Verfahrensgang
Tenor
Die Beschlüsse des Amtsgerichts Greifswald vom 7. November 2001 – 33 Gs 363/01 – und des Landgerichts Stralsund vom 16. April 2002 – II Qs 138/02 – und 27. Mai 2002 – II Qs 138/02 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Beschlüsse des Landgerichts werden aufgehoben. Die Sache wird zur Entscheidung über die Kosten und Auslagen an das Landgericht Stralsund zurückverwiesen.
Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine Durchsuchung in einem Strafverfahren.
I.
- Im Rahmen der Telefonüberwachung eines anderweitig strafrechtlich verfolgten Dritten wurden im Zeitraum vom 30. Mai bis 28. August 2001 mehrere Telefonate und SMS des Beschwerdeführers aufgezeichnet. Hieraus schloss die Staatsanwaltschaft auf eine Verwicklung des Beschwerdeführers in Betäubungsmittelgeschäfte.
- Mit Beschluss vom 7. November 2001 ordnete das Amtsgericht die Durchsuchung der Wohnräume, Nebengelasse und Kraftfahrzeuge des Beschwerdeführers zum Zwecke der “Auffindung von Beweismitteln, insbesondere von Betäubungsmitteln” an. Zur Begründung war lediglich angeführt, der Beschwerdeführer sei nach bisherigem Stand der Ermittlungen verdächtig, “gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen zu haben, indem er, ohne im Besitz der erforderlichen Genehmigung zu sein, Betäubungsmittel erworben bzw. mit diesen Handel getrieben” habe. Angesichts der Stärke und Schwere des Tatverdachts sei die Durchsuchung verhältnismäßig.
Bei der Durchsuchung am 14. Februar 2002 wurden keine Betäubungsmittel gefunden. Gegen den Durchsuchungsbeschluss legte der Beschwerdeführer Beschwerde ein mit der Begründung, die amtsgerichtliche Anordnung habe nicht den rechtsstaatlichen Mindestanforderungen genügt. Sie enthalte keinerlei konkrete Benennung von Tatsachen und wiederhole ausschließlich den Gesetzestext. Es seien weder Tatort und Tatzeit noch Beweismittel genannt.
Das Landgericht verwarf Mitte April 2002 die Beschwerde als unbegründet. Der Tatvorwurf sei im Durchsuchungsbeschluss hinreichend konkretisiert. Um den Zweck der Strafverfolgungsmaßnahmen nicht zu gefährden, seien Angaben zu den Tatsachen, auf die sich der Tatverdacht stütze, entbehrlich gewesen. Durch die im Beschluss geäußerte Vermutung, dass die Durchsuchung zur Auffindung von Betäubungsmitteln führen werde, habe das Amtsgericht die gesuchten Beweismittel ausreichend umschrieben.
Nach Gewährung von Akteneinsicht Ende April 2002 machte der Beschwerdeführer im Rahmen eines Antrags nach § 33a StPO geltend, die Ermittlungsmaßnahmen, insbesondere die Telefonüberwachung, hätten ausweislich der Akte im August 2001 geendet. Eine Mitteilung konkreter Umstände im amtsrichterlichen Durchsuchungsbeschluss im November 2001 habe deshalb den Untersuchungszweck nicht mehr gefährden können.
Das Landgericht hielt seine Beschwerdeentscheidung aufrecht. Auch wenn die gegen den gesondert verfolgten Dritten durchgeführten Telefonüberwachungsmaßnahmen Ende August 2001 abgeschlossen gewesen seien, habe auf Grund der Vielzahl der verfahrensrelevanten Gesprächspartner im Zeitpunkt des Erlasses der richterlichen Durchsuchungsanordnung im November 2001 noch nicht davon ausgegangen werden können, dass in sämtlichen eingeleiteten Ermittlungsverfahren alle Gespräche vollständig ausgewertet gewesen seien. Insoweit habe die Gefahr bestanden, dass im Falle einer Bekanntgabe dieser Ermittlungsmaßnahmen der Untersuchungszweck gefährdet werde. Dieser Annahme stehe nicht entgegen, dass dem Verteidiger des Beschwerdeführers im April 2002 Akteneinsicht gewährt worden sei. Denn zu diesem Zeitpunkt habe eine Gefahr für den Untersuchungszweck nicht mehr bestanden.
Entscheidungsgründe
II.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die vorgenannten Entscheidungen und rügt eine Verletzung von Art. 13 GG. Die angefochtenen Beschlüsse entsprächen nicht den rechtsstaatlichen Mindestanforderungen. Darüber hinaus sei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt, da offenbar eine vorherige Auswertung der Ermittlungsergebnisse nicht stattgefunden habe und deshalb die Grundlagen für eine Verhältnismäßigkeitsprüfung gefehlt hätten.
III.
Das Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern hat namens der Landesregierung von einer Stellungnahme abgesehen.
IV.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist; ihm entstünde durch die Versagung der Entscheidung ein besonders schwerer Nachteil (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.
Art. 13 Abs. 1 GG garantiert die Unverletzlichkeit der Wohnung. Damit wird dem Einzelnen zur freien Entfaltung der Persönlichkeit ein elementarer Lebensraum gewährleistet. In seinen Wohnräumen hat er das Recht, in Ruhe gelassen zu werden. In diese grundrechtlich geschützte Lebenssphäre greift eine Durchsuchung schwerwiegend ein (vgl. BVerfGE 42, 212 ≪219 f.≫; 59, 95 ≪97≫; 96, 27 ≪40≫; 103, 142 ≪150 f.≫). Dem Gewicht dieses Eingriffs und der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Schutzes der räumlichen Privatsphäre entspricht es, dass Art. 13 Abs. 2 GG die Anordnung einer Durchsuchung grundsätzlich dem Richter vorbehält. Dieser Richtervorbehalt zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz (vgl. BVerfGE 20, 162 ≪223≫; 57, 346 ≪355 f.≫; 76, 83 ≪91≫; 103, 142 ≪150 f.≫). Das Grundgesetz geht davon aus, dass Richter auf Grund ihrer persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit und ihrer strikten Unterwerfung unter das Gesetz die Rechte der Betroffenen im Einzelfall am besten und sichersten wahren können. Wird die Durchsuchung regelmäßig ohne vorherige Anhörung des Betroffenen angeordnet, so soll die Einschaltung des Richters auch dafür sorgen, dass die Interessen des Betroffenen angemessen berücksichtigt werden (vgl. BVerfGE 103, 142 ≪151≫). Dies setzt eine eigenverantwortliche richterliche Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen voraus. Die richterliche Durchsuchungsanordnung ist keine bloße Formsache (vgl. BVerfGE 57, 346 ≪355≫).
Der gerichtliche Durchsuchungsbeschluss dient auch dazu, die Durchführung der Eingriffsmaßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten (vgl. BVerfGE 20, 162 ≪224≫; 42, 212 ≪220≫; 103, 142 ≪151≫). Dazu muss der Beschluss insbesondere den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Dies versetzt den von der Durchsuchung Betroffenen zugleich in den Stand, die Durchsuchung seinerseits zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten von vornherein entgegenzutreten (vgl. BVerfGE 42, 212 ≪221≫; 103, 142 ≪151 f.≫). Um die Durchsuchung rechtsstaatlich zu begrenzen, muss der Richter die aufzuklärende Straftat, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist (vgl. BVerfGE 20, 162 ≪224≫; 42, 212 ≪220 f.≫). Der Richter muss weiterhin grundsätzlich auch die Art und den vorgestellten Inhalt derjenigen Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, so genau bezeichnen, wie es nach Lage der Dinge geschehen kann. Nur dies führt zu einer angemessenen rechtsstaatlichen Begrenzung der Durchsuchung, weil oft eine fast unübersehbare Zahl von Gegenständen als – wenn auch noch so entfernte – Beweismittel für den aufzuklärenden Sachverhalt in Frage kommen können (vgl. BVerfGE 20, 162 ≪224≫). Der Schutz der Privatsphäre, die auch von übermäßigen Maßnahmen im Rahmen einer an sich zulässigen Durchsuchung betroffen sein kann, darf nicht allein dem Ermessen der mit der Durchführung der Durchsuchung beauftragten Beamten überlassen bleiben (vgl. BVerfGE 42, 212 ≪220≫). Ein Durchsuchungsbefehl, der keinerlei tatsächliche Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs enthält und der zudem den Inhalt der konkret gesuchten Beweismittel nicht erkennen lässt, wird rechtsstaatlichen Anforderungen jedenfalls dann nicht gerecht, wenn solche Kennzeichnungen nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ohne weiteres möglich und den Zwecken der Strafverfolgung nicht abträglich sind (vgl. BVerfGE 42, 212 ≪220 f.≫; 44, 353 ≪371≫; 45, 82; 50, 48 ≪49≫; 71, 64 ≪65≫).
Diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben tragen die angegriffenen Entscheidungen nicht ausreichend Rechnung.
Der Beschluss des Amtsgerichts umschreibt die Tat, die dem Beschwerdeführer zur Last gelegt wurde, lediglich pauschal damit, er habe “Betäubungsmittel erworben bzw. mit diesen Handel getrieben”, ohne diesen Vorwurf zu konkretisieren. Tatsächliche Angaben zu einem konkreten Geschehen fehlen. Ferner wurden im Beschluss die Art und der denkbare Inhalt der Beweismittel, denen die Durchsuchung gilt, nur allgemein umschrieben; dies war nicht dazu geeignet, den Mangel der Tatkonkretisierung als Möglichkeit zur Eingrenzung der Vollziehung der Durchsuchung auszugleichen.
Die formularmäßige Fassung der Beschlussbegründung ohne einzelfallbezogenen Hinweis lässt schließlich besorgen, dass eine eigenverantwortliche richterliche Prüfung zur Erfüllung der Rechtsschutzfunktionen des Richtervorbehalts gemäß Art. 13 Abs. 2 GG nicht stattgefunden hat. Andeutungen dazu, dass die Verhältnismäßigkeit – insbesondere die Frage, ob die Durchsuchungsanordnung im Verhältnis zur Stärke des Tatverdachts angemessen ist – vom Richter in eigener Verantwortung geprüft wurde, sind dem Beschluss nicht zu entnehmen.
- Da die Durchsuchung abgeschlossen ist, bleibt für die Aufhebung der amtsgerichtlichen Anordnung kein Raum. Die Entscheidung beschränkt sich insoweit deshalb auf die Feststellung einer Verletzung des Grundgesetzes (BVerfGE 42, 212 ≪222≫).
- Indem das Landgericht die Beschwerde des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen hat, hat es den Mangel der amtsgerichtlichen Entscheidung aufrecht erhalten (vgl. BVerfGE 103, 21 ≪39≫). Gleiches gilt für die Entscheidung des Landgerichts im Nachverfahren. Damit verletzt es den Beschwerdeführer gleichfalls in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG. Nachdem die Durchsuchung durchgeführt war, gab es für das Landgericht keine erkennbaren Gründe, nunmehr auf die erforderlichen Angaben zum Anfangsverdacht sowie zum Tatvorwurf zu verzichten. Dennoch enthält die Begründung keine nach Ort, Zeit und Umfang nachvollziehbaren konkreten Ausführungen.
- Die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts ist aufzuheben. Sie hat sich in der Hauptsache zwar mit der Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Durchsuchungsanordnung erledigt. Denn mit dieser Feststellung ist zugleich dem von dem Beschwerdeführer mit seinem strafprozessualen Rechtsmittel verfolgten Rechtsschutzbegehren in vollem Umfang entsprochen. Auch im strafprozessualen Beschwerdeverfahren hätte er sich mit einer Feststellung des Inhalts begnügen müssen, dass die Durchsuchungsanordnung rechtswidrig war (BVerfGE 42, 212 ≪222 f.≫). Die Aufhebung und Zurückverweisung ist jedoch im Hinblick auf eine noch ausstehende Entscheidung über die Kosten des Verfahrens (vgl. BVerfGE 96, 44 ≪56≫) sowie eine Entscheidung, ob dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu ersetzen sind (vgl. hierzu Hilger in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 473 Rn. 13 f.), geboten.
V.
Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 875011 |
ZAP 2003, 110 |
NPA 2003, 0 |
StV 2003, 203 |