Verfahrensgang
LAG München (Urteil vom 19.06.2001; Aktenzeichen 8 Sa 120/01) |
Tenor
Das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 19. Juni 2001 – 8 Sa 120/01 – verletzt den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). Es wird aufgehoben.
Die Sache wird an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts München zurückverwiesen.
Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 30.000 EUR (in Worten: dreißigtausend Euro) festgesetzt.
Tatbestand
A.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen ein landesarbeitsgerichtliches Berufungsurteil, das in vollständiger Fassung erst mehr als neun Monate nach der Verkündung abgesetzt und zugestellt wurde.
I.
1. Der Beschwerdeführer schloss mit seiner früheren Arbeitgeberin, der Klägerin im Ausgangsverfahren, vor dem Landesarbeitsgericht einen Vergleich, nach dem das Arbeitsverhältnis der Parteien gegen Zahlung einer Abfindung beendet wurde. Über die Versteuerung des Abfindungsbetrages kam es später zum Streit, sodass die Klägerin beim Arbeitsgericht beantragte festzustellen, dass die Zwangsvollstreckung aus dem Vergleich hinsichtlich des Abfindungsbetrages unzulässig sei. Das Arbeitsgericht gab der Klage statt.
2. Das Landesarbeitsgericht wies die Berufung des Beschwerdeführers durch Urteil vom 19. Juni 2001 zurück; die Revision ließ es nicht zu. Das Urteil wurde in vollständiger Fassung und von allen beteiligten Richtern unterschrieben der Geschäftsstelle am 8. April 2002 übergeben und dem Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers am 10. April 2002 zugestellt.
II.
Der Beschwerdeführer rügt mit seiner am 14. Dezember 2001 eingegangenen Verfassungsbeschwerde die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG durch das Urteil des Landesarbeitsgerichts. Zur Begründung beruft er sich auf die Entscheidung der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 26. März 2001 – 1 BvR 383/00 – (NZA 2001, S. 982).
III.
Zur Verfassungsbeschwerde hat das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen Stellung genommen. Es hat sich dahin geäußert, dass es selbst und der Vorsitzende der Kammer des Landesarbeitsgerichts die verspätete Urteilsabsetzung außerordentlich bedauerten.
Entscheidungsgründe
B. – I.
Die Kammer nimmt gemäß § 93 b BVerfGG die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Der Verfassungsbeschwerde ist nach Maßgabe der Gründe stattzugeben. Die für die Beurteilung wesentlichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet.
1. Das Bundesverfassungsgericht hat die einschlägigen verfassungsrechtlichen Fragen zur Bedeutung des Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) bereits entschieden.
Der Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. BVerfGE 41, 23 ≪25 f.≫; 69, 381 ≪385≫). Gleichzeitig gebietet die aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Pflicht zur Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes und zur Herstellung von Rechtssicherheit, dass strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit geklärt werden (vgl. BVerfGE 60, 253 ≪269≫; 88, 118 ≪124≫).
2. Nach diesem Maßstab verletzt die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts die Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).
Eine landesarbeitsgerichtliche Entscheidung, in der die Revision nicht zugelassen wurde und deren vollständige Gründe erst mehr als fünf Monate nach Verkündung unterschrieben der Geschäftsstelle übergeben worden sind, kann keine geeignete Grundlage mehr für das Revisionsgericht sein, um das Vorliegen von Revisionszulassungsgründen in rechtsstaatlicher Weise zu überprüfen. Ein Landesarbeitsgericht, das ein Urteil in vollständiger Fassung erst so spät absetzt, erschwert damit für die unterlegene Partei den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise.
Wegen der weiteren Begründung wird verwiesen auf den Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 26. März 2001 – 1 BvR 383/00 –, AP Nr. 33 zu Art. 20 GG = NZA 2001, S. 982.
II.
Die angegriffene Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist aufzuheben und die Sache – zur Vermeidung weiterer Verzögerungen – an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückzuverweisen.
Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten, weil sich die Verfassungsbeschwerde als begründet erwiesen hat (§ 34 a Abs. 2 BVerfGG). Die Festsetzung des Wertes des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 113 Abs. 2 Satz 3, § 134 Abs. 1 BRAGO und den dazu vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen (vgl. BVerfGE 79, 365 ≪366 ff.≫).
Unterschriften
Jaeger, Hömig, Bryde
Fundstellen