Entscheidungsstichwort (Thema)
Versorgung von Ballettmitgliedern bei staatlichen Einrichtungen der DDR nach Ausscheiden aus dem Tänzerberuf
Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Gegenstand der zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden ist die Frage, ob es verfassungsrechtlich zulässig war, Leistungen auf der Grundlage der „Anordnung über die Gewährung einer berufsbezogenen Zuwendung an Ballettmitglieder in staatlichen Einrichtungen der DDR” vom Juni 1983 zum 31. Dezember 1991 einzustellen.
I.
1. a) Die Beschwerdeführer waren Ballettmitglieder in staatlichen Einrichtungen der Deutschen Demokratischen Republik. Nach ihrem Ausscheiden aus dem Tänzerberuf erhielten sie eine berufsbezogene Zuwendung auf der Grundlage der am 1. September 1976 in Kraft getretenen „Anordnung über die Gewährung einer berufsbezogenen Zuwendung an Ballettmitglieder in staatlichen Einrichtungen der DDR” und der diese ablösenden, gleichnamigen und am 1. Juli 1983 in Kraft getretenen Anordnung des Ministers für Kultur (im Folgenden: Anordnung bbZ). Beide Anordnungen sind nicht amtlich veröffentlicht (vgl. zur Anordnung von 1983 Aichberger II, Sozialgesetze, Ergänzungsband für die neuen Bundesländer, Nr. 125).
Die berufsbezogene Zuwendung betrug 50 % der arbeitsvertraglich festgelegten monatlichen Brutto-Gage der fünf zusammenhängenden verdienstgünstigsten Jahre als Ballettmitglied auf der Grundlage der Gagentabelle des jeweils maßgeblichen Rahmenkollektivvertrages, höchstens jedoch 800 Mark monatlich. Sie wurde auch bei Ausübung einer anderen Erwerbstätigkeit zusätzlich und unabhängig von der Höhe des dort erzielten Einkommens gewährt. Sie unterlag nicht der Besteuerung und der Beitragspflicht zur Sozialversicherung. Ihre Gewährung setzte voraus, dass das ausscheidende Ballettmitglied das 35. Lebensjahr vollendet und den Tänzerberuf mindestens 15 Jahre auf der Grundlage eines Arbeitsrechtsverhältnisses als Ballettmitglied ausgeübt hatte. Die Zuwendung konnte auch vor Vollendung der 15-jährigen Tänzertätigkeit gewährt werden, wenn nach einer medizinischen Feststellung der Tänzerberuf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausgeübt werden konnte. Die Zahlung erfolgte von der Einrichtung, zu der das Ballettmitglied bei Ausscheiden aus dem Tänzerberuf im Arbeitsrechtsverhältnis stand. Bei Bezug einer Rente nach den Bestimmungen der Sozialversicherung wegen Erreichen der Altersgrenze oder wegen Eintritt der Invalidität übernahm die Staatliche Versicherung der Deutschen Demokratischen Republik die weitere Zahlung. Die finanziellen Mittel für die Gewährung der Zuwendung waren im Haushaltsplan der entsprechenden Einrichtungen einzuplanen.
b) Das Gesetz zur Angleichung der Bestandsrenten an das Nettorentenniveau der Bundesrepublik Deutschland und zu weiteren rentenrechtlichen Regelungen (Rentenangleichungsgesetz) vom 28. Juni 1990 (GBl I S. 495) enthielt in seinem § 33 eine Regelung zu den berufsbezogenen Zuwendungen der Ballettmitglieder. Danach wurden diese in Deutscher Mark weitergezahlt.
Der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag – (im Folgenden: EV) vom 31. August 1990 (BGBl II S. 889) enthielt in Art. 9 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 6 folgende Regelung:
Folgendes Recht der Deutschen Demokratischen Republik bleibt mit folgenden Maßgaben in Kraft:
…
- Die Anordnung ist bis zum 31. Dezember 1991 anzuwenden.
- Von der Anordnung kann für die Zeit bis 31. Dezember 1991 durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung abgewichen werden.
Unter Hinweis auf diese Regelung wurde die Zahlung der berufsbezogenen Zuwendung von den zuständigen Stellen allgemein mit Ablauf des 31. Dezember 1991 eingestellt.
c) In dem als Art. 3 des Gesetzes zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung (Renten-Überleitungsgesetz – RÜG) vom 25. Juli 1991 (BGBl I S. 1606) verkündeten Gesetz zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets (Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz – AAÜG) vom 25. Juli 1991 (BGBl I S. 1606, 1677) ist in Anlage 1 Nr. 17 im Rahmen der Auflistung der Zusatzversorgungssysteme auch eine „Zusätzliche Altersversorgung der Ballettmitglieder in staatlichen Einrichtungen, eingeführt mit Wirkung vom 1. September 1976”, aufgeführt.
Durch das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG-Änderungsgesetz – AAÜG-ÄndG) vom 11. November 1996 (BGBl I S. 1674) wurde § 5 AAÜG ergänzt. Danach gelten die Zeiten der Ausübung des Tänzerberufes, für die nach dem Ausscheiden aus diesem Beruf eine berufsbezogene Zuwendung an Ballettmitglieder in staatlichen Einrichtungen geleistet werden konnte, als Pflichtbeitragszeiten der Rentenversicherung (§ 5 Abs. 1 i.V.m. Anlage 1 Nr. 17 AAÜG i.d.F. des AAÜG-ÄndG).
2. Die gegen die Einstellung ihrer berufsbezogenen Zuwendung zum 31. Dezember 1991 von den Beschwerdeführern eingeleiteten Rechtsbehelfe blieben erfolglos. Mit ihren Verfassungsbeschwerden greifen sie unmittelbar die klageabweisenden gerichtlichen Entscheidungen und mittelbar die diesen zugrundeliegende Regelung des Einigungsvertrages an. Sie machen die Verletzung der Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und 3, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 20, Art. 36 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG geltend. Zur Begründung tragen sie mit ihren im Wesentlichen gleich lautenden Verfassungsbeschwerden vor, es bestehe eine Regelungslücke, weil der Gesetzgeber eine Regelung zur Weitergeltung der Anordnung bbZ versäumt habe. Zudem seien die Rentenüberleitungsgesetze verfassungswidrig, vor allem die durch sie getroffene „Systementscheidung” mit Liquidierung ihrer Zusatzversorgung.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen nach § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 ff.≫). Sie haben keine Aussicht auf Erfolg. Dabei kann offen bleiben, ob sie überhaupt den Mindestanforderungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes an einen ordnungsgemäßen Vortrag genügen (vgl. schon Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. Oktober 2000 – 1 BvR 1412/99, Umdruck S. 4 f.). Jedenfalls verletzen die angegriffene Vorschrift des Einigungsvertrages und die auf ihr beruhenden Gerichtsentscheidungen die Beschwerdeführer nicht in ihren Grundrechten.
1. Die Beendigung der Zahlung der berufsbezogenen Zuwendung an Ballettmitglieder durch Art. 9 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 6 Buchstabe a EV verletzt die Beschwerdeführer nicht in ihrem Grundrecht auf Eigentum nach Art. 14 Abs. 1 GG.
a) Zwar hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die in der Deutschen Demokratischen Republik erworbenen Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen den Schutz des Eigentumsgrundrechts nicht anders als Rentenansprüche und Rentenanwartschaften genießen, die im Geltungsbereich des Grundgesetzes erworben worden sind (vgl. BVerfGE 100, 1 ≪32 f.≫). Auf diese Rechtsprechung können sich die Beschwerdeführer jedoch nicht berufen. Dabei kann offen bleiben, welche Rechtsnatur die in Frage stehenden Zuwendungen aufweisen und ob sie insbesondere als eine Art typisierte Berufsunfähigkeitsrente oder als Versorgungsleistung besonderer Art angesehen werden können. Denn das Bundesverfassungsgericht hat die Unterstellung von Renten oder rentenähnlichen Ansprüchen und Anwartschaften auf der Grundlage der Rechtsvorschriften der Deutschen Demokratischen Republik unter den Eigentumsschutz des Art. 14 Abs. 1 GG davon abhängig gemacht, dass sie im Einigungsvertrag nach dessen Maßgaben als Rechtspositionen der gesamtdeutschen Rechtsordnung anerkannt wurden. Dies ist aber für die hier in Frage stehenden Zuwendungen gerade nicht der Fall. Der Einigungsvertragsgesetzgeber hat sich in Art. 9 Abs. 2 in Verbindung mit der Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 6 Buchstabe a dafür entschieden, die berufsbezogenen Zuwendungen an Ballettmitglieder nicht in die Sozial- und Arbeitsrechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland als weiter zu gewährende Leistungen zu überführen, und hat ihre Einstellung zum 31. Dezember 1991 angeordnet. Nur ein gesetzlicher Entzug oder eine gesetzliche Kürzung der Zuwendungen bis zu diesem Zeitpunkt wäre am Eigentumsgrundrecht des Art. 14 Abs. 1 GG zu messen gewesen. Beides ist aber nicht erfolgt.
b) Es braucht daher auch nicht entschieden zu werden, ob die aus der Anordnung bbZ erwachsenden Ansprüche und Aussichten schon deshalb nicht eigentumsrechtlich durch das Grundgesetz geschützt sind, weil sie nicht auf Beiträgen beruhen (vgl. dazu BVerfGE 100, 1 ≪35 f.≫), sondern einen aus staatlichen Haushaltsmitteln gewährten finanziellen Ausgleich dafür darstellen, dass die Betroffenen ihren Beruf auf Grund seiner Besonderheit in verhältnismäßig jungen Jahren nicht mehr ausüben können. Im Übrigen hat der gesamtdeutsche Gesetzgeber die Zeiten der Ausübung des Tänzerberufs, für die nach dem Ausscheiden aus ihm eine berufsbezogene Zuwendung an Ballettmitglieder in staatlichen Einrichtungen geleistet werden konnte, rentenrechtlich berücksichtigt. Er hat sie nach § 5 Abs. 1 in Verbindung mit Anlage 1 Nr. 17 AAÜG in der Fassung des AAÜG-ÄndG den Angehörigen der Zusatzversorgungssysteme gleichgestellt. Die Zeiten gelten als Pflichtbeitragszeiten der Rentenversicherung.
2. Die Beschwerdeführer sind aber auch in anderen Grundrechten nicht verletzt. Dies gilt zum einen für ihr Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes. Vertrauen in den Fortbestand von Rechtsvorschriften der Deutschen Demokratischen Republik konnte sich in der Zeit nach der Wende mit Blick auf eine mögliche Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten nicht allgemein bilden, sondern nur dort, wo besonderer Anlass für die Erwartung bestand, das Recht der Deutschen Demokratischen Republik werde ausnahmsweise in Kraft bleiben (vgl. BVerfGE 88, 384 ≪404 f.≫; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 6. Oktober 2000, VIZ 2001, 111 ≪113≫). Eine solche besondere Situation war hier gerade nicht gegeben. Die in Frage stehenden Leistungen hatten bereits in der Rechtsordnung der Deutschen Demokratischen Republik den Charakter einer besonderen Begünstigung für eine bestimmte Berufsgruppe. Den alten Bundesländern waren solche aus staatlichen Haushaltsmitteln finanzierten Zuwendungen an Ballettmitglieder fremd. Deshalb ist auch nicht ersichtlich, dass der Wegfall dieser besonderen Versorgung zum 31. Dezember 1991 die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3 Abs. 1 GG) verletzt.
3. Soweit die angegriffenen Gerichtsentscheidungen auf der mit dem Grundgesetz in Einklang stehenden Vorschrift des Einigungsvertrages über die Einstellung der berufsbezogenen Zuwendungen zum 31. Dezember 1991 beruht, sind sie verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch die Auslegung und Anwendung des Einigungsvertrages und des sonstigen einfachen Rechts ist nicht in einer Weise erfolgt, die das Grundgesetz verletzt. Das Bundesarbeitsgericht und das Bundessozialgericht haben sich in einer verfassungsrechtlich unbedenklichen Weise mit der Rechtslage eingehend auseinander gesetzt.
4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 780423 |
NVwZ 2002, 1487 |
VIZ 2002, 559 |
LKV 2002, 567 |
NJ 2002, 586 |