Verfahrensgang
Tenor
Der Beschwerdeführerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 27. November 1997 – L 8/2 An 58/96 – und der Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 1. September 1995 verletzen die Beschwerdeführerin in ihren Grundrechten aus Artikel 14 und Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Das Urteil des Landessozialgerichts wird aufgehoben, soweit in dem Bescheid vom 1. September 1995 die Rente nach Maßgabe des § 307b Absatz 1 des Sozialgesetzbuches Sechstes Buch berechnet und der durch den Einigungsvertrag geschützte Zahlbetrag nicht ab 1. Januar 1992 an die Lohn- und Einkommensentwicklung angepaßt ist. Die Sache wird an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Der Beschluß des Bundessozialgerichts vom 27. Januar 1999 – B 4 RA 10/98 B – ist damit gegenstandslos.
Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Das Land Berlin hat der Beschwerdeführerin die Hälfte ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die Überführung von Ansprüchen und Anwartschaften aus Zusatzversorgungssystemen der Deutschen Demokratischen Republik in die gesetzliche Rentenversicherung des wiedervereinigten Deutschlands. Sie betrifft vor allem das im Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) geregelte Verfahren für die Berechnung solcher Renten, die aus Bestandsrenten mit Zusatzversorgung der Deutschen Demokratischen Republik abgeleitet werden.
I.
Die Beschwerdeführerin, deren Verfassungsbeschwerde am Mittwoch, den 3. März 1999 und damit einen Tag nach Ablauf der Monatsfrist eingegangen ist, beantragt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Sie habe am Sonntag, den 28. Februar 1999, etwa um 8.30 Uhr, die Verfassungsbeschwerde mit Anlagen als Brief beim Postamt aufgegeben. Zu Nachweiszwecken habe sie die Zustellungsart “Einschreiben/Rückschein” gewählt. Dabei habe sie auf die Zusicherung der Post vertraut, daß die Sendung mittags befördert werde und am nächsten Tag, spätestens am übernächsten Tag, zugestellt werde. Die Verzögerung durch die Briefbeförderung der Post habe sie nicht zu vertreten.
In der Sache greift die Beschwerdeführerin die Höhe der Rente an, die in Abänderung früherer Bescheide auf der Grundlage von § 307 b Abs. 1 SGB VI mit Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 1. September 1995 festgesetzt worden ist; er umfaßt auch den Anspruch auf Zusatzversorgung. Daneben wird der Überführungsbescheid des Versorgungsträgers vom 4. Juli 1995 angegriffen, der versorgungsspezifische Tatsachen (Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem, Arbeitsentgelte, Arbeitseinkommen, Tätigkeiten im Beitrittsgebiet) feststellt, die nach den §§ 5 bis 8 AAÜG für die spätere Entscheidung des Rentenversicherungsträgers über die Höhe der Rente nach dem SGB VI rechtserheblich sind.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich unmittelbar gegen die hierzu ergangenen Entscheidungen der Verwaltung und der Sozialgerichtsbarkeit sowie mittelbar gegen die diesen Entscheidungen zugrundeliegenden Rechtsvorschriften.
II.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Der Beschwerdeführerin ist wegen Versäumung der 1-Monats-Frist für die Einlegung der Verfassungsbeschwerde nach § 93 Abs. 2 BVerfGG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Verzögerung der Briefbeförderung durch die Post kann ihr nicht als Verschulden angerechnet werden (vgl. BVerfGE 41, 23 ≪27 f.≫; 44, 302 ≪306 f.≫). Die Beschwerdeführerin hat am 28. Februar 1999 um 8.34 Uhr die Sendung rechtzeitig aufgegeben, der Poststempel trägt das Datum vom gleichen Tag. Aufgrund der Zusicherung der Postbediensteten konnte sie darauf vertrauen, daß nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Post bei regelmäßigem Betriebsablauf das Schriftstück den Empfänger fristgemäß erreichen würde.
2. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin aus Art. 14 und Art. 3 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Entscheidung durch die Kammer (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) liegen vor. Die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt (Urteile vom 28. April 1999, 1 BvL 32/95 und 1 BvR 2105/95 sowie 1 BvR 1926/96 und 1 BvR 485/97).
a) Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, die Vorschrift des Einigungsvertrages über die Zahlbetragsgarantie verstoße nicht gegen Art. 14 und Art. 3 Abs. 1 GG, wenn sie verfassungskonform dahin ausgelegt wird, daß der hier garantierte Zahlbetrag für Bestandsrentner ab 1. Januar 1992 an die Lohn- und Einkommensentwicklung anzupassen ist, sofern er über diesen Zeitpunkt hinaus Bedeutung erhält (Urteil vom 28. April 1999, 1 BvL 32/95 und 1 BvR 2105/95, Umdruck S. 59 f., 64 f.; Urteil vom 28. April 1999, 1 BvR 1926/96 und 1 BvR 485/97, Umdruck S. 32).
Weiter ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 28. April 1999, 1 BvR 1926/96 und 1 BvR 485/97, Umdruck S. 42 ff.) § 307 Abs. 1 SGB VI mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, soweit danach bei der Neuberechnung von Bestandsrenten aus Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatz- oder Sonderversorgungssystem der Deutschen Demokratischen Republik für die Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte (Ost) die während der gesamten Versicherungszeit bezogenen tatsächlichen Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen zugrunde gelegt werden, während für die sonstigen Bestandsrentner im Beitrittsgebiet nach § 307a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI ein 20-Jahres-Zeitraum maßgeblich ist.
b) Nach dieser Rechtsprechung verletzen das Urteil des Landessozialgerichts und der Bescheid vom 1. September 1995 die Beschwerdeführerin in ihren Grundrechten aus Art. 14 und Art. 3 Abs. 1 GG. Aus der verfassungsrechtlich gebotenen Anpassung des Zahlbetrags an die Lohn- und Einkommensentwicklung ab 1. Januar 1992 kann sich für die Beschwerdeführerin eine Erhöhung des Zahlbetrags ihrer Rente ergeben. Auch ist nicht auszuschließen, daß das Berechnungsverfahren des § 307b Abs. 1 SGB VI für sie nachteilig ist.
c) Das angegriffene Urteil des Landessozialgerichts ist aufzuheben und die Sache an dieses Gericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Der zugleich mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Beschluß des Bundessozialgerichts ist damit gegenstandslos (vgl. BVerfGE 69, 233 ≪248≫).
3. Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, da sie keine grundsätzliche Bedeutung hat. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, daß die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Satz 1 (in Verbindung mit Anlage 3) AAÜG über die Anwendung der Beitragsbemessungsgrenze mit dem Grundgesetz vereinbar ist (Urteile vom 28. April 1999, 1 BvL 32/95 und 1 BvR 2105/95, Umdruck S. 60 f.; 1 BvR 1926/96 und 1 BvR 485/97, Umdruck S. 31 f., 45). Weiterhin hat es das Bundesverfassungsgericht verfassungsrechtlich nicht beanstandet, daß die in der Deutschen Demokratischen Republik bestehenden Zusatz- und Sonderversorgungssysteme geschlossen und die darin erworbenen Ansprüche und Anwartschaften in die gesetzliche Rentenversicherung überführt worden sind (sog. Systementscheidung, vgl. Urteil vom 28. April 1999, 1 BvL 32/95 und 1 BvR 2105/95, Leitsatz 2). Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
III.
Da die Verfassungsbeschwerde nur teilweise Erfolg hat, ist es angemessen, wenn der Beschwerdeführerin die Hälfte der notwendigen Auslagen erstattet wird (§ 34a Abs. 2 BVerfGG).
Unterschriften
Kühling, Jaeger, Steiner
Fundstellen