Entscheidungsstichwort (Thema)

Stattgebender Kammerbeschluß: unzumutbar strenge Anforderungen an die Begründung der Kündigung eines Mietverhältnisses gem BGB § 564b Abs. 2 Nr. 3 S. 1 mit Eigentumsgarantie und Rechtsschutzgarantie unvereinbar

 

Orientierungssatz

1. Bei der Prüfung, ob eine Kündigung wirksam ausgesprochen worden ist, haben die Zivilgerichte den Einfluß des Grundrechts aus GG Art 14 Abs 1 S 1 und des damit eng verzahnten Anspruchs auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (GG Art 19 Abs 4) zu beachten. Dieser verbietet es, durch restriktive Auslegung und Handhabung der verfahrensrechtlichen Voraussetzungen den Anspruch des Vermieters auf gerichtliche Überprüfung der von ihm ausgesprochenen Kündigung zu verkürzen. Die Fachgerichte sind verpflichtet, die Kündigung gerichtlich nachzuprüfen und den Rechtsschutz nicht zu Lasten des Vermieters von einer unzumutbar strengen Handhabung der Verfahrensvoraussetzungen abhängig zu machen (vgl BVerfG, 1992-01-28, 1 BvR 1319/91, BVerfGE 85, 219 ≪225f≫).

2a. Die vom Fachgericht als allein maßgeblich erachtete Erwägung, daß die vermietungsbedingte Unmöglichkeit, eine Wohnung zu einem angemessenen Preis iSv BGB § 564b Abs 2 Nr 3 S 1 zu veräußern, in jedem Falle ausschließlich durch den Nachweis entsprechender (vergeblicher) Verkaufsbemühungen in der Zeit zwischen Ausspruch der Kündigung und dem Ablauf der Kündigungsfrist dargelegt werden könne, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Vielmehr ist dem deutschen Zivilprozeß eine derart allgemeine, von den Umständen des konkreten Einzelfalles losgelöste Darlegungsregel fremd.

2b. Hier: Das LG hat dem Vortrag des Beschwerdeführers, er habe eineinhalb Jahre vergeblich versucht, das Haus über Makler zu veräußern, von vornherein keine Bedeutung beigemessen. Damit hat sich das Gericht selbst - unter Verletzung des Anspruchs auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes - den Zugang zur verfassungs- und prozeßrechtlich gebotenen Prüfung substantiierten Vorbringens der Beteiligten versperrt. Eine solche Handhabung des Prozeßrechts verletzt den Anspruch des Eigentümers auf gerichtliche Prüfung des geltend gemachten Rechts und erschwert die Rechtsverfolgung in unzumutbarer Weise. Das Fachgericht hätte deshalb prüfen müssen, ob nicht bereits die Begründung des Beschwerdeführers eine hinreichende Substantiierung der Kündigungsvoraussetzungen iSv BGB § 564b Abs 2 Nr 3 S 1 darstellt.

 

Normenkette

GG Art. 14 Abs. 1 S. 1, Art. 19 Abs. 4; BGB § 564b Abs. 2 Nr. 3 S. 1; BVerfGG § 93c Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Lübeck (Urteil vom 02.12.1997; Aktenzeichen 14 S 52/97)

 

Tenor

Das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 2. Dezember 1997 – 14 S 52/97 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 14 Absatz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Land Schleswig-Holstein hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

 

Tatbestand

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen ein Urteil des Landgerichts Lübeck, durch das seine auf eine Verwertungskündigung nach § 564b Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 BGB gestützte Räumungsklage abgewiesen wurde; er rügt u.a. die Verletzung des Art. 14 Abs. 1 GG.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 14 Abs. 1 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Dieses Grundrecht ist offensichtlich verletzt; die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 BVerfGG).

  • Das angegriffene Urteil verstößt gegen Art. 14 Abs. 1 GG.

    a) Die Zivilgerichte haben bei der Prüfung, ob die Kündigung wirksam ausgesprochen worden ist, den Einfluß des Grundrechts aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und des damit eng verzahnten Anspruchs auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) zu beachten. Dieser verbietet es, durch restriktive Auslegung und Handhabung der verfahrensrechtlichen Voraussetzungen den Anspruch des Vermieters auf gerichtliche Überprüfung der von ihm ausgesprochenen Kündigung zu verkürzen. Die Fachgerichte sind verpflichtet, die Kündigung gerichtlich nachzuprüfen und den Rechtsschutz nicht zu Lasten des Vermieters von einer unzumutbar strengen Handhabung der Verfahrensvoraussetzungen abhängig zu machen (vgl. dazu BVerfGE 79, 80 ≪84 f.≫; 85, 219 ≪225 f.≫). Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt die angegriffene Entscheidung nicht.

    b) Die Entscheidung beruht auf der Auffassung des Landgerichts, der Beschwerdeführer habe nicht dargelegt, daß sich das Haus nicht zu einem angemessenen Preis veräußern lasse, solange es vermietet sei (vgl. § 564b Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 BGB). Dabei hat es den Vortrag des Beschwerdeführers als unbeachtlich angesehen, er habe 1 ½ Jahre vergeblich versucht, das Haus über Makler zu veräußern und diese Bemühungen deshalb Mitte 1993 eingestellt, weil mit einer Veränderung der Situation nicht zu rechnen gewesen und das Objekt bereits als unverkäuflich bekannt geworden sei. Demgemäß hat es keine Beweisaufnahme angeordnet. Maßgeblich hierfür war für das Landgericht die Erwägung, daß die vermietungsbedingte Unmöglichkeit, eine Wohnung zu einem angemessenen Preis zu veräußern, in jedem Falle nur durch den Nachweis entsprechender (vergeblicher) Verkaufsbemühungen in der Zeit zwischen dem Ausspruch der Kündigung und dem Ablauf der Kündigungsfrist dargelegt werden könne. In Anwendung dieser allgemeinen Darlegungsregel hat das Gericht dem Vortrag des Beschwerdeführers

    von vornherein

    keine Bedeutung beigemessen.

    Dem deutschen Zivilprozeßrecht ist eine derart formalisierte, von den Umständen des konkreten Falles losgelöste Darlegungsregel fremd. Es ist verfassungsrechtlich im Lichte des Anspruchs auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes zu beanstanden, wenn das Gericht das Vorbringen des Eigentümers im Hinblick auf eine von ihm selbst festgelegte, allgemeine Darlegungsregel außer Acht läßt. Denn damit versperrt sich das Gericht selbst den Zugang zur verfassungs- und prozeßrechtlich gebotenen Prüfung substantiierten Vorbringens der Beteiligten. Eine solche Handhabung des Prozeßrechts verletzt den Anspruch des Eigentümers auf gerichtliche Prüfung des geltend gemachten Rechts und erschwert die Rechtsverfolgung in unzumutbarer Weise. Das Landgericht hätte deshalb bei ordnungsgemäßer Gewährung effektiven Rechtsschutzes prüfen müssen, ob nicht bereits die verschiedenen Gründe, auf die sich der Beschwerdeführer zum Nachweis der Unmöglichkeit einer Veräußerung der vermieteten Wohnung zu einem angemessenen Preis berufen hat, insgesamt eine hinreichende Substantiierung dieser Kündigungsvoraussetzung darstellen. Im Blick auf die Zumutbarkeit der Darlegungsanforderungen hätte das Gericht auch zu berücksichtigen gehabt, daß sich nach Angaben des Beschwerdeführers weitere Verkaufsversuche preisschädigend ausgewirkt hätten.

    c) Die Entscheidung beruht auch auf der Verletzung des Art. 14 Abs. 1 GG. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß das Landgericht eine andere Entscheidung getroffen hätte, wenn es in die Prüfung des Prozeßvortrags eingetreten wäre.

  • Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

    Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Papier, Haas, Steiner

 

Fundstellen

Haufe-Index 543667

NJW-RR 1998, 1231

JurBüro 1998, 612

NZM 1998, 619

ZMR 1998, 685

WuM 1998, 465

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