Verfahrensgang
Tenor
1. Das Urteil des Bundessozialgerichts vom 1. Dezember 1999 – B 5 RJ 26/98 R –, das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. Mai 1998 – L 9 RJ 3718/97 – und das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 21. Oktober 1997 – S 7 J 347/97 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzip. Das Urteil des Bundessozialgerichts wird aufgehoben. Die Sache wird an das Bundessozialgericht zurückverwiesen.
2. Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer die für das Verfahren der Verfassungsbeschwerde notwendigen Auslagen zu erstatten.
3. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 15.000 EUR (in Worten: fünfzehntausend Euro) festgesetzt.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, bei der Berechnung der Renten von Aussiedlern und Spätaussiedlern die für Beitrags- und Beschäftigungszeiten auf der Grundlage des Fremdrentengesetzes ermittelten Entgeltpunkte durch Multiplikation mit dem Faktor 0,6 zu reduzieren.
I.
1. a) Der 1936 in Rumänien geborene Beschwerdeführer war von Juli 1952 bis April 1980 in Rumänien versicherungspflichtig beschäftigt. Im Juni 1980 siedelte er in die Bundesrepublik Deutschland über. Er ist als Vertriebener anerkannt. In der Bundesrepublik war er bis September 1994 versicherungspflichtig beschäftigt; anschließend war er von Dezember 1994 bis Dezember 1995 arbeitslos.
b) Auf seinen Antrag gewährte die Landesversicherungsanstalt Baden (jetzt: Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg) dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom Oktober 1996 eine Altersrente ab Dezember 1996. Dabei multiplizierte sie die den Beschäftigungszeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) zugeordneten Bruttoarbeitsentgelte mit dem Faktor 0,6 (§ 22 Abs. 4 in der Fassung des Art. 3 Nr. 4 Buchstabe b des Gesetzes zur Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung in den Bereichen der Rentenversicherung und Arbeitsförderung ≪Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz – WFG≫ vom 25. September 1996, BGBl I S. 1461; zur Rechtsentwicklung vgl. im Einzelnen den Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Juni 2006, 1 BvL 9/00 u.a.; im Internet verfügbar unter www.bundesverfassungsgericht.de). Der Bruttomonatsbetrag der Rente belief sich zum damaligen Zeitpunkt auf 1.631,28 DM.
c) Der dagegen eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg. Sozialgericht und Landessozialgericht wiesen die hiergegen erhobene Klage ab. Das Bundessozialgericht wies die vom Landessozialgericht zugelassene Revision zurück.
2. Der Beschwerdeführer hat fristgerecht Verfassungsbeschwerde erhoben. Er rügt eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 14 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG.
Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (jetzt: Bundesministerium für Arbeit und Soziales) namens der Bundesregierung, das Sozialministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern sowie die Landesversicherungsanstalt Baden Stellung genommen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzip angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93 c BVerfGG). Die für die Entscheidung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
1. Es verstößt gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzip, dass § 22 Abs. 4 FRG in der Fassung des Art. 3 Nr. 4 Buchstabe b WFG auf Berechtigte, die – wie der Beschwerdeführer – bereits vor dem 1. Januar 1991 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland genommen haben und deren Rente nach dem 30. September 1996 beginnt, ohne eine Übergangsregelung für zum damaligen Zeitpunkt rentennahe Jahrgänge zur Anwendung kommt. Insoweit wird auf die Gründe des Beschlusses des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Juni 2006 (1 BvL 9/00 u.a.) verwiesen.
2. Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf diesem Verfassungsverstoß. Das Urteil des Bundessozialgerichts ist demnach aufzuheben; die Sache ist an das Bundessozialgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BVerfGG).
III.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Werts der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO, der hier weiterhin anzuwenden ist (§ 61 Abs. 1 Satz 1 RVG), in Verbindung mit den dazu vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätzen (vgl. BVerfGE 79, 365 ≪366 ff.≫). Wird durch die Entscheidung der Kammer einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, so beträgt der angemessene Gegenstandswert in der Regel 8.000 EUR, wenn keine Besonderheiten hinzutreten. Hier ist eine weitere Erhöhung auf 15.000 EUR wegen der objektiven Bedeutung der Verfassungsbeschwerde gerechtfertigt. Die verfassungsrechtliche Frage, die Gegenstand nicht nur dieses Verfahrens, sondern auch der Vorlagen des Bundessozialgerichts in den Verfahren 1 BvL 9/00 u.a. ist, geht über den Rechtskreis des Beschwerdeführers weit hinaus.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Gaier
Fundstellen