Verfahrensgang
LSG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 24.03.2011; Aktenzeichen L 19 AS 1677/10 B ER) |
SG Berlin (Beschluss vom 30.08.2010; Aktenzeichen S 101 AS 14725/10 ER) |
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Die mit einem Prozesskostenhilfegesuch verbundene Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen sozialgerichtliche Eilentscheidungen wegen der Versagung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) im Hinblick auf die abstrakte Förderungsfähigkeit des Hochschulstudiums des Beschwerdeführers nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG).
1. Der 1966 geborene Beschwerdeführer bezog im Anschluss an Erwerbstätigkeit Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende; letztmals im Mai 2010 Leistungen für Unterkunft und Heizung bis Ende November 2010 in Höhe von monatlich 73,84 EUR. Auf seinen Antrag auf Fortzahlung der Leistungen gab der Beschwerdeführer an, ab Oktober 2010 ein Hochschulstudium aufzunehmen. Der Verwaltungsträger stellte daraufhin fest, dass kein Anspruch auf Gewährung eines Darlehens besteht und hob wegen der Aufnahme des Hochschulstudiums die Bewilligung von Leistungen für Oktober und November 2010 auf.
2. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen diesen Verwaltungsakt und auf Verpflichtung des Grundsicherungsträgers, ihm vorläufig Leistungen für Unterkunft und Heizung für die Zeit ab Oktober 2010 zu gewähren, lehnte das Sozialgericht ab. Durch die Aufnahme des Studiums verliere er nach der vom Gericht nicht für verfassungswidrig erachteten Regelung des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II in der Fassung bis 31. März 2011 (im Folgenden: a.F.) den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, da das Hochschulstudium gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BAföG förderungsfähig sei. Auch anderweitige Ansprüche bestünden nicht. Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz erhalte der Beschwerdeführer nicht, weil er die Altersgrenze des § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG überschritten habe.
3. Das Landessozialgericht wies die Beschwerde zurück.
4. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 1 Satz 2 sowie von Art. 20 Abs. 3 GG.
Er sei nicht gehalten, den Abschluss des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Die Gerichte hätten sich auf eine jüngere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gestützt, weshalb keine abweichende Beurteilung der Fachgerichte zu erwarten sei. Ihm entstünden, wenn er so lange zuwarten müsse, schwere und erhebliche Nachteile, denn ohne die Mittel Dritter sei er lediglich ein weiteres Jahr in der Lage, das Studium zu finanzieren. Würden existenzsichernde Sozialleistungen ausgeschlossen, ohne dass ein Anspruch auf adäquate andere Leistungen bestünde, verstoße dies gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Durch § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. werde die freie Wahl des Arbeitsplatzes eingeschränkt, denn der Leistungsausschluss zwinge ihn, seinen Berufswunsch aufzugeben. Die Aufnahme eines Studiums stehe der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht entgegen, denn er würde das Studium zugunsten einer zumutbaren Arbeit jederzeit aufgeben. Auch liege eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung zwischen ordentlich Studierenden und Gasthörenden vor, die von vornherein keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz hätten, weshalb § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. der Gewährung von Grundsicherungsleistungen nicht entgegenstehe, obwohl beide durch das Lernen gleich belastet seien.
Entscheidungsgründe
II.
Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor. Sie hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG) und ihre Annahme erscheint auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
1. Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig, da sie hinsichtlich der gerichtlichen Entscheidungen über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht in einer den Erfordernissen von § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG genügenden Weise begründet worden ist (vgl. BVerfGE 21, 359 ≪361≫; 81, 208 ≪214≫; 85, 36 ≪52≫; 99, 84 ≪87≫; 101, 331 ≪345 f.≫; 105, 252 ≪264≫; 108, 370 ≪386 f.≫).
2. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde zulässig.
Dem steht nicht entgegen, dass sich der Beschwerdeführer gegen Entscheidungen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wendet. Er kann hier nicht auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werden, da dieses als von vornherein aussichtslos erscheint (vgl. BVerfGE 104, 65 ≪71≫). Nach der Rechtsprechung der fachlich zuständigen Senate des Bundessozialgerichts zur Rechtslage bis Ende März 2011 ist – abgesehen von Konstellationen, in denen der Bedarf nicht ausbildungsbedingt ist oder ein besonderer Härtefall vorliegt – von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch ausgeschlossen, wer eine dem Grunde nach gemäß dem Bundesausbildungsförderungsgesetz objektiv förderungsfähige Ausbildung absolviert (BSG, Urteil vom 6. September 2007 – B 14/7b AS 36/06 R –, juris; Urteil vom 1. Juli 2009 – B 4 AS 67/08 R –, juris) und – bezogen auf ein Hochschulstudium – die Ausbildung tatsächlich betreibt (BSG, Urteil vom 22. März 2012 – B 4 AS 102/11 R –, juris; Urteil vom 22. August 2012 – B 14 AS 197/11 R –, juris).
Nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist jedoch die Frage nach den Altersgrenzen der Studienförderung. Der Beschwerdeführer hat keine Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz beantragt und sich gegebenenfalls gegen deren Versagung gewehrt. Über sie wurde in den angegriffenen Entscheidungen auch nicht entschieden.
3. Gegen die vorliegend angegriffenen Entscheidungen zum Sozialgesetzbuch Zweites Buch bestehen insoweit keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
a) Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 125, 175 ≪222 ff.≫; 132, 134 ≪159 ff.≫) ist nicht verletzt. Nach § 2 Abs. 2 Satz 2 SGB II müssen erwerbsfähige Leistungsberechtigte ihre Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhalts einsetzen; dies tut der Beschwerdeführer nicht, wenn er studiert. Daher schließt § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. im Fall des Beschwerdeführers die Gewährung dieser Grundsicherungsleistungen aus. Soweit durch die Ausbildung existenzielle Bedarfe entstehen, werden diese insofern vorrangig durch Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz beziehungsweise dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch gedeckt (vgl. BSG, Urteil vom 6. September 2007 – B 14/7b AS 28/06 R –, juris, Rn. 28; Valgolio, in: Hauck/Noftz, SGB II, K § 7 Rn. 276 ≪Oktober 2013≫). Über die dortige Altersgrenze der Förderung (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 15. September 1980 – 1 BvR 715/80 –, FamRZ 1981, S. 404) haben die Gerichte im vorliegenden Verfahren nicht entschieden.
b) Daher geht auch die Rüge einer Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG vorliegend ins Leere. Der faktische Zwang, ein Studium abbrechen zu müssen, weil keine Sozialleistungen zur Verfügung stehen, berührt zwar die teilhaberechtliche Dimension des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsgebot aus Art. 20 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 8. Mai 2013 – 1 BvL 1/08 –, juris, Rn. 36 f.). Der Gesetzgeber hat mit den Vorschriften des Bundesausbildungsförderungsgesetzes jedoch ein besonderes Sozialleistungssystem zur individuellen Förderung der Hochschulausbildung durch den Staat geschaffen, das diese Teilhabe sichern soll. Seine Regelungen über Förderungsvoraussetzungen sowie Art, Höhe und Dauer der Leistungen sind auf die besondere Lebenssituation der Studierenden zugeschnitten, die auf öffentliche Hilfe bei der Finanzierung ihres Studiums angewiesen sind (vgl. BVerfGE 96, 330 ≪343≫). Der Gesetzgeber hat die Förderung so ausgestaltet, dass eine möglichst frühzeitige Aufnahme der Ausbildung gefördert wird (vgl. Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes vom 15. Januar 1979, BTDrucks 8/2467, S. 15; Bericht der Bundesregierung zur Ausbildungsfinanzierung in Familien mit mittlerem Einkommen vom 13. Juli 1987, BTDrucks 11/610, S. 16 f.; Finger, FamRZ 2006, S. 1427 f.), denn im Allgemeinen muss bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres eine der Begabung entsprechende Ausbildung begonnen werden (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 15. September 1980 – 1 BvR 715/80 –, FamRZ 1981, S. 404); § 10 Abs. 3 Satz 2 BAföG lässt Ausnahmen bei einer Ausbildungsaufnahme in höherem Alter zu. Es ist so derzeit möglich, ein Erststudium gefördert zu absolvieren (vgl. BVerfGK 7, 465 ≪471≫ zur Möglichkeit eines gebührenfreien Erststudiums). Ob sich insofern der Ausschluss des Beschwerdeführers von der Förderung für ein Studium nach Ausbildung und Erwerbstätigkeit – aber auch zur weiteren Qualifikation und Rückkehr in die Erwerbsarbeit – vor der Verfassung rechtfertigen lässt, ist damit nicht gesagt, aber hier auch nicht zu entscheiden.
c) Vorliegend ist ebenfalls nicht zu entscheiden, ob die Regelung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes mit Unionsrecht (Art. 6 Abs. 1 Buchstabe a der Richtlinie 2000/78/EG; vgl. EuGH, Urteil vom 12. Oktober 2010, Andersen, C-499/08, juris; Urteil vom 13. September 2011, Prigge, C-447/09, juris; dazu Brors, RdA 2012, S. 346 ≪347 ff.≫) in Einklang steht.
d) Auch die Frage nach einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG durch die Unterscheidung zwischen Vollzeitstudierenden und Gaststudierenden stellt sich im System des Bundesausbildungsförderungsgesetzes und nicht im vorliegenden Verfahren.
4. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts in entsprechender Anwendung der §§ 114 ff. ZPO (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Juli 2010 – 2 BvR 2258/09 –, juris, Rn. 6 m.w.N.) liegen nicht vor. Denn die Verfassungsbeschwerde bietet, wie dargelegt, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG
abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Kirchhof, Masing, Baer
Fundstellen