Entscheidungsstichwort (Thema)

Zugang

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ist die Zustellung nach VwZG § 5 Abs 2 schon am Tage des Eingangs beim Zustellungsempfänger oder erst an dem Tag bewirkt, an dem der zuständige Bearbeiter von dem Zugang Kenntnis erlangt und bereit ist, die Zustellung entgegenzunehmen?

2. Entspricht die Revisionsbegründung einer Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts nur mit der eigenhändigen Unterschrift des für ihren Inhalt Verantwortlichen oder gesetzlichen Form oder genügt es, wenn der in Maschinenschrift wiedergegebene Name des Verfassers mit einem Beglaubigungsvermerk - mit oder ohne Beifügung eines Dienstsiegels - versehen ist?

 

Normenkette

VwZG § 5 Abs. 2; SGG § 164 Abs. 2 Fassung: 1974-07-30

 

Tenor

I. Das Verfahren wird ausgesetzt.

II. Die Sache wird dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes zur Entscheidung über folgende Rechtsfragen vorgelegt:

1. Ist die Zustellung nach § 5 Abs 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes schon am Tag des Eingangs beim Zustellungsempfänger oder erst an dem Tag bewirkt, an dem der zuständige Bearbeiter von dem Zugang Kenntnis erlangt und bereit ist, die Zustellung entgegenzunehmen?

2. Entspricht die Revisionsbegründung einer Körperschaft oder Anstalt öffentlichen Rechts nur mit der eigenhändigen Unterschrift des für ihren Inhalt Verantwortlichen der gesetzlichen Form oder genügt es, wenn der in Maschinenschrift wiedergegebene Name des Verfassers mit einem Beglaubigungsvermerk - mit oder ohne Beifügung eines Dienstsiegels - versehen ist?

 

Gründe

1. Das Sozialgericht (SG) Köln hat am 28. März 1977 aufgrund mündlicher Verhandlung die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) verurteilt, der klagenden Berufsgenossenschaft (BG) 906,12 DM zu zahlen; es hat die Revision zugelassen. Die Geschäftsstelle des SG hat der Beklagten zur Zustellung eine Urteilsausfertigung mit einem vorbereiteten Empfangsbekenntnis übersandt. Das Empfangsbekenntnis ist wieder an das SG zurückgelangt (Bl 44 der SG-Akten). Es trägt oben rechts den Eingangsstempel der Beklagten vom 18. Mai 1977, einem Mittwoch, und unten rechts den - teilweise vorgedruckten, teilweise durch Stempel hergestellten - Vermerk

"Obiges Schriftstück erhalten am 23. Mai 1977 Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz Rentenabteilung ... Rechtsbehelfsstelle"

mit Unterschrift. Der 23. Mai 1977 war ein Montag. Die Sprungrevision der Beklagten vom 20. Juni 1977 ist am Dienstag, dem 21. Juni 1977, bei dem Bundessozialgericht (BSG) eingegangen.

Am 26. Juli 1977 - während der bis zum 18. August 1977 verlängerten Begründungsfrist - ist die Revisionsbegründung eingegangen.

Die Begründungsschrift trägt folgende Unterschriften:

gez. W. (maschinenschriftlich) Verwaltungsdirektor Beglaubigt:

handschriftliche Unterschrift (B.) Verwaltungsangestellter

Ein Stempel oder Siegel ist nicht beigefügt.

2. Für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Revision kommt es ua auf zwei Rechtsfragen an:

a) Wann ist das Urteil der Beklagten zugestellt worden? War das am Tag des Eingangsstempels (18. Mai 1977), dann ist die Revision am 21. Juni 1977 verspätet eingelegt. War es an dem Tag, an dem der Bedienstete der Beklagten den Eingangsvermerk unterschrieben hat (23. Mai 1977), ist die Revision fristgerecht.

b) Ist die Revisionsbegründung auch ohne eigenhändige Unterschrift des für ihren Inhalt Verantwortlichen und ohne die Beifügung eines Dienstsiegels zum Beglaubigungsvermerk formrichtig? Wenn nein, ist die Revision unzulässig.

Die Beantwortung der beiden Fragen hängt insofern voneinander ab, als es einerseits auf die Formrichtigkeit der Revisionsbegründung nicht mehr ankommt, wenn die Revision schon wegen verspäteter Einlegung unzulässig ist, und andererseits die Fristgemäßheit der Revision nicht geprüft werden muß, wenn die Revisionsbegründung nicht ordnungsmäßig unterzeichnet ist.

3. Das aufgrund mündlicher Verhandlung erlassende Urteil des SG war den Beteiligten von Amts wegen zuzustellen (§ 135 Halbsatz 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-; ebenso § 317 Abs 1 Satz 1 Zivilprozeßordnung -ZPO- idF der Vereinfachungsnovelle vom 3. Dezember 1976 (BGBl I 3281), § 116 Abs 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-). Die Zustellung hatte nach dem Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) vom 3. Juli 1952 (BGBl I 379) zu erfolgen (§ 63 Abs 2 SGG; ebenso § 56 Abs 2 VwGO). § 5 Abs 2 VwZG idF des Gesetzes vom 19. Mai 1972 (BGBl I 789) sieht vor, daß an Anstalten öffentlichen Rechts das Schriftstück auch auf andere Weise übermittelt werden kann und daß als Nachweis der Zustellung dann das mit Datum und Unterschrift versehene Empfangsbekenntnis genügt, das an die Behörde zurückzusenden ist.

Die Frage, wann im Fall des § 5 Abs 2 VwZG (ähnlich bei der Zustellung von Anwalt; zu Anwalt, § 198 ZPO, und bei der Zustellung an die Staatsanwaltschaft, § 41 Strafprozeßordnung) die Zustellung bewirkt worden ist, wird unterschiedlich beantwortet.

Nach dem Urteil des 9. Senats des BSG vom 23. März 1966 - 9 RV 334/63 - (SozR Nr 4 zu § 5 VwZG) ist der Zeitpunkt maßgebend, zu dem der Empfänger von dem Zugang des zuzustellenden Schriftstücks Kenntnis erlangt und bereit ist, die Zustellung entgegenzunehmen.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im Beschluß vom 26. Oktober 1971 - X ZB 15/71 - (BGHZ 57, 160, 165 = LM Nr 5 zum VwZG mit Anmerkung von Bruchhausen) ausgeführt, es stehe dem Zustellungsempfänger (dort: dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin) frei, ob er ein Empfangsbekenntnis iS von § 5 Abs 2 VwZG abgeben wolle oder nicht. Dabei hat das Gericht auf das Urteil des BSG und - für die entsprechende Vorschrift des § 198 ZPO - auf BGHZ 30, 299, 305 f hingewiesen. Die gleiche Rechtsauffassung vertritt der BGH im Urteil vom 30. Januar 1975 - III ZR 83/73 - (LM Nr 21 zu Preuß EnteignungsG = NJW 75, 1171, 1660 mit Anmerkung von Baldauf, der auf die Notwendigkeit hinweist, den Gemeinsamen Senat anzurufen).

Der Bundesfinanzhof hat sich im Beschluß vom 23. Juni 1971 - I B 12/71 - (BFHE 102, 457) der Rechtsauffassung des BSG angeschlossen.

Das BVerwG sieht dagegen im Beschluß vom 7. Juni 1957 - VI B 25.57 - (Buchholz BVerwG 340 VwZG § 5 Nr 1) die vereinfachte Zustellung an eine Behörde mit dem Zeitpunkt des Eingangs bei der Posteingangsstelle derselben als bewirkt an (ebenso Beschluß vom 14. Februar 1966 - IV B 112. 65 - Buchholz BVerwG 340 VwZG § 8 Nr 5). Im Beschluß vom 1. Februar 1971 - IV CB 147.68 - (Buchholz BVerwG 340 VwZG § 5 Nr 2) heißt eß, bei der Zustellung eines verwaltungsgerichtlichen Urteils an einen Rechtsanwalt nach § 5 Abs 2 VwZG sei das Datum des Eingangs des Schriftstückes maßgebend; darauf, wann bei einer Anwaltssozietät der "zuständige" Rechtsanwalt von der Zustellung oder dem Inhalt des Urteils Kenntnis erlangt habe, komme es nicht an.

4. Die Revisionsbegründung (§ 164 Abs 2 Satz 1 SGG) muß schriftlich, dh durch einen mit einer Unterschrift versehenen Schriftsatz erfolgen.

Der 7. Senat des BSG hat für die Berufungsschrift (§ 151 Abs 1 SGG) entschieden, daß dem Erfordernis der "schriftlichen" Einlegung nur genügt sei, wenn das Schriftstück handschriftlich unterzeichnet sei, und daß die Beglaubigung nicht ausreiche (Urteil vom 11. April 1957 - 7 RAr 85/56 - BSGE 5, 110, 113). Der 2. Senat hat sich dem für die Revisionsbegründung angeschlossen (Beschluß vom 8. August 1957 - 2 RU 14/54 -, SozR Nr 26 zu § 164 SGG).

Das BVerwG und der BFH sind der Rechtsansicht, daß eine eigenhändige Unterzeichnung des für den Inhalt Verantwortlichen nicht erforderlich ist. Zwischen diesen obersten Gerichtshöfen besteht aber insofern eine Divergenz, als der Große Senat des BVerwG in den Gründen des Beschlusses vom 15. Juni 1959 - GrSen 1.58 - (BVerwGE 10, 1, 3) ausgeführt hat, es genüge ein handschriftlich unterzeichneter Beglaubigungsvermerk, gleichviel, ob mit oder ohne Beifügung eines Dienstsiegels, während der BFH im Urteil vom 23. Mai 1975 - VI R 54/73 - (BFHE 116, 142, 145 = HFR 75, 490 = BStBl 75, 715) entschieden hat, eine Klage, die von der zur Erhebung befugten Person als Vertreter einer Behörde nicht eigenhändig unterschrieben worden sei, erfülle die Voraussetzungen der Schriftlichkeit nur, wenn der in Maschinenschrift wiedergegebene Name des Verfassers mit einem amtlich gesiegelten. Beglaubigungsvermerk versehen sei, der von einem siegelführenden Beamten unterschrieben worden sei.

5. Der beschließende Senat will entscheiden, daß die Revisionsbegründung einer Körperschaft oder Anstalt öffentlichen Rechts nur mit der eigenhändigen Unterschrift des für ihren Inhalt Verantwortlichen der gesetzlichen Form entspricht und daß es nicht genügt, wenn der in Maschinenschrift wiedergegebene Name des Verfassers mit einem Beglaubigungsvermerk - mit oder ohne Beifügung eines Dienstsiegels - versehen ist. Für den Fall, daß dieser Auffassung nicht gefolgt wird und deshalb die Zulässigkeit der Revision von der Rechtzeitigkeit ihrer Einlegung abhängt, will er entscheiden, daß die Zustellung nach § 5 Abs 2 VwZG nicht schon am Tag des Eingangs beim Zustellungsempfänger, sondern erst an dem Tag bewirkt ist, an dem der zuständige Bearbeiter von dem zuzustellenden Schriftstück Kenntnis erlangt und bereit ist, die Zustellung entgegenzunehmen. In beiden Rechtsfragen würde er aber, wie ausgeführt, von Entscheidungen anderer oberster Gerichtshöfe abweichen. Deshalb war das Verfahren auszusetzen und die Sache dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes vorzulegen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663717

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