Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
Verfahrensgang
OLG Celle (Beschluss vom 16.11.2009; Aktenzeichen 3 U 251/09) |
AG Hannover (Beschluss vom 12.11.2009; Aktenzeichen 660 XVII H5148) |
AG Hannover (Beschluss vom 04.11.2009; Aktenzeichen 660 XVII H5148) |
Tenor
1. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 16. November 2009 – 3 U 251/09 – richtet, wird sie nicht angenommen, weil sie unzulässig ist.
2. Die Wirksamkeit des Beschlusses des Amtsgerichts Hannover vom 4. November 2009 – 660 XVII H5148 – in der Form des Beschlusses vom 12. November 2009 – 660 XVII H5148 – wird einstweilen bis zur Entscheidung der Hauptsache, längstens für sechs Monate ausgesetzt.
3. Das Land Niedersachsen hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen eine Vorführungsanordnung in einer Betreuungssache und die Zwangsversteigerung ihrer Wohnung.
1. Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin einer Eigentumswohnung in Hannover, an der die C.-Bank ein Grundpfandrecht innehat. Seit 1997 versucht die Gläubigerin, ihre Rechte an der Eigentumswohnung im Wege der Zwangsversteigerung durchzusetzen. Vor dem Prozessgericht erhobene Einwendungen der Beschwerdeführerin gegen die der Zwangsversteigerung zugrunde liegende Titel blieben erfolglos. Das Amtsgericht Hannover stellte mit Beschluss vom 23. Oktober 2003 nach Einholung eines fachärztlichen Gutachtens das Verfahren gemäß § 765a ZPO einstweilen ein. Das Amtsgericht wies mit Beschluss vom 9. März 2006 Anträge auf Fortsetzung des Zwangsversteigerungsverfahrens zurück und stellte die Zwangsversteigerung erneut bis zum 31. Dezember 2007 ein, da die Beschwerdeführerin an einer chronischen depressiven Erkrankung leide, die zu einer Suizidalität führe und sich bei Fortführung der Vollstreckung deutlich verschlechtern würde. Das Landgericht Hannover beschloss am 13. Juni 2006 auf die sofortige Beschwerde der Gläubigerin, den Beschluss des Amtsgerichts vom 9. März 2006 abzuändern und den Antrag auf Einstellung der Zwangsversteigerung gemäß § 765a ZPO abzulehnen.
Im Zusammenhang mit dem Zwangsversteigerungsverfahren wurden die Betreuungsstelle der Region Hannover und zwei psychiatrische Sachverständige wiederholt um Stellungnahmen und Gutachten gebeten. Es wurde eine mittelgradige depressive Episode mit somatischem Syndrom und eine Charakterneurose mit querulatorischer Fehlhaltung auf dem Boden einer primär-narzisstisch-kränkbaren Persönlichkeitsstruktur bei der Beschwerdeführerin festgestellt. Die Erforderlichkeit der Einrichtung einer Betreuung gegen den Willen der Beschwerdeführerin wurde geprüft, aber verneint. Die Beschwerdeführerin sei in der Lage, sich angemessen zu orientieren und würde sich bei Bedarf durch ihren juristisch qualifizierten Sohn vertreten lassen, beziehungsweise sich anderweitig qualifizierte Hilfe organisieren.
Nachdem das Vormundschaftsgericht eine Betreuerbestellung 2006 und 2007 ablehnte, wies das Amtsgericht Hannover im Zwangsversteigerungsverfahren den erneuten Antrag der Schuldnerin auf Einstellung gemäß § 765a ZPO zurück. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin wurde durch das Landgericht mit Beschluss vom 11. Februar 2008 zurückgewiesen und in der Begründung erklärt, § 765a ZPO sei nur unter strengen Anforderungen anwendbar. Der Gefahr eines Suizids könne auf andere Weise begegnet werden, etwa durch eine Ingewahrsamnahme nach polizeirechtlichen Vorschriften oder die Unterbringung der Beschwerdeführerin in einer psychiatrischen Klinik. Am 11. August 2009 wurde der Zwangsversteigerungstermin auf den 19. November 2009 festgelegt.
Unter dem 7. September 2009 regte das Vollstreckungsgericht am Amtsgericht Hannover beim Vormundschaftsgericht Hannover an zu überprüfen, ob angesichts des Versteigerungstermins zur Abwendung einer Gefahr für Leib und Leben vormundschaftsgerichtliche Maßnahmen, insbesondere eine Unterbringung in der geschlossenen Abteilung einer psychiatrischen Klinik, erforderlich seien. Der Sachverständige Dr. W. wurde schriftlich zu einer erneuten Begutachtung der Beschwerdeführerin aufgefordert. Er solle prüfen, ob eine Betreuung einzurichten sei und der Beschwerdeführerin angesichts der Zwangsversteigerung eine Gefahr für ihr Leben drohe. Eine Mitteilung an die Beschwerdeführerin erfolgte nicht, sodass die Beschwerdeführerin erst durch den Gutachter von der Einleitung eines Betreuungsverfahrens Kenntnis erlangte. Der Gutachter rief die Beschwerdeführerin an und schlug einen Termin für die Untersuchung vor, dem die Beschwerdeführerin jedoch nicht zustimmte. Als der Gutachter sie aufsuchte, lehnte die Beschwerdeführerin eine Untersuchung ab, obwohl sie in vorherigen Verfahren mit dem Sachverständigen zusammengearbeitet hatte.
2. Nach der Mitteilung des Sachverständigen unter dem 3. November 2009, die Beschwerdeführerin verweigere sich einer Untersuchung, fasste das Amtsgericht Hannover unter dem 4. November 2009 einen Beschluss.
Unter Ziffer 1 wurde gemäß §§ 283, 322 FamFG angeordnet, die Beschwerdeführerin zur Vorbereitung eines Gutachtens über die Erforderlichkeit einer Betreuung und einer geschlossenen Unterbringung durch Dr. W. untersuchen zu lassen.
Unter Ziffer 2 wurde die Vorführung zur Untersuchung durch die zuständige Behörde Betreuungsstelle der Region Hannover – auch gegen den Willen der Beschwerdeführerin – angeordnet. Die Betreuungsbehörden seien zum Zwecke der Ausführung dieses Beschlusses befugt, verschlossene Haus- und Zimmertüren zwangsweise öffnen zu lassen und bei Widerstand der Beschwerdeführerin Gewalt anzuwenden.
Unter Ziffer 3 wurde die Entscheidung für sofort wirksam erklärt und unter Ziffer 4 als nicht anfechtbar gemäß § 68b Abs. 3 Satz 2 FGG bezeichnet.
Unter Ziffer 5 wurde Dr. W. ersucht, ein Gutachten über die Frage der Erforderlichkeit, Umfang und voraussichtliche Dauer einer Betreuungsbedürftigkeit und einer gegebenenfalls erforderlichen geschlossenen Unterbringung zu erstatten.
Zur Begründung führte das Gericht knapp aus, nach Eingang einer Anregung sei ein Verfahren zur Prüfung der Notwendigkeit einer Betreuung eingeleitet worden. Das Verfahren habe zwischenzeitlich wegen der Weigerung der Beschwerdeführerin nicht gefördert werden können. Die Beschwerdeführerin habe einen Termin beim Sachverständigen nicht wahrgenommen, sodass nunmehr nach §§ 283, 322 FamFG zu verfahren sei.
Der Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 6. November 2009, in der die mangelnde Information über das Verfahren gegenüber der Beschwerdeführerin und ihrem Rechtsanwalt gerügt wurde, wurde nicht abgeholfen. Das Amtsgericht Hannover begründete seinen Beschluss vom 12. November 2009 damit, die Unanfechtbarkeit des Beschlusses folge aus § 58 Abs. 1 FamFG. Anhaltspunkte, die eine Vorführung entbehrlich machen würden, seien nicht ersichtlich. Im Hinblick auf den für den „20. November 2009” (gemeint ist offensichtlich der 19. November) angesetzten Zwangsversteigerungstermin und die daraus resultierende Eilbedürftigkeit sei eine vorherige Anhörung der Beschwerdeführerin nicht möglich gewesen. Der Sachverständige habe am 3. November 2009 mitgeteilt, die Beschwerdeführerin sei zur Mitwirkung nicht bereit.
Am 12. November 2009 legte die Beschwerdeführerin durch ihren Rechtsanwalt Beschwerde gegen den Beschluss vom 12. November 2009 ein. Eine Entscheidung des Landgerichts liegt noch nicht vor.
3. Die Beschwerdeführerin hat mit Schreiben vom 17. November 2009, eingegangen am gleichen Tag, Verfassungsbeschwerde erhoben.
a) Die Absicht, eine Betreuung für sie einzurichten, sei weder ihr noch ihrem Rechtsanwalt mitgeteilt worden. Sie sei aus „allen Wolken” gefallen, als sie der Sachverständige anrief. Selbst ein Verbrecher habe ein Recht auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG. Bevor man ihr nicht die Möglichkeit gegeben hätte, auf das Verfahren einzuwirken, könne die Obrigkeit nicht über sie verfügen und einen unanfechtbaren Beschluss erlassen. Das Gericht könne nicht schreiben, sie habe die Mitwirkung verweigert, obwohl man ihr keine Gelegenheit zur Mitwirkung gab. Das Amtsgericht habe „keine Handhabe” gegen sie, um eine Betreuung einzurichten.
Auch rügt die Beschwerdeführerin, die Zwangsversteigerung ihrer Wohnung dürfe nicht stattfinden, da sie keinen Kredit bei der C.-Bank aufgenommen habe. Ihr Ehemann habe dies unter Fälschung ihrer Unterschrift getan. Dieser Umstand sei von den Gerichten nicht angemessen zur Kenntnis genommen worden. Die Beschwerdeführerin äußert jedoch, wesentlicher Grund ihrer Verfassungsbeschwerde sei, dass über ihren Kopf hinweg ein unanfechtbarer Beschluss gefasst worden sei, wonach sie in eine psychiatrische Anstalt eingeliefert werden solle.
b) Die Beschwerdeführerin betont die besondere Eilbedürftigkeit der Angelegenheit und stellt sinngemäß einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Entscheidungsgründe
II.
Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, das in der Hauptsache zu verfolgende Begehren, hier also die Verfassungsbeschwerde, erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 88, 185 ≪186≫; 103, 41 ≪42≫; stRspr). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 88, 185 ≪186≫; stRspr). Wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 87, 107 ≪111≫; stRspr). Im Zuge der nach § 32 Abs. 1 BVerfGG gebotenen Folgenabwägung legt das Bundesverfassungsgericht seiner Entscheidung in aller Regel die Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen in den angegriffenen Entscheidungen zugrunde (vgl. BVerfGE 34, 211 ≪216≫; 36, 37 ≪40≫).
2. Nach diesen Maßstäben ist hier der Erlass einer einstweiligen Anordnung angezeigt.
Die Verfassungsbeschwerde ist – soweit sie zulässig ist – nicht offensichtlich unbegründet.
a) aa) Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 16. November 2009 richtet und auf die Zwangsversteigerung ihrer Wohnung bezieht, ist sie allerdings unzulässig. Die Beschwerdeführerin genügt insoweit nicht ihrer Substantiierungspflicht gemäß § 23 Abs. 1, § 92 BVerfGG.
Das Begründungserfordernis verlangt neben der Bezeichnung des angeblich verletzten Grundrechts auch die substantiierte Darlegung des die Verletzung enthaltenden Vorgangs (vgl. BVerfGE 81, 208 ≪214≫). Dieser muss in einer Weise vorgetragen sein, dass das Bundesverfassungsgericht ohne Rückgriff auf die Akten des Ausgangsverfahrens allein aufgrund der Beschwerdeschrift sowie der ihr beigefügten Anlagen in der Lage ist, zu prüfen, ob der geltend gemachte Verfassungsverstoß zumindest möglich erscheint.
Dem wird die Beschwerdeführerin, soweit die Vorgänge um die Zwangsversteigerung ihrer Wohnung betroffen sind, nicht gerecht. Denn die Beschwerdeführerin hat die angegriffene Entscheidung weder vorgelegt noch inhaltlich in hinreichender Weise zusammengefasst und auch den zugrunde liegenden Sachverhalt so lückenhaft geschildert, dass nicht überprüft werden kann, ob die Verletzung von Grundrechten zumindest möglich erscheint.
bb) Hinsichtlich der Beschlüsse des Amtsgerichts Hannover vom 4. und 12. November 2009 ist die Verfassungsbeschwerde jedoch nicht offensichtlich unzulässig. Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin ist so zu verstehen, dass sie sich gegen den Beschluss vom 4. November 2009 in der Form wendet, die er durch den Beschluss vom 12. November 2009 erhalten hat. Denn die Beschwerdeführerin wendet sich gegen den unanfechtbaren Beschluss, der ihre Vorführung und Untersuchung anordnet und dessen Inhalt durch den Beschluss vom 12. November 2009 nur erläutert und hinsichtlich des anzuwendenden Gesetzes präzisiert worden ist.
Die Verfassungsbeschwerde gegen die amtsgerichtlichen Beschlüsse ist hinreichend substantiiert (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG). Die Beschwerdeführerin hat zwar den Beschluss des Amtsgerichts vom 4. November 2009 nicht überreicht. Gleichwohl hat sie den zugrunde liegenden Sachverhalt so zusammengefasst, dass eine Prüfung dahingehend vorgenommen werden konnte, ob die Entscheidung mit dem geltend gemachten Grundrecht in Einklang steht.
Die Beschwerdeführerin hat auch den Rechtsweg gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG erschöpft.
Zunächst muss der Bürger die behauptete Grundrechtsverletzung durch das Einlegen von Rechtsbehelfen vor den Fachgerichten abzuwenden versuchen (BVerfGE 68, 376 ≪380≫; 70, 180 ≪186≫), wie es die Beschwerdeführerin durch Einlegung ihrer Beschwerde bereits anstrebt. Die Anordnung der Untersuchung ist als nicht instanzabschließende Zwischenentscheidung jedoch gemäß § 58 Abs. 1 FamFG nicht anfechtbar. Dies wurde auch im Beschluss vom 12. November 2009 festgestellt. Anfechtbar sind seit dem 1. September 2009 gemäß § 58 Abs. 1 FamFG grundsätzlich nur Endentscheidungen der Amts- und Landgerichte (vgl. Budde, in: Keidel, FamFG, 16. Aufl. 2009, § 283 Rn. 4). Durch die Einführung der Unterscheidung zwischen Hauptsacherechtsmitteln und Rechtsmitteln gegen Neben- und Zwischenentscheidungen sollte die freiwillige Gerichtsbarkeit an die Systematik anderer Verfahrensordnungen angeglichen werden (BTDrucks 16/6308, S. 166).
Die Verfassungsbeschwerde ist auch nicht deshalb unzulässig, weil die Beschwerdeführerin nicht ausdrücklich eine Anhörungsrüge gemäß § 44 FamFG erhoben hat. Es kann hier dahinstehen, ob es sich bei der Vorführungsanordnung um eine – bei verfassungskonformer Auslegung von § 44 Abs. 1 Satz 2 FamFG – einer Anhörungsrüge zugängliche Zwischenentscheidung handelt. Denn der Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführerin hat sinngemäß eine Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt, über die im Beschluss vom 12. November 2009 entschieden worden ist.
b) Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie nicht offensichtlich unbegründet.
Nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin erscheint eine Verletzung ihres Grundrechts auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG möglich. Für das Gericht erwächst aus Art. 103 Abs. 1 GG die Pflicht, vor dem Erlass einer Entscheidung zu prüfen, ob dem Verfahrensbeteiligten rechtliches Gehör gewährt wurde (BVerfGE 36, 85 ≪88≫). Maßgebend für diese Pflicht des Gerichts ist der Gedanke, dass der Verfahrensbeteiligte Gelegenheit haben muss, die Willensbildung des Gerichts zu beeinflussen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör fordert, dass das erkennende Gericht die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis nimmt und in Erwägung zieht (vgl. BVerfGE 83, 24 ≪35≫; 96, 205 ≪216≫; stRspr). Ob die angegriffenen Beschlüsse diesen Voraussetzungen genügen, ist zweifelhaft.
Die Beschwerdeführerin wurde weder schriftlich noch mündlich von der beabsichtigten Untersuchung und Einrichtung einer Betreuung informiert. Sie konnte sich dementsprechend nicht äußern. Dies könnte nicht nur § 283 Abs. 1 Satz 2 FamFG widersprechen, sondern auch das Grundrecht der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzen.
Die unterbliebene Anhörung wurde offenbar auch nicht vor der Entscheidung vom 12. November 2009 nachgeholt. Zwar hat die Beschwerdeführerin sich über ihren Rechtsanwalt zum Beschluss vom 4. November 2009 geäußert. Die gemäß § 283 Abs. 1 Satz 2, § 34 Abs.1 Nr. 2 FamFG erforderliche, persönliche Anhörung wurde jedoch nicht nachgeholt, sondern lediglich die ergangene Entscheidung bestätigt. Fraglich ist zudem, ob die vom Gericht im Beschluss vom 12. November 2009 abgegebene Begründung, eine Anhörung sei wegen der Eilbedürftigkeit aufgrund des anstehenden Zwangsversteigerungsverfahrens nicht möglich gewesen, eine tragfähige Rechtfertigung für die nicht durchgeführte Anhörung ist, da der Gutachter bereits im September 2009 über das eingeleitete Verfahren informiert wurde.
c) Die Folgenabwägung fällt zugunsten der Beschwerdeführerin aus.
Erginge die einstweilige Anordnung nicht und hätte die Verfassungsbeschwerde Erfolg, so könnte in der Zwischenzeit der Beschluss vom 4. November 2009 vollstreckt und die Beschwerdeführerin ohne vorherige Anhörung unter Einsatz körperlichen Zwangs und zwangsweiser Öffnung ihrer Wohnungstür zur Untersuchung vorgeführt werden. Sollte sich die Verfassungsbeschwerde als erfolgreich erweisen, würde dies einen erheblichen Grundrechtseingriff darstellen, der durch eine nachträgliche Entscheidung nicht mehr ungeschehen gemacht werden könnte.
Erginge die einstweilige Anordnung und bliebe die Verfassungsbeschwerde später ohne Erfolg, so käme es lediglich zu einer Verzögerung der Untersuchung, die dann gegebenenfalls nach einer Vorführung unter Einsatz körperlichen Zwangs und gewaltsamer Öffnung der Wohnungstür der Beschwerdeführerin erfolgen könnte. Für eine Gefährdung von Leib und Leben der Beschwerdeführerin durch eine nicht rechtzeitige Unterbringung liegen derzeit keine konkreten Anhaltspunkte vor. Sollten neue Tatsachen eine akute Gefährdung der Beschwerdeführerin begründen, wäre das Vormundschaftsgericht nicht gehindert, nach Anhörung der Beschwerdeführerin eine Untersuchung und Unterbringung anzuordnen.
Wägt man die Folgen gegeneinander ab, so wiegen die Nachteile, die im Falle des Erlasses der einstweiligen Anordnung drohen, weniger schwer als die Nachteile, die der Beschwerdeführerin im Falle der Versagung des Erlasses der einstweiligen Anordnung entstehen könnten.
Unterschriften
Hohmann-Dennhardt, Gaier, Kirchhof
Fundstellen
FamRZ 2010, 186 |
BtPrax 2010, 75 |
R&P 2010, 88 |