Verfahrensgang
OLG Celle (Beschluss vom 23.05.2006; Aktenzeichen 22 Ss 97/05) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anforderungen an das Revisionsvorbringen eines Beschwerdeführers, der gegen ein jugendgerichtliches, lediglich Sanktionen gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG anordnendes Urteil Revision eingelegt hat.
A.
I.
1. Das Amtsgericht – Jugendschöffengericht – hatte den Beschwerdeführer mit Urteil vom 25. Mai 2005 wegen Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen räuberischer Erpressung gemäß § 16 JGG mit einem Dauerarrest von vier Wochen belegt.
2. Hiergegen legte der Beschwerdeführer Revision ein.
a) Er beantragte Aufhebung des Urteils. Verfahrensrüge erhob er mit der Begründung, die Feststellungen des Amtsgerichts in den Strafzumessungserwägungen zu den Vorstrafen entstammten nicht der Hauptverhandlung: Die entsprechenden Urteile seien nicht verlesen worden. Zu der in allgemeiner Form erhobenen Sachrüge führte er lediglich näher aus, die Strafzumessung sei fehlerhaft: Das Amtsgericht habe sich bei Feststellung des Raubes nicht mit der Möglichkeit eines minder schweren Falls auseinandergesetzt; strafmildernd sei zu berücksichtigen gewesen, dass der Wert der Beute gering und die Gewaltanwendung nur mäßig gewesen seien; bei der Verurteilung wegen räuberischer Erpressung sei der Umstand, dass er nur die Furcht des Zeugen ausgenutzt habe, strafmildernd zu berücksichtigen gewesen.
b) Das Oberlandesgericht verwarf die Revision durch Beschluss vom 23. Mai 2006 gemäß § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig.
Der Beschwerdeführer habe entgegen § 344 Abs. 1 StPO nicht hinreichend bestimmt angegeben, inwieweit er das erstinstanzliche Urteil anfechten wolle, so dass das Revisionsgericht nicht eindeutig feststellen könne, ob er mit dem Rechtsmittel ein nach § 55 Abs. 1 JGG zulässiges Ziel verfolge. Nach dieser Vorschrift könne die Anordnung von Zuchtmitteln nicht mit dem Ziel der Verhängung anderer, milderer Zuchtmittel oder der Verhängung von Erziehungsmaßregeln angefochten werden. Deshalb müsse dargelegt werden oder sich dem Verfahrensgang eindeutig entnehmen lassen, dass der Schuldspruch an sich und nicht nur die verhängte Sanktion angefochten werde. Aus dem Revisionsvorbringen ergebe sich dagegen, dass vordringlich Aspekte der Sanktionsbemesssung angegriffen würden, nicht aber der Schuldspruch. Auch der Verfahrensgang spreche gegen eine Anfechtung des Schuldspruchs, weil der Beschwerdeführer nach dem Urteil weitgehend geständig sei und der Verteidiger selbst im Schlussvortrag lediglich eine andere Maßnahme, nicht aber Freispruch beantragt habe.
3. Der Beschwerdeführer hat hiergegen – jeweils erfolglos – Gegenvorstellung und Anhörungsrüge erhoben.
I.
1. Die fristgerecht erhobene Verfassungsbeschwerde greift den Verwerfungsbeschluss des Oberlandesgerichts an.
2. Der Beschwerdeführer sieht Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und 103 Abs. 1 GG sowie das Gebot eines fairen Verfahrens verletzt. Das Oberlandesgericht habe die Revision mit willkürlicher Begründung als unzulässig verworfen, obwohl er diese in zulässiger Weise erhoben habe. Die Anforderungen an eine zulässige Revision richteten sich ausschließlich nach § 344 StPO und würden durch § 55 JGG nicht verschärft. Durch die Verwerfung der Revision als unzulässig habe sich das Revisionsgericht mit seinem Vorbringen sachlich nicht auseinandergesetzt und so auch seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
B.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Ein Annahmegrund nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet. Der angefochtene Beschluss des Oberlandesgerichts verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinen Grundrechten.
I.
1. Der Beschwerdeführer rügt mit seinem Angriff auf die Einführung des Erfordernisses der eindeutigen Angabe eines zulässigen Angriffsziels in der Sache die Überspannung der Anforderungen an einen zulässigen Revisionsantrag (§ 344 Abs. 1 StPO). Prüfungsmaßstab hierfür ist die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Rechtsschutzgarantie.
Die Rechtsschutzgarantie gewährleistet die Effektivität des Rechtsschutzes und umfasst das Recht auf Zugang zu den Gerichten, eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes und eine verbindliche Entscheidung durch den Richter. Gerichte dürfen ein von der Verfahrensordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht ineffektiv machen und für Beschwerdeführer “leer laufen” lassen. Deshalb verbietet die Rechtsschutzgarantie dem Gericht, bei Auslegung und Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen von Voraussetzungen abhängig zu machen, die unerfüllbar oder unzumutbar sind oder den Zugang in einer Weise erschweren, die aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. BVerfGE 112, 185 ≪207 f.≫ m.w.N.; BVerfGK 6, 235 ≪236≫).
2. Gemessen hieran ist der Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz nicht verletzt.
Das Oberlandesgericht fordert für eine zulässige Revision gegen ein jugendgerichtliches, lediglich Sanktionen gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG anordnendes Urteil, dass der Beschwerdeführer sein Anfechtungsziel so eindeutig mitteilt, dass ein unzulässiges Rechtsschutzziel auszuschließen ist.
a) Diese Anforderungen an das Revisionsvorbringen des Beschwerdeführers sind aus Sachgründen zu rechtfertigen.
Die eindeutige Mitteilung eines zulässigen Angriffsziels soll eine mögliche Umgehung der ausdrücklichen Rechtsmittelbeschränkung in § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG wirksam verhindern (vgl. Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 31. Januar 2003 – 1 Ss 708/02 –, juris, Abs.-Nr. 3; Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 10. Oktober 2000 – 33 Ss 92/00 –, NStZ-RR 2001, S. 121). Dies ist ein legitimes Ziel.
Der Gesetzgeber hat die Anfechtbarkeit von jugendgerichtlichen Entscheidungen, in denen lediglich Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel angeordnet sind, in § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG beschränkt. Eine solche jugendgerichtliche Entscheidung kann insbesondere nicht wegen des Umfangs der Maßnahme und nicht deshalb angefochten werden, weil andere Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel hätten angeordnet werden sollen. Ein Rechtsmittel kann danach nur darauf gestützt werden, dass die Schuldfrage rechtlich oder tatsächlich falsch beantwortet oder die Sanktion selbst rechtswidrig ist (vgl. Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 31. Januar 2003 – 1 Ss 708/02 –, juris, Abs.-Nr. 3; Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 10. Oktober 2000 – 33 Ss 92/00 –, NStZ-RR 2001, S. 121; Brunner/Dölling, JGG, 11. Aufl., § 55 Rn. 11).
Diese Beschränkung zulässiger Rechtsmittelziele dient – wie die in § 55 Abs. 2 JGG angeordnete generelle Einschränkung der Anfechtbarkeit jugendgerichtlicher Urteile – der Beschleunigung des Jugendstrafverfahrens. Nach dem Willen des Gesetzgebers kommt es hier um der erzieherischen Wirkung willen in ganz besonderem Maße auf eine möglichst baldige rechtskräftige Entscheidung an (vgl. BTDrucks I/3264 S. 46; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 23. September 1987 – 2 BvR 814/87 –, juris, Abs.-Nr. 1; Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 13. Juli 1956 – RevReg. 1 St 609/56 –, BayObLG 56, 163 ≪164≫; Brunner/Dölling, JGG, 11. Aufl., § 55 Rn. 1; Diemer/Schoreit/Sonnen, JGG, 4. Aufl. 2002, § 55 Rn. 2 ff.; Nothacker, Zur besonderen Beschränkung der Rechtsmittel im Jugendstrafverfahren [§ 55 JGG], GA 1982, S. 451 ≪452≫). Dabei liegt der gesetzlichen Beschränkung zulässiger Rechtsschutzziele in § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG die zusätzliche Annahme zugrunde, dass der erstinstanzliche Richter den Erziehungsbedürfnissen am besten Rechnung tragen könne und seine Entscheidung im Interesse einer wirksamen und schnellen Erziehung endgültig sein dürfe, sofern es sich um leichtere, die Zukunft nicht belastende Maßnahmen handele (vgl. Eisenberg, JGG, 11. Aufl. 2006, § 55 Rn. 39; Diemer/Schoreit/Sonnen, JGG, 4. Aufl. 2002, § 55 Rn. 2; vgl. ferner [zur Vorgängernorm von § 40 RJGG 1943] Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 3. Januar 1952 – 3 StR 1153/51 –, NJW 1952, S. 436 ≪437≫). Die in dem angefochtenen Beschluss geforderte eindeutige Angabe eines zulässigen Angriffsziels verhindert eine Umgehung der Vorschrift des § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG und verhilft damit dem erklärten Willen des Gesetzgebers zur Durchsetzung.
b) Dass die eindeutige Angabe eines zulässigen Rechtsschutzziels unerfüllbar oder unzumutbar sei und den Beschwerdeführer deshalb in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verletze, ist nicht ersichtlich. Das behauptet auch der Beschwerdeführer nicht.
c) Dem Erfordernis der eindeutigen Angabe eines zulässigen Angriffsziels steht § 344 Abs. 1 StPO nicht entgegen. Die dort normierte Zulässigkeitsvoraussetzung eines Revisionsantrags trifft keine Aussage darüber, welche Anforderungen an einen hinreichend bestimmten Revisionsantrag zu stellen sind. Die Revisionsgerichte sind deshalb nicht gehindert, in Fällen gesetzlicher Rechtsmittelbeschränkung – wie hier im Fall von § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG – erhöhte Anforderungen an die Konkretisierung des Rechtsschutzziels zu stellen.
II.
Dass das Oberlandesgericht hier die eindeutige Angabe eines zulässigen Rechtsschutzziels verneint hat, ist verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden.
1. Ob das Revisionsvorbringen eines Beschwerdeführers im Einzelfall das Erfordernis der eindeutigen Angabe eines zulässigen Angriffsziels erfüllt, ist eine Frage der Würdigung des Sachverhalts und der Anwendung einfachen Rechts. Die Prüfung des Bundesverfassungsgerichts ist insoweit auf eine Willkürkontrolle beschränkt (vgl. BVerfGE 32, 305 ≪310≫).
2. Das Oberlandesgericht hat nachvollziehbar und frei von Willkür darauf abgestellt, dass der Revisionsvortrag des Beschwerdeführers in der Sache die Strafzumessung und nicht den Schuldspruch beanstandet und auch die Verfahrensgeschichte nicht ein auf den Schuldspruch gerichtetes Angriffsziel belegt, nachdem der Verteidiger des – weitgehend geständigen – Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung nur eine mildere Sanktion und keinen Freispruch beantragt habe. Angesichts dieser Verfahrensgeschichte und einer Revisionsbegründung, deren nähere Ausführungen sich auf Angriffe gegen die Strafzumessung beschränken, ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht weder dem uneingeschränkten Antrag auf “Aufhebung des Urteils” noch der in allgemeiner Form erhobenen Sachrüge durchschlagende Bedeutung beigemessen hat. Das Oberlandesgericht hat sich ersichtlich von der – sachbezogenen und nachvollziehbaren – Erwägung leiten lassen, dass die sonst für die Beurteilung zulässiger Revisionsanträge geltenden – großzügigeren – Grundsätze (vgl. Lohse, in: Anwaltkommentar, StPO, § 344 Rn. 1; Kuckein, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Aufl. 2003, § 344 Rn. 3; Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl. 2006, § 344 Rn. 2 und 3; Pfeiffer, StPO, 5. Aufl. 2007, § 344 Rn. 6) nicht ohne weiteres auf Fälle übertragen werden können, in denen der Gesetzgeber das zulässige Angriffsziel eines Rechtsmittels – wie hier – gesetzlich beschränkt hat (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 31. Januar 2003 – 1 Ss 708/02 –, juris, Abs.-Nr. 3; Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 10. Oktober 2000 – 33 Ss 92/00 –, NStZ-RR 2001, S. 121; vgl. Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl. 2006, § 344 Rn. 3a; vgl. auch Lohse, in: Anwaltkommentar, StPO, § 344 Rn. 1; Kuckein, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Aufl. 2003, § 344 Rn. 2; [für die Rechtsmittelbeschränkung des Nebenklägers] Pfeiffer, StPO, 5. Aufl. 2007, § 344 Rn. 6 a.E.).
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Di Fabio, Landau
Fundstellen
Haufe-Index 1779380 |
NStZ-RR 2007, 385 |
StRR 2007, 341 |