Verfahrensgang
OLG Nürnberg (Beschluss vom 31.03.2003; Aktenzeichen 3 U 158/03) |
LG Nürnberg-Fürth (Urteil vom 11.12.2002; Aktenzeichen 3 O 11037/01) |
Tenor
- Der Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 31. März 2003 – 3 U 158/03 – und das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 11. Dezember 2002 – 3 O 11037/01 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Nürnberg zurückverwiesen.
- Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
- Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 25.564,59 € (in Worten: fünfundzwanzigtausendfünfhundertvierundsechzig 59/100 Euro) festgesetzt.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft Fragen der Auslegung und Anwendung von Vorschriften des Rechtsberatungsgesetzes (RBerG).
I.
1. Der Beschwerdeführer ist ein eingetragener Verein von Heilpraktikern, dessen Zweck gemäß § 2 der Vereinssatzung die Förderung des Berufsbildes des Heilpraktikers, insbesondere die damit verbundene Wirtschafts- und Organisationsberatung sowie eine berufs- und praxisorientierte Fachfortbildung für Heilpraktiker ist. Im Auftrag von zwei Patienten zweier Vereinsmitglieder, deren Kostenerstattung abgelehnt wurde, wandte sich der Beschwerdeführer an deren private Krankenversicherung und forderte diese unter Berufung auf § 178m Versicherungsvertragsgesetz (VVG) zur Übersendung des Gutachtens auf, auf das sie sich zur Leistungsablehnung berufen hatte. Für den Fall, dass keine Einigung erzielt werde, wurde die Erhebung einer Klage durch einen konkret benannten Rechtsanwalt angekündigt. Streitpunkt zwischen den Patienten und der Versicherung war die Frage, ob eine medizinisch notwendige Heilbehandlung vorgelegen hat. In einem Fall ging es auch um die Frage der richtigen Anwendung des Gebührenverzeichnisses für Heilpraktiker.
2. Auf die Klage einer eingetragenen Partnerschaft bundesweit tätiger Rechtsanwälte verurteilte das Landgericht den Beschwerdeführer auf der Grundlage des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) und des Rechtsberatungsgesetzes (RBerG) dazu, es im Streit um Ansprüche gegen private Krankenversicherungen zu unterlassen, die Patienten seiner Mitglieder rechtlich zu beraten und zu vertreten. Aus den Schreiben an die Versicherung ergebe sich, dass der Beschwerdeführer Rechtsberatung betreibe, da mehrfach rechtliche Fragen aufgeworfen und erörtert worden seien. Die Voraussetzungen des Art. 1 § 7 RBerG lägen nicht vor. Die beiden Patienten, in deren Auftrag und Interesse der Beschwerdeführer sich an die Versicherung gewandt habe, seien selbst keine Mitglieder. Außerdem handele der Beschwerdeführer mit den Schreiben außerhalb seines in § 2 der Satzung festgelegten Aufgabenbereichs. Ein Verstoß gegen Grundrechte sei nicht ersichtlich. Die hiergegen eingelegte Berufung des Beschwerdeführers wies das Oberlandesgericht durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurück.
3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 (allgemeine Handlungsfreiheit), Art. 3 Abs. 1 (Gleichheitsgrundsatz), Art. 5 Abs. 1 Satz 1 (Meinungsfreiheit), Art. 9 Abs. 1 und 3, Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG und von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch das Urteil des Landgerichts und den Beschluss des Oberlandesgerichts.
Der Beschwerdeführer könne seine Aufgaben zur Förderung der Belange seiner Mitglieder nur ausführen, wenn er sich mit den privaten Krankenversicherungsgesellschaften auseinandersetze. Da Heilpraktiker außerhalb der Schulmedizin tätig seien, komme es häufig zu Streitigkeiten zwischen Privatversicherten und Versicherungsgesellschaften über die Frage der medizinisch notwendigen Heilbehandlung. Die meisten Patienten könnten sich die Heilpraktikerbehandlung nur leisten, wenn die Kosten von den Krankenversicherungen übernommen würden. Daher hätten die Heilpraktiker ein eigenes Interesse an der Erstattung ihrer Rechnungen durch die Versicherungen. Motiv der Tätigkeit sei mithin die Wahrung und Förderung der Interessen der Heilpraktiker. Nur in formeller Hinsicht müsse sich der Beschwerdeführer auf den Patienten stützen, da nur dieser versichert sei. Art. 1 § 7 RBerG müsse daher verfassungskonform dahin ausgelegt werden, dass dem Beschwerdeführer im Rahmen der Förderung seiner Mitglieder auch die Vertretung der Patienten gegenüber deren Versicherungen erlaubt sein müsse. Das ergebe sich auch aus Art. 1 § 5 RBerG, wonach gewerbliche Unternehmen für ihre Kunden rechtliche Angelegenheiten erledigen könnten, die mit einem Geschäft ihres Gewerbebetriebes in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Jeder einzelne Heilpraktiker könne danach seinen Patienten bei der rechtlichen Durchsetzung der Erstattungsansprüche gegenüber den Krankenversicherungen behilflich sein. Der Schutz der Verbraucher vor schlechter Rechtsberatung sei in der Regel jedoch besser gewährleistet, wenn die Beratung nicht der einzelne Heilpraktiker, sondern sein Verband ausführe. Eine andere Auslegung verstoße zudem gegen Art. 3 Abs. 1 GG, da große gewerbliche Unternehmen ihre Kunden beraten könnten, der einzelne Heilpraktiker in der Regel dazu jedoch nicht in der Lage sei. Bei der Frage der Erstattung der Heilpraktikerkosten handele es sich wirtschaftlich gesehen um eine Rechtsangelegenheit des Heilpraktikers, der sich im Lichte der Berufsfreiheit mit demjenigen auseinandersetzen können müsse, der seine berufliche Tätigkeit bezahlen soll. Hierbei unterstütze der Beschwerdeführer als berufsständische Vereinigung seine Mitglieder, wobei diese Hilfe auch den Patienten zugute komme. Außerdem liege in dem Verlangen auf Einsicht in ein medizinisches Gutachten und in der Drohung, einen Anwalt einzuschalten, schon tatbestandlich keine Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten. Die Gerichte hätten bei der Rechtsanwendung die im Rechtsberatungsgesetz geschützten öffentlichen Belange einerseits und die Berufsfreiheit andererseits nicht ausreichend abgewogen und zum Ausgleich gebracht. Der entscheidungserhebliche Begriff der Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten sei erweiternd ausgelegt und somit die Berufsfreiheit unverhältnismäßig eingeschränkt worden. Es gehe im Kern um eine medizinische Auseinandersetzung zur Vorbereitung der rechtlichen Durchsetzung der Erstattungsansprüche.
4. Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Bayerische Staatsministerium der Justiz, die Klägerin des Ausgangsverfahrens, der Deutsche AnwaltVerein und die Bundesrechtsanwaltskammer Stellung genommen.
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers auf allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93b Satz 1, § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung gemäß § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor.
1. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgebliche verfassungsrechtliche Frage bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass der Erlaubnisvorbehalt für die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten gemäß Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 RBerG grundsätzlich verfassungsgemäß ist (vgl. BVerfGE 41, 378 ≪390≫; 75, 246 ≪267, 275 f.≫; 97, 12 ≪26 f.≫).
2. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG, weil die Gerichte des Ausgangsverfahrens bei der Auslegung und Anwendung des Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 RBerG nicht alle von Verfassungs wegen zu beachtenden Gesichtspunkte, insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, hinreichend beachtet haben.
a) Die angegriffenen Entscheidungen greifen in den Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG ein. Dieses Grundrecht steht unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Rechtsordnung, wozu auch der Erlaubnisvorbehalt des Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 RBerG gehört.
aa) Die Annahme in den gerichtlichen Entscheidungen, mit den im Auftrag der Patienten seiner Mitglieder verfassten Schreiben an die Krankenversicherungsgesellschaft habe der Beschwerdeführer eine erlaubnispflichtige Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten betrieben, hält einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
Auslegung und Anwendung einer Vorschrift sind vornehmlich Aufgabe der Fachgerichte und können vom Bundesverfassungsgericht – abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot – nur darauf überprüft werden, ob sie Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen. Das ist der Fall, wenn die von den Fachgerichten vorgenommene Auslegung der Normen die Tragweite des Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt. Dazu kann es kommen, wenn bei der Auslegung und Anwendung der Norm mit den entgegenstehenden Gemeinwohlinteressen grundrechtliche Belange nicht in ein angemessenes Verhältnis gebracht worden sind (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f., 96≫; 85, 248 ≪257 f.≫; 97, 12 ≪27≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 27. September 2002 – 1 BvR 2251/01 –, NJW 2002, S. 3531).
Was Rechtsberatung im Sinne des Rechtsberatungsgesetzes ist, bedarf angesichts der generalklauselartigen Umschreibung der Klärung im Einzelfall, die einerseits die durch das Gesetz geschützten Belange und andererseits die Freiheitsrechte des Einzelnen berücksichtigt und dabei auch den Veränderungen der Lebenswirklichkeit Rechnung trägt (vgl. BVerfGE 97, 12 ≪28≫ zu Art. 12 GG; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 27. September 2002 – 1 BvR 2251/01 –, NJW 2002, S. 3531 zu Art. 12 GG; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. Juli 2004 – 1 BvR 737/00 –, BVerfGK 3, 348, 350 ff. zu Art. 2 Abs. 1 GG; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 11. März 2004 – 1 BvR 517/99 und 1 BvR 313/99 –, NJW 2004, S. 1855 zu Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG).
bb) Dem werden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht. Soweit die Gerichte die im Auftrag der Patienten seiner Mitglieder verfassten Schreiben des Beschwerdeführers an die Krankenversicherungsgesellschaft als unerlaubte Rechtsbesorgung qualifizieren, fehlt es an einer hinreichenden Auseinandersetzung mit der grundrechtlich geschützten Position des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG.
Die Vorschrift des Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG unterwirft die geschäftsmäßige Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten einer Erlaubnispflicht. Sie bezweckt zum Schutz der Rechtsuchenden und im Interesse einer reibungslosen Abwicklung des Rechtsverkehrs, fachlich ungeeignete und unzuverlässige Personen von der geschäftsmäßigen Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten fernzuhalten, und stellt sich damit grundsätzlich als verhältnismäßig dar (vgl. BVerfGE 41, 378 ≪390≫; 75, 246 ≪267, 275 f.≫; 97, 12 ≪26≫). Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung besorgt fremde Rechtsangelegenheiten, wer eine Tätigkeit ausübt, die das Ziel verfolgt und geeignet ist, konkrete fremde Rechte zu verwirklichen oder konkrete fremde Rechtsverhältnisse zu gestalten (vgl. BGH, Urteil vom 25. Februar 1999 – IX ZR 384/97 –, NJW 1999, S. 1715). Eine Rechtsbesorgung ist jedoch nicht schon bei jeder Tätigkeit gegeben, die auf die Verwirklichung oder Gestaltung konkreter Rechte gerichtet ist. Das Rechtsberatungsgesetz beruht nicht auf der Vorstellung, dass Streitigkeiten über die Durchsetzung von Forderungen und Verbraucherinteressen stets mit dem Schwerpunkt auf rechtlichem Gebiet und als Rechtsstreitigkeit geführt werden und damit diesem Gesetz unterliegen. In der täglichen Praxis gibt es auch andere Wege der Streitbewältigung (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 11. März 2004 – 1 BvR 517/99 und 1 BvR 313/99 –, NJW 2004, S. 1855 zur Rolle der Massenmedien). Zur Abgrenzung erlaubnisfreier Geschäftsbesorgung von erlaubnispflichtiger Rechtsbesorgung ist auf den Kern und den Schwerpunkt der Tätigkeit abzustellen, weil eine Besorgung wirtschaftlicher Belange vielfach auch mit rechtlichen Vorgängen verknüpft ist (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2001 – I ZR 316/98 –, NJW 2002, S. 2877; BGH, Urteil vom 6. Dezember 2001 – I ZR 101/99 –, NJW 2002, S. 2879). Richtet sich die entfaltete Tätigkeit auf Ermittlungen zum Sachverhalt oder die Einholung von Auskünften, handelt es sich noch nicht um die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten. Eine unterstützende Dienstleistung für Dritte wird nicht allein deshalb zur Rechtsbesorgung, weil ohne Kenntnis des maßgeblichen Rechts jede sachangemessene und wirksame Hilfeleistung unmöglich ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 27. September 2002 – 1 BvR 2251/01 –, NJW 2002, S. 3531).
cc) Die angegriffenen Entscheidungen lassen eine hinreichende Auseinandersetzung mit den durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Belangen des Beschwerdeführers vermissen. Nicht berücksichtigt wurde, dass Art. 2 Abs. 1 GG auch das Recht des Beschwerdeführers umfasst, als Interessenverband von Heilpraktikern seine Mitglieder dadurch zu unterstützen, dass er deren Patienten bei der Durchsetzung ihrer Erstattungsansprüche gegen die privaten Krankenversicherungen im Stadium vor einer rechtlich geprägten Auseinandersetzung behilflich ist. Die Verfassungsbeschwerde hat dargelegt, dass die Heilpraktiker ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Kostenerstattung durch die privaten Krankenversicherungen haben, da andernfalls die Patienten die Therapie abbrechen würden. Selbst wenn die Tätigkeit des Beschwerdeführers für die Patienten nicht als Rat und Hilfe der Mitglieder im Sinne des Art. 1 § 7 RBerG ausgelegt werden kann, besteht hier doch eine Nähe zu den wirtschaftlichen Interessen der mitgliedschaftlich organisierten Heilpraktiker, die bei der Abwägung mit den Gemeinwohlbelangen ins Gewicht fallen muss. Zwar kann der Beschwerdeführer sich nicht auf Art. 12 Abs. 1 GG berufen, da er selbst keine Erwerbszwecken dienende Tätigkeit ausübt; bei der Abwägung ist jedoch zu berücksichtigen, dass er als Verein den durch die Berufsfreiheit geschützten Interessen seiner Mitglieder dient.
dd) Die Gerichte des Ausgangsverfahrens haben auch nicht geprüft, inwieweit durch die Schreiben die Schutzzwecke des Rechtsberatungsgesetzes beeinträchtigt werden. Der Bereich der Rechtspflege wird durch die außergerichtlichen Schreiben ohnehin nicht berührt. Aber auch der Schutz des Rechtsuchenden rechtfertigt es nicht, dem Beschwerdeführer zu untersagen, in der Weise tätig zu werden, wie dies in den beiden Schreiben an die Krankenversicherungsgesellschaft geschehen ist. In der Anforderung medizinischer Gutachten allein liegt noch keine Rechtsberatung oder Besorgung einer Rechtsangelegenheit. Die angeforderten Gutachten sollten lediglich der Vorbereitung der rechtlichen Durchsetzung der Erstattungsansprüche dienen, womit anschließend ein Rechtsanwalt beauftragt werden sollte. Zuvor sollte der Sachverhalt aus medizinischer Sicht beleuchtet werden. Auch das Berufen auf § 178m VVG und auf Urteile der aktuellen Rechtsprechung stellt noch keine unerlaubte Rechtsbesorgung dar. Die Bezeichnung der Vorschrift sollte das Einsichtsverlangen lediglich stützen und diente damit der vornehmlich verfolgten medizinischen Auseinandersetzung.
Im Kern enthalten die beanstandeten Schreiben eine medizinische Auseinandersetzung, bei der rechtliche Gesichtspunkte nur in untergeordneter Bedeutung mit angeschnitten werden. Die eigentliche Rechtsbesorgung sollte demgegenüber einem Rechtsanwalt vorbehalten bleiben, der die Frage, ob eine medizinisch notwendige Heilbehandlung vorgelegen hat, ohnehin durch Einschaltung einer medizinischen Fachkraft abklären lassen muss. Der Schutz der Rechtsuchenden vor unzulänglichem Rechtsrat ist aber gewährleistet, wenn die rechtliche Durchsetzung der Erstattungsansprüche durch einen Rechtsanwalt erfolgen soll.
Gegen die von den Gerichten vorgenommene Auslegung des Begriffs der Rechtsbesorgung spricht auch, dass es nach Art. 1 § 5 Nr. 1 RBerG kaufmännischen oder sonstigen gewerblichen Unternehmen erlaubt ist, für ihre Kunden rechtliche Angelegenheiten zu erledigen, die mit dem Geschäft ihres Gewerbebetriebs in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Wenn hierbei weder die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege als beeinträchtigt gesehen noch die Qualität der Dienstleistung bezweifelt wird, kann es einem Interessenverband von Heilpraktikern nicht nach dem Rechtsberatungsgesetz untersagt sein, im Auftrag der Patienten der Mitglieder eine im Wesentlichen medizinische Auseinandersetzung mit den Krankenversicherungsgesellschaften zu führen, auch wenn dabei in untergeordneter Weise rechtliche Fragen mit angeschnitten werden.
Führen die beanstandeten Schreiben des Beschwerdeführers an die private Krankenversicherung mithin nicht zu einer Gefährdung der vom Rechtsberatungsgesetz geschützten Gemeinwohlbelange, ist es nicht gerechtfertigt, die Tätigkeit unter Berufung auf das Rechtsberatungsgesetz zu unterbinden. Die Unterlassungsverpflichtung greift in diesem Fall unverhältnismäßig in das durch Art. 2 Abs. 1 GG verbürgte Recht des Beschwerdeführers ein, als Interessenverband von Heilpraktikern tätig zu werden und im wohlverstandenen eigenen wirtschaftlichen Interesse seiner Mitglieder deren Patienten bei der Klärung bestimmter Fragen mit medizinischem Schwerpunkt im Vorfeld einer rechtlichen Auseinandersetzung mit den privaten Krankenversicherungsgesellschaften zu unterstützen.
ee) Da sich die im Auftrag der Patienten seiner Mitglieder verfassten Schreiben des Beschwerdeführers an die Krankenversicherungsgesellschaft bereits nicht als Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten darstellen, bedarf es keiner weiteren Entscheidung, ob Art. 1 § 7 RBerG im Lichte des Art. 2 Abs. 1 GG dahin auszulegen ist, dass es Vereinigungen von Heilpraktikern erlaubt ist, Patienten seiner Mitglieder bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche auf Erstattung der Heilbehandlungskosten rechtlich zu beraten, weil diese Unterstützung mittelbar auch den eigenen Mitgliedern zugute kommt.
ff) Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf dem dargelegten Grundrechtsverstoß. Unter Aufhebung des Beschlusses ist die Sache an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG).
b) Da die Verfassungsbeschwerde bereits wegen Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 1 GG erfolgreich ist, bedarf es keiner zusätzlichen Prüfung, ob zugleich eine Verletzung anderer Grundrechte oder grundrechtsgleicher Rechte vorliegt.
3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO in Verbindung mit § 61 Abs. 1 Satz 1 RVG und orientiert sich am Streitwert des Berufungsverfahrens (vgl. BVerfGE 79, 365 ≪366 f.≫).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).
Unterschriften
Bryde, Eichberger, Schluckebier
Fundstellen
VersR 2007, 1388 |
www.judicialis.de 2007 |