Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Beschluss vom 23.07.2009; Aktenzeichen 13 LA 150/08) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
A.
Die Beschwerdeführerin, ein Unternehmen der fleischverarbeitenden Industrie, rügt unter Berufung auf ihr Grundrecht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, dass das im Ausgangsverfahren befasste Oberverwaltungsgericht kein Vorabentscheidungsverfahren zur Auslegung des Begriffs des „Separatorenfleischs” in der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 eingeleitet hat.
I.
Die Beschwerdeführerin stellt sogenanntes 3-mm-Fleisch von Schweinen her, das sie unter dieser Bezeichnung an andere Betriebe zur Weiterverarbeitung zu Fleischerzeugnissen liefert. Das 3-mm-Fleisch wird von fleischtragenden Knochen nach dem Entbeinen gewonnen. Die Ausgangserzeugnisse werden zunächst maschinell einem Druck von 40 bis 60 Bar ausgesetzt, um das an den Knochen haftende Fleisch zu lösen. Dabei werden ganze Muskelstücke von den Knochen abgepresst. Anschließend werden die Muskelstücke mittels einer sogenannten Baadermaschine von noch vorhandenen Sehnen, Knorpeln und gegebenenfalls Knochenpartikeln befreit. Beim Baadern werden die Muskelstücke weiter zerkleinert und durch eine 3-mm-Scheibe geführt, wodurch das Fleisch seine endgültige Form und Beschaffenheit erhält.
Mit Bescheid von März 2007 forderte der Landkreis O. die Beschwerdeführerin auf, sämtliches in ihrem Unternehmen gewerblich gehandeltes Fleisch, das durch Ablösen vom fleischtragenden Knochen nach dem Entbeinen auf maschinelle Weise so gewonnen wird, dass die Struktur der Muskelfasern sich auflöst oder verändert wird, unverzüglich als „Separatorenfleisch” mit Angabe der Tierart, von der es stammt, zu kennzeichnen und unter dieser Bezeichnung in den Verkehr zu bringen. Soweit Separatorenfleisch in den nicht-deutschsprachigen Raum verbracht werde, könne ergänzend oder alternativ die Bezeichnung „mechanically separated meat” beziehungsweise „MSM” verwendet werden. Zur Begründung verwies der Landkreis auf die Definition von Separatorenfleisch in Anhang I Nr. 1.14 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 mit spezifischen Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs (ABl EU Nr. L 139 S. 55) und die sich aus der Richtlinie 2001/101/EG der Kommission vom 26. November 2001 zur Änderung der Richtlinie 2000/13/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie Werbung hierfür (ABl EG Nr. L 310 S. 19) ergebende Kennzeichnungspflicht.
II.
Gemäß Anhang I Nr. 1.14 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 wird Separatorenfleisch definiert als:
„ein Erzeugnis, das durch Ablösung des an fleischtragenden Knochen nach dem Entbeinen bzw. an den Geflügelschlachtkörpern haftenden Fleisches auf maschinelle Weise so gewonnen wird, dass die Struktur der Muskelfasern sich auflöst oder verändert wird”.
Erwägungsgrund 20 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 führt hinsichtlich der Definition von Separatorenfleisch aus:
„Die Definition von Separatorenfleisch sollte so allgemein gefasst sein, dass sie alle Verfahren des mechanischen Ablösens abdeckt. Die rasche technologische Entwicklung in diesem Bereich lässt eine flexible Definition angebracht erscheinen. Ausgehend von einer Risikobewertung für die aus den unterschiedlichen Verfahren resultierenden Erzeugnisse sollten sich jedoch die technischen Anforderungen für Separatorenfleisch voneinander unterscheiden”.
Anhang III Abschnitt V Kapitel III Nr. 3 und 4 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 sehen unterschiedliche Anforderungen für die Herstellung und Verwendung von Separatorenfleisch vor, je nachdem ob es nach Verfahren hergestellt wird, welche die Struktur der bei der Herstellung verwendeten Knochen nicht ändern und bei denen sein Kalziumgehalt den von Hackfleisch/Faschiertem nicht signifikant übersteigt, oder ob es mit anderen Techniken hergestellt wird.
III.
Gegen den Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Klage zum Verwaltungsgericht, wobei sie auch ein Vorabentscheidungsersuchen zum Europäischen Gerichtshof bezüglich der Auslegung des Begriffs des Separatorenfleischs anregte. Sie machte geltend, dass es sich bei dem von ihr produzierten 3-mm-Fleisch nicht um Separatorenfleisch im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 handle. Das Verwaltungsgericht Osnabrück wies die Klage mit Urteil vom 25. Juli 2008 (Az.: 6 A 53/07 –, veröffentlicht bei juris) ab.
Den Antrag der Beschwerdeführerin auf Zulassung der Berufung gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil lehnte das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht mit angegriffenem Beschluss vom 23. Juli 2009 (Az.: 13 LA 150/08 –, juris) ab.
Zur Begründung führte das Oberverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, auch das vergleichsweise schonend gewonnene 3-mm-Restfleisch müsse ungeachtet seiner Qualität unter der Bezeichnung Separatorenfleisch in den Verkehr gebracht werden. Aus dem Wortlaut der Definition in Anhang I Nr. 1.14 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 und ihrem Erwägungsgrund 20 Satz 1 ergebe sich, dass ein maschinelles Abtrennen des Restfleischs vom Knochen nur dann nicht erfasst werden solle, wenn die Struktur der Muskelfasern – und nicht etwa die Zellstrukturen der Muskeln – bezogen auf das gesamte Fleischstück nur punktuell verändert werde, also derart große und zusammenhängende Fleischstücke gewonnen würden, dass diese für sich genommen verkehrsfähig seien. Davon könne bei dem von der Beschwerdeführerin gewonnenen 3-mm-Fleisch aber nicht die Rede sein. Ohne Bedeutung sei in diesem Zusammenhang, ob Separatorenfleisch „einstufig” oder „zweistufig” erzeugt werde, wenn und soweit die einzelnen Stufen der Erzeugung in einem inneren Zusammenhang stünden; was bei der Produktion der Beschwerdeführerin der Fall sei. Im Übrigen werde die Struktur der Muskelfasern bereits durch das maschinelle Abtrennen vom Knochen verändert. Denn das Zusammenpressen von Knochen, das dazu führe, dass sich infolge der Reibung der Knochen untereinander vorhandene Fleischreste lösen, die dann über Siebeinsätze beziehungsweise Lochscheiben der Maschine entwichen, verändere zwangsläufig die vorherige Struktur der Muskelfasern des Fleischs. Große und zusammenhängende Fleischstücke würden bei diesem Verfahren nicht gewonnen.
Die Auffassung des Senats werde bestätigt durch die Stellungnahmen der Europäischen Kommission in ihren Schreiben vom 20. Oktober 2006 – SAN-CO/E2/ RG/ca D(2006) S 21067 – und vom 23. März 2009 – SAN-CO/E3/BJ/ TC/ TEG//rzD (2009) 520123 –, die die Voraussetzungen der in Frage stehenden Verordnung in einem solchen Fall auch als gegeben ansehe. Der Beschwerdeführerin sei darin zuzustimmen, dass es wegen des hohen Diskriminierungspotentials und der Qualität des auf schonende Weise gewonnenen Restfleischs Gründe geben möge, das sogenannte 3-mm-Fleisch zukünftig nicht mehr als Separatorenfleisch zu bezeichnen. Die derzeitige Rechtslage biete dazu aber keinen Raum. Unbeachtlich sei im Ergebnis auch, dass sich Lebensmittelbehörden anderer europäischer Mitgliedstaaten über die infrage stehende Verordnung bereits derzeit hinwegsetzten. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin begründe eine derartige Verwaltungspraxis in einzelnen Mitgliedstaaten keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht.
Das Oberverwaltungsgericht verneint schließlich eine Verpflichtung zur Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens zum Europäischen Gerichtshof, weil die richtige Anwendung der in Frage stehenden EG-Vorschrift offensichtlich sei. Dies ergebe sich aus den Entscheidungsgründen und der einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung sowie der nachhaltigen und eindeutigen Auffassung der Europäischen Kommission.
IV.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Anspruchs auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, weil das Oberverwaltungsgericht seiner Vorlagepflicht zum Europäischen Gerichtshof nicht nachgekommen sei.
Die Ansicht des Oberverwaltungsgerichts, die richtige Auslegung des Begriffes „Separatorenfleisch” in Anhang I Nr. 1.14 der Verordnung (EG) 853/2004 sei offensichtlich, gehe fehl. Ihr stehe schon die Tatsache entgegen, dass die Definition von mehreren Mitgliedstaaten mehrheitlich anders angewandt werde als in dem angegriffenen Beschluss. Auch in der Literatur gebe es Stimmen, die 3-mm-Fleisch, wie es von der Beschwerdeführerin hergestellt werde (vgl. Hildebrandt/Köpernik, Fleischwirtschaft 6/2007, S. 21 ff. = ZLR 2007, S. 520 ff.), beziehungsweise bei der vergleichbaren Verarbeitung von Hähnchen gewonnenes sogenanntes „Furcula-Fleisch” (vgl. Branscheid/Judas/Wagner/Troeger, Fleischwirtschaft 11/2008, S. 106 ff.) nicht als Separatorenfleisch einordneten. Der im Ausgangsverfahren tätige Sachverständige für Lebensmittelhygiene sei ebenfalls der Ansicht gewesen, dass es sich bei dem im Betrieb der Beschwerdeführerin produzierten 3-mm-Fleisch wegen des Fehlens von maßgeblichen Veränderungen der Muskelfaserstruktur nicht um Separatorenfleisch handle. Demnach sei die Auslegung des unionsrechtlichen Begriffs „Separatorenfleisch” nicht unumstritten. Die Offensichtlichkeit der richtigen Anwendung der Definition lasse sich entgegen den Ausführungen im angegriffenen Beschluss zudem nicht aus einer entsprechenden Auffassung der Europäischen Kommission ableiten, weil dies in Anbetracht der Zuständigkeiten des Europäischen Gerichtshofs eine Verletzung des Gewaltenteilungsprinzips bedeuten würde.
Entscheidungsgründe
B.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, da sie jedenfalls unbegründet ist. Eine Verletzung der Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist nicht gegeben.
1. Der Europäische Gerichtshof ist gesetzlicher Richter im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Das nationale Gericht ist unter den Voraussetzungen des Art. 267 Abs. 3 AEUV von Amts wegen gehalten, den Gerichtshof anzurufen (vgl. BVerfGE 82, 159 ≪192 f.≫).
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs muss ein nationales letztinstanzliches Gericht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV seiner Vorlagepflicht nachkommen, wenn sich in einem bei ihm schwebenden Verfahren eine Frage des Unionsrechts stellt, es sei denn, das Gericht hat festgestellt, „dass die gestellte Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die betreffende gemeinschaftsrechtliche Frage bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder dass die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt”. Ein nationales Gericht darf einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage nur verneinen, wenn es überzeugt ist, dass auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den Gerichtshof die gleiche Gewissheit bestünde (vgl. Urteil vom 6. Oktober 1982 – Rs 283/81 C.I.L.F.I.T. –, amtl. Slg. 1982, S. 3415 ≪3430 f.≫, NJW 1983, S. 1257).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt allerdings nicht jede Verletzung der unionsrechtlichen Vorlagepflicht zugleich einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Das Bundesverfassungsgericht überprüft nur, ob die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 AEUV bei verständiger Würdigung nicht mehr verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbar sind (vgl. BVerfGE 82, 159 ≪194≫; BVerfGK 8, 401 ≪404≫; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 6. Juli 2010 – 2 BvR 2661/06 –, NJW 2010, S. 3422 ≪3427≫).
Die Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV wird insbesondere in den Fällen offensichtlich unhaltbar gehandhabt, in denen ein letztinstanzliches Hauptsachegericht eine Vorlage trotz der – seiner Auffassung nach bestehenden – Entscheidungserheblichkeit der unionsrechtlichen Frage überhaupt nicht in Erwägung zieht, obwohl es selbst Zweifel hinsichtlich der richtigen Beantwortung der Frage hegt (grundsätzliche Verkennung der Vorlagepflicht). Gleiches gilt in den Fällen, in denen das letztinstanzliche Hauptsachegericht in seiner Entscheidung bewusst von der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht und gleichwohl nicht oder nicht neuerlich vorlegt (bewusstes Abweichen ohne Vorlagebereitschaft). Liegt zu einer entscheidungserheblichen Frage des Unionsrechts einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs noch nicht vor oder hat eine vorliegende Rechtsprechung die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet oder erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nur als entfernte Möglichkeit, wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nur verletzt, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat (Unvollständigkeit der Rechtsprechung vgl. zum Ganzen BVerfGE 82, 159 ≪195 f.≫; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 6. Juli 2010 – 2 BvR 2661/06 –, NJW 2010, S. 3422 ≪3427≫; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 25. Februar 2010 – 1 BvR 230/09 –, NJW 2010, S. 1268 ≪1269≫).
Dabei kommt es für die Frage nach einer Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch Nichtvorlage an den Europäischen Gerichtshof im Ausgangspunkt nicht in erster Linie auf die Vertretbarkeit der fachgerichtlichen Auslegung des für den Streitfall maßgeblichen materiellen Unionsrechts an, sondern auf die Beachtung oder Verkennung der Voraussetzungen der Vorlagepflicht nach der Vorschrift des Art. 267 Abs. 3 AEUV, die den gesetzlichen Richter im Streitfall bestimmt (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 25. Januar 2011 – 1 BvR 1741/09 –, NJW 2011, S. 1427 ≪1431≫, Rn. 104).
Bezogen auf diese für die Anwendung des Art. 267 Abs. 3 AEUV maßgeblichen Grundsätze wird ein letztinstanzliches nationales Gericht, das von einem Vorabentscheidungsersuchen absieht, dem Recht der Prozessparteien auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG in der Regel nur dann gerecht, wenn es nach Auswertung der entscheidungserheblichen Bestimmungen des Unionsrechts eine vertretbare Begründung dafür gibt, dass die maßgebliche Rechtsfrage durch den Europäischen Gerichtshof bereits entschieden ist oder dass die richtige Antwort auf diese Rechtsfrage offenkundig ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 25. Februar 2010 – 1 BvR 230/09 –, NJW 2010, S. 1268 ≪1269≫).
2. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die angegriffene Entscheidung, von einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof abzusehen, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Das Oberverwaltungsgericht hat seine Vorlagepflicht weder grundsätzlich verkannt, noch ist es bewusst von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs abgewichen. Der Europäische Gerichtshof hat noch nicht entschieden, ob sogenanntes 3-mm-Fleisch, wie es von der Beschwerdeführerin hergestellt wird, der Definition des Separatorenfleischs gemäß Anhang I Nr. 1.14 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 unterfällt oder nicht. Das Gericht hat auch seinen Beurteilungsrahmen nicht unvertretbar überschritten, indem es von einer eindeutigen Rechtslage ausgegangen ist und deshalb von einer Vorlage abgesehen hat.
Das Oberverwaltungsgericht hat sich mit den für die Definition des Separatorenfleischs relevanten Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 auseinandergesetzt und die hierzu veröffentlichte Rechtsauffassung der Europäischen Kommission berücksichtigt. Es ist nicht offensichtlich unhaltbar, dass das Gericht auf dieser Grundlage die Rechtslage hinsichtlich der Einordnung von 3-mm-Fleisch als Separatorenfleisch für eindeutig erachtet hat.
Zwar mag die Definition in Anhang I Nr. 1.14 der Verordnung (EG) 853/2004, die neben dem maschinellen Ablösen vom Knochen voraussetzt, dass die Struktur der Muskelfasern „sich auflöst oder verändert” wird, für sich betrachtet auch die Schlussfolgerung erlauben, die Veränderung müsse qualitativ einer Auflösung der Faserstruktur gleichkommen (in diesem Sinne Hildebrandt/Köpernik, ZLR 2007, S. 520 ≪523≫ = Fleischwirtschaft 6/2007, S. 21 ≪23≫), was bei dem 3-mm-Fleisch der Beschwerdeführerin nicht der Fall wäre. Dem Oberverwaltungsgericht ist jedoch darin zuzustimmen, dass insbesondere Erwägungsgrund 20 der Verordnung, wonach ausdrücklich alle Verfahren des mechanischen Ablösens von Restfleisch abgedeckt werden sollten, in sehr gewichtiger Weise für eine möglichst weite Auslegung des Separatorenfleischbegriffs streitet. Argumente, die diese Sichtweise entkräften würden, drängen sich zumindest nicht auf. So sehen auch die vorzitierten Autoren Hildebrandt/Köpernik, die eine einschränkende Anwendung der unionsrechtlichen Definition befürworten, im Erwägungsgrund 20 zumindest ein „wesentliche(s) Hindernis für eine differenzierte Auslegung des Begriffs Separatorenfleisch” (Hildebrandt/Köpernik, ZLR 2007, S. 520 ≪521 f.≫ = Fleischwirtschaft 6/2007, S. 21 ≪22≫). Für eine weite Deutung der Definition spricht zudem der Umstand, dass die Verordnung (EG) Nr. 853/2004 in Anhang III Abschnitt V Kapitel III Nr. 3 und 4 zwischen zwei Qualitätskategorien von Separatorenfleisch unterscheidet: solchem, das nach Verfahren hergestellt wurde, die die Struktur der Knochen nicht ändern und bei dem der Kalziumgehalt dem von Hackfleisch ähnelt und solchem, bei dem diese Voraussetzungen nicht vorliegen. Hieraus lässt sich jedenfalls schlussfolgern, dass der Begriff des Separatorenfleischs auch in schonenderen Verfahren maschinell aus Restfleisch gewonnene Erzeugnisse erfassen kann.
Die Annahme einer eindeutigen Rechtslage wäre allerdings ausgeschlossen, wenn es eine divergierende Rechtsprechung in anderen Mitgliedstaaten gäbe. Dies ist jedoch nicht ersichtlich und wird auch von der Beschwerdeführerin nicht behauptet. Demgegenüber lässt die von der Beschwerdeführerin angeführte abweichende Verwaltungspraxis in anderen Mitgliedstaaten (vgl. die Guidance Notes der britischen Food Standards Agency von September 2003, abrufbar unter: www.food.gov.uk/multimedia/pdfs/meatguidance.pdf), wonach eine Kennzeichnung des 3-mm-Fleisches als Separatorenfleisch nicht verlangt oder durchgesetzt wird, die Annahme einer eindeutigen Rechtslage durch das Oberverwaltungsgericht nicht als unhaltbar erscheinen. Denn diese Verwaltungspraxis ist – soweit ersichtlich – bislang nicht gerichtlich überprüft und gebilligt worden, weshalb auch offen bleibt, inwieweit ihr eine rechtliche Bewertung oder aber etwa nur wirtschaftliche Erwägungen zugrunde liegen.
Das Oberverwaltungsgericht konnte sich zur Begründung seiner Sichtweise, die Rechtslage sei eindeutig, zulässigerweise darauf berufen, dass die von ihm vorgenommene Auslegung auch der Rechtsauffassung der Europäischen Kommission entspricht (vgl. hierzu auch die zeitlich nach dem angegriffenen Beschluss ergangene Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die künftige Notwendigkeit und die Verwendung von Separatorenfleisch in der Europäischen Union vom 2. Dezember 2010, KOM(2010) 704 endg.). Darin lag kein Zusprechen einer allgemeinverbindlichen Auslegungskompetenz in Konkurrenz zum Europäischen Gerichtshof, wie die Beschwerdeführerin annimmt, sondern nur der Hinweis darauf, dass die Rechtsauffassung des Gerichts auch von der Europäischen Kommission als europäischer, an der Rechtsetzung beteiligter Institution vertreten wird. Des Weiteren konnte sich das Oberverwaltungsgericht auf eine insoweit einheitliche obergerichtliche Rechtsprechung berufen, als auch das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen geurteilt hat, dass sogenanntes „Baaderfleisch” beziehungsweise „3-mm-Fleisch” als Separatorenfleisch im Sinne der unionsrechtlichen Definition anzusehen ist (vgl. Beschluss vom 28. März 2007 – 13 B 2254/06 –, ZLR 2007, S. 513 sowie zeitlich nach der angegriffenen Entscheidung: Beschluss vom 2. Juni 2010 – 13 A 2441/07 –, juris, DVBl 2010, S. 1392 [Leitsatz]); Entscheidungen anderer Obergerichte hierzu sind nicht veröffentlicht.
Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, die Rechtslage sei insoweit eindeutig, ist auch nicht deshalb willkürlich, weil der im Ausgangsverfahren angehörte Sachverständige den Begriff des Separatorenfleischs anders verstanden hat als das Gericht. Denn bei der Auslegung der Definition in Anhang I Nr. 1.14 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 handelt es sich um eine nicht der gutachterlichen Kompetenz unterfallende Rechtsfrage. Soweit die Beschwerdeführerin im Übrigen auf drei Literaturstellen verweist (Fleischwirtschaft 11/2008, S. 106 ff. und FleischMagazin 3/2009, S. 32) setzt sich auch nur der Beitrag von Hildebrandt/Köpernik (ZLR 2007, S. 520 ff. = Fleischwirtschaft 6/2007, Bl. 232 ff.) näher mit dem unionsrechtlich definierten Begriff des Separatorenfleischs auseinander. Letztlich vermögen diese vereinzelten Literaturstimmen die Vertretbarkeit der Annahme des Oberverwaltungsgerichts, dass die europarechtliche Rechtslage klar sei, verfassungsrechtlich nicht in Frage zu stellen.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen
Haufe-Index 2765033 |
ZLR 2011, 608 |
BayVBl. 2012, 45 |