Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflichtmitgliedschaft in Versorgungswerk einer Ärztekammer
Beteiligte
Rechtsanwälte Johann Schmid-Drachmann und Koll. |
Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Die Beschwerdeführerin, Pflichtmitglied der Landeszahnärztekammer Brandenburg, begehrt die Befreiung von der Pflichtmitgliedschaft in dem Versorgungswerk der Zahnärztekammer Berlin; dem Versorgungswerk gehört sie nach der Satzung über den Anschluss der Angehörigen der brandenburgischen Landeszahnärztekammer an das Versorgungswerk der Zahnärztekammer Berlin (Anschlusssatzung) vom 28. März 1992 (ABl für Brandenburg S. 498) an.
1. Nach dem brandenburgischen Heilberufsgesetz (HeilBerG) vom 28. Januar 1992 (GVBl S. 30) sind Zahnärzte, die in Brandenburg ihren Beruf ausüben, Kammermitglieder. Die Kammer kann nach Maßgabe einer besonderen Satzung Versorgungseinrichtungen zur Sicherung der Kammerangehörigen im Alter schaffen. Die Mindestbedingungen sind im Gesetz geregelt (§ 28 Abs. 1 und 3 HeilBerG). Die Kammerversammlung kann auch den Anschluss an eine andere Versorgungseinrichtung beschließen (§ 21 Abs. 1 Nr. 13 i.V.m. § 28 Abs. 2 HeilBerG).
Die Berliner Zahnärztekammer unterhält seit vielen Jahren ein Versorgungswerk, dem 1966 die Zahnärztekammer Bremen und 1970 die Tierärztekammer Berlin beigetreten sind. 1992 beschloss auch die Brandenburger Zahnärztekammer den Beitritt. Diesen Beitritt hält die Beschwerdeführerin für rechtswidrig.
2. Die Beschwerdeführerin ist eine 1991 niedergelassene selbständige Zahnärztin in Brandenburg. Nach Beendigung ihrer Tätigkeit als Angestellte schloss sie eine Kapitallebensversicherung ab, blieb aber zusätzlich Mitglied der gesetzlichen Rentenversicherung. Aufgrund dieser Pflichtmitgliedschaft beantragte sie nach dem Anschluss der Landeszahnärztekammer Brandenburg an das Versorgungswerk Berlin die Befreiung von der weiteren Pflichtmitgliedschaft. Der Antrag wurde abgelehnt, da sie nicht die Voraussetzungen für eine Befreiung nach der Anschlusssatzung erfülle. Ihr Einwand, für die Anschlusssatzung an das Berliner Versorgungswerk bestehe keine Rechtsgrundlage, weil sich der brandenburgische Satzungsgeber in unzulässiger Weise des Rechts begeben habe, an der Willensbildung des Berliner Versorgungswerks mitzuwirken, überzeugte das Oberverwaltungsgericht nicht. Dynamische Verweisungen seien zulässig, wenn der Inhalt der Regelung, auf die verwiesen werde, im Wesentlichen feststehe (unter Hinweis auf BVerfGE 26, 338 ≪367≫). Auch das Demokratieprinzip werde nicht verletzt, wenn die Kammerversammlung von einem ihr gesetzlich eingeräumten Anschlussrecht Gebrauch mache.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen (Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 33). Zwar sei es richtig, dass die Mitglieder der Landeszahnärztekammer nur eine abgeschwächte und indirekte Mitwirkungsmöglichkeit an der Willensbildung des Versorgungswerks der Berliner Zahnärztekammer hätten. Jedoch zeige die Beschwerde nicht auf, dass für das Klagebegehren – die Befreiung von der Mitgliedschaft im Versorgungswerk – die aufgeworfene Frage erheblich sein könne. Sollte die Mitwirkungsmöglichkeit der Mitglieder der Landeszahnärztekammer Brandenburg im Versorgungswerk unzureichend und deswegen ihr Anschluss an das Versorgungswerk nichtig sein, so wäre die Beschwerdeführerin nicht Mitglied des Versorgungswerks geworden mit der Folge, dass auch kein Raum für eine Befreiung von der Mitgliedschaft gegeben wäre.
3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG durch die angegriffenen Entscheidungen. Die Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk der Zahnärztekammer Berlin verletze sie in den genannten Grundrechten, da sie von jeglicher Einflussnahme auf das Versorgungswerk ausgeschlossen sei. In den allein entscheidenden Organen des Versorgungswerks – der Delegiertenversammlung und dem Vorstand – seien die Zahnärzte Brandenburgs nicht vertreten.
4. Dem Bundesverwaltungsgericht, dem Ministerium der Justiz und für Bundes- und Europaangelegenheiten und dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen des Landes Brandenburg, der Senatsverwaltung für Justiz des Landes Berlin, dem Senator für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen, der Zahnärztekammer Berlin, der Landeszahnärztekammer Brandenburg, der Arbeitsgemeinschaft berufsständischer Versorgungseinrichtungen e.V., dem Hartmannbund – Verband der Ärzte Deutschlands e.V. –, dem Verein Demokratischer Ärztinnen und Ärzte sowie dem Marburger Bund – Verband der angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte Deutschlands e.V. – wurde Gelegenheit zur Äußerung gegeben.
Entscheidungsgründe
II.
Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde (§ 93 a Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht vor.
Der Verfassungsbeschwerde kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der von der Beschwerdeführerin als verletzt gerügten Rechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), weil die Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat.
1. Die Satzung über den Anschluss der Kammerangehörigen der Landeszahnärztekammer Brandenburg an das Versorgungswerk der Zahnärztekammer Berlin ist allerdings mit Art. 2 Abs. 1 GG unvereinbar.
a) Die Frage der verfassungsrechtlichen Schranken einer Zwangsmitgliedschaft in einem öffentlichrechtlichen Verband hat das Bundesverfassungsgericht am Maßstab des Art. 2 Abs. 1 GG geprüft und entschieden, dass eine solche Zwangsmitgliedschaft nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung möglich ist. Danach darf der Staat öffentlichrechtliche Verbände nur schaffen, um legitime öffentliche Aufgaben wahrnehmen zu lassen. Diese öffentlichrechtlichen Körperschaften müssen in ihrer Organisation auch im Übrigen in formeller und materieller Hinsicht mit dem Grundgesetz zu vereinbaren sein (vgl. BVerfGE 15, 235 ≪239 ff.≫). Die Befugnis von Berufsverbänden, freiheitseinschränkendes Satzungsrecht zu erlassen, folgt nicht schon aus dem Akt der Autonomieverleihung als solchem. Denn dieser berechtigt zwar zur Regelung eigener Verbandsangelegenheiten, nicht aber zugleich zu Eingriffen in Grundrechte der Mitglieder (vgl. BVerfGE 36, 212 ≪216≫).
Die grundgesetzliche Ordnung setzt der Verleihung und Ausübung von Satzungsgewalt bestimmte Grenzen (vgl. BVerfGE 33, 125 ≪157≫). Der Gesetzgeber darf zwar einen bestimmten Kreis von Bürgern – innerhalb eines von vornherein durch Wesen und Aufgabenstellung der Körperschaft begrenzten Bereichs – ermächtigen, durch demokratisch gebildete Organe ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln. Der Gedanke der Selbstverwaltung und die Verleihung von Satzungsautonomie haben ihren guten Sinn darin, gesellschaftliche Kräfte zu aktivieren und den entsprechenden gesellschaftlichen Gruppen die Regelung solcher Angelegenheiten, die sie selbst betreffen und die sie in überschaubaren Bereichen am sachkundigsten beurteilen können, eigenverantwortlich zu überlassen und dadurch den Abstand zwischen Normgeber und Normadressat zu verringern (BVerfGE 33, 125 ≪156 f.≫). Außerdem soll die besondere Sachkunde der Betroffenen genutzt werden. Schließlich ist die Selbstverwaltung darauf angelegt, eine gesetzlich angeordnete Zwangsmitgliedschaft durch Beteiligungsrechte zu kompensieren (vgl. BVerwGE 106, 64 ≪83≫; BVerwG, NVwZ 1999, S. 870 ≪875≫).
b) Dieser Gedanke der Satzungsautonomie wird verfehlt, wenn eine öffentlichrechtliche Körperschaft für ihre Mitglieder auf jede zukünftige Mitwirkung an der Normsetzung verzichtet, indem sie eine Anschlusssatzung erlässt, die die eigenen Mitglieder hinsichtlich eines verpflichtend eingeführten Versorgungswerks der Satzungsgewalt einer anderen Kammer unterwirft und von einer maßgeblichen Mitwirkung in den Organen dieser Kammer ausschließt. Ein solcher Verzicht auf Partizipation für gegenwärtige und künftige Mitglieder liegt nicht in der autonomen Kompetenz einer Satzungsversammlung und wird auch der Verbindung des Prinzips der Selbstverwaltung zum demokratischen Prinzip (vgl. BVerfGE 33, 125 ≪159≫) nicht gerecht.
Einen solchen Verzicht hat die Landeszahnärztekammer Brandenburg jedoch vorliegend mit der Anschlusssatzung ins Werk gesetzt. Ihre Mitglieder nehmen an der Wahl des obersten Organs des Versorgungswerks, der Delegiertenversammlung der Zahnärztekammer Berlin, nicht teil. Sie haben keinen Einfluss auf die Bildung des Vorstandes der Zahnärztekammer Berlin, die ebenfalls ein Organ des Versorgungswerks ist. Die wenigen in der Anschlusssatzung vorgesehenen Mitwirkungsrechte reichen nicht aus, um eine gleichberechtigte Teilhabe aller Pflichtmitglieder des Versorgungswerks an dessen Willensbildung sicherzustellen. Damit regelt die Anschlusssatzung nicht autonom eigene Angelegenheiten der Brandenburger Zahnärztekammer. Die Satzungsversammlung hat sich vielmehr ihres bestimmenden Einflusses auf die künftige Gestaltung des Versorgungswerks begeben, indem auf eine anteilige Mitwirkung, die freilich nur im Einvernehmen mit der aufnehmenden öffentlichrechtlichen Körperschaft hergestellt werden kann, von vornherein verzichtet wurde. Eine solche Anschlusssatzung überschreitet die verliehene Rechtsetzungsbefugnis (in diesem Sinne auch Hess. VGH, ESVGH 43, 283 ≪285≫).
2. Dennoch hat die Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg, da sie aus Gründen der Subsidiarität unzulässig ist (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus muss ein Beschwerdeführer alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken (vgl. BVerfGE 22, 287 ≪290≫; 77, 275 ≪282≫; 91, 1 ≪25≫; stRspr). Daran fehlt es hier.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Beschluss (Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 33, S. 32) ausgeführt, die mit dem Ziel der Zulassung der Revision eingelegte Beschwerde habe nicht aufgezeigt, dass die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Anschlusssatzung für das Klagebegehren erheblich sein könne. Sollte der Anschluss an das Versorgungswerk der Zahnärztekammer Berlin nichtig sein, wäre die Beschwerdeführerin dort nicht Mitglied geworden mit der Folge, dass auch kein Raum für eine Befreiung von der Mitgliedschaft gegeben wäre. Sollte die Anschlussregelung dagegen rechtlich unbedenklich sein oder doch die Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk nicht berühren, wäre die genannte Frage für das Klagebegehren ebenfalls ohne Bedeutung. Die Entscheidung über dieses Begehren hänge demnach nicht von der Antwort auf die – hier unter 1. erörterte – Frage ab, ob die Anschlusssatzung wirksam sei.
Nach dem Ergebnis der Beratung der Sache im Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts am 22. Januar 2002 sind diese Ausführungen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Beschwerdeführerin hat sie mit der Verfassungsbeschwerde nicht substantiiert angegriffen. Ist deshalb von der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts auszugehen, hat es die Beschwerdeführerin im Ausgangsverfahren versäumt, alle ihr zu Gebote stehenden prozessualen Möglichkeiten zu nutzen. Die Beschwerdeführerin hat es insbesondere unterlassen, neben der Befreiung von der Pflichtmitgliedschaft hilfsweise die Feststellung zu beantragen, nicht Pflichtmitglied geworden zu sein, oder die Rechtmäßigkeit der Anschlusssatzung direkt anzugreifen.
3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).
Unterschriften
Jaeger, Hömig, Bryde
Fundstellen
Haufe-Index 742684 |
NJW 2002, 3695 |
NVwZ 2002, 851 |
DVBl. 2002, 835 |
AusR 2004, 3 |