Verfahrensgang
KG Berlin (Urteil vom 17.04.2008; Aktenzeichen (2) 1 Ss 42/07) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft Fragen der Garantie des gesetzlichen Richters im Zusammenhang mit dem strafprozessualen Revisionsrecht.
1. Der Beschwerdeführer ist mit Berufungsurteil des Landgerichts Berlin vom 25. Juni 2007 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten und zwei Wochen verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Das Landgericht Berlin hat – soweit hier von Interesse – festgestellt, dass der geständige Beschwerdeführer Gegenstände im Wert von über 600 EUR aus einem Elektronikmarkt in Berlin entwendet habe. Währenddessen habe er in einer Hosentasche ein Schweizer Taschenmesser mit einer Klingenlänge von ungefähr 6 cm griffbereit getragen. Unmittelbar vor dem Betreten des Marktes habe er auf dem Alexanderplatz Obst damit geschnitten. Der Beschwerdeführer sei wegen Diebstahls mit Waffen nach § 242, § 244 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a StGB zu verurteilen. Das Taschenmesser sei ein gefährliches Werkzeug im Sinne der angewandten Vorschriften. Der Angeklagte habe es auch bei sich geführt; denn er habe es griffbereit in der Hosentasche gehabt und von seiner Existenz gewusst. Dass er bei der Tat nicht an das Messer gedacht haben möge, sei unerheblich; das generelle Bewusstsein, das gefährliche Werkzeug bei sich zu haben, reiche aus.
Mit der Revision beanstandete der Beschwerdeführer, dass das Landgericht zu Unrecht ein Messer der vom Beschwerdeführer mitgeführten Art als gefährliches Werkzeug im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a StGB angesehen und zudem auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen zu Unrecht den subjektiven Tatbestand des Beisichführens bejaht habe. Die Generalstaatsanwaltschaft schloss sich der Rüge hinsichtlich des subjektiven Tatbestands an. In der Revisionshauptverhandlung beantragten entsprechend sowohl der Verteidiger des Beschwerdeführers als auch der Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft, das Urteil des Landgerichts aufzuheben.
Mit Urteil vom 17. April 2008 verwarf das Kammergericht die Revision des Beschwerdeführers. Ein Schweizer Offiziersmesser, in das ein Taschenmesser integriert sei, sei ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a StGB. Soweit die Oberlandesgerichte Frankfurt am Main und Braunschweig demgegenüber eine einschränkende Auslegung des § 244 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a StGB befürwortet hätten, bestünde keine Vorlagepflicht nach § 121 Abs. 2 GVG, da angesichts unterschiedlicher Sachverhaltskonstellationen eine Abweichung in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage nicht vorliege. Im Falle des Beschwerdeführers sei auch der subjektive Tatbestand des Beisichführens erfüllt. Zwar genüge ein generelles Bewusstsein in dem Sinne, dass das Messer aus bloßer Gewohnheit eingesteckt worden sei, nicht; vielmehr müsse im Tatzeitpunkt entsprechendes parates Wissen vorhanden sein. Diese Voraussetzung sei im Falle des Beschwerdeführers gegeben. Er habe das Messer nicht nur aus reiner Gewohnheit in seiner Hosentasche getragen. Zur Tatzeit sei ihm dies auch konkret bewusst gewesen, weil er es unmittelbar vor Betreten des Elektronikmarktes als Messer benutzt habe. Wenn das Landgericht ausgeführt habe: „Dass [der Beschwerdeführer] bei der Tat nicht an das Messer gedacht haben mag, ist unerheblich”, handle es sich nicht um eine abweichende und damit widersprüchliche Feststellung, sondern um eine die eigene Rechtsansicht, das generelle Besitzbewusstsein genüge, untermauernde Alternativüberlegung.
2. Mit der fristgerecht eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG aufgrund willkürlicher Rechtsanwendung, welche gleichzeitig gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße. Das Kammergericht sei nach § 121 Abs. 2 GVG verpflichtet gewesen, dem Bundesgerichtshof die Rechtsfrage vorzulegen, ob ein „Schweizer Messer” objektiv ohne weiteres ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a StGB darstelle. Die Erwägungen, mit denen das Kammergericht die Nichtvorlage gerechtfertigt habe, seien nicht nachvollziehbar und offensichtlich unhaltbar. Hinsichtlich der Erfüllung des subjektiven Tatbestandes des Beisichführens habe das Kammergericht eine von den Feststellungen des Tatgerichts abweichende Beweiswürdigung zu Lasten des Beschwerdeführers vorgenommen. Das Landgericht habe die Frage, ob sich der Beschwerdeführer bei dem Diebstahl des Vorhandenseins des Messers bewusst war oder nicht, offen gelassen, weil es diese Frage auf der Grundlage seiner – vom Kammergericht nicht geteilten – Rechtsansicht für unerheblich erachtet habe.
3. Die Senatsverwaltung für Justiz Berlin, der Generalbundesanwalt und der Präsident des Bundesgerichtshofs hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Senatsverwaltung für Justiz hat hiervon keinen Gebrauch gemacht.
Der Generalbundesanwalt hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Die unterbliebene Vorlage der Sache an den Bundesgerichtshof begründe keinen Entzug des gesetzlichen Richters, da die Entscheidung des Kammergerichts jedenfalls nicht willkürlich erfolgt sei. Im Übrigen habe sich das Unterbleiben der Vorlage nicht ausgewirkt: Zwischenzeitlich habe der Bundesgerichtshof entschieden, dass ein Taschenmesser grundsätzlich ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a StGB sei (Beschluss vom 3. Juni 2008 – 3 StR 246/07 –, NStZ 2008, S. 512). Nach dieser Entscheidung sei vorliegend der Tatbestand in objektiver wie subjektiver Hinsicht erfüllt gewesen. Es erscheine nahezu ausgeschlossen, dass eine Vorlage des Kammergerichts in der Sache zu einer anderen Entscheidung geführt hätte. Schließlich sei dem Beschwerdeführer auch nicht dadurch der gesetzliche Richter entzogen worden, dass das Revisionsgericht wegen Überschreitung seiner richterlichen Kompetenz willkürlich eigene Tatsachenfeststellungen getroffen hätte.
Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat Stellungnahmen der Strafsenate übersandt, in denen auf Senatsrechtsprechung zum Begriff des gefährlichen Werkzeugs im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a StGB hingewiesen wird.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 ff.≫; 96, 245 ≪248 ff.≫). Sie ist unbegründet.
1. Prüfungsmaßstab ist in erster Linie das Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Sowohl die Nichtbeachtung der Pflicht zur Vorlage an ein anderes Gericht (vgl. BVerfGE 3, 359 ≪364≫; 9, 213 ≪215 f.≫), als auch die in einer Aufklärung durch das Revisionsgericht und einer Verhinderung der Sachaufklärung durch das Tatgericht enthaltene Verkennung der dem Revisionsgericht gezogenen Grenzen (vgl. BVerfGE 54, 100 ≪115≫ m.w.N.; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Mai 1991 – 2 BvR 1380/90 –, NJW 1991, S. 2893) stellen nur dann einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dar, wenn sie willkürlich erfolgen (vgl. BverfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Mai 1991, a.a.O.) oder auf einer unhaltbaren oder einer die Bedeutung und Tragweite des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennenden Auslegung der Zuständigkeitsvorschriften beruhen (vgl. BVerfGE 82, 286 ≪299≫). Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wird danach durch eine gerichtliche Entscheidung nur verletzt, wenn diese bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 29, 45 ≪49≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Mai 1991, a.a.O.).
2. Hieran gemessen ist die Entscheidung des Kammergerichts nicht zu beanstanden.
a) Das Kammergericht hat keine eigenen Feststellungen zum Sachverhalt getroffen. Vielmehr hat es – wie der Generalbundesanwalt ausgeführt hat – die tatsächlichen Feststellungen des landgerichtlichen Urteils ausgelegt. Es ist zu dem Ergebnis gekommen, die Strafkammer habe daraus, dass der Beschwerdeführer unmittelbar vor der Tat das mitgeführte Messer noch zum Schneiden von Obst benutzt hatte, auf ein Bewusstsein des Beschwerdeführers von dem Vorhandensein des Messers während der Tat geschlossen. Nach dem Gesamtzusammenhang der landgerichtlichen Urteilsgründe erscheint diese Auffassung weder offensichtlich unhaltbar noch sachfremd. Das Kammergericht war daher nicht von Verfassungs wegen daran gehindert, anders als der Beschwerdeführer und die Generalstaatsanwaltschaft zu einem solchen Verständnis zu gelangen. Es kommt nicht darauf an, ob dieses Auslegungsergebnis zwingend oder besonders naheliegend ist.
b) Auch die Ausführungen des Kammergerichts zur Vorlagepflicht nach § 121 Abs. 2 GVG sind jedenfalls vertretbar. Eine Vorlagepflicht nach § 121 Abs. 2 GVG bestand nur, wenn die Rechtsfrage, hinsichtlich derer eine Divergenz vorlag, nicht nur für die beabsichtigte eigene Entscheidung des Kammergerichts, sondern auch für die früheren Entscheidungen erheblich war (vgl. dazu Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl. 2008, § 121 GVG Rn. 10). Der Meinung des Senats, dass die in dem Vorlagebeschluss des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 21. Februar 2002 (1 Ss ≪S≫ 68/01, NJW 2002, S. 1735 ff.) enthaltenen Ausführungen zur einschränkenden Auslegung des Tatbestandsmerkmals des gefährlichen Werkzeugs in § 244 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a StGB seinerzeit nicht entscheidungserheblich gewesen seien, lässt sich schon deshalb wenig entgegensetzen, weil eine Beantwortung der Vorlagefrage des Oberlandesgerichts Braunschweig mit eben dieser Begründung vom Bundesgerichtshof abgelehnt worden ist (Beschluss vom 27. September 2002 – 5 StR 117/02 –, NStZ-RR 2003, S. 12 f.). Im Übrigen prüft das Bundesverfassungsgericht nicht im Einzelnen nach, ob eine entscheidungserhebliche Divergenz vorlag; entscheidend ist vielmehr, ob der angegriffene Beschluss sich mit den als divergierend in Betracht kommenden Entscheidungen auseinander setzt und nachvollziehbar begründet, warum mit Rücksicht auf den anderen Sachverhalt eine entscheidungserhebliche Abweichung nicht vorliegen soll (vgl. BVerfGE 101, 331 ≪360≫). Diese Voraussetzungen sind hier auch hinsichtlich der beiden Beschlüsse des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 11. Januar 2002 (1 Ss 244/99, StV 2002, S. 145) und vom 8. August 2006 (1 Ss 177/06, StraFo 2006, S. 467) erfüllt.
3. Nach alledem ist auch der allgemeine Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Willkürverbot nicht verletzt.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Di Fabio, Landau
Fundstellen