Entscheidungsstichwort (Thema)
Versammlungsverbot: einstweilige Anordnung
Tenor
1. Die Verfahren werden verbunden.
2. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Verfügung der Oberbürgermeisterin der Stadt Frankfurt vom 27. März 2001 wird nach Maßgabe des Tenors des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Frankfurt vom 3. April 2001 – 5 G 1335/01 (2) – wieder hergestellt.
3. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
4. Das Land Hessen hat den Antragstellern zwei Drittel der notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft ein für sofort vollziehbar erklärtes Versammlungsverbot. Die Kammer hat die Begründung ihrer Entscheidung gemäß § 32 Abs. 5 in Verbindung mit § 93 d Abs. 2 BVerfGG nach Bekanntgabe des Beschlusses schriftlich abgefasst.
I.
1. a) Die Antragstellerin zu 2) meldete unter dem 14. Februar 2001 bei der Versammlungsbehörde – der Antragsgegnerin des Ausgangsrechtsstreits (im Folgenden: Antragsgegnerin) – für den 7. April 2001 eine Kundgebung mit Aufzug in Frankfurt am Main unter dem Thema „Herren im eigenen Land statt Knechte der Fremden” an. Versammlungsleiterin sollte sie selbst sein. Als Redner war unter anderem der Antragsteller zu 1) vorgesehen. Er sollte zugleich als Helfer fungieren und die Aufgabe eines „stellvertretenden Versammlungsleiters” wahrnehmen.
Als Hilfsmittel der Versammlung führte die Antragstellerin zu 2) unter anderem schwarze Fahnen, Transparente, Trage- und Halteschilder, Landsknechtstrommeln sowie Flugschriften an. In dem von dem Antragsteller zu 1) presserechtlich verantworteten Einladungsflugblatt wird die Veranstaltung als „Demonstration gegen Überfremdung in Frankfurt am Main am 7. April 2001” bezeichnet. Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, dass die Teilnahme für jeden Deutschen ein absolutes Muss sein sollte, „der auch in zehn Jahren noch als solcher aufrecht gehen möchte”. Die Demonstration sei unter dem Gesichtspunkt der Zukunftsgestaltung zu betrachten.
b) Mit Bescheid vom 27. März 2001 sprach die Antragsgegnerin gemäß § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes (VersG) unter Anordnung der sofortigen Vollziehung ein Verbot dieser Veranstaltung aus. Die unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung folge zunächst aus der mangelnden Kooperation der Antragsteller und dem Fehlen von Konzepten, wie Verstößen von Demonstrationsteilnehmern gegen mögliche Auflagen oder sonstige Strafbestimmungen und auch Gefährdungen durch Gegendemonstranten begegnet werden könne. Auch die Thematik der Demonstration und die Kenntnis bisheriger Verläufe der von der Antragstellerin zu 2) angemeldeten Veranstaltungen sowie die Vergangenheit des Antragstellers zu 1) ließen eine Störung der öffentlichen Ordnung durch eine aggressive Ausländerfeindlichkeit befürchten, die geeignet sei, Teile der ansässigen Bevölkerung einzuschüchtern und zu beängstigen. Aus dem zu erwartenden Teilnehmerkreis aus rechtsextremistischen Organisationen (unter anderem „Skinheads”) folge, dass Verstöße gegen einschlägige Strafbestimmungen zu erwarten seien.
c) Die Antragsteller legten gegen die Verfügung der Versammlungsbehörde Widerspruch ein und stellten darüber hinaus beim Verwaltungsgericht einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs. Das Verwaltungsgericht stellte die aufschiebende Wirkung mit folgenden Auflagen wieder her:
- Die Demonstrationsroute hat folgenden Verlauf: Danziger Platz, Hanauer Landstraße, Zobelstraße, Am Tiergarten, Alfred-Brehm-Platz (Zwischenkundgebung), Am Tiergarten, Röhnstraße, Habsburger Allee, Henschelstraße, Danziger Platz.
- Den Teilnehmern der Demonstration wird untersagt, Fahnen (mit Ausnahme der Fahne der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder) und Trommeln bei der Durchführung der Demonstration mitzuführen; gleiches gilt für Transparente und Trage- bzw. Halteschilder strafbaren Inhalts und für das Skandieren entsprechender Parolen. Ferner ist untersagt die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen sowie das Tragen von Uniformen, Uniformteilen und gleichartigen Kleidungsstücken als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung.
Den bei den Kundgebungen (Anfangs-, Zwischen- und Abschlusskundgebung) auftretenden Rednern sind Äußerungen untersagt, die sich auszeichnen durch
- eine aggressive Ausländerfeindlichkeit, die geeignet ist, Teile der ansässigen Bevölkerung einzuschüchtern und zu beängstigen,
- durch Verstöße gegen einschlägige Strafbestimmungen.
- Der Leitung des Aufzuges wird aufgegeben, Verstöße gegen die Auflagen unter Nr. 2 und 3 unverzüglich zu unterbinden; soweit dies nicht möglich sein sollte, ist der Aufzug von der Leitung unverzüglich für beendet zu erklären.
Zur Begründung verwies das Verwaltungsgericht zunächst darauf, dass sich das Demonstrationsverbot nicht auf frühere, unter der Verantwortung der Antragsteller durchgeführte Veranstaltungen stützen könne. So habe insbesondere der Antragsteller zu 1) bei vorangegangenen Demonstrationen ihm erteilte Auflagen eingehalten; festgestellte Störungen und Straftaten seien jeweils von gewaltbereiten Gegendemonstranten ausgegangen. Auch könne von einer mangelnden Kooperation der Antragsteller nicht ausgegangen werden. Aus dem Protokoll des Kooperationsgesprächs vom 22. März 2001 lasse sich nicht entnehmen, dass die Antragsteller der Teilnahme gewaltbereiter Teilnehmer an der Demonstration nicht genügend entgegengetreten seien. Sonstigen zu befürchtenden Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung könne durch die aus dem Tenor ersichtlichen Auflagen begegnet werden.
d) Die Antragsgegnerin beantragte beim Verwaltungsgerichtshof die Zulassung der Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts. Dieses habe sich nicht damit auseinander gesetzt, dass bereits das Thema der Demonstration „Herren im eigenen Land statt Knechte der Fremden” für sich allein genommen eine aggressive Ausländerfeindlichkeit ausdrücke, die geeignet sei, Teile der ansässigen Bevölkerung einzuschüchtern und zu beängstigen. Eine derartige Parole insinuiere zum einen, dass zurzeit die deutsche Bevölkerung in der Knechtschaft der im Bundesgebiet ansässigen Ausländer leben müsse und fordere zum anderen eine Beherrschung der „Fremden” durch deutsche „Herren”. Das Motto der Veranstaltung knüpfe an eindeutig nationalsozialistisches Gedankengut an und stelle die gesamte Veranstaltung in den Dienst der Verkündung dieser Herrenrassen-Ideologie. Wenn die Antragsteller mit dem Motto zum gegenwärtigen Zeitpunkt Ausländer und Ausländerinnen in der Bundesrepublik Deutschland als „Herren” und die deutsche Bevölkerung als „Knechte” apostrophierten, so belege die Forderung, „Herr im eigenen Land” sein zu wollen, dass die Antragsteller eine tatsächliche, mit rechtsstaatlichen und sonstigen demokratischen Prinzipien nicht vereinbare echte Knechtschaft der ausländischen Bevölkerung anstrebten.
e) In ihrer Erwiderung vor dem Verwaltungsgerichtshof wandten sich die Antragsteller gegen die Interpretation des Veranstaltungsmottos durch die Versammlungsbehörde. Die Deutschen seien nach der Präambel des Grundgesetzes das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland. Auch sei das deutsche Volk allein berechtigt, der Bundesrepublik Deutschland eine andere Verfassung zu geben, wie sich aus Art. 146 des Grundgesetzes ergebe. Das mache das deutsche Volk zu Herren im eigenen Land. Der erste Teil des Veranstaltungsmottos besage, dass dieser Zustand erhalten bleiben solle. Die Auslegung des Antragsgegners dahingehend, die „Fremden” sollten ihrerseits zu Knechten des deutschen Volkes gemacht werden, das der Herr im eigenen Land sei, sei nicht belegt. Sie sei auch widersinnig. Der zweite Teil des Veranstaltungsmottos besage nur, dass sie – hier im Sinn von das deutsche Volk – nicht Knechte der Fremden sein wollten. Dies habe mitnichten zu bedeuten, dass die Fremden die Knechte der Deutschen zu sein hätten. Der unterstellte Anklang zu nationalsozialistischem Gedankengut sei nicht zu sehen. Eine entsprechende Interpretation werde strikt zurückgewiesen. Sie sei für sie – die Antragsteller –, die weder Knecht sein noch Knechte haben wollten, beleidigend.
f) Der Verwaltungsgerichtshof ließ die Beschwerde der Versammlungsbehörde zu und lehnte unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller ab:
Die Voraussetzungen für ein Verbot nach § 15 Abs. 1 VersG lägen vor, da die Antragsgegnerin insoweit rechtmäßig zu Grunde gelegt habe, dass bei Durchführung der angemeldeten Versammlung eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei. Das Motto der Veranstaltung verstoße gegen den Straftatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Es werde zum Hass gegen Teile der Bevölkerung in einer Weise aufgestachelt, die geeignet sei, den öffentlichen Frieden zu stören. Die Wahl des Mottos und das Beharren auf diesem Versammlungsthema gäben deutliche Anhaltspunkte dafür, dass bei Durchführung der Versammlung auch dementsprechende Inhalte verbreitet würden. Zur Volksverhetzung zähle insbesondere auch die Verbreitung von Parolen, mit denen bestimmte Bevölkerungsgruppen verunglimpft werden sollten, um in der Bevölkerung vorhandene Vorbehalte und Ängste gegenüber Fremden in Fremdenfeindlichkeit und Fremdenhass zu verwandeln. So liege der Fall hier. Das für die geplante Versammlung gewählte Motto „Herren im eigenen Land statt Knechte der Fremden” drücke eine aggressive Ausländerfeindlichkeit aus, die geeignet sei, Teile der ansässigen Bevölkerung einzuschüchtern und zu beängstigen. Dies habe die Antragsgegnerin in ihrer Verfügung rechtmäßig zugrundegelegt. Es werde in Anknüpfung an die Herrenrassen-Ideologie des nationalsozialistischen Gedankengutes insinuiert, dass die deutsche Bevölkerung in der Knechtschaft der im Bundesgebiet ansässigen Ausländer leben müsse. Damit werde eindeutig zum Hass gegen die von den Antragstellern als „Fremde” bezeichneten Bevölkerungsteile und zur Änderung des aus ihrer Sicht so bestehenden Zustandes der Knechtung der deutschen Bevölkerung „als Herren im eigenen Land” aufgerufen. Die Verbreitung dieses Mottos sei auch geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören. Denn sie ziele darauf ab, bestimmte Bevölkerungsgruppen auszugrenzen und gegen diese Bevölkerungsgruppen zu hetzen.
Der Senat halte es auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht für ausreichend, auf der Grundlage des Beschlusses des Verwaltungsgerichts den dort im Tenor vorgenommenen vorläufigen Regelungen durch Auflagen eine weitere des Inhalts beizufügen, dass bei der Durchführung der Veranstaltung untersagt werde, das Motto durch Wort, Schrift oder in irgendeiner anderen Weise öffentlich zu verbreiten. Es bestünden deutliche Anhaltspunkte dafür, dass Inhalt und Ablauf der gesamten Versammlung durch ähnlich volksverhetzende Themen und Parolen geprägt würden, denen durch eine Auflage oben genannten Inhalts nicht angemessen begegnet werden könne. Dies folge auch aus der Stellungnahme der Antragsteller zum Zulassungsantrag der Antragsgegnerin. Aus dem sich hieraus ergebenden strikten Beharren auf dem strafrechtlich relevanten Motto der Versammlung ergebe sich, dass die Veranstalter nicht bereit seien, von strafbaren Inhalten, die die Versammlung insbesondere durch das Versammlungsmotto prägten, abzurücken.
2. In ihren Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG rügen die Antragsteller die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 und 8 Abs. 1 GG und wenden sich gegen die Interpretation des Veranstaltungsmottos als Volksverhetzung. Zur Begründung wiederholen sie im Wesentlichen ihren Vortrag im Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof. Dass sich das Veranstaltungsmotto nicht auf einen Ist-Zustand beziehe, sondern mit ihm einer möglichen künftigen Entwicklung entgegengewirkt werden solle, ergebe sich im Übrigen auch aus dem Aufruf zur Demonstration, der dem Verwaltungsgerichtshof in Kopie vorgelegen habe. Schließlich sei nicht nachvollziehbar, wie der Verwaltungsgerichtshof zu der Ansicht komme, die vom Verwaltungsgericht verhängten und von den Antragstellern nicht angefochtenen Auflagen seien nicht ausreichend, um die öffentliche Ordnung zu gewährleisten.
Entscheidungsgründe
II.
Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat im Wesentlichen Erfolg.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile dringend geboten ist. Bei – wie hier – offenem Ausgang eines noch möglichen Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 ≪161≫; 88, 185 ≪186≫; 91, 252 ≪257 f.≫; stRspr).
2. Vorliegend führt die Abwägung zu einem Überwiegen derjenigen Gründe, die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechen, mit der die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs begrenzt wieder hergestellt wird.
a) Bliebe die sofortige Vollziehbarkeit des Versammlungsverbots bestehen, hätte eine Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg, wären die Antragsteller um die Möglichkeit gebracht worden, von den ihnen zustehenden Grundrechten der Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit in der gewünschten Weise Gebrauch zu machen. Könnte die Versammlung wie geplant stattfinden, erwiese sich eine Verfassungsbeschwerde später aber als unbegründet, so wäre die Versammlung durchgeführt worden, obwohl mit ihr nach der Einschätzung der Versammlungsbehörde erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung verbunden wären.
b) Im Zuge der anzustellenden Abwägung der Folgen einer möglichen Entscheidung ist es in Verfahren der vorliegenden Art für das Bundesverfassungsgericht regelmäßig ausgeschlossen, in eine eigenständige Ermittlung und Würdigung des dem Eilrechtsschutzbegehren zu Grunde liegenden Sachverhalts einzutreten. Dies gilt insbesondere dann, wenn es – wie auch im vorliegenden Verfahren – bereits aus Zeitgründen ausscheidet, behördliche und fachgerichtliche Akten heranzuziehen sowie Stellungnahmen sämtlicher Beteiligter einzuholen und diese auszuwerten. In Fällen dieser Art hat das Bundesverfassungsgericht seiner Abwägung in aller Regel die Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen in den angegriffenen Entscheidungen zu Grunde zu legen (vgl. hierzu etwa BVerfGE 34, 211 ≪216≫; 36, 37 ≪40≫). Angesichts der Zeitgebundenheit der meisten Versammlungen muss Grundrechtsschutz aber auch im Eilverfahren gewährt werden. Das Gericht kann sich daher nicht allein auf die angegriffene Entscheidung stützen, wenn offensichtlich ist, dass zu Grunde gelegte Tatsachenfeststellungen fehlsam sind oder die angestellte Tatsachenwürdigung unter Berücksichtigung des Schutzgehalts der betroffenen Grundrechtsnorm nicht tragfähig ist. Einstweiliger Rechtsschutz ist insbesondere zu gewähren, wenn die Gefahrenprognose auf Umstände gestützt wird, deren Berücksichtigung dem Schutzgehalt des Art. 8 GG offensichtlich widerspricht oder wenn das für eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit herangezogene Schutzgut und die angewandten Normen in rechtlicher Hinsicht die Einschränkung offensichtlich nicht tragen (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschlüsse vom 24. März 2001 – 1 BvQ 13/01 – und 26. März 2001 – 1 BvQ 15/01 –).
3. Die Argumentation der Antragsgegnerin und des Verwaltungsgerichtshofs ist anhand der Maßstäbe zur Überprüfung im Rahmen des Eilrechtsschutzverfahrens weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht tragfähig.
a) Das Totalverbot der Versammlung lässt sich zunächst nicht auf eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG stützen. Dieser Begriff umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Dabei wird in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (vgl. BVerfGE 69, 315 ≪352≫). Dass aus der Veranstaltung heraus die Verübung von Straftaten zu befürchten ist, haben jedoch weder die Antragsgegnerin noch der Verwaltungsgerichtshof nachvollziehbar darzulegen vermocht.
aa) Die Antragsgegnerin prognostiziert Verstöße gegen einschlägige Strafbestimmungen unter Hinweis auf den zu erwartenden Teilnehmerkreis aus rechtsextremistischen Organisationen und sie verweist auf Vorfälle bei früheren unter der Verantwortung der Antragsteller durchgeführten Veranstaltungen. Hierauf lässt sich das Versammlungsverbot jedoch – wie das Verwaltungsgericht dargelegt hat – nicht stützen, weil sich der Verbotsverfügung nicht hinreichend entnehmen lässt, inwieweit die Antragsteller für diese Vorkommnisse bei vorangegangenen Veranstaltungen verantwortlich waren. Dem hat der Verwaltungsgerichtshof nichts entgegengesetzt. Ebenso wenig kann die Prognose der Begehung von Straftaten auf die mangelnde Kooperation der Antragsteller gestützt werden. Insbesondere kann es entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin dem Antragsteller zu 1) nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er die Rechtmäßigkeit von versammlungsrechtlichen Auflagen im Hinblick auf Fahnen und Trommeln abweichend von der Ansicht der Antragsgegnerin beurteilt und sich die Möglichkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage gegen frühere gerichtliche Entscheidungen offen hält. Diese Haltung schließt nämlich nicht aus, dass er sich gleichwohl – unter Aufrechterhaltung seines Rechtsstandpunktes – an derartige Auflagen hält, zumal er sie im vorliegenden Fall nicht gerichtlich angegriffen hat.
bb) Auch aus dem Motto der Kundgebung „Herren im eigenen Land statt Knechte der Fremden” lässt sich ein Verstoß gegen Strafbestimmungen und damit gegen die öffentliche Sicherheit nicht begründen. Dieses Motto hat allerdings ebenso wie die in dem Flugblatt enthaltene Ankündigung als „Demonstration gegen Überfremdung” eine ausländerfeindliche Grundrichtung und widerspricht damit der für die freiheitliche demokratische Ordnung grundlegenden Erwartung der Toleranz der deutschen Bevölkerung gegenüber Ausländern. Im Strafgesetzbuch sind ausländerfeindliche Äußerungen aber nicht schon als solche unter Strafe gestellt. Soweit der Verwaltungsgerichtshof in der Beschwerdeentscheidung – dort allerdings unter dem systematisch nicht einschlägigen Gesichtspunkt der Gefährdung der öffentlichen Ordnung – davon ausgeht, das Motto der Veranstaltung verstoße gegen den Straftatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB, wird die Ausstrahlungswirkung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG bei der Deutung von Äußerungen verkannt.
(1) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Äußerungen, dass ihr Sinn zutreffend erfasst worden ist. Urteile, die den Sinn einer umstrittenen Äußerung erkennbar verfehlen und darauf ihre rechtliche Würdigung stützen, verstoßen gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit. Dasselbe gilt, wenn ein Gericht bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung führende Bedeutung zu Grunde legt, ohne vorher die anderen möglichen Deutungen mit nachvollziehbaren Gründen ausgeschlossen zu haben. Dabei müssen ausgehend vom Wortlaut auch der Kontext und die sonstigen Begleitumstände einer Äußerung beachtet werden (vgl. BVerfGE 43, 130 ≪136≫; 82, 43 ≪52 f.≫; 93, 266 ≪295 f.≫; stRspr). Diese insbesondere für die Anwendung der §§ 185 ff. StGB entwickelten Grundsätze gelten entsprechend, wenn es um die Subsumtion einer Äußerung oder eines Verhaltens unter die Tatbestandsmerkmale des § 130 StGB geht (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, AfP 2000, S. 563 ff.).
(2) Diese verfassungsrechtlichen Anforderungen hat der Verwaltungsgerichtshof bei der Deutung des Veranstaltungsmottos offensichtlich verkannt, so dass die auf diese Deutung gestützte Gefahrenprognose auch im Rahmen der Folgenbeurteilung im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG außer Betracht bleiben muss.
Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs werde durch das Motto in Anknüpfung an die Herrenrassen-Ideologie des nationalsozialistischen Gedankenguts insinuiert, „dass die deutsche Bevölkerung in der Knechtschaft der im Bundesgebiet ansässigen Ausländer” leben müsse. Damit werde eindeutig zum Hass gegen die von den Antragstellern als „Fremde” bezeichneten Bevölkerungsteile und zur Änderung des aus ihrer Sicht so bestehenden Zustandes der Knechtung der deutschen Bevölkerung „als Herren im eigenen Land” aufgerufen. Es bedarf im vorliegenden Zusammenhang keiner Entscheidung, ob unter Zugrundelegung dieser Deutung die Tatbestandsvoraussetzungen des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB sämtlich vorliegen würden. Offen bleiben kann auch, ob die hier in Rede stehende Äußerung vergleichbar ist mit der Schmähung von Asylbewerbern, über die das Oberlandesgericht Frankfurt (NJW 1995, S. 143) in der zu § 130 StGB a.F. ergangenen Entscheidung zu befinden hatte, auf die sich der Verwaltungsgerichtshof bezieht. Angesichts der Mehrdeutigkeit des Mottos hätte der Verwaltungsgerichtshof sich jedenfalls mit der von den Antragstellern geltend gemachten Deutungsalternative auseinander setzen müssen. Nach der Deutung der Antragsteller soll sich insbesondere der zweite Teil des Mottos, dass man nicht Knecht der Fremden sein möchte, auf eine nach Meinung der Antragsteller in der Zukunft mögliche, von ihnen abgelehnte Entwicklung beziehen. Warum mit dem Motto gleichwohl notwendig eine Beschreibung des derzeitigen Zustandes in der Bundesrepublik Deutschland mit einer einhergehenden Verunglimpfung der derzeit im Bundesgebiet lebenden Ausländer verbunden sein soll, hat der Verwaltungsgerichtshof nicht begründet.
Derartige Verunglimpfungen ergeben sich auch nicht aus der Stellungnahme der Antragsteller in dem Beschwerdeverfahren. Der Verwaltungsgerichtshof hat deren Ausführungen als Bestätigung für seine Deutungsalternative angesehen, weil die Antragsteller auf dem „strafrechtlich relevanten” Motto der Versammlung strikt beharren würden und nicht bereit seien, von strafbaren Inhalten abzurücken. Die Antragsteller bestritten die Strafbarkeit unter Hinweis auf eine andere Deutung. Ihre Äußerungen hätten dem Verwaltungsgerichtshof Veranlassung geben müssen, sich mit abweichenden Deutungen, die nicht den Straftatbestand des § 130 StGB erfüllen, auseinander zu setzen. Statt alternative Deutungen zu prüfen und gegebenenfalls mit nachvollziehbaren Gründen auszuschließen, beschränkt der Verwaltungsgerichtshof seine Darlegungen auf eine Deutungsalternative, die am ehesten eine Strafbarkeit der Äußerung begründen könnte.
b) Auch der Rückgriff auf die Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG scheidet als Rechtsgrundlage der Verbotsverfügung und ihrer sofortigen Vollziehung aus. Unter der öffentlichen Ordnung ist die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln zu verstehen, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebietes angesehen wird (vgl. BVerfGE 69, 315 ≪352≫). Vorliegend kann die Folgenbeurteilung im Rahmen des § 32 Abs. 1 BVerfGG nicht auf eine drohende, nur durch die Vollziehung eines Verbots abzuwehrende Gefährdung der öffentlichen Ordnung gestützt werden.
aa) Die Antragsgegnerin geht offenbar davon aus, dass auf der Versammlung auch jenseits eines als strafrechtlich relevant bewerteten Bereichs die Verbreitung nationalsozialistischen oder jedenfalls rechtsextremen Gedankenguts zu befürchten ist. Dies allein kann jedoch ein Versammlungsverbot nicht rechtfertigen. Der Maßstab zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Maßnahmen, die darauf zielen, den Inhalt von Meinungsäußerungen zu beschränken, ergibt sich aus dem Grundrecht der Meinungsfreiheit, nicht aus dem der Versammlungsfreiheit (vgl. BVerfGE 90, 241 ≪246≫). § 15 VersG ist hinsichtlich des Schutzes der öffentlichen Ordnung gegenüber kommunikativen Äußerungen insoweit einengend auszulegen, als zur Abwehr entsprechender Rechtsgüterverletzungen besondere Strafrechtsnormen geschaffen worden sind. Die darin vorgesehenen Beschränkungen des Inhalts von Meinungsäußerungen sind jedenfalls im Hinblick auf seit langem bekannte Gefahrensituationen abschließend und verwehren deshalb einen Rückgriff auf die in § 15 Abs. 1 VersG enthaltene Ermächtigung zum Schutz der öffentlichen Ordnung, soweit kein Straftatbestand erfüllt ist. Der Gesetzgeber hat durch die enge Fassung der Straftatbestände zum Ausdruck gebracht, im Übrigen keinen Vorrang des Rechtsgüterschutzes gegenüber Meinungsäußerungen anzuerkennen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2001 – 1 BvQ 13/01 –).
bb) Demgegenüber erfolgt die Beurteilung rechtlicher Grenzen im Hinblick auf die Art der Kundgabe und Erörterung in Form einer Versammlung nicht am Maßstab der Meinungsfreiheit, sondern am Maßstab der Versammlungsfreiheit des Art. 8 GG. Bei der Anwendung des Begriffs der öffentlichen Ordnung im Bereich von Versammlungen ist zu berücksichtigen, dass Art. 8 GG auch ein Minderheitenschutzrecht enthält, so dass es besonders problematisch ist, die Versammlung und das Verhalten der Versammlungsteilnehmer vorrangig an den sozialen Anschauungen der Mehrheit zu messen. Darüber hinaus ist im Rahmen verfassungskonformer Gesetzesanwendung sicherzustellen, dass Verbote von Versammlungen im Wesentlichen nur zur Abwehr von Gefahren für elementare Rechtsgüter in Betracht kommen. Dieser Schutz wird regelmäßig in der positiven Rechtsordnung und damit im Rahmen des Schutzes der öffentlichen Sicherheit verwirklicht. Eine bloße Gefährdung der öffentlichen Ordnung rechtfertigt im Allgemeinen ein Versammlungsverbot nicht (vgl. BVerfGE 69, 315 ≪352 f.≫).
Sonstige Beschränkungen der Versammlungsfreiheit kommen jedoch in Betracht, wenn von der Art des gemeinschaftlichen Zusammenwirkens der Versammlungsteilnehmer eine Gefahr für die öffentliche Ordnung ausgeht, etwa wenn auf Grund provokativer oder sonst wie aggressiver Vorgehensweisen ein Einschüchterungseffekt sowie ein Klima der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft erzeugt wird (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2001 – 1 BvQ 13/01 –). In solchen Fällen liegt die Gefahr für die öffentliche Ordnung an der Grenzlinie zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit.
Hier bedarf keiner Entscheidung, ob die Begleitumstände der geplanten Versammlung, wie das geplante Mitführen von Trommeln und Fahnen und gegebenenfalls das Marschieren im Gleichschritt des Trommelschlages, eine Gefahr für die öffentliche Ordnung bewirken, weil sie das Zusammenleben zwischen der deutschen Bevölkerung und den in Deutschland lebenden Ausländern konkret beeinträchtigen. Solche Begleitumstände können jedenfalls ein Versammlungsverbot nicht rechtfertigen, wenn den Gefährdungen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit mit der Verhängung entsprechender Auflagen begegnet werden kann. Dies aber hat das Verwaltungsgericht angenommen, ohne dass der Verwaltungsgerichtshof diese Annahme in irgend einer Hinsicht erschüttert hat.
4. Die Bestimmung von Auflagen nach § 15 VersG ist grundsätzlich Aufgabe der Versammlungsbehörde, die auf Grund ihrer Sach- und Ortsnähe am besten beurteilen kann, welche Auflagen geeignet, erforderlich und angemessen sind. Sind solche Auflagen nicht erlassen worden und kann ihr Erlass wegen der Eilbedürftigkeit nicht abgewartet werden, ist es Aufgabe der Fachgerichte nach § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO und hilfsweise des Bundesverfassungsgerichts nach § 32 BVerfGG, die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs mit Auflagen zu verbinden. Diese Auflagen müssen regelmäßig ohne eigenständige Sachverhaltsermittlungen festgelegt werden und dienen ausschließlich dem Ziel, die mit der Eilentscheidung möglicherweise verbundenen Gefahren, die aber im Interesse des effektiven Rechtsschutzes in Kauf zu nehmen sind, gering zu halten.
In vorliegenden Fall bezieht das Bundesverfassungsgericht in die Entscheidung zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs die Auflagen ein, die das Verwaltungsgericht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO vorgesehen hat und die von den Antragstellern nicht angefochten worden sind. Die vom ortsnahen Fachgericht insoweit getroffene Einschätzung der Tauglichkeit zur Gefahrenminderung kann auch für die Folgenabwägung im Verfahren gemäß § 32 BVerfGG zu Grunde gelegt werden.
5. Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen beruht auf § 34 a Abs. 3 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hoffmann-Riem
Fundstellen