Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundrechtsfähigkeit und Verfassungsbeschwerdebefugnis juristischer Personen
Leitsatz (redaktionell)
1. Juristische Personen als Grundrechtsinhaber anzusehen und sie in den Schutzbereich bestimmter materieller Grundrechte einzubeziehen, ist nur dann gerechtfertigt, wenn deren Bildung und Betätigung Ausdruck der freien Entfaltung der privaten natürlichen Personen ist, insbesondere wenn der „Durchgriff” auf die hinter ihnen stehenden Menschen es als sinnvoll und erforderlich erscheinen lässt. Grundrechte für juristische Personen des öffentlichen Rechts gelten grundsätzlich nicht, soweit diese öffentliche Aufgaben wahrnehmen, Ausnahmen gelten soweit es sich um solche juristischen Personen des öffentlichen Rechts handelt, die von der ihnen durch die Rechtsordnung übertragenen Aufgaben her unmittelbar einem durch bestimmte Grundrechte geschützten Lebensbereich zugeordnet sind (z.B. Universitäten, Rundfunkanstalten).
2. Einer Gemeinde fehlt die Grundrechtsfähigkeit und damit die Beschwerdebefugnis bei Baulandumlegungen.Auch bei einverständlichen, auf privatrechtlicher Basis durchgeführten Grundstücksumlegungen handelt es sich um die Wahrnehmung der der Gemeinde obliegenden öffentlichen Aufgaben (hier: mangels Grundrechtsfähigkeit und Beschwerdebefugnis Unzulässigkeit der gegen die Grunderwerbsteuerbefreiung verneinenden Ausgangsentscheidung des BFH gerichteten Verfassungsbeschwerde).
Normenkette
GG Art. 19 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 28 Abs. 2; GrEStG 1983 § 1 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 Buchst. b; BauGB § 45; BBauG § 45
Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie unzulässig ist.
Gründe
Die Beschwerdeführerin ist in dem geltend gemachten Umfang nach Art. 19 Abs. 3 GG nicht grundrechtsfähig und damit nicht beschwerdebefugt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind Grundrechte in erster Linie individuelle Rechte, die den Schutz konkreter, besonders gefährdeter Bereiche menschlicher Freiheit zum Gegenstand haben (vgl. BVerfGE 50, 290 ≪337≫; 61, 82 ≪100 ff.≫). Demgemäß dienen sie vorrangig dem Schutz der Freiheitssphäre des einzelnen Menschen als natürlicher Person gegen Eingriffe der staatlichen Gewalt. Darüber hinaus sichern sie Voraussetzungen und Möglichkeiten für eine freie Mitwirkung und Mitgestaltung im Gemeinwesen (vgl. BVerfGE 21, 362 ≪369≫; 61, 82 101≫). Juristische Personen als Grundrechtsinhaber anzusehen und sie in den Schutzbereich bestimmter materieller Grundrechte einzubeziehen, ist demnach nur dann gerechtfertigt, wenn deren Bildung und Betätigung Ausdruck der freien Entfaltung der privaten natürlichen Personen ist, insbesondere wenn der „Durchgriff” auf die hinter ihnen stehenden Menschen es als sinnvoll und erforderlich erscheinen läßt (vgl. BVerfGE 21, 362 ≪369≫; 61, 82 ≪101≫; 68, 193 ≪205 f.≫).
Das Bundesverfassungsgericht hat hiervon ausgehend festgestellt, daß Grundrechte für juristische Personen des öffentlichen Rechts grundsätzlich nicht gelten, soweit diese öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Denn die Erfüllung öffentlicher Aufgaben vollzieht sich regelmäßig nicht in Wahrnehmung abgeleiteter, ursprünglicher Freiheiten, sondern aufgrund von gesetzlich zugewiesenen und begrenzten Kompetenzen (vgl. BVerfGE 61, 82 ≪100 ff.≫; 68, 193 ≪205≫). Ausnahmen hiervon hat das Bundesverfassungsgericht nur zugelassen, soweit es sich um solche juristischen Personen des öffentlichen Rechts handelt, die von der ihnen durch die Rechtsordnung übertragenen Aufgaben her unmittelbar einem durch bestimmte Grundrechte geschützten Lebensbereich zugeordnet sind (z. B. Art. 5 Abs. 3 GG für die Universitäten oder Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG für die Rundfunkanstalten; vgl. etwa BVerfGE 15, 256 ≪262≫; 21, 362 ≪373 f.≫; 31, 314 ≪322≫). Dieser Ausschluß der Befugnis zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde gilt auch für Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 75, 192 ≪200 f.≫).
Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so ergibt sich, daß der Beschwerdeführerin die Beschwerdebefugnis fehlt, denn sie nimmt im Rahmen der Baulandumlegung öffentliche Aufgaben wahr.
Städtebauliche Ordnungsvorstellungen, wie sie in einem Bebauungsplan zum Ausdruck kommen, können häufig im Widerspruch zu dem vorfindlichen Zuschnitt der Grundstücke stehen. Mit dem Instrument der Baulandumlegung nach den §§ 45 ff. Bundesbaugesetz (nunmehr §§ 45 ff. Baugesetzbuch) wird der Gemeinde die Möglichkeit eröffnet, auf das Mittel der Enteignung zu verzichten und durch ein besonderes Grundstücks-Tauschverfahren die Entstehung zweckmäßig gestalteter Grundstücke herbeizuführen. Grundsätzliches Anliegen der Bodenumlegung ist es danach, den jeweiligen Eigentümern zu einer wertgleichen Abfindung in Land zu verhelfen. Daran ändert auch der u. U. erforderliche zusätzliche Wertausgleich nichts.
Damit stellt sich die Bodenumlegung als eine öffentliche Aufgabe dar, die in engem Zusammenhang mit der gemeindlichen Bauleitplanung steht. Auch wenn es sich hierbei um eine Aufgabe handelt, die zum Selbstverwaltungsbereich der Gemeinde nach Art. 28 Abs. 2 GG gerechnet werden kann, folgt daraus nicht, daß die Beschwerdeführerin in dem angesprochenen Bereich gegen den Staat gerichtete Grundrechte innehat. Ihr fehlt es – auch in Wahrnehmung ihres Selbstverwaltungsrechtes -an einer besonderen Zuordnung zu dem durch Grundrechte geschützten Lebensbereich, wie das etwa für Universitäten und Rundfunkanstalten festgestellt ist. Als in dieser Art eigenständige, vom Staat unabhängige oder jedenfalls distanzierte Einrichtung kann eine Gemeinde nicht angesehen werden. Bei ihr handelt es sich vielmehr nur um eine besondere Erscheinungsform der einheitlichen Staatsgewalt (vgl. BVerfGE 21, 362 ≪370≫; 39, 302 ≪314≫; 45, 63 ≪79≫; 61, 82 ≪102 f.≫; 68, 193 ≪207≫).
Allerdings steht die Durchführung des gesetzlich geregelten Umlegungsverfahrens nicht im Belieben der Gemeinde. Aber auch eine einverständliche, auf privatrechtlicher Basis durchgeführte Grundstücksumlegung dient der sinnvollen Umsetzung der gemeindlichen Bauleitplanung und damit der Wahrnehmung der der Gemeinde obliegenden öffentlichen Aufgaben (vgl. BGH, NJW 1981, S. 2124 r. Sp.).
Wird somit der Beschwerdeführerin auf jeden Fall auf Grund von ihr gesetzlich zugewiesenen Kompetenzen und nicht in Wahrnehmung abgeleiteter ursprünglicher Freiheiten tätig, so folgt daraus, daß die Beschwerdeführerin nicht Trägerin von Grundrechten in dem geltend gemachten Umfang sein kann.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen