Verfahrensgang
AG München (Vorlegungsbeschluss vom 20.11.2002; Aktenzeichen 1502 IN 1944/00) |
AG München (Vorlegungsbeschluss vom 24.09.2002; Aktenzeichen 1506 IN 748/02) |
AG München (Vorlegungsbeschluss vom 30.08.2002; Aktenzeichen 1506 IN 1343/02) |
Tenor
Die Vorlagen sind unzulässig.
Tatbestand
Gegenstand der Vorlagen ist die Verfassungsmäßigkeit der Restschuldbefreiung nach der Insolvenzordnung (InsO).
I.1. Die Vorlagen 1 BvL 11/02 bis 1 BvL 13/02 und 1 BvL 16/02 betreffen Verfahren, in denen die jeweiligen Schuldner Antrag auf Durchführung des Regel- oder Verbraucherinsolvenzverfahrens sowie auf Restschuldbefreiung gestellt haben. Ferner wurde jeweils beantragt, die Kosten des Insolvenzverfahrens nach § 4 a Abs. 1 InsO zu stunden. Die Stundungsvoraussetzungen sind nach Auffassung des vorlegenden Gerichts erfüllt. Über die Stundungsanträge muss das Gericht nunmehr entscheiden.
In dem der Vorlage 1 BvL 17/02 zugrunde liegenden Verfahren wurde das Regelinsolvenzverfahren durchgeführt. Im Schlusstermin hat kein Gläubiger die Versagung der Restschuldbefreiung beantragt (§ 290 InsO). Als nächsten Verfahrensschritt muss daher das Gericht durch Beschluss ankündigen, dass unter den Voraussetzungen des § 291 Abs. 1 InsO der Schuldner die Restschuldbefreiung erlangt.
2. Das Amtsgericht hat die Verfahren gemäß Art. 100 GG ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob die §§ 286 ff. InsO mit der Eigentumsgarantie gemäß Art. 14 Abs. 1 GG und der Gewährleistung des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG vereinbar seien.
Zur Begründung hat das Gericht im Wesentlichen ausgeführt, dass es für die anstehenden Entscheidungen über die Stundung der Verfahrenskosten und die Ankündigung der Restschuldbefreiung auf die Gültigkeit der Vorschriften über die Restschuldbefreiung ankomme. Sollten die §§ 286 bis 303 InsO verfassungswidrig sein, wäre die Stundung der Verfahrenskosten und die Ankündigung der Restschuldbefreiung zu versagen. Das Verfahren der Restschuldbefreiung verstoße gegen Art. 14 Abs. 1 GG, da es der Gesetzgeber unterlassen habe, die Rechte und Pflichten von Schuldner und Gläubiger in ein angemessenes Verhältnis zu bringen. Die unberechtigte Bevorzugung der Schuldnerinteressen zeige sich etwa darin, dass nur Insolvenzstraftaten (§ 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO) und die kaum jemals nachweisbare mindestens grob fahrlässige Vermögensverschwendung (§ 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO) zur Versagung der Restschuldbefreiung führten. In der so genannten Wohlverhaltensphase finde nach § 292 Abs. 2 InsO nur eine unzureichende Überwachung des Schuldners durch den Treuhänder statt. Ferner sei nicht einzusehen, dass der Schuldner während dieses Zeitraums nach § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO ererbtes Vermögen nur zur Hälfte und Schenkungen gar nicht an den Treuhänder abführen müsse. Demgegenüber würden den Gläubigern nur Pflichten auferlegt, etwa bei der Forderungsaufstellung im Zusammenhang mit dem Schuldenbereinigungsplan. Besonders nachteilig und mit Art. 103 Abs. 1 GG unvereinbar sei für Gläubiger zudem, dass sich die Wirkung der Restschuldbefreiung auch auf nicht angemeldete Forderungen erstrecke. Die völlige Unausgewogenheit von Schuldner- und Gläubigerrechten zeige sich schließlich darin, dass selbst ein gutverdienender Schuldner, der etwa 3. 000 EUR monatlich an den Treuhänder abführe, während der sechsjährigen Wohlverhaltensphase nur rund 200. 000 EUR für seine Gläubiger erwirtschafte und danach schuldenfrei sei, selbst wenn titulierte Ansprüche in Millionenhöhe gegen ihn vorlägen.
Entscheidungsgründe
II. Die Vorlagen sind unzulässig.
1. Gemäß Art. 100 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muss das vorlegende Gericht ausführen, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Rechtsvorschriften abhängt. Dazu muss die Vorlage aus sich heraus, ohne Beiziehung der Akten verständlich sein (vgl. BVerfGE 62, 223229; 69, 185187). Sie muss den entscheidungserheblichen Sachverhalt und eine umfassende Darlegung der tragenden Erwägungen enthalten. Das Gericht muss sich eingehend mit der einfachrechtlichen Rechtslage auseinander setzen und die in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Rechtsauffassungen berücksichtigen, soweit sie für die Entscheidungserheblichkeit von Bedeutung sein können (vgl. BVerfGE 92, 277312; 97, 4960; stRspr). Ferner muss im Vorlagebeschluss das Gericht seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Norm näher darlegen und deutlich machen, mit welchem verfassungsrechtlichen Grundsatz die zur Prüfung gestellte Regelung seiner Ansicht nach nicht vereinbar ist (vgl. BVerfGE 80, 182185). Auch insoweit bedarf es der Auseinandersetzung mit nahe liegenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten sowie einer eingehenden, Rechtsprechung und Schrifttum einbeziehenden Darlegung (vgl. BVerfGE 88, 198201; 89, 329336 f.).
Hierbei handelt es sich nicht nur um formale Anforderungen an Vorlagebeschlüsse, die ohne weiteres verzichtbar wären. Eine sorgfältige Prüfung der Voraussetzungen für eine Vorlage ist vielmehr schon deshalb geboten, weil der Richter mit der Aussetzung des Verfahrens den Parteien zunächst eine Entscheidung in der Sache verweigert und die Erledigung des Rechtsstreits verzögert (vgl. BVerfGE 78, 165178). Darüber hinaus verlangt der Grundgedanke des Art. 100 Abs. 1 GG, der die Autorität des parlamentarischen Gesetzgebers im Verhältnis zur Rechtsprechung wahren soll, dass das Gericht seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Norm in Auseinandersetzung mit den hierfür maßgeblichen Gesichtspunkten bildet und dabei insbesondere auch die Erwägungen des Gesetzgebers berücksichtigt (vgl. BVerfGE 86, 7177). Schließlich dient das Begründungserfordernis auch der Entlastung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 83, 111116).
2. Diesen Anforderungen genügen die Vorlagen nicht.
a) Eine Auseinandersetzung mit den in der Literatur vertretenen Auffassungen zur Vereinbarkeit der Restschuldbefreiung mit Art. 14 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG fehlt völlig, obwohl hierzu zahlreiche Stellungnahmen erfolgt sind, die überwiegend die Vereinbarkeit bejahen (vgl. etwa: Kübler/Prütting, Insolvenzordnung, Stand: Oktober 2002, § 286 Rn. 56 ff.; Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, Stand: Juli 2002, vor § 286 Rn. 32 ff.; Forsblad, Restschuldbefreiung und Verbraucherinsolvenz im künftigen deutschen Insolvenzrecht, 1997, S. 275 ff.).
b) Vor allem aber fehlt es an der Darlegung der Erheblichkeit der vom Gericht für verfassungswidrig gehaltenen Normen für die unmittelbar anstehenden Entscheidungen.
Weder die Stundung der Kosten des Insolvenzverfahrens noch die Ankündigung der Restschuldbefreiung hängt davon ab, ob dem jeweiligen Schuldner künftig Restschuldbefreiung erteilt werden wird. Vielmehr handelt es sich um Zwischenentscheidungen im Insolvenzverfahren, dessen weiterer Verlauf nicht vorhergesehen werden kann. So ist es beispielsweise möglich, dass der Insolvenzantrag zurückgenommen wird, Schulden getilgt werden oder der Schuldner während der Wohlverhaltensphase gegen Obliegenheiten verstößt und deshalb gar nicht mehr über den Antrag auf Restschuldbefreiung entschieden werden muss. Zudem ist auch nicht erkennbar, dass die anstehenden Entscheidungen bereits die vom vorlegenden Gericht als verletzt bezeichneten Rechte der Gläubiger berühren. Durch die Stundung der Kosten des Insolvenzverfahrens wird nur die Staatskasse belastet.
Durch die Vorlagen will das Gericht ohne konkreten Bezug zu den anstehenden Entscheidungen ein für verfassungswidrig erachtetes gesetzgeberisches Konzept insgesamt durch das Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen. Das kann ein Gericht im Wege der konkreten Normenkontrolle nicht erreichen. Mit der Möglichkeit der Richtervorlage soll den Gerichten nur erspart werden, in einem Rechtsstreit Normen anzuwenden, von deren Verfassungswidrigkeit sie überzeugt sind. Keines der vom vorlegenden Gericht genannten Argumente hat aber Bezug zu seiner nächsten Entscheidung, die durch die Aussetzung des Verfahrens hinausgeschoben wird; jedenfalls wird dieser Bezug in den Beschlüssen nicht hergestellt.
Für die zu treffenden Stundungsentscheidungen ist es unerheblich, ob die Auffassung des Gerichts zutrifft, dass die Vorschriften über die Versagung der Restschuldbefreiung verfassungswidrig sind, weil die Ausschlusstatbestände zu eng gefasst und kaum nachweisbar sind, oder ob es von Verfassungs wegen zu beanstanden ist, dass bestimmte Vermögenswerte aus Erbschaften und Schenkungen beim Schuldner verbleiben und dass der Schuldner während der Wohlverhaltensphase nur eingeschränkt überwacht wird. Die Erstreckung der Restschuldbefreiung auf nicht angemeldete Forderungen von Gläubigern ist nicht Gegenstand der beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahren.
Soweit in den Vorlagen darauf abgestellt wird, dass in den Stundungsanträgen wahrheitswidrige Angaben über die wirtschaftlichen Verhältnisse von Schuldnern gemacht werden, um die Stundung der Kosten des Insolvenzverfahrens zu erreichen, handelt es sich nicht um ein verfassungsrechtliches Argument. Im Übrigen ist der Richter gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 InsO zur Amtsermittlung verpflichtet und kann daher Zweifeln an der Richtigkeit von Angaben eines Schuldners nachgehen. Erst nach Ausschöpfung dieser Möglichkeiten können sich verfassungsrechtliche Fragen stellen, wenn das Gericht zugleich einen Bezug zu den festgestellten Tatsachen und den maßgeblichen Rechtsnormen herstellt. Auch hinsichtlich der anstehenden Entscheidung über die Ankündigung der Restschuldbefreiung ist nicht ersichtlich, dass die Versagungsgründe, die einer Restschuldbefreiung gemäß § 290 InsO entgegenstehen und die das
Gericht für lückenhaft und deshalb verfassungswidrig hält, eine Rolle spielen könnten. Dazu fehlen in den Vorlagebeschlüssen jedenfalls konkrete Ausführungen.
Fundstellen