Verfahrensgang
LG Hannover (Beschluss vom 21.08.2006; Aktenzeichen 40 Qs 133/06 6051 AR 26777/06 5 Gs 155/06) |
AG Wennigsen (Deister) (Beschluss vom 03.07.2006; Aktenzeichen 5 Gs 6051 AR 26777/06 (155/06)) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
1. Eine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung liegt nicht vor.
a) Das Bundesverfassungsgericht hat bereits festgestellt, dass die in § 81 g StPO geregelte molekulargenetische Untersuchung von Körperzellen und die Speicherung des dadurch gewonnenen DNA-Identifizierungsmusters zum Zweck der Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegne (BVerfGE 103, 21 ff.). Da die Maßnahme eine auf bestimmte Tatsachen gestützte Prognose voraussetze, dass gegen den Betroffenen künftig weitere Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sein werden, sei sie auf besondere Fälle beschränkt und verhältnismäßig. Eine tragfähig begründete Entscheidung setze allerdings voraus, dass ihr eine zureichende Sachaufklärung, insbesondere durch Beiziehung der verfügbaren Straf- und Vollstreckungsakten, des Bewährungshefts und zeitnaher Auskünfte aus dem Bundeszentralregister, vorausgehe. Notwendig und ausreichend für die Anordnung sei, dass wegen der Art oder Ausführung der bereits abgeurteilten Straftat, der Persönlichkeit des Verurteilten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme bestehe, dass gegen ihn künftig erneut Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen seien. Dabei sei eine auf den Einzelfall bezogene Entscheidung, die auf schlüssigen, verwertbaren und in der Entscheidung nachvollziehbar dokumentierten Tatsachen beruhe und die richterliche Annahme der Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten von erheblicher Bedeutung belege, erforderlich (vgl. BVerfGE 103, 21 ≪34 ff.≫; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. März 2001 – 2 BvR 1841/00, 2 BvR 1876/00, 2 BvR 2132/00, 2 BvR 2307/00 –, NJW 2001, S. 2320; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Dezember 2001 – 2 BvR 429/01, 2 BvR 483/01 –, StV 2003, S. 1; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Februar 2006 – 2 BvR 561/03 –, juris). Dies gilt auch für die nunmehr nach dem Gesetz zur Novellierung der forensischen DNA-Analyse vom 12. August 2005 (BGBl I S. 2360) in § 81 g Abs. 4 und 5 StPO geregelte retrograde Erfassung (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. August 2006 – 2 BvR 1028/06 –, zur Veröffentlichung in juris vorgesehen).
b) Die Entscheidung des Landgerichts genügt im Hinblick auf diesen Maßstab den Anforderungen an eine verfassungsgemäße Anordnung.
Das Landgericht stützt seine Entscheidung darauf, dass der Beschwerdeführer über einen Zeitraum von einem Jahr in einer Vielzahl von Fällen mit Betäubungsmitteln Handel getrieben habe. Bei der Anlasstat habe es sich daher nicht um eine auf besondere Lebensumstände zurückzuführende einmalige Entgleisung gehandelt. Zwar habe der Beschwerdeführer seine Drogenabhängigkeit bislang erfolgreich bekämpft. Dies schließe jedoch weder einen Rückfall in die Betäubungsmittelabhängigkeit noch ein durch diese nicht veranlasstes strafbares Verhalten aus. Dass der Strafrest der gegen den Beschwerdeführer wegen der Anlasstaten verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden sei, stehe dieser Einschätzung nicht entgegen, da insoweit andere Maßstäbe anzulegen seien.
Damit würdigt das Landgericht Umstände, die im Sinne des § 81 g Abs. 1 Satz 1 StPO die Art der Tat (Tatschwere, Tathäufigkeit, kriminelle Energie) und die Persönlichkeit des Beschwerdeführers (kriminelle Karriere, Betäubungsmittelabhängigkeit, Therapieverhalten) betreffen. Diese Würdigung ist auf den Einzelfall bezogen und lässt erkennen, dass das Landgericht seiner Entscheidung Erkenntisse aus den Verfahrens- und Vollstreckungsakten zugrunde gelegt und auch die persönliche Situation des Beschwerdeführers in seine Erwägungen einbezogen hat. Zusätzlich lässt sich den Ausführungen des Landgerichts auch die Einbeziehung sonstiger Erkenntnisse im Sinne des § 81 g Abs. 1 Satz 1 StPO (Rückfallwahrscheinlichkeit bei Betäubungsmittelabhängigkeit, kriminalistische Erfahrung hinsichtlich des Zusammenhangs von Betäubungsmittelabhängigkeit und kriminellem Verhalten) entnehmen. Alle genannten Gesichtspunkte durfte das Landgericht in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise als Basistatsachen für die zu erstellende Prognose künftiger Strafverfahren heranziehen.
Dass die Fachgerichte die Maßnahme als geeignet zur Aufklärung etwaiger künftiger Straftaten angesehen haben, begegnet ebenfalls keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die kriminalistische Eignung des DNA-Datenabgleichs zur Aufklärung von Betäubungsmitteldelikten – z.B. durch Abgleich der Speichelanhaftungen an einem Joint oder der Blutanhaftungen an Spritzbesteck – steht außer Frage. Hinzu kommt, dass sich der Zusammenhang zwischen Betäubungsmittelabhängigkeit und kriminellem Verhalten nicht auf die Begehung von Betäubungsmitteldelikten beschränkt, sondern sich auch auf andere Straftaten – z.B. Gewalt- und Vermögensdelikte – erstrecken kann, zu deren Aufklärung der Abgleich des DNA-Identifizierungsmusters beitragen kann. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Einschätzung der Geeignetheit der Ermittlungsmaßnahme grundsätzlich allein den Fachgerichten obliegt und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen ist, es sei denn, dass spezifisches Verfassungsrecht verletzt sei (vgl. BVerfGE 1, 418 ≪420≫). Dies ist hier nicht erkennbar.
2. Eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG liegt nicht vor.
Dem Grundgesetz lässt sich nicht entnehmen, dass jede gerichtliche Entscheidung mit einer Begründung zu versehen ist. Bei mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbaren letztinstanzlichen Entscheidungen kann dies zwar verfassungsrechtlich geboten sein, wenn ein Gericht von Normen einfachen Rechts in der Auslegung, die sie durch die höchstrichterliche Rechtsprechung gewonnen haben, abweicht (vgl. BVerfGE 50, 287 ≪289 f.≫; 71, 122 ≪135 f.≫; 81, 97 ≪106≫). Das war hier, wie dargelegt, bei der Anwendung des § 81 g StPO aber nicht der Fall.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Di Fabio, Landau
Fundstellen
Haufe-Index 1974863 |
NPA 2008 |