Verfahrensgang
KG Berlin (Beschluss vom 20.08.2013; Aktenzeichen 2 Ws 411/13 Vollz) |
LG Berlin (Beschluss vom 01.08.2013; Aktenzeichen 595 StVK 301/13 Vollz) |
Tenor
Der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 1. August 2013 – 595 StVK 301/13 Vollz – verletzt den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 und Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben.
Die Sache wird zur Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits an das Landgericht Berlin zurückverwiesen.
Das Land Berlin hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde des strafgefangenen Beschwerdeführers betrifft seine Vorstellung in einer Augenklinik.
I.
1. Der Beschwerdeführer verbüßt eine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Tegel. Mit Schriftsatz vom 30. Juli 2013 beantragte er beim Landgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur sofortigen Vorstellung in der Augenklinik der Charité. Am 29. Juli 2013 seien beim Arbeiten in der Tischlerei Holzpartikel in sein linkes Auge eingedrungen; das Auge habe sich stark entzündet. Die Sehkraft auf dem Auge schwinde. Dies sei am 29. und 30. Juli 2013 der Arztgeschäftsstelle eröffnet worden. Der Anstaltsarzt habe für den Fall der Verschlechterung sofortige Vorstellung bei der Augenklinik angewiesen, da die Augenprüfung und das Entfernen des Fremdkörpers „durch die Mittel des Vollzugs nicht zu beheben” seien. Der Beschwerdeführer beantragte, sofort zu handeln, da die Schwellung sich im Bereich des Augenbogenknochens befinde, der nur auf einer Silikonplatte liege und sich stark entzünde. Der Verlust des linken Auges sei nicht hinnehmbar.
Mit angegriffenem Beschluss vom 1. August 2013 verwarf das Landgericht den Antrag kostenfällig und setzte den Streitwert auf 600 Euro fest. Eine vorläufige Zustandsregelung erscheine weder zur Abwendung eines dem Beschwerdeführer drohenden unverhältnismäßigen Nachteils noch aus anderen vorgreiflichen Gründen geboten. Die Vorstellung in der Arztgeschäftsstelle sei am Tag der Antragstellung erfolgt. Der Arzt habe nach den Angaben des Beschwerdeführers eine sofortige Vorstellung in der Augenklinik für den Fall der Verschlechterung angewiesen. Eine solche Verschlechterung sei nicht vorgetragen. Der Zustand der „starken Entzündung” habe nach dem Vortrag des Beschwerdeführers auch schon während der Vorstellung in der Arztgeschäftsstelle bestanden.
2. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Beschluss Gegenvorstellung und rügte, dass keine Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt eingeholt worden sei. Das Landgericht habe billigend in Kauf genommen, dass durch die Behandlungsverweigerung der Vollzugsbehörde ein immaterieller Schaden am Auge eintrete. Der Arbeitsunfall habe sich am 29. Juli 2013 ereignet, gleichwohl sei er erst am 1. August 2013 in der Augenklinik vorgestellt worden.
Das Landgericht verwarf die Gegenvorstellung mit nicht angegriffenem Beschluss vom 14. August 2013. Gegenvorstellungen gegen rechtskräftige Entscheidungen seien ausgeschlossen.
3. a) Mit der am 15. August 2013 rechtzeitig eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen den seinen Eilantrag ablehnenden Beschluss des Landgerichts. Dieser verletze Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG, § 58 StVollzG und Art. 3 EMRK. Die Verweigerung der Behandlung durch Justizvollzugsanstalt und Landgericht habe zum Verlust des linken Augenlichts geführt; die Sehkraft betrage dort nur noch zehn Prozent. Der Vorfall mit seinem Auge habe sich am 29. Juli 2013 ereignet. Dennoch sei er erst am 1. August 2013 ins Krankenhaus ausgeführt worden. Zudem sei aktenkundig und der Strafvollstreckungskammer bekannt, dass eine HNO-Ärztin der Charité bereits am 17. August 2012 eine lebensnotwendige Operation angeordnet habe, da das linke Auge bei nochmaliger Entzündung der verschlossenen Nasennebenhöhle verloren gehen würde. Dies sei nun eingetreten.
b) Mit weiterem Schriftsatz vom 24. August 2013 wendet sich der Beschwerdeführer darüber hinaus gegen den im Rubrum bezeichneten Beschluss des Kammergerichts, mit dem eine Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung in dem angegriffenen Beschluss des Landgerichts als unzulässig verworfen wurde, weil der Beschwerdewert des § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG in Höhe von 200 Euro nicht erreicht worden sei; bei einem Streitwert von 600 Euro ergebe sich eine Gebühr von 26,50 Euro. Der Beschwerdeführer sieht sich hier in seinen Rechten aus Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 3, 6 und 13 EMRK verletzt.
c) Einen mit der Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts verbundenen Eilantrag hat das Bundesverfassungsgericht abgelehnt, da der Beschwerdeführer nach seinem eigenen Vorbringen zwischenzeitlich – am 1. August 2013 – die begehrte Ausführung in die Augenklinik erhalten hatte (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 13. September 2013 – 2 BvR 1823/13 –).
4. a) Die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz des Landes Berlin hält die Verfassungsbeschwerde für nicht begründet. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Gerichtsbeschlüsse wende, werde bereits nicht die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts gerügt. Es sei nicht ersichtlich, inwiefern die Bedeutung und Tragweite von Grundrechten des Beschwerdeführers grundsätzlich verkannt worden sein sollte. Jedenfalls sei er weder durch das Vorgehen der Justizvollzugsanstalt noch durch die gerichtlichen Entscheidungen in seinen Grundrechten verletzt. Sein Vorbringen zu seinem Gesundheitszustand und zu den Vorgängen in der Justizvollzugsanstalt Tegel sei schlicht unzutreffend. Nach Auskunft des zuständigen Arztes der Justizvollzugsanstalt habe es weder einen Verlust des Augenlichtes gegeben, noch seien dem Beschwerdeführer notwendige Behandlungsmaßnahmen versagt worden. Vielmehr sei der Beschwerdeführer, ohne dass dafür eine zwingende medizinische oder gesetzliche Veranlassung vorgelegen habe, in dieser Angelegenheit sogar mehrfach in externe Krankenhäuser ausgeführt worden. In einem Fall sei es zu der von dem Beschwerdeführer selbst immer wieder geforderten Operation deshalb nicht gekommen, weil dieser mit den Modalitäten der Ausführung nicht einverstanden gewesen sei. Nach Einschätzung des Arztes sei der Beschwerdeführer nicht in der Lage, seine gesundheitlichen Beschwerden, die notwendigen medizinischen Maßnahmen, deren „Dringlichkeit” sowie die Belange der Justizvollzugsanstalt in einen rationalen Zusammenhang zu bringen. Insgesamt scheine der Beschwerdeführer sich häufig in seinem Redefluss von medizinischen und juristischen Floskeln zu verrennen, deren Inhalt er selbst kaum überblicken könne. Trotz einer andauernden Verweigerungshaltung und mangelnder Zugänglichkeit des Beschwerdeführers für sachliche Argumente würden ihm alle sinnvollen medizinischen Maßnahmen zuteil, und es werde immer wieder mit hohem Aufwand um sein Verständnis für das dazu notwendige Prozedere geworben.
b) Der Beschwerdeführer hat hierauf erwidert, der Sachvortrag der Senatsverwaltung sei unwahr. Seit dem 17. August 2012 werde ihm eine HNO-Operation verweigert. Die Sehkraft auf seinem linken Auge betrage sieben Prozent, und er sehe laufend Doppelbilder. Der Anstaltsarzt verweigere ihm seit 18 Monaten eine Behandlung.
Entscheidungsgründe
II.
1. Soweit der Beschwerdeführer sich gegen den die Streitwertbeschwerde verwerfenden Beschluss des Kammergerichts wendet, wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Insoweit wird von einer Begründung abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung (§ 93c Abs. 1 BVerfGG) liegen vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Grundsätze sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt (s.u. a), b)). Nach diesen Grundsätzen ist die Verfassungsbeschwerde, soweit sie den angegriffenen Beschluss des Landgerichts betrifft, zulässig (a)) und in einem die Zuständigkeit der Kammer begründenden Sinne offensichtlich begründet (b)).
a) Zur Erschöpfung des Rechtswegs (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) genügt es, dass der Beschwerdeführer den Rechtsweg im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erschöpft hat. Auf die vorherige Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache muss er sich nicht verweisen lassen, da die Verfassungsbeschwerde die Frage einer Verletzung speziell des grundrechtlichen Anspruchs auf effektiven Eilrechtsschutz aufwirft (vgl. BVerfGE 35, 382 ≪397 f.≫; 59, 63 ≪83 f.≫; 104, 65 ≪70 f.≫).
Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht auch nicht ein fehlendes Rechtsschutzinteresse im Hinblick darauf entgegen, dass der Beschwerdeführer nach seinem Vortrag am 1. August 2013 in der Augenklinik vorgestellt wurde und das im fachgerichtlichen Verfahren verfolgte Begehren sich somit erledigt hat. Wenn, wie hier, eine besonders schwerwiegende Grundrechtsbeeinträchtigung in Rede steht, entfällt das Rechtsschutzinteresse nicht durch die Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels (vgl. BVerfGE 104, 220 ≪232≫; 107, 299 ≪338≫; 109, 279 ≪372≫; 110, 77 ≪88≫).
b) Der angegriffene Beschluss des Landgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 19 Abs. 4 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.
aa) Aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes ergeben sich Anforderungen an die Auslegung und Anwendung der jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen über den Eilrechtsschutz (vgl. BVerfGE 49, 220 ≪226≫; 77, 275 ≪284≫). Dieser muss darauf ausgerichtet sein, dass der Rechtsschutz sich auch im Eilverfahren nicht in der bloßen Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts erschöpft, sondern zu einer wirksamen Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht führt (vgl. BVerfGE 40, 272 ≪275≫; 61, 82 ≪111≫; 67, 43 ≪58≫; BVerfGK 1, 201 ≪204 f.≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 3. Dezember 2013 – 2 BvR 2299/13 –, NStZ-RR 2014, S. 121).
Bei Vornahmesachen verlangt Art. 19 Abs. 4 GG, jedenfalls sofern nicht Gründe von noch größerem Gewicht entgegenstehen, die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, wenn anderenfalls schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfGE 93, 1 ≪13 f.≫; 79, 69 ≪74≫; 46, 166 ≪177 ff.≫). Im Einzelfall kann daher auch der Erlass einer einstweiligen Anordnung, die die Hauptsache zugunsten des Antragstellers vorwegnimmt, zulässig und geboten sein (vgl. BVerfGE 79, 69 ≪77 f.≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. April 2008 – 2 BvR 338/08 –, juris).
Steht eine Grundrechtsverletzung in Rede, ist eine besonders intensive Prüfung geboten (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. November 2002 – 1 BvR 1586/02 –, NJW 2003, S. 1236 ≪1237≫; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. April 2008 – 2 BvR 338/08 –, juris, m.w.N.). Je schwerer die sich aus einer Versagung vorläufigen Rechtsschutzes ergebenden Belastungen wiegen und je geringer die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie im Falle des Obsiegens in der Hauptsache rückgängig gemacht werden können, umso weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition zurückgestellt werden (vgl. BVerfGE 35, 382 ≪402≫; 65, 1 ≪70≫; 67, 43 ≪58≫; 69, 315 ≪363≫; 79, 69 ≪74≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. April 2008 – 2 BvR 338/08 –, juris). In jedem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 –, NVwZ 2005, S. 927 ≪928≫; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. April 2008 – 2 BvR 338/08 –, juris).
Zudem ist zu beachten, dass die fachgerichtliche Überprüfung grundrechtseingreifender Maßnahmen die rechtsstaatlich gebotene Beachtung des geltenden Rechts und den effektiven Schutz der berührten materiellen Rechte nur gewährleisten kann, wenn sie auf zureichender Aufklärung des jeweiligen Sachverhalts beruht (vgl. BVerfGE 101, 275 ≪294 f.≫; BVerfGK 4, 119 ≪127 f.≫; 13, 487 ≪493≫). Das Rechtsstaatsprinzip, die materiell berührten Grundrechte und das Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG sind verletzt, wenn grundrechtseingreifende Maßnahmen im Haftvollzug von den Gerichten ohne zureichende Sachverhaltsaufklärung als rechtmäßig bestätigt werden (vgl. BVerfGK 13, 487 ≪493 f.≫; 19, 157 ≪164≫).
Zur Klärung der tatsächlichen Grundlagen für die erforderliche Abwägung können Maßnahmen der gerichtlichen Sachverhaltsermittlung bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes geboten sein (vgl. BVerfGK 3, 135 ≪140≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. April 2008 – 2 BvR 338/08 –, juris; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. März 2009 – 2 BvR 2347/08 –, juris). An der notwendigen Sachverhaltsaufklärung ist ein Gericht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht durch den Grundsatz der summarischen Prüfung im Eilverfahren von vornherein gehindert; auch hier ist, jedenfalls wenn eine erhebliche Grundrechtsverletzung in Rede steht, eine Prüfung des Rechtsschutzbegehrens auch in tatsächlicher Hinsicht geboten (vgl. BVerfGE 79, 69 ≪74 f.≫; 93, 1 ≪13 f.≫; BVerfGK 5, 135 ≪140≫). Demgemäß besteht eine – durch den Charakter und die Eigenheiten des Eilverfahrens wie etwa die Eilbedürftigkeit gegebenenfalls beschränkte – Pflicht zur Ermittlung der entscheidungserheblichen Umstände (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. April 2008 – 2 BvR 338/08 –, juris; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 3. Dezember 2013 – 2 BvR 2299/13 –, NStZ-RR 2014, S. 121, m.w.N.).
Bei der Anwendung dieser Grundsätze ist das besondere Gewicht des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. April 2008 – 2 BvR 338/08 –, juris).
Die Bestimmung des medizinisch Erforderlichen ist zwar in erster Linie Sache der ärztlichen Beurteilung. Auf Einschätzungen des Anstaltsarztes gestützte vollzugliche Entscheidungen über die medizinische Behandlung eines Gefangenen können jedoch im Hinblick auf die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht jeder gerichtlichen Kontrolle entzogen sein. Sie unterliegen der gerichtlichen Überprüfung daraufhin, ob die Grenzen pflichtgemäßen ärztlichen Ermessens überschritten wurden (vgl. zur gerichtlichen Überprüfung von Ermessensentscheidungen allgemein BVerfGE 113, 273 ≪310 f.≫ m.w.N.; für den Strafvollzug BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Februar 2012 – 2 BvR 309/10 –, juris; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. November 2012 – 2 BvR 683/11 –, NStZ-RR 2013, S. 224).
bb) Nach diesen Maßstäben hat das Landgericht den Sachverhalt im vorliegenden Fall nicht in der für die getroffene Entscheidung notwendigen Weise aufgeklärt.
Aus § 58 StVollzG folgt ein – grundrechtlich durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteter – Anspruch auf Krankenbehandlung (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. März 2013 – 2 BvR 2757/11 –, juris). Da Strafgefangene kein Recht auf freie Arztwahl haben, ist zunächst der Anstaltsarzt für ihre Behandlung zuständig (vgl. § 158 Abs. 1 StVollzG). Erreicht der Anstaltsarzt die Grenzen seines Könnens oder der Ausstattung der Justizvollzugsanstalt, muss er jedoch einen anderen (Fach-)Arzt hinzuziehen oder den Strafgefangenen zur Behandlung an einen für die betreffende Angelegenheit besser qualifizierten oder besser ausgestatteten Arzt oder an ein geeignetes Krankenhaus überweisen (vgl. Lesting/Stöver, in: Feest, AK-StVollzG, 6. Aufl. 2012, § 56 Rn. 16, § 58 Rn. 9).
Ob der Beschwerdeführer, auch unter Berücksichtigung des von den Gerichten zu respektierenden ärztlichen Entscheidungsspielraums (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. November 2012 – 2 BvR 683/11 –, NStZ-RR 2013, S. 224, m.w.N.), bereits angesichts des von ihm geschilderten Krankheitsbildes einen Anspruch auf Vorstellung in einer Augenklinik hatte, hat das Landgericht nicht geprüft. Mit den vom Beschwerdeführer entsprechend seinen Darlegungsobliegenheiten (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 16. August 1994 – 2 BvR 2171/93 –, juris, und vom 7. September 1994 – 2 BvR 1958/93 –, juris) vorgebrachten Gründen für die Erforderlichkeit einer sofortigen Vorstellung in der Augenklinik und mit der Berechtigung der ärztlichen Entscheidung, zunächst den Eintritt einer Verschlechterung abzuwarten, hat das Landgericht sich nicht ansatzweise auseinandergesetzt und den Eilantrag des Beschwerdeführers abgelehnt, ohne den Hintergrund dieser Entscheidung in irgendeiner Weise aufzuklären. Für den Versuch umgehender, in der notwendigen Weise beschleunigter (vgl. BVerfGK 19, 25 ≪31≫ m.w.N.) Aufklärung hätte umso mehr Anlass bestanden, als der grundrechtlich durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistete Anspruch auf Krankenbehandlung nicht nur zur Verhütung von Verschlimmerungen, sondern unabhängig davon zur Heilung und zur Linderung von Krankheitsbeschwerden besteht (§ 58 Satz 1 StVollzG; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. März 2013 – 2 BvR 2757/11 –, juris) und angesichts des vom Beschwerdeführer mitgeteilten Sachverhalts nicht auszuschließen war, dass bereits das Abwarten einer weiteren Verschlechterung des Zustandes des Beschwerdeführers zu irreversiblen Schäden führen würde.
c) Die angegriffene Entscheidung des Landgerichts beruht auch auf dem Grundrechtsverstoß. Es kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht bei Beachtung der verfassungsrechtlichen Anforderungen an seine Amtsaufklärung eine dem Beschwerdeführer günstigere Entscheidung getroffen hätte.
3. Die Entscheidung über die Aufhebung und Zurückverweisung beruht auf § 95 Abs. 2 BVerfGG. Nachdem hinsichtlich des im fachgerichtlichen Eilverfahren verfolgten Rechtsschutzziels Erledigung eingetreten ist und im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eine Fortsetzungsfeststellungsentscheidung nicht in Betracht kommt (vgl. Arloth, StVollzG, 3. Aufl. 2011, § 115 Rn. 11, m.w.N.), erfolgt die Zurückverweisung nur noch zur erneuten Entscheidung über die Kosten.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Da die Verfassungsbeschwerde nur in einem untergeordneten, den Streitwert betreffenden Punkt nicht zur Entscheidung angenommen wird, im Wesentlichen aber Erfolg hat, ist es angemessen, dem Land die Erstattung der gesamten notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers aufzuerlegen (vgl. BVerfGE 32, 1 ≪39≫; 53, 366 ≪407≫; BVerfGK 9, 390 ≪399≫; 19, 25 ≪32≫).
Unterschriften
Lübbe-Wolff, Landau, Kessal-Wulf
Fundstellen
NStZ-RR 2014, 259 |
GesR 2015, 82 |