Verfahrensgang
OLG München (Beschluss vom 26.08.2005; Aktenzeichen 1 Ws 91/04) |
OLG München (Beschluss vom 11.07.2005; Aktenzeichen 1 Ws 91/04) |
Tenor
Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts München vom 11. Juli 2005 und 26. August 2005 – 1 Ws 91/04 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit darin angeordnet wird, der Beschwerdeführer habe den jeweils ihn behandelnden Arzt von der Schweigepflicht hinsichtlich etwaiger mangelnder Mitarbeit an der Therapie oder im Falle des Abbruchs der Therapie gegenüber dem Bewährungshelfer, gegenüber der Staatsanwaltschaft und gegenüber der Führungsaufsichtsstelle zu entbinden.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Die Sache wird zur Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens an das Oberlandesgericht München zurückverwiesen.
Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die Hälfte der notwendigen Auslagen zu erstatten.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Tatbestand
A.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Verfassungsmäßigkeit einer nach Erledigterklärung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus eingetretenen Führungsaufsicht (§ 67 d Abs. 6 Satz 2 StGB) sowie einer hierauf bezogenen gerichtlichen Weisung, mit der von dem Beschwerdeführer die Entbindung seines Arztes von der Schweigepflicht gegenüber staatlichen Stellen verlangt wird.
I.
1. Mit Urteil des Landgerichts Traunstein vom 29. Oktober 1998 wurde die Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet. Das Gericht befand ihn hinsichtlich der objektiv verwirklichten Straftaten – versuchter Totschlag, Körperverletzung mit Todesfolge und versuchte schwere räuberische Erpressung – wegen einer Misch-Psychose für nicht ausschließbar schuldunfähig.
2. Am 22. Dezember 2003 ordnete das Landgericht Traunstein die Fortdauer der Unterbringung im Maßregelvollzug an.
3. Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers hob das Oberlandesgericht München am 11. Juli 2005 den angegriffenen Beschluss auf und erklärte die Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 67 d Abs. 6 StGB für erledigt, weil die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorlägen.
Das Oberlandesgericht stellte gemäß § 67 d Abs. 6 Satz 2 StGB, der am 29. Juli 2004 in Kraft getreten war (BGBl I S. 1838), den Eintritt der Führungsaufsicht fest, deren Dauer auf fünf Jahre festgesetzt wurde. Es sei die im Zeitpunkt der Entscheidung geltende Gesetzesfassung maßgeblich. Art. 103 Abs. 2 GG sei auf Maßregeln der Besserung und Sicherung nicht anwendbar. Auch Gründe des Vertrauensschutzes stünden der Anordnung der Führungsaufsicht nicht entgegen; denn diese erfasse nur diejenigen Personen, bei denen nach Inkrafttreten der Neuregelung die Maßregel für erledigt erklärt werde. Erwartungen, die frühere Rechtslage werde unverändert fortbestehen, seien verfassungsrechtlich nicht geschützt. Die Voraussetzungen dafür, ausnahmsweise den Nichteintritt der Führungsaufsicht anzuordnen, lägen nicht vor. Hiergegen spreche die bei dem Beschwerdeführer weiterhin latent bestehende Polytoxikomanie in Verbindung mit der depressiven Störung bei Berücksichtigung seiner Entlassung nach langjährigem Maßregelvollzug.
Neben der Weisung, sich unverzüglich in die ambulante ärztliche Behandlung eines Neurologen und Psychiaters zu begeben, mit welcher sich der Beschwerdeführer ausdrücklich einverstanden erklärt hatte, wurde der Beschwerdeführer angewiesen, den jeweils behandelnden Arzt von der Schweigepflicht gegenüber dem Bewährungshelfer, der Staatsanwaltschaft Traunstein und der Führungsaufsichtsstelle schriftlich und unwiderruflich zu entbinden.
4. Am 14. Juli 2005 erhob der Beschwerdeführer Gegenvorstellung gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 11. Juli 2005 mit dem Antrag, die auf die Schweigepflichtentbindung gerichtete Weisung aufzuheben. Sie greife unzulässig in sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Ausreichend sei, dass der Beschwerdeführer auf Aufforderung der Aufsichtsstelle eine ärztliche Bescheinigung über die Aufnahme und das Fortbestehen der ärztlichen Behandlung vorlege, wozu er ausdrücklich bereit sei. Durch die Entbindung von der Schweigepflicht gegenüber den Behörden werde das für den Behandlungserfolg notwendige Vertrauen zwischen Arzt und Patient nachhaltig gestört.
5. Im Beschluss vom 26. August 2005 hat das Oberlandesgericht die Weisung dahingehend modifiziert, der Beschwerdeführer habe den jeweils ihn behandelnden Arzt von der Schweigepflicht hinsichtlich etwaiger mangelnder Mitarbeit an der Therapie oder im Falle des Abbruchs der Therapie gegenüber den im Beschluss vom 11. Juli 2005 genannten Stellen schriftlich und unwiderruflich zu entbinden.
6. Die Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 29. August 2005, mit welcher er erneut die Aufhebung der Weisung betreffend die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht im Ganzen begehrt, hat das Oberlandesgericht als weitere Gegenvorstellung ausgelegt, ihr aber mit Beschluss vom 21. September 2005 erneut nicht entsprochen.
II.
1. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von Art. 103 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG sowie seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und stellt den Antrag, im Wege der einstweiligen Anordnung den Vollzug des angegriffenen Beschlusses vorläufig auszusetzen.
a) Der Beschwerdeführer greift die Feststellung an, dass mit der Erledigterklärung der Unterbringung Führungsaufsicht eingetreten sei. Er vertritt die Auffassung, der Anwendung des mit Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 (BGBl I S. 1838) in das Strafgesetzbuch eingefügten § 67 d Abs. 6 StGB stehe das Rückwirkungsverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaats- und Vertrauensschutzgebot aus Art. 20 Abs. 3 GG entgegen. Es liege ein Fall echter Rückwirkung vor. Das Oberlandesgericht hätte nicht die Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Entscheidung heranziehen dürfen, sondern hätte von der Rechtslage bei Wegfall der Eingangsmerkmale für die Unterbringung im Maßregelvollzug ausgehen müssen. Letzteres sei bereits im Jahre 2001 geschehen.
b) Die Weisung, den jeweils behandelnden Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden, verstoße gegen das Recht des Beschwerdeführers auf informationelle Selbstbestimmung und sei durch keine gesetzliche Regelung gerechtfertigt, auch nicht durch § 68 b Abs. 2 StGB oder § 56 c StGB. Die Weisung gefährde im Übrigen auch den Therapieerfolg, weil sich der Beschwerdeführer dem Therapeuten nicht mehr vorbehaltlos und vertrauensvoll offenbaren könne. Die nachträgliche Begrenzung der Schweigepflichtentbindung durch das Oberlandesgericht lasse den Eingriff in seine Grundrechte nicht entfallen, weil der Arzt bei seinen Auskünften über die Mitarbeit des Beschwerdeführers doch gehalten sein könnte, grundrechtlich geschützte Inhalte mitzuteilen. Diese Gefahr sei bereits dadurch deutlich geworden, dass die Bewährungshelferin gegenüber dem Gericht die Erlangung einer Diagnosemitteilung des behandelnden Arztes angeregt habe.
2. Den Ländern wurde gemäß § 94 BVerfGG Gelegenheit zur Äußerung gegeben, insbesondere dazu, welche Erkenntnisse in der Praxis zu Erforderlichkeit, Häufigkeit und Ausgestaltung von Weisungen betreffend die Entbindung von der Schweigepflicht bestehen.
a) Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.
Eine Verletzung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots aus Art. 103 Abs. 2 GG komme bereits deshalb nicht in Betracht, weil die Norm auf Maßregeln der Besserung und Sicherung, zu denen auch die Führungsaufsicht gehöre, nicht anwendbar sei. Der Führungsaufsicht fehle jeglicher Strafcharakter, wie er bei Maßnahmen im Sinne von Art. 103 Abs. 2 StGB vorausgesetzt werde.
Der Beschwerdeführer könne sich auch nicht mit Erfolg auf Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes berufen; denn unabhängig davon, ob überhaupt ein Fall tatbestandlicher Rückanknüpfung vorliege, komme jedenfalls dem gesetzgeberischen Anliegen eines möglichst umfassenden Schutzes der Allgemeinheit vor potentiellen Straftätern durch die obligatorisch eintretende Führungsaufsicht nach Erledigung einer Unterbringung gemäß § 63 StGB ein höheres Gewicht zu als dem Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG.
Bezogen auf die angegriffene Weisung sei die Verfassungsbeschwerde jedenfalls nach deren Beschränkung ebenfalls unbegründet; denn der Beschwerdeführer müsse nicht damit rechnen, dass die in der Weisung genannten staatlichen Stellen vom Inhalt der Therapiegespräche Kenntnis erlangten. Die nunmehr noch bestehende Verpflichtung des Beschwerdeführers zur Entbindung des behandelnden Arztes von der Schweigepflicht im Hinblick auf eine etwaige mangelnde Mitarbeit an der Therapie oder im Falle des Abbruchs der Therapie finde ihre gesetzliche Grundlage in § 68 b Abs. 2 StGB und § 68 c Abs. 2 Satz 1 StGB. Knüpfe das Gesetz an die etwaige Nichteinhaltung der Weisung Rechtsfolgen, etwa die Anordnung von unbefristeter Führungsaufsicht, wenn der Proband der Therapieweisung nicht nachkomme und eine weitere Gefährdung der Allgemeinheit durch die Begehung weiterer erheblicher Straftaten zu befürchten sei (§ 68 c Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB), dann müsse aber auch für das aufsichtsführende Gericht denknotwendig die Befugnis bestehen, die Einhaltung der Weisung zu kontrollieren, um die Therapieweisung nicht leer laufen zu lassen.
Im Freistaat Bayern hätten zum 31. Dezember 2005 insgesamt 5.558 Probanden unter Führungsaufsicht gestanden. Davon seien 1.356 als Risikoprobanden einzuschätzen, darunter 301 Sexualstraftäter mit einer Therapieweisung. 108 dieser Probanden seien zum Stichtag dieser Weisung aus unterschiedlichen Gründen nicht nachgekommen; ein Hauptgrund sei mangelnde Therapiebereitschaft.
b) Auch nach Auffassung der Niedersächsischen Staatskanzlei ist die Kontrolle der Therapie für die Praxis von großer Bedeutung. Einige niedersächsische Gerichte nähmen, bevor eine entsprechende Weisung ergehe, eine Schweigepflicht-Entbindungserklärung des Untergebrachten zu Protokoll, wobei diese regelmäßig auf die Mitteilung der Wahrnehmung der Termine oder den Abbruch der Therapie beschränkt bleibe.
c) Das Ministerium der Justiz des Landes Brandenburg hat mitgeteilt, es sei nur ein Fall bekannt geworden, in dem die Entlassung aus der Psychiatrie auf Bewährung von der Bedingung abhängig gemacht worden sei, dass der Betroffene den Arzt von der Schweigepflicht entbinde.
d) In Nordrhein-Westfalen werden nach Auskunft des dortigen Justizministeriums nur in seltenen Ausnahmefällen entsprechende Weisungen erteilt. Mit der ganz überwiegenden Praxis sei man der Auffassung, dass derartige Weisungen unzulässig seien, weil sie weder in § 56 c Abs. 3 StGB, § 35 BtMG noch in § 68 b Abs. 2 StGB eine Rechtsgrundlage fänden. In den Fällen, in denen der Verurteilte seine Einwilligung gemäß § 56 c Abs. 3 StGB erteile, werde in der Regel gleichzeitig auch eine Erklärung über die Entbindung von der Schweigepflicht abgegeben, so dass kein Bedarf für eine entsprechende Weisung bestehe. Die freiwillige Erklärung über die Entbindung von der Schweigepflicht sei unentbehrlich, weil hierdurch eine effektive Überwachung und Kontrolle der Einhaltung der Weisungen erst möglich werde. Unbedenklich sei die Weisung, die Durchführung der Heilbehandlung nachzuweisen.
e) Das Sächsische Staatsministerium der Justiz hat mitgeteilt, aus seinem Geschäftsbereich seien Weisungen, die eine Entbindung von der Schweigepflicht zum Gegenstand hätten, nur vereinzelt bekannt geworden. Der Generalstaatsanwalt halte eine solche Weisung für sinnvoll, um den behandelnden Arzt zur Häufigkeit der ärztlichen Konsultation, zu den Gründen eines möglichen Abbruchs und zu erforderlichen Nachsorgemaßnahmen befragen zu können. In der Gerichtsbarkeit halte man es für ausreichend, dem Verurteilten aufzuerlegen, einen regelmäßigen Nachweis über die Aufnahme und Fortsetzung der Behandlung zu erbringen. Nehme der Verurteilte an der Behandlung ohne aktive Mitwirkung teil, werde der Therapeut von sich aus die Fortsetzung der Therapie ablehnen. Die Weisung, den Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden, könne den Erfolg der Therapie gefährden.
f) Der Stellungnahme der Justizbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg zu Folge werden im dortigen Geschäftsbereich nur in wenigen Fällen Weisungen erteilt, die Entbindungen von der Schweigepflicht zum Inhalt haben. Sofern diese Erklärungen nicht ohnehin freiwillig gegenüber dem Gericht abgegeben würden, erteilten die Gerichte die Weisung, die Behandlung durch die regelmäßige Vorlage einer Bescheinigung nachzuweisen.
g) Die Hessische Staatskanzlei hat mitgeteilt, Weisungen der verfahrensgegenständlichen Art seien in den letzten Jahren nicht bekannt geworden. Eine Strafvollstreckungskammer erteile bei der Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung die Weisung an den Probanden, dem jederzeitigen Austausch von Informationen über seinen Zustand zwischen der Ambulanz und anderen ihn betreuenden Personen zuzustimmen.
h) Nach Mitteilung des Thüringischen Justizministeriums sei eine Weisung, die sich auf die Entbindung von der Schweigepflicht gerichtet habe, nur in einem Fall bekannt geworden. Ein Bedürfnis der Gerichte, von dem behandelnden Arzt über Einzelheiten der Krankheit oder Therapie informiert zu werden, gebe es selten. Jedenfalls die uneingeschränkte Weisung, den jeweils behandelnden Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden, werde ohne Zustimmung des Verurteilten für unzulässig gehalten. Damit eine effektive Überwachung möglich werde, müsse die Möglichkeit eröffnet sein, den Verurteilten zu einer eingeschränkten Entbindung von der Schweigepflicht anzuweisen, deren Nichtbefolgung dann auch sanktioniert werden könne.
3. Die Verfahrensakte – 400 Js 8139/98 – und das Vollstreckungsheft – 400 VRs 8139/98 – der Staatsanwaltschaft Traunstein haben der Kammer vorgelegen.
Entscheidungsgründe
B.
Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Weisung wendet, den behandelnden Arzt von der Schweigepflicht hinsichtlich etwaiger mangelnder Mitarbeit an der Therapie oder im Fall des Abbruchs der Therapie zu entbinden, nimmt die Kammer die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Entscheidung der Kammer sind insoweit gegeben. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht schon entschieden. Danach ist die Verfassungsbeschwerde insoweit in einem die Entscheidungskompetenz der Kammer eröffnenden Sinne offensichtlich begründet. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
I.
Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts München vom 11. Juli 2005 und 26. August 2005 – 1 Ws 91/04 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG, soweit sie die Entbindung von der Schweigepflicht zum Gegenstand haben. Soweit sich der Beschwerdeführer dagegen wendet, dass das Oberlandesgericht davon abgesehen hat, den Nichteintritt der Führungsaufsicht anzuordnen, ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet.
1. Die Annahmevoraussetzungen sind für die zulässige Verfassungsbeschwerde gegeben. Zwar entstehen dem Beschwerdeführer keine unmittelbaren Rechtsnachteile, wenn er der Entbindung der Schweigepflicht nicht nachkommt: Es liegt keine nach § 145 a StGB strafbewehrte Weisung gemäß § 68 b Abs. 1 StGB vor und wegen der Erledigung der Maßnahme droht kein Widerruf der Aussetzung. Eine Anordnung der unbefristeten Führungsaufsicht nach § 68 c Abs. 2 Satz 1 StGB kommt ebenfalls nicht in Betracht. Gleichwohl ist die Annahme zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers im Sinne von § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG angezeigt, weil dem Beschwerdeführer mit Rücksicht auf die Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung nicht angesonnen werden kann, sich entgegen einer ausdrücklichen gerichtlichen Weisung zu verhalten.
2. Beschwerdegegenstand ist sowohl der Beschluss vom 11. Juli 2005 als auch der Änderungsbeschluss vom 26. August 2005. Letzterer wurde erst am 22. September 2005 ausgefertigt, ging dem Beschwerdeführer am 24. September 2005 zu und wurde binnen der Monatsfrist gemäß § 93 Abs. 1 BVerfGG dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt und inhaltlich gerügt.
3. Die genannten Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, soweit sie ihn verpflichten, den jeweils behandelnden Arzt – auch im eingeschränkten Umfang des Beschlusses vom 26. August 2005 – von der Schweigepflicht teilweise zu entbinden.
a) aa) Das Grundgesetz gewährt dem einzelnen Bürger einen unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung, der der Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogen ist (vgl. BVerfGE 6, 32 ≪41≫; 27, 1 ≪6≫; 27, 344 ≪350 f.≫; 32, 373 ≪378 f.≫). Angaben eines Arztes über Anamnese, Diagnose und therapeutische Maßnahmen betreffen zwar nicht die unantastbare Intimsphäre, wohl aber den privaten Bereich des Patienten. Damit nehmen sie teil an dem Schutz, den das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG dem Einzelnen vor dem Zugriff der öffentlichen Gewalt gewährt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob derartige Feststellungen Krankheiten, Leiden oder Beschwerden beinhalten, deren Offenbarung den Betroffenen mit dem Verdacht einer Straftat belastet, ihm in anderer Hinsicht peinlich oder seiner sozialen Geltung abträglich ist. Vielmehr verdient ganz allgemein der Wille des Einzelnen Achtung, so höchstpersönliche Dinge wie die Beurteilung seines Gesundheitszustandes durch einen Arzt vor fremdem Einblick zu bewahren. Wer sich in ärztliche Behandlung begibt, muss und darf erwarten, dass alles, was der Arzt im Rahmen seiner Berufsausübung über seine gesundheitliche Verfassung erfährt, geheim bleibt und nicht zur Kenntnis Unberufener gelangt. Nur so kann zwischen Patient und Arzt jenes Vertrauen entstehen, das zu den Grundvoraussetzungen ärztlichen Wirkens zählt (vgl. BVerfGE 32, 373 ≪379 f.≫; 44, 353 ≪372 f.≫). Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt daher grundsätzlich vor der Erhebung und Weitergabe von Befunden über den Gesundheitszustand, die seelische Verfassung und den Charakter (vgl. BVerfGE 78, 77 ≪84≫; 84, 192 ≪194 f.≫; 89, 69 ≪82≫).
bb) Durch die Weisung, den behandelnden Arzt von der Schweigepflicht gegenüber dem im Beschluss genannten Personenkreis zu entbinden, besteht die Gefahr, dass staatlichen Stellen Befunde über den gesundheitlichen – insbesondere auch psychischen – Zustand des Beschwerdeführers bekannt werden. Nach der Intention des Oberlandesgerichts ist die Behandlung darauf gerichtet, die bei dem Beschwerdeführer vorhandenen depressiven Beschwerden ärztlich zu betreuen und damit zugleich der Gefahr des Abgleitens in die Drogensucht zu begegnen. Gegenstand der Untersuchung und Behandlung sind dabei nicht nur einzelne physische und psychische Faktoren, sondern vor allem gerade Umstände, die die Persönlichkeit des Beschwerdeführers als solche betreffen.
Da vorliegend auch die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen, in Rede steht, ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen (vgl. BVerfGE 65, 1 ≪43≫).
cc) Durch die Beschränkung des Umfangs der Entbindung von der Schweigepflicht im Beschluss vom 26. August 2005 wird nicht hinreichend sicher ausgeschlossen, dass entsprechende Feststellungen des behandelnden Arztes den Gerichten und Behörden gegen den
Willen des Beschwerdeführers bekannt werden könnten. Soweit der Beschwerdeführer verpflichtet wird, den jeweils ihn behandelnden Arzt für den Fall des Abbruchs der Therapie von der Schweigepflicht zu entbinden, enthält die Weisung schon keinerlei Einschränkungen. Auch die Entbindung von der Schweigepflicht hinsichtlich etwaiger mangelnder Mitarbeit an der Therapie eröffnet die Möglichkeit, auf die Einzelheiten der Behandlung zuzugreifen. Die „mangelnde Mitarbeit” wird – weil regelmäßig streitig – letztendlich oft eine Bewertung durch das Gericht verlangen und dürfte häufig ohne Kenntnis der ärztlichen Therapieabsichten und der ihnen zu Grunde liegenden Feststellungen sowie der Gründe für die teilweise oder gänzlich verweigerte Kooperation des Probanden schwerlich zu beurteilen sein.
Zwar soll der Beschluss vom 26. August 2005 nach seiner Begründung Befürchtungen des Beschwerdeführers ausräumen, der Arzt werde den Justizbehörden umfassend Auskunft über den Inhalt der geführten Therapiegespräche geben, doch wird dies durch den Inhalt der gegebenen Weisung wieder in Frage gestellt. Der Beschluss verhält sich auch nicht zu der vom Beschwerdeführer vorgeschlagenen Verfahrensweise, Beginn und Fortdauer der Behandlung durch vom Probanden vorzulegende Nachweise zu überwachen. Dieser Modus, der auch ohne vorherige Zustimmung des Betroffenen nicht zu beanstanden wäre und damit eine Entbindung von der Schweigepflicht erübrigen könnte, entspricht auch teilweise der Praxis anderer Gerichte, wie die Länderumfrage gezeigt hat.
b) Zwar müssen Eingriffe in das Recht aus Art. 2 Abs. 1 GG im überwiegenden Allgemeininteresse hingenommen werden. Solche Beschränkungen bedürfen aber einer gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben und die damit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht (vgl. BVerfGE 65, 1 ≪43≫; 113, 29 ≪50 f.≫; Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2006 – 2 BvR 2099/04 –, NJW 2006, S. 976 ≪980≫). Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob überhaupt und gegebenenfalls unter welchen Umständen der Gesetzgeber bei einem überwiegenden Allgemeininteresse eine Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht fordern könnte. Jedenfalls gegenwärtig besteht keine hinreichende gesetzliche Grundlage, die eine derartige Weisung ermöglicht.
Das Oberlandesgericht hat als Ermächtigungsgrundlage § 68 b Abs. 2 StGB herangezogen. Diese Norm begegnet zwar generell keinen verfassungsrechtlichen Bedenken; denn gegen den Bestimmtheitsgrundsatz verstößt es nicht von vornherein, wenn eine Norm auslegungsbedürftig ist (vgl. BVerfGE 78, 205 ≪212≫; 89, 69 ≪84 f.≫). Für den hier zu betrachtenden tief greifenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, einschließlich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, bietet die Vorschrift indes keine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage (vgl. auch OLG Nürnberg, NStZ-RR 1999, S. 175; Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl. ≪2006≫, § 56 c Rn. 2; Groß, in: Münchner Kommentar zum StGB ≪2005≫, § 68 b Rn. 6 und § 56 c Rn. 10; Lackner/Kühl, StGB, 25. Aufl. ≪2004≫, § 56 c Rn. 2; soweit diese Auffassung auch zu § 35 Abs. 3 BtMG a.F. vertreten wird ≪Kreuzer, NStZ 1986, S. 334 f.; H.P. Schneider, StV 1988, S. 26≫ ist dies mit Blick auf den unterschiedlichen Wortlaut nicht ohne weiteres zwingend: OLG Hamm, StV 1988, S. 24 f.; bestätigt durch Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 25. März 1986 – 2 BvR 201/86 –, a.a.O., S. 25).
aa) Nach dem Wortlaut von § 68 b Abs. 2 Satz 1 StGB können dem Verurteilten schlechthin „Weisungen” erteilt werden. Mit den beispielhaft genannten Weisungen, die sich auf Ausbildung, Arbeit, Freizeit, die Ordnung der wirtschaftlichen Verhältnisse oder die Erfüllung der Unterhaltspflichten beziehen, lässt sich die hier im Zusammenhang mit einer psychotherapeutischen Behandlung zu erteilende Entbindung von der Schweigepflicht nach der Art des betroffenen Lebensbereichs schwerlich vergleichen. Die Verpflichtung zur Offenbarung medizinischer – einschließlich psychiatrischer – Befunde steht vielmehr der Sache nach den in § 68 b Abs. 2 Satz 2 StGB in Verbindung mit § 56 c Abs. 3 StGB vorgesehenen Weisungen zur Vornahme einer Heilbehandlung und eines Heimaufenthaltes näher. Die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht ist im Katalog des § 68 b Abs. 1 StGB nicht erwähnt und findet sich auch nicht in § 68 b Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 56 c Abs. 3 StGB, obwohl die letztgenannte Vorschrift erkennen lässt, dass der Gesetzgeber die Aufnahme einer ärztlichen Behandlung als Mittel der Führungsaufsicht gesehen hat und eine Regelung zur ärztlichen Schweigepflicht nahe gelegen hätte.
bb) Nach der Gesetzesbegründung sollten sich § 68 b StGB und seine Vorgängervorschriften darauf beschränken, besonders wichtige Beispiele in Betracht kommender Weisungen zu nennen, aus praktischen Gründen aber den Gerichten die Möglichkeit belassen, die Auswahl der Weisungen den Bedürfnissen des Einzelfalls anzupassen (vgl. BTDrucks I/3713, S. 29; BTDrucks V/4094, S. 12). Die Entstehungsgeschichte gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Weisung, den behandelnden Arzt von seiner Schweigepflicht zu entbinden, von dem offenen Katalog des Absatzes 2 Satz 1 hätte umfasst sein sollen.
cc) Gegen die Annahme einer bereits existierenden Ermächtigungsgrundlage spricht auch ein aktuelles gesetzgeberisches Vorhaben der Bundesregierung. Der Gesetzentwurf zur Reform der Führungsaufsicht vom 7. April 2006 (BRDrucks 256/06) sieht vor, dass sich die in § 203 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 5 StGB genannten Personen, also auch Ärzte, gegenüber dem Gericht, der Aufsichtsstelle und dem Bewährungshelfer zu offenbaren haben, soweit dies für deren Aufgabenerfüllung erforderlich ist (§ 68 a Abs. 7 Satz 2 StGB). Dieser Vorschrift hätte es aus Sicht der Bundesregierung kaum bedurft, wenn den Gerichten bereits jetzt eine entsprechende Weisung ohne weiteres möglich wäre.
dd) Auch die Berichte der Länder zeigen, dass die gerichtliche Praxis zwar die Möglichkeit zur Überwachung der ärztlichen Behandlung des Probanden für wünschenswert und notwendig erachtet; andererseits aber in § 68 b StGB für eine Weisung, die den Probanden zur Entbindung seines Arztes von der Schweigepflicht veranlasst, überwiegend keine Grundlage sieht.
II.
Die Verfassungsbeschwerde hat dagegen keinen Erfolg, soweit sich der Beschwerdeführer dagegen wendet, dass das Oberlandesgericht von der Nichtanordnung des Eintritts der Führungsaufsicht abgesehen hat (§ 67 d Abs. 6 Satz 3 StGB).
1. Art. 103 Abs. 2 GG steht dem Eintritt der Führungsaufsicht nach § 67 d Abs. 6 Satz 1 StGB nicht entgegen. Das absolute Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG umfasst nur Maßnahmen mit Strafcharakter, hingegen nicht die Maßregeln der Besserung und Sicherung (vgl. BVerfGE 109, 133 ≪167≫), zu denen auch die Führungsaufsicht gehört (§ 61 Nr. 4 StGB). Deshalb kann auch dahinstehen, ob die Prämisse des Beschwerdeführers zutreffend ist, die Erledigung der Unterbringung sei bereits im Jahr 2001 durch Wegfall der Voraussetzungen ihrer Anordnung eingetreten. 2. Die Feststellung der gemäß § 67 d Abs. 6 StGB eingetretenen Führungsaufsicht durch das Oberlandesgericht verletzt auch nicht das rechtsstaatliche Vertrauensschutzgebot (Art. 20 Abs. 3 GG).
a) Eine Rückbewirkung von Rechtsfolgen, die grundsätzlich ausgeschlossen ist (vgl. BVerfGE 13, 261 ≪272≫; 95, 64 ≪86≫; 101, 239 ≪263≫), liegt nicht vor. Nach der von Verfassungs wegen beanstandungsfreien, dem Wortlaut der Vorschrift entsprechenden Anwendung und Auslegung des § 67 d Abs. 6 Sätze 1 und 2 StGB durch das Oberlandesgericht kommt es hinsichtlich der kraft Gesetzes eingetretenen Führungsaufsicht auf den Zeitpunkt der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über die Erledigung der Unterbringung an. Unbeschadet der Frage, ob die vom Beschwerdeführer angeführten früheren gutachterlichen Feststellungen seine Annahmen bezogen auf den Zeitpunkt des Wegfalls der Eingangsmerkmale tragen, wäre damit die Erledigung der Maßregel keinesfalls automatisch eingetreten. Vielmehr bedarf es hierfür – auf der Grundlage einer Prüfung aller nach dem Gesetz zu berücksichtigenden Umstände – einer gerichtlichen Erledigterklärung. Erst ab diesem Zeitpunkt tritt die Führungsaufsicht ein.
b) Dahinstehen kann letztlich, ob es sich im vorliegenden Fall um eine tatbestandliche Rückanknüpfung gehandelt haben könnte.
Es ist nicht ersichtlich, dass die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Vertrauensschutzbelange die mit dem Gesetz verfolgten Anliegen überwiegen würden (vgl. BVerfGE 103, 392 ≪403≫; 109, 133 ≪182≫). Der Übergang des Betroffenen aus dem erledigten Maßregelvollzug in die Freiheit soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers durch Hilfestellungen und Kontrollmechanismen begleitet werden (vgl. BTDrucks 15/2887, S. 15). Beanstandungsfrei ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass hierfür im Interesse der Wiedereingliederung des Entlassenen und letztlich des Schutzes der Bevölkerung ein zwingendes Bedürfnis besteht (vgl. BTDrucks 15/2887, S. 15), gegenüber dem die Erwartung des Untergebrachten, nach der Erledigterklärung der Unterbringung keinen weiteren Aufsichtsmaßnahmen zu unterliegen, zurücktreten darf.
III.
Die angefochtenen Beschlüsse sind aufzuheben; die Sache ist zur Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens an das Oberlandesgericht München zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BVerfGG). Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen