Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
1. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen § 53 Abs. 1 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) in der seit dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung des Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 26. Oktober 2007 (BGBl I S. 2513). Die Änderung durch dieses Gesetz beschränkte sich bei § 53 Abs. 1 UrhG auf die Einfügung der Worte „oder öffentlich zugänglich gemachte” am Ende des Satzes 1.
§ 53 Abs. 1 UrhG war vor dieser Gesetzesänderung zuletzt im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie 2001/29/EG vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABlEG Nr. L 167 vom 22. Juni 2001, S. 10 ff. – hier kurz: Urheberrechtsrichtlinie) durch das ab dem 13. September 2003 geltende (erste) Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 10. September 2003 (BGBl I S. 1774) neu gefasst worden. Der Gesetzgeber hatte damals klargestellt, dass § 53 Abs. 1 UrhG auch für digitale Privatkopien gilt (vgl. BTDrucks 15/38, S. 1, 20). Zu diesem Zweck hatte er die Worte „auf beliebigen Trägern” in den Text eingefügt.
2. Die Beschwerdeführer, Unternehmen der Musikindustrie und Tonträgerhersteller im Sinne des 4. Abschnitts von Teil 2 des Urheberrechtsgesetzes, müssen es aufgrund der gesetzlichen Lizenz des § 53 Abs. 1 UrhG hinnehmen, dass private Digitalkopien der von ihnen auf den Markt gebrachten Tonträger grundsätzlich zulässig sind, was Absatzrückgänge zur Folge hat. Die Tonträgerhersteller werden über § 85 Abs. 4, § 54 UrhG an dem Aufkommen aus der urheberrechtlichen Geräte- und Speichermedienvergütung beteiligt.
3. Die Beschwerdeführer sind mit ihrer am 16. Dezember 2008 beim Bundesverfassungsgericht eingegangenen Verfassungsbeschwerde der Ansicht, § 53 Abs. 1 UrhG sei mit Art. 14 Abs. 1 GG unvereinbar, soweit er digitale Privatkopien ohne hinreichende Einschränkungen für zulässig erkläre. Die Verfassungsbeschwerde sei zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben. Die Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG habe am 1. Januar 2008 neu zu laufen begonnen, weil der Gesetzgeber bei der Urheberrechtsreform die jüngsten Entwicklungen in der Kommunikationstechnologie – insbesondere die starke Zunahme digitaler Privatkopien – neu bewertet und somit eine neue politische Entscheidung getroffen habe.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Sie ist unzulässig, weil sie nicht fristgerecht eingelegt wurde.
Richtet sich eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz, so kann sie gemäß § 93 Abs. 3 BVerfGG nur binnen eines Jahres seit dem Inkrafttreten des Gesetzes erhoben werden. Die Frist begann hier nicht deshalb neu zu laufen, weil der Gesetzgeber § 53 Abs. 1 UrhG durch das am 1. Januar 2008 in Kraft getretene Zweite Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 26. Oktober 2007 (BGBl I S. 2513) geändert hat.
1. Die Verfassungsbeschwerde gegen Gesetze ist wegen der Tragweite eines solchen Angriffs aus Gründen der Rechtssicherheit nach § 93 Abs. 3 BVerfGG an eine eng auszulegende Ausschlussfrist gebunden (vgl. BVerfGE 23, 153 ≪164≫; 30, 112 ≪126≫). Diese beginnt bei Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gegen eine unverändert gebliebene Norm nicht deshalb neu, weil der Gesetzgeber die Bestimmung gelegentlich der Änderung anderer Bestimmungen desselben Gesetzes erneut in seinen Willen aufgenommen hat (vgl. BVerfGE 11, 255 ≪260≫; 18, 1 ≪9≫; 43, 108 ≪116≫; 80, 137 ≪149≫). Bleibt die angegriffene Norm inhaltlich unverändert oder wird sie rein redaktionell angepasst, setzt kein neuer Fristlauf ein (vgl. BVerfGE 56, 363 ≪379 f.≫; BVerfGK 7, 276 ≪277≫).
Die Frist wird nur neu in Lauf gesetzt, wenn die Gesetzesänderung die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Norm begründet oder verstärkt (vgl. BVerfGE 11, 351 ≪359 f.≫; 12, 10 ≪24≫; 26, 100 ≪109≫; 45, 104 ≪119≫; 78, 350 ≪356≫). Dies ist der Fall, wenn der Gesetzgeber das materielle Gewicht einer Regelung verändert (vgl. BVerfGE 12, 10 ≪24≫; 17, 364 ≪369≫; 26, 100 ≪109≫; 79, 1 ≪14≫) oder wenn ihr Anwendungsbereich – etwa durch Präzisierung eines Legalbegriffs – eindeutiger als bisher begrenzt und der Vorschrift damit ein neuer Inhalt gegeben wird (vgl. BVerfGE 11, 351 ≪359 f.≫; 43, 108 ≪116≫). Gleiches gilt, wenn sich durch die Gesetzesänderung für die formal identisch gebliebene Norm ein erweiterter Anwendungsbereich ergibt (vgl. BVerfGE 12, 10 ≪24≫).
2. Bei dieser Rechtslage kommt es nicht darauf an, dass der Bundesgesetzgeber durch den Erlass des Änderungsgesetzes die angegriffene Bestimmung in seinen Willen erneut aufgenommen hat, solange die vorgenommene Gesetzesänderung als solche die Beschwerdeführer nicht beschwert. Nur diese eher formale Sichtweise wird dem in § 93 Abs. 3 BVerfGG zum Ausdruck kommenden und im Rechtsstaatsgebot verankerten Grundsatz der Rechtssicherheit gerecht.
a) Der Gesetzgeber hat durch den angegriffenen § 53 Abs. 1 UrhG n.F. die in Rede stehende Zulässigkeit digitaler Privatkopien unberührt gelassen. Zulässig sind nach wie vor einzelne Vervielfältigungen eines Werkes durch eine natürliche Person zum privaten Gebrauch auf beliebigen Trägern, sofern sie nicht Erwerbszwecken dienen. Der Gesetzgeber hat bereits bei der letzten Urheberrechtsreform im Jahr 2003 klargestellt, dass digitale ebenso wie analoge Privatkopien zulässig sind („auf beliebigen Trägern”; vgl. BTDrucks 15/38, S. 1 und S. 20; zur Gesetzgebungsgeschichte vgl. auch Berger, ZUM 2004, S. 257 ≪257 f.≫; Poll/Braun, ZUM 2004, S. 266 ff.; Stickelbrock, GRUR 2004, S. 736 ≪737≫). In der Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 6. November 2002 (BTDrucks 15/38, S. 20) heißt es: „Die aus Artikel 5 Abs. 2 Buchstabe b der Richtlinie übernommene Betonung ‚beliebiger Träger' als Zielmedium der Kopie stellt zugleich klar, dass insofern eine Differenzierung nach der verwendeten Technik (analog oder digital) nicht stattfindet.” Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass der Gesetzgeber das Ziel verfolgte, „das deutsche Urheberrecht der Entwicklung im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie, insbesondere der digitalen Technologie, anzupassen” (BTDrucks 15/38, S. 14). Diese Entwicklung sei unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass auch urheberrechtlich geschützte Inhalte völlig unproblematisch und ohne Qualitätsverlust über ein weltumspannendes Datennetz verbreitet werden könnten (ebd.).
b) Allerdings hat der Gesetzgeber damals die Frage zurückgestellt und erst bei der Novelle 2008 entschieden, ob Privatkopien auch beim Einsatz von technischen Schutzmaßnahmen möglich bleiben sollen (vgl. BTDrucks 16/1828, S. 18). In diesem Zusammenhang wollte der Gesetzgeber nunmehr auch klären, ob die Schranke für digitale Privatkopien enger gefasst werden soll (u.a. Verbot digitaler Privatkopien von Musikwerken, Beschränkung auf eine einzelne Vervielfältigung vom eigenen Original, Einführung eines Zeitfensters für ein Verbot der Digitalkopie von Filmen, keine Privatkopie im Online-Bereich; vgl. BTDrucks 16/1828, S. 18; Braun, ZUM 2005, S. 100 ≪102≫). Der Gesetzgeber führte solche Schranken nicht ein und sah im Gegenzug davon ab, die „digitale Privatkopie beim Einsatz technischer Schutzmaßnahmen durchzusetzen” (vgl. BTDrucks 16/1828, S. 18, 20), wie es die Verbraucherverbände gefordert hatten.
Ungeachtet dessen hat der Gesetzgeber jedoch schon mit dem ersten Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 10. September 2003 (BGBl I S. 1774) eine eindeutige Antwort auf die Frage gegeben, ob die digitale Privatkopie zulässig bleiben soll, indem er es bei der Regelung des § 53 Abs. 1 UrhG belassen und die Geltung für digitale Kopien sogar ausdrücklich klargestellt hat. Legt man die Argumentation der Beschwerdeführer zugrunde, hätte der Gesetzgeber schon damals berücksichtigen müssen, dass durch § 53 Abs. 1 UrhG in Verbindung mit der zunehmenden Verbreitung der digitalen Privatkopie ein Eingriff in das durch Art. 14 Abs. 1 GG garantierte Verwertungsrecht der Tonträgerhersteller (vgl. BVerfGE 81, 12 ≪16 f.≫) bewirkt werde. Entsprechende Daten über kopierbedingte Umsatzrückgänge der Tonträgerhersteller lagen bereits vor und waren Gegenstand intensiver rechtspolitischer Diskussion unter Beteiligung der Musikindustrie (vgl. Schack, ZUM 2002, S. 497 ≪500≫; Berger, ebd., ≪263 ff.≫; Poll/Braun, ebd.; Lüft, in: Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 3. Aufl. 2009, § 53 Rn. 6; je m.w.N.). Dass sich der Gesetzgeber die Fragestellungen, bei denen die Urheberrechtsrichtlinie sowie zwei WIPO-Verträge keine zwingenden, fristgebundenen Vorgaben machten, für den „zweiten Korb” der Urheberrechtsreform vorbehalten hat, hätte ihn – aus Sicht der Beschwerdeführer – nicht davon freistellen können, eine im Sinne des Eigentumsschutzes verfassungskonforme Regelung zu treffen.
3. Es bedarf keiner Entscheidung, ob die von den Beschwerdeführern beklagte enteignende Wirkung von § 53 Abs. 1 UrhG angesichts einer immer stärkeren Verbreitung privater Digitalkopien bei einer etwaigen zukünftigen Urheberrechtsnovelle den Gesetzgeber dazu zwingt, die private Digitalkopie einzugrenzen oder – im Rahmen seines weiten Gestaltungsraums (vgl. BVerfGE 81, 12 ≪21≫) – sonstige Maßnahmen zu ergreifen, um das Eigentumsrecht der Tonträgerhersteller nicht zu entwerten.
4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Bryde, Schluckebier
Fundstellen
NVwZ 2010, 181 |
GRUR 2010, 56 |
ZAP 2009, 1310 |
ZUM 2010, 45 |
K&R 2009, 795 |
MMR 2010, 40 |