Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 3 des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (VwRehaG) durch die Verwaltungsgerichte, unter anderem durch das Bundesverwaltungsgericht in dessen Urteil vom 21. Februar 2002 – BVerwG 3 C 16.01 – (BVerwGE 116, 42). Der Beschwerdeführer hält diese Auslegung für unvereinbar mit Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 sowie Art. 20 Abs. 1 und 3 GG. Er hat in den Ausgangsverfahren erfolglos die verwaltungsrechtliche Rehabilitierung seiner Eltern erstrebt, die, nachdem der Vater 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht als Ortsgruppenleiter der NSDAP verhaftet worden war, ihren landwirtschaftlichen Betrieb auf der Grundlage des Befehls Nr. 124 der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (im Folgenden: SMAD) vom 30. Oktober 1945 (vgl. dazu BVerfGE 84, 90 ≪100 f.≫) verloren hatten. 1995 rehabilitierte die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation den Vater des Beschwerdeführers, der 1947 in einem NKWD-Speziallager verstarb, in das er nach seiner Verhaftung verbracht worden war. Ein Strafverfahren war gegen ihn nicht durchgeführt worden.
Entscheidungsgründe
II.
Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor.
1. Der Verfassungsbeschwerde kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne von § 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG nicht zu, weil die für ihre Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind (vgl. insbesondere BVerfGE 84, 90; 94, 12; 102, 254).
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht nach § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung der vom Beschwerdeführer als verletzt gerügten Verfassungsrechte angezeigt. Denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫).
a) Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, die angegriffenen Entscheidungen verstießen gegen Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 und gegen Art. 14 Abs. 1 GG, genügt sein Vorbringen nicht den Anforderungen, die nach § 92 in Verbindung mit § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BVerfGG an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde zu stellen sind. Der Beschwerdeführer setzt sich nicht mit der gebotenen Gründlichkeit damit auseinander, dass sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Ansprüche auf Wiedergutmachung von Vermögensschäden, deren Herbeiführung einer ausländischen Staatsgewalt zuzurechnen ist, aus den Grundrechten des Grundgesetzes nicht herleiten lassen (vgl. BVerfGE 102, 254 ≪297≫) und dass in der Ablehnung einer Rehabilitierung durch deutsche Stellen der Ausspruch eines die Menschenwürde berührenden sozial-ethischen Unwerturteils nicht gesehen werden kann (vgl. BVerfGE 101, 275 ≪287≫).
b) Die übrigen Rügen des Beschwerdeführers sind, soweit sie innerhalb der Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG erhoben worden sind, unbegründet.
aa) Die Auffassung der Behörden und Verwaltungsgerichte, dass die Eltern des Beschwerdeführers im Hinblick auf § 1 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG verwaltungsrechtlich nicht rehabilitiert werden können, verletzt nicht Art. 3 Abs. 1 GG.
(1) Die Auslegung der Ausschlussklausel des § 1 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG, die dieser Rechtsauffassung zugrunde liegt, wird in den die Ausgangsverfahren abschließenden Revisionsurteilen des Bundesverwaltungsgerichts auf Wortlaut, Sinn und Zweck der Klausel gestützt und auch mit der Entstehungsgeschichte des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes belegt. Maßgebend ist dabei die Erwägung, dass es dem Gesetzgeber mit § 1 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG darum gegangen ist sicherzustellen, dass der – verfassungsgemäße (vgl. dazu BVerfGE 84, 90; 94, 12) – Restitutionsausschluss des § 1 Abs. 8 Buchstabe a Halbsatz 1 des Vermögensgesetzes (VermG) im Einzelfall nicht auf dem Wege über die verwaltungsrechtliche Rehabilitierung umgangen wird (vgl. dazu auch BVerwG, VIZ 1998, S. 630 ≪630 f.≫). Das ist nachvollziehbar und im Einklang mit den allgemein üblichen Auslegungsregeln begründet. Anhaltspunkte für sachfremde Erwägungen sind nicht erkennbar. Die Auslegung und Anwendung des § 1 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG durch das Bundesverwaltungsgericht ist daher nicht willkürlich, weil die Rechtslage in krasser Weise verkannt worden wäre (vgl. zum Maßstab insoweit BVerfGE 18, 85 ≪96≫; 87, 273 ≪278 f.≫; 89, 1 ≪13 f.≫; stRspr).
(2) Allerdings kann diese Auslegung für Personen wie den Beschwerdeführer hinsichtlich vermögensrechtlicher Folgeansprüche zu einer Ungleichbehandlung im Vergleich mit anderen Personengruppen führen.
(a) Eine Schlechterstellung ist einmal im Verhältnis zu den Rechtsnachfolgern von Personen denkbar, die durch ein Sowjetisches Militärtribunal neben einer Freiheitsstrafe zu einer Vermögenseinziehung als Nebenstrafe verurteilt wurden; während die Letzteren nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung bei einer Rehabilitierung durch die Russische Föderation den entzogenen Vermögenswert zurückerhalten können, sofern sich die Rehabilitierung auch auf die vermögensentziehende Maßnahme bezieht (vgl. BVerwGE 108, 315 ≪321 f.≫), kommt dies in Fällen der vorliegenden Art nicht in Betracht, weil die russische Rehabilitierung nur die Lagerunterbringung des Inhaftierten, nicht aber die unabhängig davon auf den SMAD-Befehl Nr. 124 gestützte Vermögenseinziehung erfasst und § 1 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG einer Rehabilitierung hinsichtlich dieser besatzungshoheitlichen Maßnahme (vgl. BVerfGE 94, 12 ≪32≫) entgegensteht. Eine Benachteiligung ist zum anderen im Verhältnis zu Rechtsnachfolgern solcher Personen möglich, die wegen des Vorwurfs, sich aktiv als Nationalsozialist betätigt zu haben, nach dem SMAD-Befehl Nr. 201 vom 16. August 1947 (ZVOBl S. 185) durch ein deutsches Strafgericht verurteilt wurden und dabei auch Vermögenswerte verloren; nach der Auffassung des einschlägigen Schrifttums (vgl. Schröder, in: Bruns/Schröder/Tappert, StrRehaG, 1993, § 1 Rn. 21 f.) können die strafgerichtlich Verurteilten nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) rehabilitiert und kann bei Erstreckung der Rehabilitierung auf die Vermögenseinziehung auch der Vermögensverlust ausgeglichen werden (vgl. § 3 Abs. 2 StrRehaG i.V.m. § 1 Abs. 7 VermG), während für Personen wie den Vater des Beschwerdeführers eine derartige Wiedergutmachung ausscheidet, weil das Vermögen ohne strafgerichtliche Verurteilung eingezogen wurde und die verwaltungsrechtliche Rehabilitierung hinsichtlich der auf dem SMAD-Befehl Nr. 124 beruhenden besatzungshoheitlichen Vermögenseinziehung wiederum durch § 1 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG ausgeschlossen wird.
(b) In beiden Fällen ist die Ungleichbehandlung jedoch mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar, weil sich dafür hinreichend gewichtige sachlich einleuchtende Rechtfertigungsgründe (vgl. zum Maßstab BVerfGE 102, 254 ≪299≫) anführen lassen.
(aa) Die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung im Verhältnis zu den Rechtsnachfolgern von Personen, die durch ein sowjetisches Militärtribunal auch zu einer Vermögenseinziehung verurteilt wurden, auf die sich die später von der Russischen Föderation ausgesprochene Rehabilitierung erstreckt, liegt in der Position, welche die Sowjetunion bei den Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands in Bezug auf die unter ihrer Verantwortung in der sowjetischen Besatzungszone vorgenommenen Vermögensentziehungen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland eingenommen hat (vgl. dazu Nr. 1 der Gemeinsamen Erklärung der beiden deutschen Regierungen zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990, BGBl II S. 1237). Daneben tritt als Begründung, dass auch die Deutsche Demokratische Republik im Zuge dieser Verhandlungen einen Ausschluss der Rückgängigmachung von besatzungsrechtlichen und besatzungshoheitlichen Enteignungen in den Jahren 1945 bis 1949 gefordert hat (vgl. BVerfGE 84, 90 ≪127 f.≫; 94, 12 ≪36 ff.≫).
Die Position der Sowjetunion war nach der maßgeblichen Einschätzung der Bundesregierung durch zwei Forderungen gekennzeichnet: Das vereinigte Deutschland müsse – erstens – die Gesetzlichkeit, Rechtmäßigkeit und Legitimität der von 1945 bis 1949 in der sowjetischen Besatzungszone durchgeführten Enteignungsmaßnahmen anerkennen. Die Rechtmäßigkeit der entsprechenden Beschlüsse dürfe – zweitens – nicht revidiert werden (vgl. BVerfGE 94, 12 ≪40≫; BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, VIZ 2001, S. 228 ≪230≫). Damit sollte verhindert werden, dass deutsche Gerichte oder andere staatliche Stellen gegenüber den unter sowjetischer Besatzungshoheit vorgenommenen Enteignungen nachträglich einen Unrechtsvorwurf zum Ausdruck bringen (vgl. BVerfGE 94, 12 ≪41≫; BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, wie vor). Es ist nachvollziehbar und deshalb verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber und die Gerichte davon ausgehen, dass in einer förmlichen Rehabilitierung der Betroffenen durch deutsche Behörden und einer sich daran anschließenden Restitution ein solcher Unrechtsvorwurf gesehen werden könnte, wenn es um die Beurteilung einer Vermögenseinziehung geht, die wie besatzungshoheitliche Enteignungen im Zurechnungszusammenhang zur Besatzungsmacht vorgenommen (vgl. BVerfGE 84, 90 ≪113 ff.≫; 94, 12 ≪31 f.≫) und später weder von der Sowjetunion noch einem ihrer Nachfolgestaaten zum Gegenstand einer Rehabilitation gemacht wurde.
So liegt der Fall hier. Von der russischen Rehabilitierung des Vaters des Beschwerdeführers wird der Beitrag der Sowjetunion zur Vermögenseinziehung zum Nachteil der Eltern nicht erfasst. Nach den mit der Verfassungsbeschwerde nicht angegriffenen Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts fehlt es an einer Konnexität zwischen der allein auf die Verhaftung, Lagerunterbringung und den Tod des Vaters des Beschwerdeführers bezogenen russischen Rehabilitierung auf der einen und der Enteignungsmaßnahme auf der anderen Seite (vgl. BVerwGE 116, 42 ≪47≫). Die Enteignung hätte nach der Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts als Sanktion für die Innehabung der Funktion eines Ortsgruppenleiters der NSDAP auch ohne das Lagerschicksal des Vaters des Beschwerdeführers vorgenommen werden können oder gar müssen (vgl. ebd.). Der sowjetische Tatbeitrag zu der Vermögenseinziehung bestand mithin in der Duldung der Anwendung des SMAD-Befehls Nr. 124 auch im Fall des Vaters des Beschwerdeführers. Diesen Beitrag auf der Grundlage des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes rückgängig zu machen, könnte als der Unrechtsvorwurf verstanden werden, den § 1 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG nach der fachgerichtlichen Beurteilung im Hinblick auf den erwähnten Vorbehalt der Sowjetunion bei den Verhandlungen zur Herstellung der deutschen Einheit verhindern will.
(bb) Auch die Benachteiligung im Verhältnis zu den Rechtsnachfolgern von Personen, die wegen des Vorwurfs nationalsozialistischer Aktivitäten in Ausführung des SMAD-Befehls Nr. 201 durch ein deutsches Strafgericht zu einer Vermögenseinziehung verurteilt wurden und mit der Rehabilitierung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz eine Rückübertragung entzogener Vermögenswerte erreichen können, ist sachlich hinreichend gerechtfertigt.
Zwar erfolgte die Verurteilung durch die nach dem SMAD-Befehl Nr. 201 eingerichteten Strafgerichte materiellrechtlich in Anwendung von Besatzungsrecht und wie die besatzungshoheitlichen Enteignungen im Zuge der Industrie- und Bodenreform unter der Oberhoheit und Kontrolle der sowjetischen Besatzungsmacht. Insofern unterscheiden sich die beiden Vergleichsgruppen nicht wesentlich voneinander. Jedoch wird deren unterschiedliche Behandlung verfassungsrechtlich dadurch gerechtfertigt, dass Eingriffe in die Freiheitssphäre des Einzelnen, die sich in einer strafgerichtlichen Verurteilung niederschlagen, ihrem Wesen und ihrer Sanktionswirkung nach typischerweise schwerer wiegen als Eingriffe im Gewand einer Verwaltungsentscheidung (zum sozial-ethischen Unwerturteil strafgerichtlicher Verurteilungen vgl. BVerfGE 101, 275 ≪287≫ m.w.N.). Das findet seinen Ausdruck auch in dem weit gespannten Sanktionsrahmen, der den genannten Strafgerichten vorgegeben war, von Freiheitsstrafen und sonstigen Eingriffen in persönliche Freiheiten bis hin zur Todesstrafe reichte und daneben auch Vermögensstrafen vorsah (vgl. die Sühnemaßnahmen in Abschnitt II Art. VII ff. der Kontrollratsdirektive Nr. 38 vom 12. Oktober 1946, ABl des Kontrollrats S. 184). Mit der Verhängung einer solchen Sanktion war in aller Regel ein erheblich größerer und damit auch erhöht rehabilitierungsbedürftiger Makel verbunden als mit einem Verwaltungszugriff auf das Eigentum, der vornehmlich vermögensrechtlich geprägt war. Es ist nicht sachwidrig und deshalb von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn derart massive und nicht in erster Linie auf die Vermögenssphäre der Betroffenen bezogene Eingriffe als so schwerwiegend angesehen werden, dass sie anders als Vermögensentziehungen durch deutsche Verwaltungsstellen als auch in vermögensmäßiger Hinsicht rehabilitierungswürdig und -bedürftig eingestuft werden.
bb) Die Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG und die Anwendung dieser Ausschlussklausel auf den Fall des Beschwerdeführers und seiner Eltern verstoßen schließlich nicht gegen das Rechts- und das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 und 3 GG. Dem vom Beschwerdeführer aus diesen Verfassungsprinzipien abgeleiteten Gebot einer gleichmäßigen Kompensation von Unrecht der hier zur Rede stehenden Art ist aus den zu Art. 3 Abs. 1 GG angeführten Gründen sowie deswegen in ausreichendem Maße Genüge getan, weil für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können, nach Maßgabe des Ausgleichsleistungsgesetzes Ausgleichsleistungen gewährt werden. Deren Ausgestaltung steht mit dem Rechts- und dem Sozialstaatsgrundsatz des Grundgesetzes grundsätzlich in Einklang (vgl. BVerfGE 102, 254 ≪319 ff.≫).
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).
Unterschriften
Jaeger, Hömig, Bryde
Fundstellen
Haufe-Index 956037 |
NVwZ 2004, 210 |
VIZ 2004, 18 |
WM 2003, 1899 |