Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit des § 11 Abs 1 BKGG idF vom 20.12.1982

 

Orientierungssatz

1. Zur Frage, ob § 11 Abs 1 BKGG idF des Art 13 HBegleitG 1983 vom 20.12.1982 (BGBl I 1982, 1857) mit Art 3 Abs 1 GG vereinbar ist.

2. Das Verfahren vor dem BVerfG ist abgeschlossen, nachdem das vorlegende Gericht durch Beschluß vom 22.8.1990 10 RKg 18/90 seinen Vorlagebeschluß aufgehoben hat.

 

Normenkette

BKGG § 11 Abs 1 S 1 Fassung: 1982-12-20, § 11 Abs 1 S 2 Fassung: 1982-12-20, § 11 Abs 2 Fassung: 1982-12-20, § 10 Abs 2 Fassung: 1982-12-20; GG Art 3 Abs 1; EStG § 2 Abs 1; EStG § 2 Abs 2

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 08.10.1984; Aktenzeichen L 9 Kg 609/84)

SG Stuttgart (Entscheidung vom 17.01.1984; Aktenzeichen S 3 Kg 3156/83)

 

Tatbestand

Der verheiratete Kläger bezog Ende 1982 Kindergeld in gesetzlicher Höhe für fünf Kinder. 1981 hatten die Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb 143.089,-- DM und aus selbständiger Arbeit 177.596,-- DM betragen. Seine Ehefrau hatte Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 190.658,-- DM, aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 174.369,-- DM und aus nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von 8.493,-- DM erzielt. Die steuerlich anerkannten Vorsorgeaufwendungen hatten sich auf 14.863,-- DM belaufen. Im Einkommensteuerbescheid für 1981 wurde ein in der Einkommensart "Gewerbebetrieb" eingetretener Verlust aus den Jahren 1976 bis 1980 in Höhe von 667.164,-- DM berücksichtigt, so daß eine Einkommenssteuer für das Jahr 1981 nicht festgesetzt worden ist.

Die Beklagte ließ die vorgenannten Verluste bei der Ermittlung des für die Höhe des Kindergeldes maßgeblichen Einkommens außer Betracht. Mit dem Bescheid vom 2. August 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. August 1983 stellte sie das Kindergeld rückwirkend ab 1. Januar 1983 auf 540,-- DM monatlich fest. Das für die Monate Januar bis April 1983 überzahlte Kindergeld in Höhe von 1.240,-- DM forderte sie zurück. Den Rückforderungsbetrag rechnete sie gegen die laufende Leistung auf.

Das Sozialgericht Stuttgart hat die Klage mit Urteil vom 17. Januar 1984 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Berufung des Klägers durch Urteil vom 8. Oktober 1984 zurückgewiesen: Der für den Kläger maßgebliche Einkommensfreibetrag iS von § 10 Abs 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) belaufe sich unter Berücksichtigung der fünf Kinder auf 64.920,-- DM. Demgegenüber hätten der Kläger und seine Ehefrau im Jahre 1981 ein Jahreseinkommen iS von § 11 Abs 1 und 2 BKGG in Höhe von 694.205,-- DM erzielt. Damit übersteige das zu berücksichtigende Einkommen den maßgeblichen Jahresfreibetrag, so daß das Kindergeld für das zweite bis fünfte Kind des Klägers nach § 10 Abs 2 BKGG bis auf den jeweiligen Sockelbetrag zu kürzen sei. Die Beklagte habe zutreffend die vom Kläger begehrte Saldierung der positiven Einkünfte mit den in Jahren vor 1981 entstandenen, 1981 steuerlich berücksichtigten Verlusten des Klägers in der Einkommensart "Gewerbebetrieb" nicht durchgeführt. Nach § 11 Abs 1 Satz 1 BKGG gelte als Jahreseinkommen die Summe der 1981 erzielten positiven Einkünfte iS des § 2 Abs 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Da § 11 Abs 1 Satz 1 BKGG allein auf die in dem für die Bemessung maßgeblichen Kalenderjahr erzielten Einkünfte abhebe, seien auch die in früheren Jahren eingetretenen Verluste nicht zu berücksichtigen. Aber selbst wenn die Aufrechnung mit den in den Vorjahren erwirtschafteten Verlusten statthaft sei, entsprächen die angefochtenen Bescheide der Sach- und Rechtslage, weil der Ausgleich der Verluste des Klägers aus der Einkommensart "Gewerbebetrieb" mit den positiven Einkünften aus der Einkommensart "selbständige Arbeit" und denen der Ehefrau nicht zulässig sei (§ 11 Abs 1 Satz 2 BKGG). Diese Regelung sei auch verfassungsrechtlich unbedenklich, sie verstoße insbesondere nicht gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG, weil sie sachgerecht und auch aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität geboten sei. Die mit der typisierenden Regelung des § 11 BKGG unvermeidbar gegebenen Härten und Ungerechtigkeiten beträfen nur einen im Verhältnis zur Gesamtheit der Kindergeldberechtigten kleinen Personenkreis. Das für die Monate Januar bis April 1983 zuviel gezahlte Kindergeld müsse der Kläger nach § 44 Abs 2 BKGG zurückzahlen, weil es ihm von der Beklagten lediglich unter dem Vorbehalt der Rückforderung gemäß § 44 Abs 1 BKGG gewährt worden sei. Insoweit sei auch die Aufrechnung statthaft.

Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 11 Abs 1 BKGG. Die Vorschrift verbiete entgegen der vom LSG vertretenen Ansicht den Verlustabzug nur hinsichtlich anderer als der von § 2 Abs 1 und 2 EStG erfaßten Einkunftsarten. Die Vorschrift des § 11 Abs 1 BKGG würde bei der vom LSG getroffenen Abgrenzung seines Normgehalts auch mit Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) nicht vereinbar sein. Durch das Verbot des § 11 Abs 1 Satz 2 BKGG, positive Einkünfte einer Einkunftsart mit Verlusten aus anderen Einkunftsarten und mit Verlusten des Ehegatten auszugleichen, werde er gegenüber Personen benachteiligt, die Einkünfte und Verluste innerhalb einer Einkunftsart ausgleichen könnten. Die Bemessung des Kindergeldes richte sich nur nach dem tatsächlich zur Verfügung stehenden Einkommen, nicht aber nach einem fiktiven Jahreseinkommen. Das ausnahmslose Verbot des Verlustausgleichs berücksichtige nicht die gesamtwirtschaftliche Lage des Berechtigten. Das gelte auch, soweit es sich um den Ausgleich der in der einen Einkunftsart in den Vorjahren entstandenen Verluste handele. Zwar könne der Gesetzgeber typisierende Regelungen treffen. Es sei jedoch nicht ersichtlich, aus welchem Grund Einkünfte aus verschiedenen Einkunftsarten für Kindergeldberechtigte unterschiedlich zu behandeln sein sollten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg

vom 8. Oktober 1984 und das Urteil des Sozialgerichts

Stuttgart vom 17. Januar 1984 sowie den Bescheid der

Beklagten vom 2. August 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides

vom 24. August 1983 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Das Verfahren wird nach Art 100 Abs 1 Satz 1 GG ausgesetzt und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) eingeholt.

Der Senat hält die in § 11 Abs 1 BKGG getroffene Regelung über das Jahreseinkommen, das bei der Bemessung des Kindergeldes nach § 10 Abs 2 BKGG zugrunde zu legen ist, für verfassungswidrig. Die Regelung verstößt gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG.

1. Bei der Entscheidung des Rechtsstreits kommt es auf die Gültigkeit des § 11 Abs 1 BKGG an. Sollte die Norm ungültig sein, so wäre die Revision des Klägers begründet. Die Beklagte könnte nicht das dem Kläger für seine fünf Kinder zustehende Kindergeld von monatlich 850,-- DM (vgl § 10 Abs 1 BKGG) ab 1. Januar 1983 auf 540,-- DM monatlich herabsetzen und weder für die Zeit ab 1. Januar 1983 die Rückzahlung von Kindergeld fordern (§ 44 Abs 2 Satz 1 BKGG) noch mit dem vermeintlichen Rückforderungsanspruch gegen die laufenden Kindergeldansprüche aufrechnen (§ 44 Abs 2 Satz 2 BKGG). Steht § 11 Abs 1 BKGG dagegen mit dem GG in Einklang, ist die Revision zurückzuweisen.

2. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten entsprechen im Ergebnis dem einfachen Recht.

Nach § 10 Abs 1 BKGG beträgt das Kindergeld für das erste Kind 50,-- DM, für das zweite Kind 100,-- DM monatlich, für das dritte Kind 220,-- DM und für das vierte und jedes weitere Kind je 240,-- DM monatlich. Das Kindergeld wird gemäß § 10 Abs 2 Satz 1 BKGG für das zweite Kind und jedes weitere Kind nach dem in Satz 4 genannten Maßstab stufenweise bis auf einen Sockelbetrag von 70,-- DM für das zweite Kind und 140,-- DM für jedes weitere Kind gemindert, wenn das Jahreseinkommen des Berechtigten und seines nicht dauernd von ihm getrennt lebenden Ehegatten den für ihn maßgeblichen Freibetrag um wenigstens 480,-- DM übersteigt. Der Freibetrag setzt sich zusammen aus 25.920,-- DM für Berechtigte, die verheiratet sind und von ihrem Ehegatten nicht dauernd getrennt leben, 18.120,-- DM für sonstige Berechtigte sowie 7.800,-- DM für jedes Kind, für das dem Berechtigten Kindergeld zusteht (§ 10 Abs 2 Satz 3 BKGG). Für je 480,-- DM, um die das Jahreseinkommen den Freibetrag übersteigt, wird das Kindergeld um 20,-- DM monatlich gemindert; kommt die Minderung des für mehrere Kinder zu zahlenden Kindergelds in Betracht, wird sie beim Gesamtkindergeld vorgenommen (§ 10 Abs 2 Satz 4 BKGG). Die Beklagte hat für den Kläger einen Freibetrag von 64.920,-- DM (25.920,-- DM zuzüglich 5 x 7.800,-- DM) errechnet. Dies entspricht der Vorschrift des § 10 Abs 2 BKGG.

Das LSG hat auch zutreffend entschieden, daß das maßgebliche Jahreseinkommen den vorgenannten Freibetrag überstiegen hat. Als Jahreseinkommen gilt nach § 11 Abs 1 Satz 1 BKGG die Summe der in dem nach Abs 3 oder 4 maßgeblichen Kalenderjahr erzielten positiven Einkünfte iS des § 2 Abs 1 und 2 EStG. Der Ausgleich mit Verlusten aus anderen Einkunftsarten und mit Verlusten des Ehegatten ist gemäß § 11 Abs 1 Satz 2 BKGG nicht zulässig. Bereits aus dem Sachzusammenhang der in § 11 Abs 1 Satz 1 und in Satz 2 BKGG getroffenen Regelungen folgt, daß der Begriff "andere Einkunftsarten" nicht nur ausländische Einkünfte, sondern auch die Einkünfte iS des § 2 Abs 1 und 2 EStG umfaßt. Für die Berechnung des Kindergeldes hat der Gesetzgeber im BKGG damit einen besonderen Begriff des Jahreseinkommens geschaffen. Maßgeblich ist gemäß § 11 Abs 3 Satz 1 BKGG das Einkommen so, wie es der Besteuerung zugrunde gelegt worden ist. Dementsprechend ist dem Steuerbescheid für das maßgebliche Kalenderjahr zu entnehmen, welche positiven Einkünfte in der jeweiligen Einkommensart in ihm festgestellt worden sind. Ziel dieser Regelung ist es, die das Kindergeld zahlende Stelle an die im Einkommensteuerbescheid für die jeweiligen Steuerarten getroffene Feststellung der Besteuerung maßgeblichen Besteuerungsgrundlagen innerhalb der einzelnen Einkommensarten eine "Tatbestandswirkung" auch hinsichtlich des für das Kindergeld maßgeblichen Einkommens beizulegen. Das hat zur Folge, daß Verluste aus Vorjahren, die im maßgeblichen Kalenderjahr steuerlich noch berücksichtigt, also der Besteuerung zugrunde gelegt worden sind, auch zu einer entsprechenden Änderung der positiven Einkünfte in dieser Einkommensart im maßgeblichen Kalenderjahr führen. Insoweit ist also der Verlustausgleich statthaft und insbesondere auch nicht durch § 11 Abs 1 Satz 2 BKGG ausgeschlossen.

Da die in den Jahren 1976 bis 1980 entstandenen Verluste des Klägers in der Einkommensart "Gewerbebetrieb" der Besteuerung im maßgeblichen Kalenderjahr 1981 zugrunde gelegt worden und höher sind als die 1981 in dieser Einkunftsart erzielten positiven Einkünfte, sind letztere daher in dieser Einkunftsart nicht, wie das LSG meint, mit 153.089,-- DM, sondern mit null DM anzusetzen.

Die in dem maßgeblichen Kalenderjahr - hier 1981 - von den Ehegatten Rall erzielten positiven Einkünfte iS des § 2 Abs 1 und 2 EStG sind jedoch nicht um die dem Kläger in den Vorjahren 1976 bis 1980 in der Einkommensart "Gewerbebetrieb" entstandenen Verluste zu mindern. Mit § 11 Abs 3 Satz 1 BKGG ist lediglich die Verbindlichkeit der für die Einkommensbesteuerung maßgeblichen Einkommensberechnung auch für das Kindergeld begründet, jedoch nicht eine dem § 11 Abs 1 BKGG entgegenstehende Regelung geschaffen worden. Dementsprechend ändert auch die Vorschrift des § 11 Abs 3 BKGG nichts daran, daß der Verlustausgleich nur innerhalb einer Einkunftsart, insoweit aber entsprechend der steuerrechtlichen Regelung auch für steuerrechtlich noch relevante Verluste aus den Vorjahren in Betracht kommt.

Von dem hiernach errechneten Einkommen dürfen zugunsten des Kindergeldberechtigten nach § 11 Abs 2 BKGG nur die Einkommensteuer und die Kirchensteuer sowie in bestimmtem Umfange die steuerlich anerkannten Vorsorgeaufwendungen und bestimmte Unterhaltsleistungen abgezogen werden. Die Beklagte hat die nach dieser Vorschrift möglichen Abzüge vorgenommen. Da das maßgebliche Einkommen des Klägers und seiner Ehefrau aber auch unter Berücksichtigung des zuvor dargelegten Umstandes, daß das Einkommen des Klägers aus Gewerbebetrieb 1981 null DM betrug und auch nach Abzug der Vorsorgeaufwendungen den maßgeblichen Freibetrag noch immer um ein Vielfaches übersteigt, hat der Kläger für das zweite bis fünfte Kind nur einen Kindergeldanspruch in Höhe des Sockelbetrages für fünf Kinder in Höhe von 540,-- DM monatlich (§ 10 Abs 2 Sätze 1 und 4 BKGG).

Ab Januar 1983 ist dem Kläger somit ein Gesamtkindergeld in dieser Höhe statt bisher monatlich 850,-- DM zu zahlen.

Auch die in den angefochtenen Bescheiden festgestellte Rückzahlungspflicht für die Zeit ab Januar 1983 und die gegen laufenden Kindergeldansprüche erklärte Aufrechnung entsprechen dem einfachen Recht (§ 44 BKGG).

3. Bei diesem Ergebnis hängt die Entscheidung auch im Falle des Klägers davon ab, ob die den Verlustausgleich unter mehreren Einkommensarten ausschließende Regelung in § 11 Abs 1 BKGG mit dem GG vereinbar ist. Auch der Kläger wendet sich mit seiner Revision nicht gegen die Einkommensabhängigkeit des Kindergeldes (§ 10 Abs 2 BKGG), die im übrigen auch vom erkennenden Senat für rechtmäßig und insbesondere für mit dem GG vereinbar angesehen worden ist (vgl die Beschlüsse vom 10. Dezember 1985 - 10 RKg 1/85 - ua und die Urteile vom 22. Januar 1986 - 10 RKg 24/84 - ua).

Die Revision hält aber zutreffend die in § 11 Abs 1 Satz 1 BKGG erfolgte Berücksichtigung nur der in dem maßgeblichen Kalenderjahr erzielten positiven Einkünfte sowie das in § 11 Abs 1 Satz 2 BKGG enthaltene Verbot des Ausgleichs mit Verlusten aus anderen Einkunftsarten für verfassungswidrig.

Die genannten Vorschriften lassen sich zunächst nicht verfassungskonform in dem Sinne auslegen, daß die Abhängigkeit des Kindergeldes vom positiven Einkommen entfiele oder der Verlustausgleich als zulässig anzusehen wäre.

Die verfassungskonforme Auslegung setzt voraus, daß die anzuwendenden Normen mehrere Auslegungen zulassen (vgl Leibholz/Rinck, GG, Komm, 6. Aufl, Einführung, Anm 4). Bei der Auslegung dürfen nicht die Grenzen überschritten werden, die sich aus Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergeben; hierbei ist der Zweck der gesetzlichen Regelung zu beachten. Der Grundsatz der Gewaltenteilung verbietet es, daß eine verfassungskonforme Auslegung das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlt oder verfälscht (BVerfGE 8, 28, 34; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 4. Aufl, S 329). Eine andere als die von der Beklagten und dem LSG gewählte Auslegung des § 11 Abs 1 BKGG würde hiergegen verstoßen. Eine Auslegung, die die Einkommensabhängigkeit des Kindergeldes beseitigen wollte, wäre weder mit dem Sinn und Zweck noch mit dem Wortlaut des § 10 Abs 2 BKGG vereinbar. Das gleiche gilt für das in § 11 Abs 1 Satz 2 BKGG enthaltene Verbot des Verlustausgleichs. Nach dem Gesetzeswortlaut und dem Sinngehalt dieser Norm muß davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber den Ausgleich weder mit steuerlich noch relevanten Verlusten aus den Vorjahren noch mit Verlusten aus anderen Einkunftsarten zulassen wollte. Hierfür läßt sich zunächst schon § 11 Abs 1 Satz 1 BKGG als Beleg heranziehen. Wenn dort das Jahreseinkommen als die Summe der in dem nach Abs 3 und 4 maßgeblichen Kalenderjahr erzielten "positiven" Einkünfte iS des § 2 Abs 1 und 2 EStG bezeichnet wird, läßt diese Definition schon erkennen, daß nur die in diesem Kalenderjahr erzielten Einkünfte erheblich sein und daß negative Einkünfte bei der Ermittlung des Jahreseinkommens keine Rolle spielen sollen. Der Gesetzeswortlaut bringt auch zutreffend zum Ausdruck, daß der Gesetzgeber mit der Beschränkung auf die positiven Einkünfte des maßgeblichen Kalenderjahres und dem Verbot des Ausgleichs mit Verlusten aus anderen Einkunftsarten unterbinden wollte, daß sich steuerliche Subventionen im Kindergeldrecht begünstigend auswirken (vgl BT-Drucks 9/2140, S 86 zu Art 2 Nr 3 iVm BT-Drucks 9/410, S 11, Ziff 3.2).

4. § 11 Abs 1 BKGG verstößt aber gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG. Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG ist der Gleichheitssatz verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden läßt, wenn also die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden muß (BVerfGE 1, 14, 52; 14, 142, 150; 18, 38, 46; 20, 31, 33; 21, 6, 9). Der Gleichheitssatz verpflichtet damit, nicht nur Gleiches gleich, sondern Ungleiches entsprechend seiner Ungleichheit ungleich zu behandeln. Dabei braucht der Gesetzgeber aber nicht alle tatsächlichen Gleichheiten oder Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen. Ein Verstoß gegen Art 3 GG liegt vielmehr nur dann vor, wenn Umstände außer acht bleiben, die so bedeutsam sind, daß sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise berücksichtigt werden müssen (BVerfGE 1, 264, 275 f; 9, 137, 146; 19, 354, 367). Dem Gesetzgeber bleibt bei der Ordnung der Lebensverhältnisse ein weiter Spielraum für die Betätigung seines Ermessens. Von den Gerichten ist daher nicht zu prüfen, ob der Gesetzgeber die gerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen hat, sondern lediglich, ob er die äußersten Grenzen des Ermessens bereits überschritten hat (BVerfGE 3, 58, 135; 4, 7, 18; 9, 137, 146; 19, 354, 367 f). Die Definition des Jahreseinkommens in § 11 Abs 1 Satz 1 BKGG als Summe der erzielten positiven Einkünfte und das in Satz 2 dieses Absatzes enthaltene Verbot des Ausgleichs mit Verlusten aus anderen Einkunftsarten führt - je nach Betrachtungsweise - zu einer sachwidrigen Gleichbehandlung oder Ungleichbehandlung von Kindergeldberechtigten. Sieht man darin einen wesentlichen Unterschied, daß die Kindergeldberechtigten ihr Einkommen teils aus einer Einkunftsart, teils aus mehreren Einkunftsarten beziehen, so verstößt die Regelung des § 11 Abs 1 BKGG gegen den Gleichheitssatz, indem sie diese beiden Gruppen willkürlich gleich behandelt. Während bei Kindergeldberechtigten, deren Einkommen nur zu einer Einkunftsart gehört, einkommensmindernde Umstände (zB Absetzung für Abnutzung und Substanzverringerung - § 7 EStG - und Werbungskosten - § 9 EStG -) unbegrenzt auf die Höhe des "Jahreseinkommens" Einfluß haben, ist dies bei Kindergeldberechtigten mit Einkommen aus verschiedenen Einkunftsarten nicht der Fall. Bei ihnen können einkommensmindernde Umstände innerhalb der einzelnen Einkunftsarten zwar auch bis zur Null-Grenze berücksichtigt werden. Setzt sich ihr Einkommen jedoch - getrennt nach verschiedenen Einkunftsarten - aus positiven und negativen Einkünften zusammen (zB 60.000,-- DM aus Gewerbebetrieb, 3.000,-- DM aus nichtselbständiger Arbeit und 40.000,-- DM Verluste aus Vermietung und Verpachtung), so dürfen nach der Regelung des § 11 Abs 1 BKGG nur die positiven Einkünfte berücksichtigt werden. Dadurch kann es zu dem Ergebnis kommen, daß ein Kindergeldberechtigter mit Einkommen aus mehreren Einkunftsarten als leistungsfähig gilt, obwohl er tatsächlich wirtschaftlich wesentlich schlechter dasteht als ein anderer Kindergeldberechtigter, dessen Einkommen aus einer Einkunftsart infolge einkommensmindernder Umstände unter dem Freibetrag des § 10 Abs 2 Satz 3 BKGG bleibt. Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung der beiden Gruppen von Kindergeldberechtigten ist jedoch zu konstatieren, wenn auf die Leistungsfähigkeit als das vom Gesetzgeber gewählte Kriterium für die Kürzung des Kindergeldes abgestellt wird. Bei dieser Betrachtungsweise liegt eine Ungleichbehandlung darin, daß der Kindergeldberechtigte mit Einkommen aus einer Einkunftsart bei niedrigem Einkommen bzw Verlusten stets das volle Kindergeld erhalten kann, der Kindergeldberechtigte mit gleich hohem Einkommen aus mehreren Einkunftsarten wegen der Regelung des § 11 Abs 1 Satz 2 BKGG sich unter Umständen mit dem gekürzten Kindergeld zufrieden geben muß, also die Leistungsfähigkeit nicht in gleichem Maße den Ausschlag für die Bemessung des Kindergeldes gibt.

Im Hinblick auf diese Auswirkungen läßt sich - bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise - für die in § 11 Abs 1 BKGG vorgeschriebene Gleichbehandlung bzw Ungleichbehandlung von Kindergeldberechtigten mit Einkommen aus einer Einkunftsart und Kindergeldberechtigten mit Einkommen aus mehreren Einkunftsarten kein sachlich einleuchtender Grund finden. Zwar wollte der Gesetzgeber durch das Verbot des Verlustausgleichs aus anderen Einkunftsarten verhindern, daß auch steuerliche Subventionierungen (zB Abschreibungen) begünstigend im Kindergeldrecht wirken (vgl dazu BT-Drucks 9/2140, S 86 zu Art 12 Nr 3 iVm BT-Drucks 9/410, S 11, Ziff 3.2). Dieses Ziel ist aber nur ungenügend erreicht worden. Abschreibungen und sonstige steuerliche Subventionierungen sind nämlich bei Kindergeldberechtigten mit Einkommen aus einer Einkunftsart und Kindergeldberechtigten mit Einkommen aus mehreren Einkunftsarten gleichermaßen bis zur Null-Grenze innerhalb der jeweiligen Einkunftsart zu berücksichtigen, bei der sie anfallen. Nur wenn bei einem Einkommen aus mehreren Einkunftsarten negative Einkünfte mit positiven Einkünften zusammentreffen, verhindert § 11 Abs 1 BKGG durch das Verbot des Verlustausgleichs, daß sich die Abschreibungen und sonstigen steuerlichen Subventionierungen noch jenseits der Null-Grenze - also im Verlustbereich einer Einkunftsart - einkommensmindernd und damit für den Kindergeldberechtigten "günstig" auswirken. Wenn sich das Verbot des Verlustausgleichs auf Verluste beschränkte, die durch Absetzungen, Sonderabschreibungen oder ähnliche steuerliche Subventionierungen "künstlich" herbeigeführt werden, wäre der Gesetzgeber im Rahmen des ihm zustehenden Ermessensspielraums möglicherweise befugt, eine solche Regelung zu treffen, auch wenn durch sie die Kindergeldberechtigten mit Einkommen aus mehreren Einkunftsarten im Einzelfalle benachteiligt würden. Da das Verbot des Verlustausgleichs aber auch die realen Verluste (zB die Geschäftsunkosten - Miete für Geschäftsräume, Energiekosten, Löhne usw - übersteigen die erzielten Einnahmen) erfaßt, sind die Nachteile für die Kindergeldberechtigten mit Einkommen aus mehreren Einkunftsarten so gravierend, daß das mit der Norm verfolgte Ziel die Gleichbehandlung unterschiedlicher Sachverhalte hier nicht zu rechtfertigen vermag.

Ebensowenig kann § 11 Abs 1 BKGG mit der Begründung für verfassungsrechtlich unbedenklich erklärt werden, der Gesetzgeber habe die Ermittlung des Jahreseinkommens für die Verwaltung durch pauschalierende Regelungen so praktikabel wie möglich gestalten müssen. Zwar darf der Gesetzgeber bei der Ordnung von Massenerscheinungen typisierende Regelungen treffen (BVerfGE 17, 1, 25; 51, 115, 122 f; 63, 119, 128). Härten, die mit einer solchen Typisierung im Einzelfalle unvermeidlich verbunden sind, müssen hingenommen werden (BVerfGE 13, 21, 29). Indessen rechtfertigt das nicht jede Härte im Einzelfall. Eine noch hinzunehmende Typisierung setzt vielmehr voraus, daß die durch sie eintretenden Härten oder Ungerechtigkeiten nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und daß der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist (BVerfGE 26, 265, 275 f).

Die Grenzen zulässiger Typisierung sind hier jedoch überschritten. Die mit der typisierenden Regelung des § 11 Abs 1 BKGG verbundenen Härten oder Ungerechtigkeiten betreffen eine erhebliche Zahl von Personen. Kindergeldberechtigt sind nämlich nicht nur abhängig Beschäftigte, sondern auch Selbständige, bei denen sich das Einkommen oft aus Einkünften verschiedener Einkunftsarten zusammensetzt. Aber auch kindergeldberechtigte Arbeitnehmer gehören keineswegs immer zu dem Personenkreis, der sein Einkommen nur aus nichtselbständiger Arbeit bezieht. Da ein sehr großer Personenkreis Einkünfte aus verschiedenen Einkunftsarten bezieht, muß davon ausgegangen werden, daß auch häufiger negative und positive Einkünfte zusammentreffen und sich dadurch die dargestellten Ungerechtigkeiten ergeben können.

Auch die Intensität des Verstoßes gegen den Gleichheitssatz läßt die durch die Typisierung eintretenden Härten und Ungerechtigkeiten nicht mehr als hinnehmbar erscheinen. Nach der Regelung des § 11 BKGG ist es möglich, daß der eine Kindergeldberechtigte, der sein Einkommen nur aus einer Quelle bezieht, für sein zweites und seine weiteren Kinder das volle Kindergeld nach § 10 Abs 1 BKGG erhält, während einem anderen Kindergeldberechtigten mit Einkommen aus mehreren Einkunftsarten bei gleich geringer Leistungsfähigkeit wegen des Verbots des Verlustausgleichs nur jeweils der Sockelbetrag des § 10 Abs 2 BKGG zusteht. Die Differenz macht bei vier Kindern einen Betrag von monatlich 210,-- DM oder von jährlich 2.520,-- DM aus und ist - selbst bei einem Einkommen, das über dem durchschnittlichen Einkommen eines Arbeitnehmers liegt - beträchtlich.

Für die Zulässigkeit der typisierenden Regelung sprechen hier auch nicht praktische Erfordernisse der Verwaltung. Eine Typisierung kann verfassungsrechtlich unbedenklich sein, wenn die durch sie entstehenden Ungerechtigkeiten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären (vgl BVerfGE 45, 376, 390; dazu auch 66, 234, 245). Hierfür sind auch praktische Erfordernisse der Verwaltung von Gewicht (BVerfGE 9, 20, 31 ff; 63, 119, 128). Selbst wenn man davon ausgeht, daß die strittige Regelung des § 11 BKGG relativ einfach zu handhaben ist und der Verwaltung ermöglicht, über die Höhe des Kindergeldes allein an Hand des vorzulegenden Einkommensteuerbescheides zu entscheiden (vgl dazu BT-Drucks 9/603, S 5, 23 ff), ist dies keine hinreichende Rechtfertigung für die entstehenden Ungerechtigkeiten. Das Verwaltungsverfahren würde nicht unerträglich erschwert, wenn der Gesetzgeber beispielsweise den Abzug von steuerlichen Subventionen beim Jahreseinkommen iS des § 11 BKGG für unzulässig erklärte, im übrigen den Verlustausgleich aber unbeschränkt zuließe. Bei einer solchen gesetzlichen Regelung müßte zwar häufiger neben dem Einkommensteuerbescheid auf die Einkommensteuererklärung des Kindergeldberechtigten zurückgegriffen werden. Diese Erschwerung ist nach Auffassung des vorlegenden Senats indessen als weniger bedeutsam zu bewerten als die mit der jetzigen Typisierung verbundene Benachteiligung einer relativ großen Zahl von Personen. Hinzu kommt, daß das BKGG keine Härteklausel enthält, die es ermöglichte, die Folgen des Verbots des Verlustausgleichs im Einzelfalle zu mildern (vgl dazu Leibholz/Rinck, Art 3 Anm 15 unter Hinweis auf BVerfGE 17, 57).

An der Beurteilung ändert sich schließlich auch nichts dadurch, daß es sich bei dem Kindergeldrecht um die Regelung einer rein darreichenden Verwaltung handelt, also einem Rechtsgebiet, auf dem der Gesetzgebung ein weiter Gestaltungsspielraum zusteht (vgl BVerfGE 11, 50, 60). Denn auch hier gilt das Verbot, wesentlich Ungleiches nicht sachwidrig gleich zu behandeln oder wesentlich Gleiches ungleich zu behandeln (vgl BVerfGE 28, 324, 349; 60, 16, 42). Dieses Verbot wird auch nicht dadurch gelockert, daß die Neufassung des § 11 BKGG durch das Haushaltsbegleitgesetz 1983 erfolgt ist und die Minderung des Kindergeldes entsprechend der Höhe des Einkommens zu den Maßnahmen der Sanierung des Staatshaushaltes zu rechnen ist. Wenn der Gesetzgeber im Rahmen von Haushaltssanierungen auch grobrastige Gesamtmaßnahmen treffen darf, so muß er gleichwohl die Willkürgrenze beachten (BVerfGE 60, 16, 43). Dies gilt insbesondere für benachteiligende Typisierungen. Bei ihnen ist die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ohnehin geringer (BVerfGE 19, 101, 116; 65, 325, 356). Das Verbot über den Verlustausgleich aus anderen Einkunftsarten ist eine benachteiligende Typisierung. Auch wenn der Gesetzgeber sie im Rahmen einer Haushaltssanierung in das Kindergeldrecht eingeführt hat, ist sie wegen des damit verbundenen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz, der Intensität dieses Verstoßes und der Zahl der betroffenen Personen nicht mehr hinnehmbar.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1661825

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