Leitsatz
Eine von einem Arbeitnehmer mit mäßigem Einkommen aus Sorge um den Erhalt seines Arbeitsplatzes für einen Bankkredit des Arbeitgebers übernommene Bürgschaft ist sittenwidrig, wenn sie den Arbeitnehmer finanziell krass überfordert und sich der Arbeitgeber in einer wirtschaftlichen Notlage befindet.
Sachverhalt
Der Beklagte war seit Anfang 1991 bei der in Mecklenburg-Vorpommern ansässigen H-GmbH i.G. als Bauleiter angestellt. Sein monatliches Nettoeinkommen betrug ab Mai 1991 2223 DM.
Ende 1991 geriet die GmbH in finanzielle Schwierigkeiten und beantragte bei der klagenden Sparkasse einen Kontokorrentkredit von 200000 DM. Da die Klägerin den Kredit nur unter der Voraussetzung ausreichender Sicherheiten der Hauptschuldnerin gewähren wollte, übernahm der Beklagte am 6.1.1992 zusammen mit zwei anderen Arbeitnehmern eine selbstschuldnerische Bürgschaft bis zum Höchstbetrag von 200000 DM. Kurze Zeit später gab die Hauptschuldnerin das von ihr betriebene Baugeschäft auf und stellte im April 1992 einen Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens, der mangels Masse abgelehnt wurde. Die Klägerin kündigte das Darlehen im Mai 1992 und nahm die Bürgen in Anspruch.
Das LG hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht ihr stattgegeben. Der BGH wies die Ansprüche der Klägerin endgültig ab.
Entscheidung
Das Gericht hat die übernommene Bürgschaft als sittenwidrig und damit nichtig angesehen. Allerdings folgt die Sittenwidrigkeit nicht aus der in der Rechtsprechung des BGH anerkannten widerleglichen Vermutung, dass ein krass finanziell überforderter, dem Hauptschuldner persönlich nahe stehender Bürge die Bürgschaft nur aus einer durch die emotionale Verbundenheit mit dem Hauptschuldner bedingten unterlegenen Position heraus übernommen und der Gläubiger dies in verwerflicher Weise ausgenutzt hat.
Die Vermutung emotionaler Verbundenheit gilt nach der Rechtsprechung z.B. für ruinöse Bürgschaften zugunsten eines Ehe- oder Lebenspartners, engen Verwandten oder Freunds. Ein solches persönliches Näheverhältnis vermochte der BGH nicht auf die von einem Arbeitnehmer zugunsten des Arbeitgebers übernommene Bürgschaft zu übertragen.
Indes befand sich die Arbeitgeberin des Bauleiters im Zeitpunkt der Bürgschaftsübernahme bereits in ernsten Liquiditätsschwierigkeiten. Der Beklagte, der nur über ein mäßiges Nettoeinkommen verfügte, wurde ohne Gewinnbeteiligung und ohne irgendeine Gegenleistung in hohem Umfang mit dem wirtschaftlichen Risiko der Arbeitgeberin und einem erheblichen Kreditrisiko belastet. Er riskierte, sich für den Rest seines Lebens wirtschaftlich zu ruinieren. Er hatte die Bürgschaft allein aus Angst um seinen Arbeitsplatz übernommen, wofür der BGH in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit, wie sie seit längerer Zeit vor allem in den neuen Ländern herrscht, eine tatsächliche Vermutung annimmt. Dies konnte die darlehensgebende Bank auch erkennen. Unter diesen Umstände nahm der BGH die Sittenwidrigkeit der Vereinbarung zwischen der Kreditgeberin und dem beklagten Bauleiter an.
Link zur Entscheidung
BGH-Urteil vom 14.10.2003, XI ZR 121/02