Verfahrensgang
VerfGH Berlin (Beschluss vom 13.04.2005; Aktenzeichen 106/04) |
OVG Berlin (Beschluss vom 22.04.2004; Aktenzeichen 1 N 2.01) |
OVG Berlin (Beschluss vom 07.04.2004; Aktenzeichen 1 N 10.01) |
VG Berlin (Urteil vom 13.11.2000; Aktenzeichen 4 A 38.97) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist ein Beschluss des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin, mit dem zwei Landes-Verfassungsbeschwerden gegen verwaltungsgerichtliche Urteile zurückgewiesen wurden, die zwei Kehrbezirkseinteilungen bestätigten.
I.
1. Der Beschwerdeführer war Bezirksschornsteinfeger in Berlin. Zum 1. Januar 1993 und wieder zum 1. Januar 1997 wurde sein Kehrbezirk neu eingeteilt. Gegen beide Neueinteilungen erhob er Klage vor dem Verwaltungsgericht. Als der Beschwerdeführer am 1. April 1999 mit Erreichen der Altersgrenze in den Ruhestand eintrat, war über beide Klagen noch nicht erstinstanzlich entschieden. Der Beschwerdeführer stellte in der Folge seine Klagen um und beantragte die Feststellung, dass die Neueinteilungen rechtswidrig gewesen seien. Er begründete dies mit seinem Vorhaben, Schadensersatzansprüche geltend zu machen.
Das Verwaltungsgericht wies beide Klagen mit Urteilen vom 13. November 2000 ab. Dem Beschwerdeführer fehle das erforderliche Feststellungsinteresse, da ein zivilgerichtlicher Schadensersatzprozess offenkundig aussichtslos sei.
Der Beschwerdeführer stellte in beiden Verfahren Anträge auf Zulassung der Berufung, die das Oberverwaltungsgericht mit Beschlüssen vom 7. und 22. April 2004 zurückwies.
2. Der Beschwerdeführer legte gegen die fachgerichtlichen Entscheidungen zwei Verfassungsbeschwerden beim Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin ein.
Der Verfassungsgerichtshof wies den Beschwerdeführer darauf hin, dass gegen die Zulässigkeit erhebliche Bedenken bestünden. Den Verfassungsbeschwerden fehle das Rechtsschutzbedürfnis, da die Kassation der Entscheidungen des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts dem Beschwerdeführer nichts nutzen würde. Das gelte auch insoweit, als der Beschwerdeführer die lange Verfahrensdauer der verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren rüge. Der Beschwerdeführer habe kein rechtliches Interesse an der Feststellung, dass er in seinen verfassungsmäßigen Rechten verletzt sei.
Unter Bezugnahme auf diesen Hinweis wurden die Verfassungsbeschwerden durch Beschluss des Verfassungsgerichtshofs vom 13. April 2005 verbunden und zugleich verworfen.
3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, da Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.
1. Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist der Beschluss des Verfassungsgerichtshofs. Es kann offen bleiben, ob die Verfassungsbeschwerde so auszulegen ist, dass sie sich “mittelbar” auch gegen die beim Verfassungsgerichtshof angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen und Entscheide der Senatsverwaltung richtet. Insofern wären die in der Verfassungsbeschwerde erhobenen Rügen schon deshalb unzulässig, weil die Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG nicht gewahrt worden wäre. Der Beschluss des Verfassungsgerichtshofs hat diese Frist nicht neu in Gang gesetzt, da eine Verfassungsbeschwerde zu einem Landesverfassungsgericht nicht Teil des nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zu erschöpfenden Rechtswegs ist (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 18. Januar 1996 – 1 BvR 1375/95 –, NJW 1996, S. 1464; 2. Kammer des Zweiten Senats, Beschluss vom 30. März 1999 – 2 BvR 514/99 –).
2. Der Beschluss des Verfassungsgerichtshofs verstößt nicht gegen den Anspruch des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz.
a) Auch die Verfassungsgerichte der Länder sind Teil der öffentlichen Gewalt, die nach Art. 1 Abs. 3 GG an die im Grundgesetz normierten Grundrechte gebunden ist. Ein Verstoß gegen diese Grundrechte kann mit der Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht gerügt werden (vgl. BVerfGE 13, 132 ≪140≫; 42, 312 ≪325≫; 69, 112 ≪120≫; 85, 148 ≪157≫; 96, 231 ≪242≫; 97, 298 ≪314 f.≫).
Gegenstand der Überprüfung durch die Landesverfassungsgerichte ist die jeweilige Landesverfassung, nicht das Grundgesetz. Die Verfassungsbereiche von Bund und Ländern stehen grundsätzlich selbstständig nebeneinander (vgl. BVerfGE 4, 178 ≪189≫; 96, 345 ≪368≫). Dementsprechend muss der Bereich der Verfassungsgerichtsbarkeit der Länder vom Bundesverfassungsgericht möglichst unangetastet bleiben und die Landesverfassungsgerichtsbarkeit darf von der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit nicht in größere Abhängigkeit gebracht werden, als es nach dem Bundesverfassungsrecht unvermeidbar ist (vgl. BVerfGE 36, 342 ≪361≫; 41, 88 ≪119≫; 60, 175 ≪208 f.≫).
Zu der Verfassungsautonomie der Länder gehört die Befugnis, in die Landesverfassungen Grundrechtskataloge aufzunehmen, die sich von dem des Grundgesetzes inhaltlich unterscheiden können, sowie eine Landesverfassungsbeschwerde vorzusehen. Es ist Sache der Landesverfassungsgerichte, Maßnahmen der staatlichen Gewalt der Länder im Rahmen ihrer Verfahrensordnungen am Maßstab der Landesgrundrechte zu bewerten. Diese Bewertung prüft das Bundesverfassungsgericht nicht nach. Das gilt auch dann, wenn ein Landesgrundrecht, dem ein Grundrecht des Grundgesetzes entspricht, enger ausgelegt wird als das entsprechende Grundrecht des Grundgesetzes. Die Wirkungskraft des grundgesetzlichen Grundrechts wird durch eine solche Interpretation eines Landesgrundrechts nicht berührt (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 25. Juli 1990 – 1 BvR 1438/89 –, juris; Beschluss vom 19. April 1993 – 1 BvR 744/91 –, NVwZ 1994, S. 59 ≪60≫; 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 18. Januar 1996 – 1 BvR 1375/95 –, NJW 1996, S. 1464).
b) Nach diesen Maßstäben hat der Verfassungsgerichtshof nicht selbst den Anspruch des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz im Rahmen der ihm offen stehenden Landesverfassungsbeschwerde verletzt. Die Verfahrensgestaltung des Verfassungsgerichtshofs gibt zur verfassungsrechtlichen Beanstandung keinen Anlass.
Soweit die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs, ein Rechtsschutzbedürfnis für die Verfassungsbeschwerde hinsichtlich der Rüge überlanger Verfahrensdauer zu verneinen, als Aussage zu der materiellen Reichweite des einschlägigen Landesgrundrechts zu verstehen sein sollte, begegnet sie gleichfalls keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer zulässigerweise erhobenen Rüge gegen die vor dem Verfassungsgerichtshof angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen ein Rechtsschutzbedürfnis gleichfalls verneint oder aber bejaht hätte.
Der Beschwerdeführer wird durch die vom Verfassungsgerichtshof an das Rechtsschutzbedürfnis für eine Landesverfassungsbeschwerde gestellten Anforderungen auch nicht schutzlos gestellt. Wenn er eine Prüfung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen und der Bescheide der Senatsverwaltung an den Maßstäben des Grundgesetzes hätte erreichen wollen, hätte er fristgemäß eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einlegen müssen.
3. Der Verfassungsgerichtshof hat auch nicht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen, indem er eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 3 GG unterließ.
Ein Landesverfassungsgericht ist berechtigt, die Anwendung von bundesrechtlich geregeltem Verfahrensrecht durch Landesgerichte an den Verfahrensgrundrechten der Landesverfassung zu messen, soweit die grundrechtlichen Gewährleistungen im Grundgesetz und in der Landesverfassung parallel verbürgt sind (vgl. BVerfGE 96, 345 ≪372≫). Bei seiner Entscheidung ist das Landesverfassungsgericht im Rahmen des § 31 BVerfGG an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebunden. Will es von dieser Rechtsprechung abweichen, muss es die Auslegungsfrage gemäß Art. 100 Abs. 3 GG dem Bundesverfassungsgericht vorlegen (vgl. BVerfGE 96, 345 ≪372 ff.≫).
Soweit der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs hinsichtlich der Rüge überlanger Verfahrensdauer eine Aussage nicht nur über die Auslegung des Landesverfassungsprozessrechts, sondern auch über die materielle Reichweite des einschlägigen Grundrechts der Landesverfassung zu entnehmen sein sollte, lässt sich eine Verletzung der Vorlagepflicht nicht feststellen. Ob der grundgesetzliche Anspruch auf effektiven Rechtsschutz nach Abschluss eines überlangen Gerichtsverfahrens unabhängig von einem besonderen Feststellungsinteresse die Entscheidung über einen behaupteten Grundrechtsverstoß gebietet, hat das Bundesverfassungsgericht bislang nicht entschieden. Daher fehlt es an einer Abweichung von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 1548649 |
NJOZ 2006, 3534 |