Tenor
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerden richten sich unmittelbar gegen Art. 30 Abs. 1 des Gesundheitsstrukturgesetzes 1992, der für die Jahre 1993 und 1994 einen Preisabschlag und ein Preismoratorium für bestimmte Arzneimittel vorsah.
I.
Art. 30 Abs. 1 des Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheitsstrukturgesetz – GSG) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S. 2266) sah vor, daß auf die Herstellerabgabepreise apothekenpflichtiger Fertigarzneimittel, für die am 1. Januar 1993 kein Festbetrag nach § 35 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) festgesetzt war, ein Preisabschlag von fünf vom Hundert für verschreibungspflichtige Medikamente und von zwei vom Hundert für nicht verschreibungspflichtige Medikamente vorgenommen wurde (Preisabschlag). Die so festgesetzten Preise wurden für die Jahre 1993 und 1994 festgeschrieben (Preismoratorium). In den Anwendungsbereich des Art. 30 Abs. 1 GSG wurden auch solche apothekenpflichtigen Arzneimittel einbezogen, die nur ausnahmsweise von der Arzneimittelversorgung der Versicherten gemäß § 31 Abs. 1 SGB V zum damaligen Zeitpunkt umfaßt waren (vgl. § 34 SGB V i.V.m. den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung ≪Arzneimittel-Richtlinien – AMR≫ vom 31. August 1993 ≪BAnz Nr. 246 vom 31. Dezember 1993, S. 11155≫ und § 2 Abs. 1 Satz 3 sowie §§ 12, 70 SGB V).
Die Vorschrift des Art. 30 GSG hatte folgenden Wortlaut:
Preismoratorium für Arzneimittel
(1) Die Herstellerabgabepreise apothekenpflichtiger Fertigarzneimittel, für die die §§ 2 und 3 der Arzneimittelpreisverordnung vom 14. November 1980 (BGBl S. 2147) gelten und für die am 1. Januar 1993 kein Festbetrag nach § 35 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch festgesetzt ist, betragen in den Jahre 1993 und 1994
1. höchstens 95 vom Hundert der am 1. Mai 1992 geltenden Preise bei Fertigarzneimitteln, die der Verschreibungspflicht unterliegen,
2. höchstens 98 vom Hundert der am 1. Mai 1992 geltenden Preise bei Fertigarzneimitteln, die nicht der Verschreibungspflicht unterliegen.
Die pharmazeutischen Hersteller haben die Preise entsprechend zu senken und rechtzeitig bekanntzugeben. Gibt ein Hersteller die Preise nicht oder nicht rechtzeitig bekannt, gelten die nach Satz 1 Nr. 1 und 2 höchstzulässigen Preise als Herstellerabgabepreise. Die Preise nach Satz 1 Nr. 1 und 2 sind den Großhandelszuschlägen nach § 2 und entsprechend den Apothekenzuschlägen nach § 3 der Arzneimittelpreisverordnung zugrunde zu legen. Die von den Krankenkassen an die Apotheken zu entrichtende Vergütung ist auf dieser Grundlage zu berechnen. Für Arzneimittel, die im Zeitraum vom 2. Mai bis zum 31. Dezember 1992 erstmals in den Markt eingeführt wurden, gelten die Sätze 1 bis 5 mit der Maßgabe, daß die Markteinführungspreise Bezugsgröße für die Preissenkung nach Satz 1 Nr. 1 und 2 sind. Die Preise für Arzneimittel, die nach dem 31. Dezember 1992 erstmals in den Markt eingeführt werden, dürfen in den Jahren 1993 und 1994 nicht erhöht werden. Für Arzneimittel, für die nach dem 31. Dezember 1992 Festbeträge nach § 35 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch festgesetzt werden, gelten die Sätze 1 bis 7 ab dem Tag des Inkrafttretens dieser Festbeträge nicht.
(2) Der Bundesminister für Gesundheit kann nach einer Überprüfung der Erforderlichkeit der Preisabschläge nach Absatz 1 entsprechend der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 21. Dezember 1988 betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme (89/105/EWG) die Preisabschläge durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates aufheben oder verringern.
(3) Absatz 1 gilt nicht für Arzneimittel, die nach § 34 Abs. 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch von der Versorgung nach § 31 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch ausgeschlossen sind.
Mit dem Gesetz wurde eine finanzielle Entlastung der gesetzlichen Krankenversicherung bei den Ausgaben für Arzneimittel für die Jahre 1993 und 1994 angestrebt. Die mit der Regelung des Art. 30 GSG verbundene Belastung für die Pharmaindustrie hielt der Gesetzgeber für zumutbar, da die in die Regelung einbezogenen Arzneimittel von dem preisdämpfenden Effekt der Festbetragsregelungen nach § 35 SGB V bisher nicht betroffen gewesen seien. Gerechtfertigt werde der Eingriff in die Preisbildung auch dadurch, daß die Arzneimittelhersteller in hohem Maße von der Finanzierungsfunktion der gesetzlichen Krankenversicherung profitierten (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. vom 5. November 1992, BTDrucks 12/3608, S. 156). Die geringere Preisabsenkung für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel trage der Tatsache Rechnung, daß diese Mittel etwa zu gleichen Teilen sowohl in der Selbstmedikation gekauft als auch zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet würden (vgl. BTDrucks, a.a.O.). Die Pharmaindustrie habe einen Solidarbeitrag zur Bewältigung der Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu leisten. Im internationalen Vergleich seien die Arzneimittelpreise in Deutschland hoch. Durch die Einführung von Festbeträgen habe das Preisniveau in diesem Marktsegment abgesenkt werden können. Die Pharmaindustrie habe die entstandenen Verluste aber teilweise durch Preiserhöhungen im Nicht-Festbetragsmarkt kompensiert (vgl. BTDrucks, a.a.O., S. 73).
II.
Alle Beschwerdeführerinnen sind Hersteller von apothekenpflichtigen Arzneimitteln, die nicht oder nur sehr eingeschränkt zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden können. Sie greifen unmittelbar Art. 30 Abs. 1 GSG an und rügen die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG. Teilweise stellen sie Präparate her, die nicht verschreibungspflichtig sind und daher dem zwei vom Hundert-Abschlag gemäß Art. 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GSG unterliegen. Teilweise sind ihre Produkte verschreibungspflichtige Arzneimittel und gemäß Art. 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GSG mit einem Abschlag von fünf vom Hundert belegt. Die Umsatzverluste als Folge der Preisvorschriften werden unterschiedlich beziffert. Teilweise werden dazu auch keine Angaben gemacht.
Zu den Verfassungsbeschwerden haben das Bundesministerium für Gesundheit namens der Bundesregierung, verschiedene Länderverwaltungen, der Bundesfachverband der Arzneimittelhersteller e.V. und der Bundesverband der Betriebskrankenkassen Stellung genommen.
III.
Die Annahme der zulässigen Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung ist nicht gemäß § 93a BVerfGG angezeigt. Sie haben keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Die aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen, insbesondere zu den Möglichkeiten und Grenzen der Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers bei sozialpolitischen Regelungen, lassen sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beantworten (vgl. BVerfGE 68, 193). Die Annahme der Verfassungsbeschwerden ist aber auch nicht aus den Gründen des § 93a Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Buchstabe b angezeigt, obgleich die angegriffenen Regelungen die Beschwerdeführerinnen in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzten.
1. a) Die Regelung des Art. 30 Abs. 1 GG bewirkt einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Beschwerdeführerinnen. Gesetzliche Vorgaben für die Bildung der Preise, zu dem das in Ausübung eines Berufs hergestellte Erzeugnis veräußert wird, sind geeignet, sich auf die Ausübung des Berufs auszuwirken (vgl. Beschluß der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. Dezember 1990, SozR 3-2500, § 311 Nr. 1). Art. 30 Abs. 1 GSG führte zu einem solchen Eingriff, weil aufgrund dieser Vorschrift die Herstellerabgabepreise für Fertigarzneimittel um fünf oder zwei vom Hundert abgesenkt und diese abgesenkten Preise für zwei Jahre festgeschrieben wurden. Der Einordnung als Beschränkung der Berufsfreiheit steht nicht entgegen, daß es Zweck der Vorschrift war, die gesetzlichen Krankenkassen von Ausgaben für Arzneimittel zu entlasten. Die Vorschrift bediente sich dabei eines Eingriffs in die Berufsfreiheit und hatte damit objektiv berufsregelnde Tendenz, soweit die Beschwerdeführerinnen apothekenpflichtige Arzneimittel herstellen.
b) Der Gesetzgeber kann sich zur Begründung des von ihm vorgenommenen Eingriffs in die Berufsfreiheit auf gewichtige Gründe des Gemeinwohls berufen. Die Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung ist eine Gemeinwohlaufgabe von hohem Rang, der sich der Gesetzgeber nicht entziehen darf (vgl. BVerfGE 68, 193 ≪218≫). Art. 30 Abs. 1 GSG diente dem Zweck, eine sofortige finanzielle Entlastung der gesetzlichen Krankenversicherung zu erreichen (vgl. BTDrucks, a.a.O., S. 156).
c) Die angegriffenen Regelungen verletzten allerdings das Gebot der Verhältnismäßigkeit. Sie waren zwar geeignet und erforderlich (1), bewirkten jedoch einen unverhältnismäßigen grundrechtlichen Eingriff (2).
(1) Die Regelungen hatten eine wirksame Entlastung der gesetzlichen Krankenversicherung von Arzneimittelkosten zur Folge. Sie eröffneten den Arzneimittelherstellern keine Möglichkeit, Preisabschlag und Preismoratorium anderweitig zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung auszugleichen. Die Regelung erfaßte alle Fertigarzneimittel, für die am 1. Januar 1993 noch kein Festbetrag gemäß § 35 SGB V festgesetzt war. Andere Wege einer Kompensation waren nicht gegeben. Der Gesetzgeber hat auch seinen weiten sozialpolitischen Gestaltungsspielraum (vgl. BVerfGE 77, 308 ≪332≫) nicht überschritten, wenn er eine “Kostendämpfung” bei den Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung für notwendig hielt, nachdem diese zuvor binnen zwei Jahren um mehrere Milliarden Mark gestiegen waren.
(2) Die angegriffenen Regelungen sind den Beschwerdeführerinnen jedoch nicht zuzumuten. Der Gesetzgeber durfte auch unter Berücksichtigung der ihm im Bereich von Regelungen der Berufsausübung verfassungsrechtlich erlaubten generalisierenden Betrachtungsweise (vgl. BVerfGE 30, 292 ≪316 f.≫; 68, 193 ≪219≫) nicht die Preise solcher Arzneimittel schematisch einem Abschlag unterwerfen, die nach den maßgeblichen Rechtsvorschriften nicht, nur ausnahmsweise oder nur mit einem verhältnismäßig geringen Prozentsatz zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden konnten. Dazu gehörten aber die Arzneimittel, deren Einbeziehung in den Anwendungsbereich des Art. 30 Abs. 1 GSG die Beschwerdeführerinnen verfassungsrechtlich angegriffen haben. Da ihre Abgabe durch die Apotheken die Haushalte der gesetzlichen Krankenkassen nicht oder nur zu einem geringen Teil belastete, steht ihre generelle Einbeziehung in den Preisabschlag und das daran anknüpfende Preismoratorium außer Verhältnis zu dem damit verfolgten Zweck der Entlastung der gesetzlichen Krankenversicherung bei den Arzneimittelkosten. Dies gilt insbesondere für die Gruppe der oralen Kontrazeptiva. Auch deren Preise wurden durch die Regelung insgesamt abgesenkt, obgleich sich Einsparungen für die gesetzliche Krankenversicherung nur in dem von ihr finanzierten, freilich durch die Bestimmung des § 24a SGB V am 5. August 1992 gestiegenen Marktanteil erzielen ließen. Soweit die Regelung über diesen mit etwa 10 % anzusetzenden Anteil am Umsatz der Beschwerdeführerinnen hinausgriff, bewirkte sie eine Kostenentlastung der Verbraucherinnen und keine Entlastung der gesetzlichen Krankenversicherung.
Der Gesetzgeber konnte sich demgegenüber nicht darauf berufen, daß die Hersteller von verordnungsfähigen Arzneimitteln auch zu ihrem Nutzen in das System der gesetzlichen Krankenversicherung eingebunden sind, das die Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung finanzieren und in dem ein freier und transparenter Wettbewerb nur als eingeschränkt vorhanden gilt (vgl. auch BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, a.a.O.). Dies kann Eingriffe des Gesetzgebers auch in die Preisbildung rechtfertigen. Sie müssen aber den allgemeinen rechtsstaatlichen Anforderungen an Beschränkungen der Freiheit der Berufsausübung genügen. Gleiches gilt für die Erwägung des Gesetzgebers, daß er bei Erlaß seiner Regelung im internationalen Vergleich verhältnismäßig hohe Arzneimittelpreise in Deutschland vorfand (so Enquete-Kommission “Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung”, BTDrucks 11/6380, S. 246, 264).
Die Verhältnismäßigkeit der angegriffenen Regelungen wird schließlich auch nicht durch die Erwägung des Gesetzgebers gewahrt, aus praktischen Gründen sei eine Begrenzung des Preisabschlags auf solche Arzneimittel nicht möglich gewesen, die überwiegend oder im Einzelfall zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet würden. Dies gilt insbesondere für die Begründung des Verzichts auf ein sogenanntes Rabattmodell, das auf ein gespaltenes Preissystem hinausgelaufen wäre. Dem Gesetzgeber ist zwar zuzugeben, daß die Verrechnung unterschiedlicher Abgabepreise in der Apotheke an den pharmazeutischen Großhandel und die Arzneimittelhersteller mit einem besonderen Aufwand verbunden gewesen wäre und möglicherweise in den Jahren 1993 und 1994 mit den damals verfügbaren Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung noch nicht in einer Weise bewältigt werden konnte, wie dies offenbar heute der Fall ist. Steht ihm aber ein verhältnismäßiges Mittel zur Erreichung seiner Ziele nicht zur Verfügung, so muß er von dem entsprechenden Eingriff Abstand nehmen. Im übrigen ist die Annahme nicht fernliegend, daß entsprechende Datenverarbeitungsprogramme für die Verrechnung differenzierter Preise zwischen den einzelnen Erzeuger- und Handelsstufen kurzfristig entwickelt worden wären, hätte der Gesetzgeber durch entsprechende Regelungen dazu Anlaß gegeben. Immerhin hatte er sich in den Neuen Ländern zum damaligen Zeitpunkt für das Rechnungsabschlagssystem des § 311a SGB V entschieden.
2. Die Verfassungsbeschwerden sind aber nicht zur Entscheidung anzunehmen, da dies nicht zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerinnen angezeigt ist (§ 93a Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Beseitigung der Verletzung der Grundrechte der Beschwerdeführerinnen aus Art. 12 Abs. 1 GG durch Rückabwicklung der in den Jahren 1993 und 1994 von Art. 30 GSG bestimmten Rechtsverhältnisse ist nicht oder nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand möglich. Deshalb hätte auch eine verfassungsrechtliche Beanstandung der Norm durch den Senat, würde diese Norm noch gelten, im Hinblick auf den Grundgedanken des § 79 Abs. 2 BVerfGG nur Wirkung für die Zukunft.
Im übrigen wird von einer Begründung der Entscheidung gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Kühling, Jaeger, Steiner
Fundstellen