Beteiligte
Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen ein Urteil des Bundesgerichtshofs (abgedruckt in NJW 1999, S. 489), mit dem ihre Klage auf Herausgabe und Räumung eines ihr gehörenden Grundstücks unter Berufung auf das Allgemeine Kriegsfolgengesetz vom 5. November 1957 (BGBl I S. 1747; im folgenden: AKG) abgewiesen worden ist:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Sie ist, weil sie unbegründet ist, auch nicht zur Durchsetzung des allein als verletzt gerügten allgemeinen Gleichheitssatzes anzunehmen.
Die unmittelbar angegriffene Entscheidung des Bundesgerichtshofs und die ihr zugrunde liegende Regelung des Einigungsvertrags (im folgenden: EV) verstoßen nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Zwar wird die Beschwerdeführerin gegenüber Eigentümern von in den alten Bundesländern belegenen Grundstücken, die während der NS-Zeit unter gleichen Umständen von staatlichen Stellen in Besitz genommen wurden wie das ihre, benachteiligt. Durch diese Benachteiligung wird Art. 3 Abs. 1 GG aber nicht verletzt.
Dabei ist dem Bundesgerichtshof darin zu folgen, daß Art. 135 a Abs. 2 GG die Anwendbarkeit des Art. 3 Abs. 1 GG nicht ausschließt. Zwar erlaubt die mit Art. 4 Nr. 4 EV in das Grundgesetz eingefügte Vorschrift des Art. 135 a Abs. 2 dem Gesetzgeber zu bestimmen, daß Verbindlichkeiten der Deutschen Demokratischen Republik, Verbindlichkeiten des Bundes, die mit dem Übergang von Vermögenswerten der Deutschen Demokratischen Republik auf Bund, Länder und Gemeinden im Zusammenhang stehen, und Verbindlichkeiten, die auf Maßnahmen der Deutschen Demokratischen Republik beruhen, nicht oder nicht in voller Höhe zu erfüllen sind. Wie das Bundesverfassungsgericht im Bodenreformurteil vom 23. April 1991 (vgl. BVerfGE 84, 90 ≪128 f., 131 f.≫) klargestellt hat, befreit diese Regelung den Gesetzgeber nicht von der Bindung an den allgemeinen Gleichheitssatz. Diese Rechtsprechung folgt der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 135 a Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 15, 126 ≪144 f.≫), wonach bestimmt werden durfte, daß unter anderem Reichsverbindlichkeiten nicht oder nicht in voller Höhe zu erfüllen sind.
Die ungleiche Behandlung der Sachverhalte ist aber sachlich gerechtfertigt und deshalb verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das gilt unabhängig davon, welcher Kontrollmaßstab der Prüfung zugrunde gelegt wird. Auch wenn man die angegriffene und vom Bundesgerichtshof angewandte Regelung einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzieht, hält sie den Anforderungen der Verfassung stand; für die vorgenommene Differenzierung bestehen Gründe von solcher Art und solchem Gewicht, daß sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können (zum Prüfungsmaßstab bei Art. 3 Abs. 1 GG vgl. BVerfGE 88, 87 ≪96 f.≫ m.w.N.).
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden auf deutschem Boden zwei Staaten mit unterschiedlicher Staatsform und unterschiedlicher Gesellschaftsordnung, die mit den Kriegsfolgen und dem in der NS-Zeit geschehenen Unrecht in unterschiedlicher Weise umgingen. Dabei folgte die Bundesrepublik Deutschland dem Grundsatz, daß jeder der beiden deutschen Staaten für die Kriegsfolgenbewältigung in seinem Gebiet zuständig war. In diesem Zusammenhang erließ sie unter anderem § 19 AKG, aus dem die Beschwerdeführerin für ihr in der Deutschen Demokratischen Republik belegenes Grundstück keine Ansprüche herleiten konnte. Der Belegenheitsort des Grundstücks war für ihre Schlechterstellung gegenüber den Eigentümern von in der Bundesrepublik Deutschland gelegenen Grundstücken schon deshalb eine ausreichende Rechtfertigung, weil die Bundesrepublik über das Grundstück der Beschwerdeführerin nicht verfügen konnte.
Von dem Grundsatz, daß jeder der beiden deutschen Staaten für die Kriegsfolgenbewältigung in seinem Gebiet zuständig gewesen war, durfte das wiedervereinigte Deutschland nach dem Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland weiterhin ausgehen. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß der Gesetzgeber lediglich schwerwiegendes in der NS-Zeit geschehenes Unrecht zum Anlaß nahm, die in den neuen Bundesländern unterlassene Wiedergutmachung nachzuholen, und andere vermögensschädigende Maßnahmen, die die Voraussetzungen der insoweit geschaffenen Wiedergutmachungsregelungen nicht erfüllen, ohne Wiedergutmachung oder Rückabwicklung ließ. Die Bundesrepublik Deutschland wäre nicht nur finanziell, sondern auch administrativ überfordert gewesen, wenn sie verpflichtet gewesen wäre, neben der Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht auch alle in der Deutschen Demokratischen Republik durch nicht bereinigte Kriegsfolgen Geschädigten nachträglich so zu stellen, als hätte es nie zwei deutsche Staaten gegeben. Die dadurch bewirkte Schlechterstellung kann der Beschwerdeführerin zugemutet werden, schon weil sie mehr als 40 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr damit rechnen konnte, ihr Grundstück jemals zurückzuerhalten.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Grimm, Hömig
Fundstellen
Haufe-Index 543440 |
NJW 2000, 421 |
VIZ 1999, 722 |
WM 1999, 2029 |