Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Beschluss vom 11.04.2008; Aktenzeichen 2 Ss 599/2007) |
LG Stuttgart (Urteil vom 18.07.2007; Aktenzeichen 31 Ns 1 Js 50777/02) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen eine strafrechtliche Verurteilung nach § 184d, § 27 StGB und mittelbar gegen die dieser Verurteilung zu Grunde liegenden Rechtsnormen.
Mit Berufungsurteil vom 18. Juli 2007 hat das Landgericht Stuttgart gegen den Beschwerdeführer wegen Beihilfe zur Ausübung der verbotenen Prostitution in sechs Fällen eine Gesamtgeldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 20 € verhängt. Der Beschwerdeführer habe die Ausübung der Prostitution durch die Mitangeklagte L… in seiner Wohnung in K… in sechs Fällen gefördert, wobei er damit gerechnet und es billigend in Kauf genommen habe, einem Verbot zuwiderzuhandeln. Da es sich bei K… um eine Stadt mit weniger als 35.000 Einwohnern handle, sei es tatsächlich nach § 1 der Verordnung der Landesregierung über das Verbot der Prostitution vom 3. März 1976 (GBl S. 290) in Verbindung mit Art. 297 EGStGB für das ganze Gebiet der Gemeinde verboten gewesen, der Prostitution nachzugehen. Über dieses Verbot habe sich der Beschwerdeführer aus gefestigter Gleichgültigkeit immer wieder unbeirrt hinweggesetzt.
Die Revision des Beschwerdeführers wurde durch Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 11. April 2008 gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Mit der fristgerecht eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer – unter anderem – die Verletzung von Art. 103 Abs. 2 GG.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde, der keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt, ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 ff.≫; 96, 245 ≪248 ff.≫). Sie ist unbegründet.
Es ist nach Art. 103 Abs. 2 GG nicht zu beanstanden, dass gemäß § 184d StGB in Verbindung mit Art. 297 EGStGB und § 1 der baden-württembergischen Verordnung der Landesregierung über das Verbot der Prostitution bestraft wird, wer in einer baden-württembergischen Gemeinde mit nicht mehr als 35.000 Einwohnern beharrlich der Prostitution nachgeht (vgl. auch Beschluss des Vorprüfungsausschusses des Bundesverfassungsgerichts vom 27. November 1984 – 2 BvR 236/84 –, NJW 1985, S. 1767).
1. Art. 103 Abs. 2 GG enthält einen strikten Bestimmtheitsgrundsatz. Danach ist der Gesetzgeber verpflichtet, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen (vgl. BVerfGE 41, 314 ≪319≫; 47, 109 ≪120≫; 55, 144 ≪152≫). Diese Verpflichtung dient einem doppelten Zweck. Es geht einerseits um den rechtsstaatlichen Schutz des Normadressaten: Dieser muss prinzipiell schon anhand der gesetzlichen Regelung voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist; in Grenzfällen geht er dann, für ihn erkennbar, das Risiko einer Bestrafung ein (vgl. z. B. BVerfGE 47, 109 ≪120 f.≫; 48, 48 ≪56≫; 55, 144 ≪152≫). Art. 103 Abs. 2 GG hat insofern freiheitsgewährleistende Funktion. Andererseits soll sichergestellt werden, dass der Gesetzgeber selbst abstrakt-generell über die Strafbarkeit entscheidet. Insoweit enthält Art. 103 Abs. 2 GG einen strengen Gesetzesvorbehalt, der es der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt verwehrt, die normativen Voraussetzungen einer Bestrafung festzulegen (vgl. BVerfGE 47, 109 ≪120≫).
Es ist dem Gesetzgeber danach zwar nicht ausnahmslos verwehrt, die nähere Bestimmung der Voraussetzungen strafbaren Handelns durch Erteilung einer nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmte Verordnungsermächtigung der Exekutive zu überlassen. Über die Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG hinaus ist in einem solchen Fall aber nach Art. 103 Abs. 2 GG zu beachten, dass in jedem Fall die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Art der Strafe für den Bürger schon aufgrund des Gesetzes, nicht erst aufgrund der hierauf gestützten Verordnung voraussehbar sein müssen (BVerfGE 14, 174 ≪185 f.≫; 75, 329 ≪342≫). Insbesondere beim Erlass einer Strafvorschrift, die Freiheitsstrafe androht, hat der Gesetzgeber – auch in Anbetracht von Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG – mit hinreichender Deutlichkeit selbst zu bestimmen, was strafbar sein soll, sowie Art und Maß der Freiheitsstrafe im förmlichen Gesetz festzulegen, und zwar um so genauer und präziser, je schwerer die angedrohte Strafe ist (vgl. BVerfGE 75, 329 ≪342≫). Wird der Straftatbestand eines Blankettstrafgesetzes also nicht durch ein anderes förmliches Gesetz ergänzt, sondern durch eine Rechtsverordnung, so müssen zugleich die Voraussetzungen der Strafbarkeit sowie Art und Maß der Strafe entweder im Blankettstrafgesetz selbst oder in einer anderen gesetzlichen Vorschrift, auf die das Blankettstrafgesetz Bezug nimmt, hinreichend deutlich umschrieben werden. Dem Verordnungsgeber dürfen lediglich gewisse Spezifizierungen des Straftatbestandes überlassen werden (vgl. BVerfGE 14, 174 ≪185 ff.≫; 23, 265 ≪269≫; 75, 329 ≪342≫).
2. a) Gemessen daran ist zunächst die Regelungstechnik des § 184d StGB, nach der die Strafbarkeit von der Zuwiderhandlung gegen ein Verbot abhängt, welches sich erst aus einer auf gesonderter gesetzlicher Ermächtigung beruhenden Rechtsverordnung ergibt, nicht zu beanstanden. Art und Maß der Strafe (Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe) sind in § 184d StGB abschließend festgelegt. Die Voraussetzungen der Strafbarkeit sind jedenfalls im Zusammenspiel mit der ebenfalls formell-gesetzlichen Regelung des Art. 297 EGStGB für den Normadressaten voraussehbar. Als objektive Tatbestandsmerkmale enthält § 184d StGB das Bestehen eines gebietsbezogenen Verbotes auf Grund einer Rechtsverordnung, die Ausübung der Prostitution sowie die “Beharrlichkeit” des Verstoßes, als subjektives Merkmal Vorsatz, der auch bezüglich des Bestehens eines Verbotes gegeben sein muss (vgl. Hörnle, in: Münchener Kommentar zum StGB, 2005, § 184d Rn. 3 ff.). Art. 297 EGStGB erlaubt es dem Normadressaten, sich über die Voraussetzungen Gewissheit zu verschaffen, unter denen der Erlass einer Sperrgebietsverordnung überhaupt in Betracht kommt; soweit hier von Interesse, ist aus Nr. 1 der Vorschrift klar ersichtlich, dass in Gemeinden mit nicht mehr als 50.000 Einwohnern ein solches Verbot im ganzen Gemeindegebiet bestehen kann. Der Spielraum der Exekutive, von der Ermächtigung zum Erlass von Sperrgebietsverordnungen für Gemeinden bis 50.000 Einwohnern überhaupt Gebrauch zu machen und gegebenenfalls die Gemeinden, in denen das Verbot gelten soll, näher zu bestimmen, hält sich in den Grenzen dessen, was noch als “gewisse Spezifizierung” eines formell-gesetzlich bereits weitgehend umschriebenen Straftatbestandes gelten kann.
b) Der in Art. 297 EGStGB und der baden-württembergischen Sperrgebietsverordnung verwendete Ausdruck “Einwohner” ist hinreichend bestimmt. Dass der Begriff der Auslegung bedarf, weil er sich dem Wortlaut nach sowohl auf sämtliche Einwohner einer Gemeinde beziehen lässt als auch einschränkend nur auf diejenigen mit dort gelegenem alleinigem Wohnsitz oder Hauptwohnsitz, ist für sich genommen nicht zu beanstanden. Jedenfalls das Risiko einer Strafbarkeit war im Grenzfall – also im Fall einer Gemeinde, deren Anzahl an Einwohnern nur bei Berücksichtigung auch der Zweitwohnsitzinhaber 50.000 bzw. 35.000 übersteigt – bereits vor Ergehen des insofern Klarheit schaffenden Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. November 2003 – 4 C 6/02 – (NVwZ 2004, S. 743) deutlich erkennbar. Dem Wortlaut des Art. 297 Abs. 1 Nr. 1 EGStGB – “für das ganze Gebiet einer Gemeinde” – kann auch nicht entnommen werden, dass der Verordnungsgeber die betreffenden Gemeinden konkret aufzählen müsste, anstatt sie (wie in § 1 der angegriffenen Sperrgebietsverordnung) abstrakt-generell nach Einwohnerzahl zu bestimmen. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist es nach dem Bestimmtheitsgrundsatz schließlich nicht erforderlich, dass eine strafrechtliche Norm Informationen darüber vermittelt, auf welche Weise sich der Normadressat Kenntnis vom Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen der Norm (hier: Einwohnerzahl einer Gemeinde) verschaffen kann.
c) Auch der Begriff der “Beharrlichkeit” in § 184d StGB ist zwar auslegungsbedürftig, aber keinesfalls so weit und unklar, dass er verfassungsrechtlich keinen Bestand haben könnte. Beharrlichkeit wird in Rechtsprechung und Lehre definiert als besondere Hartnäckigkeit und damit gesteigerte Gleichgültigkeit des Täters gegenüber dem bestehenden Verbot, so dass jedenfalls ein nur einmaliger Verstoß nicht zur Strafbarkeit führen kann (vgl. nur Lenckner/Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl., 2006, § 184d Rn. 5; Fischer, StGB, 55. Aufl., 2008, § 184d Rn. 5). Das ist nachvollziehbar und entspricht einem alltäglichen Sprachgebrauch, so dass auch in diesem Punkt das Risiko der Strafbarkeit aus Sicht des Normadressaten ausreichend deutlich zu erkennen ist.
3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Di Fabio, Landau
Fundstellen
NVwZ 2009, 239 |
DÖV 2009, 126 |
NPA 2010 |