit einem Bauvorhaben machten es ihr schwer, weiterhin die hohen Pflichtbeiträge aufzubringen; stattdessen wolle sie in tragbarem Umfang freiwillige Beiträge entrichten. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil ein Ausscheiden aus der Pflichtversicherung nicht möglich sei, solange eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt werde (Bescheid vom 18. Mai 1976). Auch der Widerspruch der Klägerin, mit dem sie geltend machte, sie sei von einem Sachbearbeiter der Beklagten falsch beraten worden, blieb ohne Erfolg: Mit der Wahl der Pflichtversicherung statt einer freiwilligen Versicherung habe sie ihr Wahlrecht verbraucht, ein Beratungsfehler sei nicht feststellbar (Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 1977).
Die Klage ist vom Sozialgericht (SG) als unbegründet abgewiesen worden: Ein Ausscheiden aus der Antrags-Pflichtversicherung sei im Gesetz nur bei Beendigung der selbständigen Tätigkeit vorgesehen, ein Verzicht auf die Versicherungspflicht sei nicht zulässig; für eine Anfechtung des Beitritts durch die Klägerin sei schon deshalb kein Raum, weil sie sich allenfalls in einem (unbeachtlichen) Motivirrtum befunden habe; eine falsche Auskunft sei ihr nicht erteilt worden, auch eine fehlerhafte Beratung habe nicht vorgelegen (Urteil vom 13. März 1979).
In der vom SG zugelassenen Sprungrevision hat die Klägerin ausgeführt, ihr freiwilliger Beitritt zur gesetzlichen Rentenversicherung müsse ebenso wie ein privates Versicherungsverhältnis wieder lösbar sein, wenn sich der Beitritt, wie in ihrem Falle, nachträglich als Fehlentscheidung herausstelle. Wäre eine solche Entscheidung "lebenslänglich unkorrigierbar", wäre dies "mit dem ordre publique unseres Staatswesens nicht vereinbar".
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG München vom 13. März 1979, den
Widerspruchsbescheid der Beklagten vom
16. Februar 1977 und den Bescheid vom 18. Mai 1976
aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,
sie aus ihrer Pflichtmitgliedschaft in der
Rentenversicherung zu entlassen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Ihrer Ansicht nach hat der Gesetzgeber bewußt die Möglichkeit einer jederzeitigen Lösung der Antrags-Pflichtversicherung ausgeschlossen; die pflichtversicherten Selbständigen stünden insoweit den abhängig Beschäftigten gleich.
Entscheidungsgründe
Die Klägerin will mit ihrem - mit der Klage weiterverfolgten - Antrag, sie aus der Pflichtmitgliedschaft in der Rentenversicherung zu entlassen, zwar nicht eine rückwirkende Aufhebung ihrer mit dem 1. Dezember 1972 eingetretenen Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung, sondern nur deren Beendigung von einem späteren Zeitpunkt an erreichen. Auch ein solcher Anspruch findet jedoch in Vorschriften des AVG oder sonstigen Vorschriften und Grundsätzen des einfachen Rechts keine Stütze.
Nach dem AVG endet eine Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Nr 11 "mit dem Ablauf des Monats, in dem die Voraussetzungen für die Versicherung entfallen" (§ 2 Abs 2 Satz 3, 2. Halbsatz). Zu diesen Voraussetzungen gehört zunächst, daß nicht schon nach anderen Vorschriften Versicherungspflicht besteht (vgl dazu BSGE 49, 39), ferner, daß eine selbständige Erwerbstätigkeit nicht nur vorübergehend ausgeübt wird. Entfällt eine dieser Voraussetzungen, indem entweder Versicherungspflicht nach anderen Vorschriften eintritt oder die selbständige Tätigkeit auf Dauer aufgegeben wird, so endet auch die Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Nr 11 AVG. Ein früher vom Versicherungsträger erteilter Bescheid über den Eintritt der Versicherungspflicht (§ 2 Abs 2 Satz 2 AVG) ist dann mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (vgl § 48 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) vom 18. August 1980, BGBl I 1469; zum Inkrafttreten dieser Vorschrift vgl Art 2 § 40 Abs 2 des Gesetzes). Bei der Klägerin ist bisher keine der genannten Voraussetzungen entfallen; sie ist nach wie vor als Ärztin selbständig tätig und nicht nach anderen Vorschriften versicherungspflichtig.
Die Weigerung der Beklagten, die Klägerin wieder aus der Pflichtversicherung zu entlassen, könnte auch dann rechtswidrig sein, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für den Eintritt der Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Nr 11 AVG von Anfang an nicht vorgelegen hätten. Zu ihnen gehört, daß der zu versichernde Selbständige die Versicherung beantragt. Liegt ein solcher Antrag nicht vor, ergeht aber gleichwohl ein Bescheid des Versicherungsträgers über den Eintritt der Versicherungspflicht, so ist dieser Bescheid rechtswidrig, möglicherweise sogar nichtig (vgl dazu Urteil des Bundessozialgerichts -BSG- vom 15. Oktober 1981, 5b/5 RJ 90/80).
Das gilt auch, wenn ein zunächst gestellter Antrag später wirksam zurückgenommen wird. Dies kann indessen nur so lange geschehen, wie der Bescheid des Versicherungsträgers nicht unanfechtbar und damit bindend geworden ist (vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 52. Nachtrag, S 621 f; Kommentar zum 4. und 5. Buch der RVO, herausgegeben vom Verband deutscher Rentenversicherungsträger, 19. Ergänzung, § 1227 RdZiff 49; enger RVO-Gesamtkommentar, 17. Lieferung, § 1227 Anm 19, und Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, 6. Aufl, Anm 27: Rücknahme des Antrags nur bis zur Zustellung bzw bis zum Zugang des Bescheids; zur Rücknahme von Anträgen nach allgemeinem Verfahrensrecht vgl Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl, Vorbem 12 vor § 9 und RdZiff 33 ff zu § 22). Der Bescheid der Beklagten über den Eintritt der Versicherungspflicht der Klägerin vom 12. Juli 1973 war zu der Zeit, als die Klägerin ihre Entlassung aus der Pflichtversicherung beantragte (Schriftsatz vom 19. Dezember 1975), bereits unanfechtbar geworden; der Beitrittsantrag der Klägerin konnte deshalb nicht mehr wirksam zurückgenommen werden. Auf diesem Wege kann die Klägerin mithin eine Aufhebung oder Änderung des genannten Bescheids nicht erreichen. Die Klägerin kann ihr Austrittsbegehren auch nicht damit begründen, daß sich ihre wirtschaftlichen Verhältnisse nachträglich verschlechtert hätten. Das Gesetz sieht für diesen Fall eine Beendigung der Pflichtversicherung nicht vor. Daß es sich insoweit nicht um eine - vom Richter ausfüllbare - Lücke im Gesetz handelt, ergibt sich aus der parlamentarischen Entstehungsgeschichte der Antragsversicherung, die auf einen Gesetzentwurf der CDU/CSU zurückgeht (BT-Drucks VI/5153); danach soll "ein ,Austritt, aus der durch den Antrag begründeten Pflichtversicherung nicht möglich (sein), solange vor dem Versicherungsfall die selbständige Erwerbstätigkeit weiterhin ausgeübt wird. Eine derartige Möglichkeit würde mit dem Grundsatz gleicher Rechte und gleicher Pflichten aller Versicherten nicht in Einklang stehen" (aaO S 16 zu § 1 Nr 1 Buchst d).
Auch ein Vergleich mit anderen Vorschriften des Versicherungsrechts spricht gegen die Annahme eines freien "Austrittsrechts". In Betracht kommen dabei vor allem Regelungen der Rentenversicherung, die - als Gegenstück zu der von einem Antrag abhängigen Begründung einer Versicherungspflicht - eine ebenfalls antragsgebundene Befreiung von ihr betreffen, und hier wiederum Bestimmungen, die den von der Versicherungspflicht befreiten Personen einen Wiedereintritt in die Versicherung durch Verzicht auf die Befreiung gestatten. Die Rechtsprechung hat bisher ohne ausdrückliche gesetzliche Vorschriften einen Wiedereintritt in die Versicherung durch Verzicht auf die Befreiung nicht zugelassen. Das gilt insbesondere für Angestellte, die vor 1968 wegen Überschreitung der Versicherungspflichtgrenze zunächst der Angestelltenversicherungspflicht nicht unterlegen hatten, bei einer der verschiedenen Erhöhungen der Versicherungspflichtgrenze oder ihrem schließlichen Wegfall (1. Januar 1968) aber versicherungspflichtig geworden waren und sich daraufhin unter Abschluß einer privaten Befreiungsversicherung von der Versicherungspflicht hatten befreien lassen, nachträglich jedoch wieder in die gesetzliche Rentenversicherung zurückkehren wollten. Diese Möglichkeit ist ihnen vom Gesetzgeber jeweils nur in bestimmten Fällen und innerhalb bestimmter Fristen eröffnet worden (vgl Art 2 § 1 Abs 4 AnVNG, aber auch Art 2 § 5a AnVNG). Daraus ist mit Recht gefolgert worden, daß die genannte Möglichkeit in anderen Fällen nicht gegeben ist (vgl Kommentar zum AVG von Koch/Hartmann/von Altrock/Fürst/Kaltenbach/Maier, 2. und 3. Aufl, Anm D III zu § 5 AVG, S V 80d). Auch soweit bestimmte Versorgungsempfänger, zB pensionierte Beamte, die sich nach Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung von der Versicherungspflicht haben befreien lassen (§ 7 Abs 1 AVG), früher das Recht hatten, auf die Befreiung wieder zu verzichten (§ 7 Abs 6 AVG, aufgehoben durch Gesetz vom 3. Juni 1976, BGBl I 1373), ist eine analoge Anwendung dieser Regelung auf andere Gruppen von befreiten Personen, insbesondere auf die unter § 7 Abs 2 AVG fallenden, abgelehnt und auch eine verfassungskonforme Ausdehnung des § 7 Abs 6 AVG aF auf andere Fälle nicht zugelassen worden (vgl dazu BVerfGE 38, 41, 49).
Ist hiernach das Austrittsbegehren der Klägerin aus Vorschriften des "einfachen" Rechts nicht zu begründen - einen Herstellungsanspruch wegen falscher Beratung durch die Beklagte hat sie mit der Revision nicht weiterverfolgt -, so wäre ihre Revision zurückzuweisen, es sei denn, das Fehlen entsprechender Vorschriften verstieße gegen übergeordnetes Verfassungsrecht. Dies ist nach Ansicht des Senats in der Tat der Fall, nachdem das Zwanzigste Rentenanpassungsgesetz (20. RAG) und das Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz (KVKG), beide vom 27. Juni 1977, die Rechtsposition der Versicherten, insbesondere der Antrags-Versicherten, in für viele Versicherte wesentlichen Beziehungen erheblich verschlechtert haben. Das gilt namentlich für die Minderbewertung von Ausbildungs-Ausfallzeiten und die Einschränkung der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht der Rentner.
Der Senat geht dabei mit dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) davon aus, daß die Vorschriften des 20. RAG über die Minderbewertung von Ausbildungs-Ausfallzeiten als solche mit dem Grundgesetz (GG), insbesondere mit der Eigentumsgarantie des Art 14, vereinbar sind (Beschluß des BVerfG vom 1. Juli 1981, 1 BvR 874/77 ua; 1 BvL 33/80 ua). Der Senat ist weiter der Auffassung, daß auch die Neuregelung der Rentnerkrankenversicherung und der damit in Zukunft verbundene Ausschluß bestimmter Personen von einer bisher beitragsfreien gesetzlichen Krankenversicherung sich noch im Rahmen der verfassungsrechtlich zulässigen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers hält (der Senat verweist insoweit auf seine Äußerung gegenüber dem BVerfG vom Oktober 1980 in den Sachen 1 BvL 5/80 und 1 BvR 602/78). Nach dieser Neuregelung der Rentnerkrankenversicherung sind ua Personen, die - wie die Klägerin - seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, jedoch frühestens seit dem 1. Januar 1950, bis zur Stellung des Rentenantrags nicht mindestens während der Hälfte der Zeit Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung waren, als Rentner grundsätzlich nicht mehr beitragsfrei pflichtversichert (§ 165 Abs 1 Nr 3 Reichsversicherungsordnung -RVO- nF); gleichzeitig ist ihnen allerdings, sofern ihr Gesamteinkommen bestimmte Grenzen nicht überschreitet, eine Versicherungsberechtigung in der gesetzlichen Krankenversicherung eingeräumt worden (§ 176 Abs 1 Nr 9 RVO nF). Machen sie davon Gebrauch, so werden ihnen zu ihrer freiwilligen Krankenversicherung (wie auch zu einer privaten Krankenversicherung) aus der Rentenversicherung Beitragszuschüsse in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes der Rente gewährt (§ 83e AVG idF des 20. RAG); daran wird sich auch nach der am 1. Januar 1983 in Kraft tretenden Neuregelung der Rentnerkrankenversicherung im Grundsatz nichts ändern (§ 83e Abs 1 Nr 2, Abs 2 AVG idF des RAG 1982 vom 1. Dezember 1981, BGBl I 1205, vgl dessen Art 3 Nr 6 iVm Art 20 Abs 2 Nr 4).
Für Antragsversicherte iS des § 2 Abs 1 Nr 11 AVG bedeuten diese Regelungen des 20. RAG und des KVKG, daß sie - sofern ihre Antragsversicherung bestehen bleibt - zwar weiterhin Beiträge in der gleichen, nach ihrem Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit bemessenen Höhe entrichten müssen, daß sie aber bei Eintritt des Versicherungsfalls unter Umständen erheblich geringere Leistungen erhalten werden, als sie im Zeitpunkt ihres Beitritts zur Rentenversicherung angenommen hatten.Soweit es sich um die Abwertung der Ausbildungs-Ausfallzeiten handelt, ist der Eingriff in das Leistungsrecht allerdings durch das RAG 1982 für bestimmte Fälle während einer Übergangszeit gemildert worden (vgl § 12b AnVNG idF von Art 6 Nr 2 RAG 1982). Alle anderen durch das 20. RAG und das KVKG angeordneten Leistungseinschränkungen sind jedoch bestehen geblieben. Sie treffen vor allem diejenigen Antragsversicherten, die - wie die Klägerin - erst in vorgeschrittenem Lebensalter der Versicherung beigetreten sind und - ihrem Einkommen entsprechend - hohe oder gar höchste Beiträge entrichtet haben. Selbst wenn sie bis zur Erreichung der Altersgrenze von 65 Jahren noch in der Lage sind, die für das Altersruhegeld erforderliche große Wartezeit von (180 Kalendermonaten =) 15 Jahren zurückzulegen (etwa mit Hilfe von Ersatzzeiten oder durch freiwillige Nachentrichtung von Beiträgen), könnte sich, sofern Ausbildungs-Ausfallzeiten anzurechnen sind (§ 36 Abs 1 Nr 4 AVG: bis zu 9 Jahren), durch die Abwertung der auf diese Ausfallzeiten entfallenden Werteinheiten die Rente um fast 20 % mindern. Die Rentenminderung würde noch wesentlich stärker ausfallen, wenn bis zum Eintritt des Versicherungsfalls (zB einer vorzeitigen Erwerbsunfähigkeit) nur die kleine Wartezeit von (60 Kalendermonaten =) 5 Jahren zurückgelegt ist; sie würde dann bei einer Versicherungszeit von insgesamt 14 Jahren (5 Beitragsjahre und 9 Jahre Ausfallzeit) und bei einer Halbierung der auf 9/14 der Rente entfallenden Werteinheiten mehr als 30 % betragen. Rechnet man zu solchen Rentenminderungen noch die durch den Wegfall der beitragsfreien Rentnerkrankenversicherung entstehenden Nachteile hinzu, so können die durch das 20. RAG und das KVKG herbeigeführten Leistungsminderungen zusammen in besonders ungünstigen Fällen wirtschaftlich bis in die Nähe von 50 % der aus der Rentenversicherung zu gewährenden Leistungen kommen.
Da solchen Leistungsminderungen auf seiten der Versicherten unverändert hohe Beitragsverpflichtungen gegenüberständen, würde eine Regelung, die die Versicherten auch gegen ihren Willen an der von ihnen durch den freiwilligen Beitritt zur Rentenversicherung gewählten Sicherungsform festhielte, einen unter Umständen schwerwiegenden Eingriff in ihre persönliche Dispositionsfreiheit bedeuten. Dieser Eingriff könnte weit über die unmittelbaren Folgen der durch die genannten Gesetze bewirkten Leistungsminderungen hinausgehen, weil die Versicherten nunmehr gezwungen wären, ihre Versicherung mit zwar den gleichen Beiträgen wie bisher, aber erheblich eingeschränkten Leistungsanwartschaften fortzuführen, ohne daß sie ihre Alterssicherung auf andere Weise, etwa durch eine private Zusatzversicherung, aufstocken oder ergänzen könnten, sofern ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten durch die Weiterzahlung der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung erschöpft wären. In einem solchen Falle müßten sie sich dann mit einer aus ihrer Sicht unzureichenden, weil ihre Bedürfnisse nur teilweise deckenden Alterssicherung begnügen, während sie sich, wenn sie die unter anderen Voraussetzungen gewählte Rentenversicherung wieder beenden könnten, mit den dann frei werdenden Mitteln möglicherweise eine für sie wesentlich günstigere Alterssicherung verschaffen könnten. Daß ihnen diese Möglichkeit einer Umdisposition durch den Gesetzgeber, der durch seine Eingriffe in das Leistungsrecht erst den Anlaß zu solchen Überlegungen gegeben hat, nicht eingeräumt worden ist, hält der Senat mit den Freiheitsgrundrechten, insbesondere mit dem Grundrecht des Art 2 Abs 1 GG, aber auch mit allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht für vereinbar (vgl dazu BVerfGE 51, 356, 362 f; die Frage, ob es verfassungsrechtlich berechtigt ist, die von der Abwertung der Ausbildungs-Ausfallzeiten Betroffenen an der Antragsversicherung "festzuhalten", ist in dem schon genannten Beschluß des BVerfG vom 1. Juli 1981 ausdrücklich offen gelassen worden).
Das Gesagte gilt um so mehr, als plausible oder gar überwiegende Gründe des öffentlichen Interesses für die Versagung eines "Austrittsrechts" nicht erkennbar sind. Zwar soll, wie schon erwähnt, nach der Entstehungsgeschichte der Antrags-Pflichtversicherung ein "Austritt" aus ihr nicht möglich sein, solange die selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, weil dies mit dem Grundsatz gleicher Rechte und Pflichten aller Versicherten nicht in Einklang stünde. Diese Bemerkung kann sich aber - da gesetzliche Eingriffe in das Leistungsrecht, wie sie im Jahre 1977 vorgenommen wurde, seinerzeit kaum im Blickfeld des Gesetzgebers gelegen haben - nur auf Fälle beziehen, in denen der Austritt aus persönlichen Gründen, etwa wegen Verschlechterung der eigenen wirtschaftlichen Lage, erfolgen soll. Insoweit mag die Versagung eines Austrittsrechts in der Tat sinnvoll und geboten sein. Den Austritt jedoch einem Antragsversicherten auch dann zu versagen, wenn die Austrittsgründe nicht in seinem Einflußbereich liegen, sondern auf Rechtsänderungen und damit auf Eingriffen desselben Gesetzgebers beruhen, der die Beitrittsmöglichkeiten erst geschaffen hat, erscheint dem Senat vom Standpunkt einer gerechten Ordnung nicht erträglich. Dabei kann es nicht allein darauf ankommen, welche Gründe der Versicherte - wie hier die Klägerin - ursprünglich für sein Austrittsverlangen tatsächlich angeführt hat; zu berücksichtigen sind vielmehr alle Gründe, die von einem die Rechtslage voll überschauenden Versicherten nach Verkündung des 20. RAG und des KVKG hätten geltend gemacht werden können oder erst später - nach Beratung durch Dritte - nachgeschoben worden sind.
Alles dies muß jedenfalls dann gelten, wenn der Versichertengemeinschaft durch Zulassung des Wiederaustritts eines Antragsversicherten keine Nachteile entstehen. Eben das kann aber durch geeignete Vorkehrungen sichergestellt werden. So könnte die Versicherung, solange Beiträge vom Versicherten noch nicht geleistet worden sind, ohne Schaden für die Versichertengemeinschaft von Anfang an rückgängig gemacht werden. Sind dagegen schon Beiträge entrichtet worden, so könnte eine Erstattungsregelung Platz greifen, wie sie etwa in § 82 AVG vorgesehen ist. Eine solche hatte auch der Gesetzgeber in einem aus seiner Sicht vergleichbaren Fall - bei dem (später vom BVerfG allerdings für unzulässig erklärten) übergangslosen Ausschluß der freiwilligen Weiterversicherung von Ausländern im Ausland durch § 10 Abs 1 AVG nF (vgl BVerfGE 51, 356) - angeordnet (Art 2 § 26a AnVNG). Eine ähnliche Regelung hätte im Zusammenhang mit dem 20. RAG und dem KVKG getroffen werden können; bei einer die Grundrechte des einzelnen und den rechtsstaatlich gebotenen Vertrauensschutz angemessen berücksichtigenden Interessenabwägung hätte der Gesetzgeber sie nach Ansicht des Senats auch treffen müssen.
Ob die Zahl derjenigen Antragsversicherten erheblich sein wird, die bei Einräumung eines - möglicherweise zu befristenden - Austrittsrechts von diesem auch Gebrauch machen werden, mag dahinstehen. Ein großer, vielleicht der weit überwiegende Teil der Antragsversicherten wird trotz der verminderten Leistungsanwartschaften die gesetzliche Rentenversicherung wegen ihrer sonstigen Vorteile, vor allem wegen der günstigen Nachentrichtungsmöglichkeiten, nicht aufgeben wollen. Ihnen den Austritt jedoch schlechthin zu verwehren und die Austrittswilligen entgegen dem Prinzip der Wahlfreiheit, auf dem die Antragsversicherung - anders als sonst die Pflichtversicherung - beruht, zur Fortsetzung einer aus ihrer Sicht unzureichend oder unwirtschaftlich gewordenen Sicherung zu zwingen, ohne daß dafür überwiegende oder auch nur verständliche Gründe des öffentlichen Interesses zu erkennen sind, hält der Senat für unvereinbar mit Art 2 Abs 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs 3, 28 Abs 1 GG), möglicherweise auch mit Art 14 GG.
Da von der Entscheidung dieser Frage der Erfolg des Klagebegehrens abhängt, der Senat die Frage aber nicht selbst entscheiden kann, hat er sie nach Art 100 Abs 1 GG, § 80 des Gesetzes über das BVerfG diesem vorgelegt.
Fundstellen